- 19
- 2192 n. Chr.
- 365 Sekunden vor dem Untergang
- Der abwesende Gott
- Der äußere Rand
- Ag
- Alphabet
- Alphanumerische Zeichen
- Am Rand der Nacht
- Am Zaun
- Das Amselmännchen
- Der Asteroid
- Astronaut
- Atlantik (2021)
- Atlantik (2022)
- Auf dem Mars
- Auf der Reise
- Auf Grönland
- Augenblick
- Aus dir
- Aus Glas
- Die Außerirdischen kamen
- Automatisch
- Beauty Forever
- Die Belohnung
- Bertha Benz
- Besuch aus der Hölle
- Der Betriebsberater
- Biertrinker
- Biological Solutions
- Bitte warten!
- Blatt
- Blaue Haare
- Blick zurück
- Die Brücke
- BTS
- Bürotechnik im Jahr 1980
- Buschfleisch
- Cats at Work
- Charlie, der Pilz
- Deine Exfirma
- Deine glatten blonden Haare
- Demonstrant
- Denkt Henriette Fässler
- Diese Minute
- Discokugel
- Der Drucker, der nicht lesen konnte
- Drei Freunde
- Du untreuer Geist!
- The Eagle Hasn't Landed
- Ehemann
- Der eigene Kosmos
- Eisblumen
- Der elektronische Wanderer
- Das Ende der Welt
- Die Endjahresreise
- Erde von der Erde
- Erinnerungen an Vera
- „Extrablatt!“
- Die ewige Nacht
- Das Familienalbum
- Farben im Kopf
- Felicitas
- Felix
- Das Fenster
- Ferien
- Der Fisch und ich
- Five Days
- Flammenmund
- Der Forstweg
- Fräulein der Früchte
- Die Frau vom Fluss
- Fred
- Fred, der Papagei
- Freeze
- Die fremde Welt
- Frühling
- Frühling
- Gedanken
- Die Geliebte spricht
- Das Gespräch unter Monstern
- Gestirn
- Gezeitenmann
- Giuseppe nel cielo
- Glückskeks
- Going Back in Time
- Gottesfürchtig
- Der graue Mann
- Große junge Liebe
- Der große Stromausfall
- Hackerangriff
- Haie
- Hair Remastered
- Halleluja
- Haus
- Haute Couture (gemeinsam mit Irmgard Tosin)
- Der Heiler
- Die Heilung
- Herr Puffigbrunner und die elektronische Fußfessel
- Horror-Modus
- Hulla-Bulla
- „Ich bin ein Teil von euch“
- Ich gehe auf Wolken
- Ich gehe los
- Ich sehe mich selbst
- Der Igel
- Ihr wundersamen Wunder
- Im Büro
- Im Fernsehen
- Im leeren Land
- In deinem Gesicht
- In der Fertigung
- In der Nacht
- In der Zukunft
- In sich hinein
- Ins Lichtspieltheater
- Ins Nichts
- Insekt
- Internet
- Irgendwer
- Italia 1952
- Jede Sekunde
- Jederzeit
- Johann
- Der Kakadu macht Salto
- Kalt und schwarz wie das Nichts
- Kapitän
- Karibik
- Die Karriereleiter hoffentlich hinauf
- Der Kind-T-Rex, der Mensch und das Schnitzel
- Die kleine Schneiderin
- Klette
- Kollege Werner
- Komm zurück!
- Konstantin fliegt
- Krähen
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- Die Krümmung der Geraden
- Die Kuppel
- Die kurze Liebe
- Kuss
- Lady Strange
- Der letzte Mensch
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- „Liebst du mich?“
- Liechtenstein
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- Die linke und die rechte Person
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- Loch im Kopf
- Der Mann, den es nicht gab
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- Maske
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- Mein Häschen
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- zweisam
- Die zweite Chance
Kategorie-Archiv: Johannes Tosin
10 Jahre verdichtet.at
10. Oktober 2023
Die Online-Literaturplattform verdichtet.at gibt es jetzt seit 10 Jahren. Wie schnell doch die Zeit vergeht! Sie wird von Carmen Rosina und Michaela Swoboda betrieben. Die Damen leisten gute Arbeit. Sie können mit Fug und Recht sehr zufrieden damit sein. Für Autoren ist verdichtet.at ein Geschenk. Alle Texte werden fehlerlos lektoriert. Sehr unterschiedliche Menschen lesen darin. Augenscheinlich sind es viele. verdichtet.at eine hohe Reichweite. Freuen wir uns auf die nächsten 10 Jahre!
Johannes Tosin
Auf dem Mars
Wir schreiben das Jahr 2059. Ich sitze vor meinem Piccolo Computer im Marshabitat. Es ist 17:48 Uhr, um 18 Uhr wird eine Nachricht der Bodenstation eingehen. Übermorgen wird die Fähre eintreffen, die mich zur Erde zurückbringen wird. Dann habe ich die drei Jahre Marsaufenthalt hinter mir und eine Stange Geld auf dem Konto.
Hier lebe ich gemeinsam mit Anja, Maria, Hermann und Olaf. Die vier sind zwei Paare, aber nicht, wie man vielleicht denken würde, je eine Frau mit einem Mann, sondern Anja und Maria sowie Hermann und Olaf. Ich bin das klassische fünfte Rad am Wagen. Außerdem bin ich hier gezwungenermaßen Vegetarier.
„Beep – beep – beep.“ Das ist meine Nachricht! „Hallo, Herr Randolph, hier ist Maren.“ „Ah, Maren, das freut mich sehr!“ Man muss immer nett sein, denke ich. „Das ist schön, Herr Randolph, aber ich muss Ihnen leider etwas Unerfreuliches mitteilen.“ „Oje, Maren, so schlimm wird es wohl doch nicht sein.“ „Ich fürchte doch, Herr Randolph. Wissen Sie, übermorgen wird keine Fähre bei Ihnen eintreffen.“ „Was, wie, warum denn nicht? Wann denn dann?“ „Gar nicht, Herr Randolph.“ „Das kann doch nicht sein! Weshalb denn nicht“ „Sparmaßnahmen.“ „Sparmaßnahmen?“ „Genau, Herr Randolph, aber ich habe auch eine gute Nachricht für Sie, Sie erhalten Ihr Geld weiter pünktlich an jedem Monatsletzten.“ „Aber kann es hier ja nicht ausgeben.“ „Es tut mir wirklich leid, Herr Randolph. „…“
Jetzt werde ich bis zu meinem Ableben nur noch diesen roten Planeten sehen, das Habitat, die Gewächshäuser für Gemüse, die zwei Rover, das Labor und den Fitnessraum mit dem Tischtennistisch, wo mich niemand mitspielen lässt. Keiner führt so ein elendiges Leben, wie ich es tue.
Johannes Tosin
(Text und Foto)
www.verdichtet.at | Kategorie: hin & weg | Inventarnummer: 23160
Augenblick
Öffne deine Augen, meine Liebe,
und schenk mir einen Augenblick.
Johannes Tosin
(Text und Foto)
www.verdichtet.at | Kategorie: kunst amoi schau'n | Inventarnummer: 23163
Der Vogelfreund
Die Aufgabe des einfachen Mannes ist es, die öffentlichen WC-Anlagen in Klagenfurt zu reinigen. Ich sah ihn vor ein paar Tagen, als ich das WC im Europaparkt verließ. Ich grüßte ihn, er grüßte zurück, immer freundlich. Kurz darauf hörte ich ihn laut lachen. Er freute sich über einen Vogel, und er ahmte Balzgeräusche nach, viele verschiedene und unterschiedlich laute, er, der Vogelfreund. Er war selig.
Johannes Tosin
(Text und Foto)
www.verdichtet.at | Kategorie: Von Mücke zu Elefant | Inventarnummer: 23169
Das Amselmännchen
Ich bin ein Amselmännchen. Gerade eben flog ich zu unserem Nest. Dort saß meine liebe Anni, und neben ihr? Zuerst dachte ich, es wäre eine Freundin, aber dazu hätte ihr Gefieder braun sein müssen, was es nicht war. Da saß eine schwarze Amsel, ein Männchen. Was tat er dort? Das kann ich mir schon denken. Ich flog sofort weg. Jetzt sitze ich hier. Ich denke über die Scheidung nach.
Johannes Tosin
(Text und Foto)
www.verdichtet.at | Kategorie: Von Mücke zu Elefant | Inventarnummer: 23134
Karibik
Nach einer Idee von meinem Sohn Michael
Wir, das sind meine Frau, unsere vier Kinder und ich, können uns keinen Urlaub leisten. Kein Wunder bei vier Kindern. Wer hat heutzutage noch vier Kinder? Wir eben, deshalb geht sich kein Urlaub aus. Ich verdiene als Angestellter im mittleren Management gar nicht so schlecht, doch meine Frau muss wegen der Kinder zuhause bleiben.
Wir brauchen aber einen Urlaub. Gar nicht zur Erholung oder zwecks Abwechslung, sondern aus Imagegründen. Jeder von uns sechs möchte Urlaubsfotos posten, Urlaubsvideos auf den sozialen Medien, die er verwendet, online stellen. Das muss man einfach. Tut man das nicht, gilt man als arm und wird Spott ertragen. Auf keinen Fall, mir wäre das ja egal, darf das meiner Hilde und den Kleinen zustoßen.
Zum Glück gibt es dafür das Reisebüro Vi-Holidays. Vi stellt bestimmt für virtual. In Wirklichkeit müsste es Fake Holidays heißen. Für zwanzig Prozent des errechneten Preises der Reise erzeugt es die Illusion dieses Urlaubs, mit allem, was dazugehört. Zwanzig Prozent, das ist zwar happig, aber es geht sich aus. Diesen Sommer fahren wir in die Karibik.
Johannes Tosin
(Text und Foto)
www.verdichtet.at | Kategorie: hin & weg | Inventarnummer: 23132
The Eagle Hasn't Landed
Es ist der 20. Juli 1969. 600 Millionen Menschen sitzen vor den Schwarz-Weiß-Fernsehern. Später kommt noch einer dazu, nämlich ich. Meine Mutter wird mich aus dem Bett zerren. Mein Vater ist angetrunken. Beide sind sie begeistert. Dieser Fortschritt! Diese Technik! Ich hätte lieber weitergeschlafen.
Apollo 11 steuert auf den Mond zu. „Houston, die Erde sieht wunderschön aus, wie eine Murmel“, sagt der Kommandant, er heißt Neil Armstrong, er sagt es auf Englisch, aber es wird übersetzt, sodass ich es auch verstehen kann. Houston antwortet: „Lass diesen Spruch, Neil, den werden wir bei einer anderen Mission verwenden!“ Auch auf Englisch natürlich. Dann wird übersetzt, trotzdem verstehe ich nicht.
Denn die Wahrheit ist eine andere als die auf dem Bildschirm. Apollo 11 befindet sich weder im All noch sendet Houston, die eine Stadt im kakteenverseuchten Texas ist, Funksprüche. Wir befinden uns in einem Studio in Hollywood. „Houston“ ist der Vater von Harvey Weinstein.
Nachdem sich Apollo 11 im Mondorbit befindet, steigen Buzz Aldrin und Neil Armstrong in die Mondlandefähre um. Der dritte Mann, Michael Collins, bleibt im Mutterschiff. Dann setzt die Mondlandefähre auf dem Mond auf, im Meer der Ruhe. Einige Zeit später, nach Mitternacht, also am 21. Juli, klettern Neil Armstrong und Buzz Aldrin über eine Leiter auf den Mond. Nachdem Neil Armstrongs Fuß den Mond berührt hat, sieht er auf die Innenfläche des linken Handschuhs seines Raumanzuges und liest ab: „Das ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein riesiger Sprung für die Menschheit!“
Das wollen sie uns weismachen. Kein Bild, kein Wort ist echt!
Die beiden Astronauten laufen auf dem Mond herum. Sie scheinen sehr leicht zu sein. Sie hissen die Fahne, die sie mitgebracht haben. Sie sieht so aus:
„Houston“: „Ihr Idioten, das ist die kubanische Fahne!“
Schnell wird die Fahne gegen die US-amerikanische ersetzt, dann wird weitergedreht.
Johannes Tosin
(Text und Bild)
www.verdichtet.at | Kategorie: Perfidee | Inventarnummer: 23167
Horror-Modus
Ich spiele gerade ein Browser-Game, da erscheint die Meldung auf dem Bildschirm: „Wollen Sie den Horror-Modus aktivieren? Ja / Nein.“ Natürlich klicke ich auf Ja.
Plötzlich gehen alle Lichter aus. Ich begebe mich zum Schaltkasten und bringe den Strom wieder zum Laufen. Den Computer lasse ich ausgeschaltet, da es schon spät ist und ich morgen Früh in die Schule muss.
Ich gehe zu Bett und schlafe bald ein. Mit dem Gefühl, verschlafen zu haben, wache ich auf. Und tatsächlich, ein Blick auf meinen Wecker zeigt, dass dieser stehengeblieben ist. Es ist zwar schon hell, Vögel sind aber keine zu hören. Ich stehe auf, kontrolliere die Uhren im Haus, sie sind alle stehengeblieben, und zwar um 10:30 Uhr, meine Digitalarmbanduhr um 22:30 Uhr, das war direkt, bevor der Strom ausfiel. Etwas beunruhigt schalte ich mein Handy ein, kein Netz, Uhrzeit: 22:30, Datum: gestern. Normalerweise aktualisiert sich das Handy über die mobile Internetverbindung, doch Uhrzeit und Datum sind immer noch die gleichen, als ich eine ungefähr eine halbe Stunde später das Haus verlasse. Was auch nicht anders möglich ist, da keine mobile Internetverbindung hergestellt werden kann.
Auf dem Weg zur Schule sehe ich keinen Menschen, kein Auto, nicht einmal ein Tier. Schließlich stehe ich vor der Schultür. Sie ist geöffnet. Im Flur steht die Uhr auf 10:30 Uhr, ich erwartete es nicht anders. Ich gehe in meine Klasse. Die Schulglocke läutet, eine Unterrichtsstunde hat begonnen. Ich bin völlig alleine. Auf der Tafel steht: „Lauf weg!“ Ich blicke nach rechts, auf der Innenseite der Klassentür sind Kratzspuren und kleinere Blutspuren, sie sind ebenfalls auf der Innenseite der Fenster zu sehen. Ich weiß genau, dass ich diesen Ort verlassen sollte, aber in meinem Hinterkopf sagt mir eine Stimme, dass jetzt Mathematik auf dem Stundenplan steht und dass ich mich darauf konzentrieren sollte, ein strebsamer Schüler zu sein. Ich gehe zur Tafel und schreibe Rechnungen aus dem Mathematikschulbuch an. Ich rechne sie durch. Es funktioniert problemlos.
Nach ein paar Minuten muss ich pinkeln gehen. Auf der Toilettenwand steht mit Blut geschrieben: „Hilf mir!“ und „Du wirst sterben!“. In einem Pissoir sind Menschenzähne. Ich gehe zurück in die Klasse. Meine innere Stimme sagt mir, dass ich das hier durchstehen und vorerst einmal weiterrechnen sollte. Als ich wieder die Klasse betrete, bemerke ich, dass die Tafeln gewischt sind. Plötzlich ertönt eine Sirene, Feueralarm!
Ich verlasse die Klasse und laufe den Gang entlang. Am Ende des Ganges sehe ich den Schulwart mit seiner kurbelbetriebenen Handsirene. Er geht in sein Büro. Ich laufe dorthin. Dort sehe ich den Schulwart in seinem Sessel sitzen, mit dem Rücken zu mir. Auf mein „Hallo, brennt es wirklich?“ reagiert er nicht. Während ich mich weiter auf ihn hinzubewege und ein zweites lautes „Hallo“ anstimme, fällt mein Blick auf das Regal an der linken Wand. Da stehen kleine, gegerbte Köpfe, Schrumpfköpfe. Die meisten sind mir bekannt, es sind Klassenkameraden und Lehrer. Von Panik erfüllt, stürze ich aus der Schule. Ich renne so schnell ich kann. Auf dem Fußballplatz der Schule sehe ich einen Ball rollen, obwohl niemand dort ist.
Erst nach mehreren Kilometern, als ich außer Atem haltmachen muss, fällt mir das vollkommen veränderte Stadtbild auf. Plötzlich tauchen von allen Seiten Menschen auf. Sie greifen nach mir. Ich will losrennen, doch ich stolpere. Ich schließe die Augen, ergebe mich meinem Schicksal, aber nichts passiert. Ich öffne wieder die Augen. Ich liege in meinem Bett, bin gerade aufgewacht.
Vom Erdgeschoß ruft meine Mutter nach mir: „Das Essen ist fertig.“ Mit Hunger im Bauch laufe ich hinunter. Vater und Schwester sitzen schon am Tisch. Es gibt Herrengulasch, Gulasch mit Würstchen, Spiegelei, zerschnittenen Gürkchen und Semmelknödeln. Appetitlich dampft der Topf. Vater, Mutter und Schwester grinsen ständig. Irgendetwas stimmt nicht. Möglichst beiläufig frage ich: „Sag mal, wie geht es dir denn eigentlich jetzt in der Schule, Sophie?“ Meine Schwester heißt allerdings nicht Sophie, sondern Magdalena. „Ganz gut“, sagt sie. „Möchtest du noch etwas?“, fragt mich meine Mutter. „Na klar, Mama“, sage ich. Sie gibt mir zwei Schöpfer Gulasch mit einem Semmelknödel in meinen Teller. Ich rühre mit dem Löffel um. Was schwimmt da. Es ist kein Fleischstückchen, kein Würstchen, es ist ein Zeigefinger. Ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Hat niemand außer mir den Finger gesehen? Alle drei sind völlig unbeeindruckt. „Danke, ich bin schon satt“, sage ich und stehe auf. Ich gehe auf mein Zimmer, setze mich an meinen Tisch und denke nach, wie ich möglichst schnell möglichst weit davonkommen kann. Draußen höre ich einen Zug vorbeirauschen. Mir fällt ein, dass weniger als einen Kilometer von unserem Haus entfernt ein Bahnhof liegt. Gespannt warte ich, bis ich aus dem Erdgeschoß keine Geräusche mehr vernehme.
Dann laufe ich los. Ich brauche ein paar Minuten bis zum Bahnhof. Auf dem Weg dorthin treffe ich auf keinen Menschen. Mein Plan ist es, den ersten Zug zu nehmen, egal, wohin er führt. Ich warte am ersten Bahnsteig, fünf Menschen, zehn Minuten, eine Würstelbude. Jetzt fährt von links ein Zug ein. Ich steige ein, betrete den Waggon und setze mich hin. Viele Sitze sind besetzt. Jetzt fährt der Zug an. ich blicke auf meine Armbanduhr. Es ist 22:30 Uhr. Sie steht still. Ich sehe mir die Menschen zu meiner Linken an. Es sind alles Männer mit dem gleichen Gesicht und dem gleichen Gewand. Meine Armbanduhr beginnt wieder zu ticken.
Johannes Tosin (Text und Bild)
und
Michael Tosin (Text)
www.verdichtet.at | Kategorie: ärgstens | Inventarnummer: 23142
(Foto: A.C.A.B. – ALL COMPUTERS ARE BROKEN.jpg von Johannes Tosin)
365 Sekunden vor dem Untergang
365 Sekunden vor dem Untergang
Die Tage sind gezählt. 1, 2, 3. In drei Tagen, am 23. Juni um 19:42 Uhr Ortszeit, wird ein Komet, der sich von der Oortschen Wolke, welche die Erde vor zwei Millionen Jahren passierte, gelöst hat, mit der Erde kollidieren. Dieser Komet wird in den Medien als Hades-13 bezeichnet, sein Durchmesser beträgt 1247 Kilometer. Sein Aufprall wird 200 Kilometer südwestlich von Island stattfinden. Es wird das Ende jeglichen Lebens auf der Erde sein.
Gestern wurde die zukünftige Katastrophe bekanntgegeben. Heute ist
Tag 3 vor dem Untergang.
Man müsste den Kometen, wenn er noch weit von der Erde entfernt ist, mit einer massiven Nuklearsprengladung treffen. Diese Technik ist aber nie entwickelt worden. Alle Prognosen sagen auch aus, dass keine Sprengladung stark genug wäre, den Kometen bersten zu lassen.
Da es keine Möglichkeit gibt, das Unglück abzuwenden, kann man sich nur damit abfinden, dass alles aus sein wird. Es ist eine seltsame Vorstellung: Plötzlich, ohne jede Vorwarnung wird jeder und alles sterben, alle zum fast gleichen Zeitpunkt. Vor einiger Zeit sind die Dinosaurier ausgestorben und mit ihnen der größte Teil des Lebens auf der Erde, aber ein kleiner Teil blieb eben, die Lebewesen entwickelten sich weiter, und unter anderem entstand der Mensch. Diesmal wird es endgültig sein. Die einzige Möglichkeit zu überleben wäre, mit einem Raumschiff die Erde zu verlassen, aber dazu ist die Menschheit heutzutage nicht imstande, und Zukunft wird es für sie keine geben. Der Tod ist der ultimative Gleichmacher. Ist jemand wirklich reich, stirbt er nicht leichter als ein Armer, wahrscheinlich stirbt er schwerer, weil er sich ärgern wird, alles zu verlieren. „Wozu war das Ganze dann gut?“, wird er sich selbst fragen. Und die Antwort wird sein: „Für nichts.“
Der Tod wird durch die gewaltigsten Erdbeben, die es jemals gegeben haben wird, veranlasst, durch wolkenkratzerhohe Tsunamis, die Menschen werden erschlagen werden oder ertrinken, es ist auch möglich, dass die Atmosphäre entweicht, das wäre wohl der gnädigste Tod. Es ist ja nicht der Tod, der wehtut, sondern das Sterben. Bestimmt gibt es auch Selbstmordkandidaten, denen der Kometeneinschlag die Arbeit abnimmt. Viele von ihnen trauten sich wohl nie, sich selbst zu richten, jetzt, in drei Tagen, erledigt das der Komet. Es wird das Ende jeden Kalenders sein, vom 24. Juni an hat er keine Fotos mehr, keine Beschriftung, er ist nur noch weiß. Weiß ist das Sterben, die Trauer ist schwarz. Die Liebe ist rot, der Glaube violett, grün ist die Hoffnung. Und blau? Blau ist das Wasser.
Die Kirchen, die Moscheen, die Synagogen sind nun gefüllt. Kein Platz ist mehr frei. Die Menschen beten für die Vergebung ihrer Sünden, damit sie ein gutes Leben nach dem Tod führen können, dass sie in den Himmel kommen und nicht in die Hölle. Manche wollen auch ihr irdisches Leben gerettet sehen. Was nicht passieren wird.
Aber, was wirklich seltsam anmutet, ist, dass viele Beschäftigte heute an ihrem Arbeitsplatz erschienen sind. Die Büroarbeiter tippen in ihre Computer, die Arbeiter in den Werkhallen produzieren, in der Qualitätskontrolle werden die Waren geprüft. Die Sekretärinnen wollen Termine für ihre Chefs vereinbaren. Sie rufen bei Stellen an, wo ihnen gesagt wird: „Die Erde wird untergehen, der letzte mögliche Termin ist der 23. Juni. Sollen wir bis zu diesem Tag etwas vereinbaren?“
Florian ist einer dieser Büroarbeiter. Er mag Blumen nicht besonders, obwohl er diesen Namen trägt, aber den suchten ja seine Eltern für ihn aus. Seine Frau ist zuhause bei dem Baby, das niemals ein Kleinkind werden wird. „Bist du verrückt, warum gehst du in die Firma?“, fragte sie ihn in der Früh. „Ich muss etwas fertigmachen“, antwortete Florian. „Du musst gar nichts mehr fertigmachen“, sagte seine Frau, „das Einzige, was du musst, ist sterben, in drei Tagen, wie wir alle.“ „Ich gehe nur noch heute hin“, sagte Florian, „ich bin ja am frühen Abend wieder zuhause bei euch.“ Seine Frau wusste nicht, wie sie Florian von seinem Vorhaben abbringen könnte, und wenn man etwas nicht weiß, fällt man oftmals in eine Art Schockstarre. Sie stand nur da und sah ihn an. „Okay“, sagte sie dann. „Okay, bis dann“, gab Florian zurück.
Ja, und jetzt ist Florian in seiner Firma. Natürlich gibt es einen Grund, dass er hier ist. Er ist keiner dieser Verrückten, die Bestelllisten abarbeiten, wo nie mehr eine Lieferung folgen wird. Florians Grund ist Isabel, die in den technischen Abteilungen verschiedene Arbeiten erledigt. Er hat sich schon seit Langem in sie verschaut, machte aber nie Anstrengungen, sie zu erobern, da berufliche Affären ein No-Go für ihn waren. Mittlerweile war das einerlei, Job-Nachteile innerhalb der letzten drei Tage, nach denen die Erde untergeht? Lächerlich, obwohl nun nicht die Zeit zum Lachen war. Egal, jetzt war anything goes angesagt, es war keine Zeit mehr übrig, um zu warten. Now or never. Florian wusste noch gar nicht, ob er überhaupt abends nachhause fahren würde. Es war bekannt, dass Isabel Drogen nahm. Er nahm auch Drogen, was höchstwahrscheinlich niemand in der Firma wusste. Heute war seine Aktentasche gleichzeitig ein Drogenkoffer – mit Dope, Koks, Es gefüllt, genug für eine gute Zeit, mit Isabel, wenn sie denn will. Mal sehen, bislang hat Florian sie nicht ausgemacht.
„Knien Sie nieder, Sie Schwein!“, tönt es aus dem Büro des Abteilungsleiters. Es ist Herrn Warmuths Stimme. Das Verhältnis zwischen dem Abteilungsleiter und ihm war immer schon sehr angespannt, inzwischen hat sich das noch verschärft. Jetzt hört man den Abteilungsleiter laut beten. Noch vor dem Amen schallt es „Bumm, Bumm, Bumm, Bumm, Bumm!“ Das war Herrn Warmuths Intention, heute ins Büro zu kommen. Verständlich, findet Florian, den einen treibt die Liebe, den anderen der Hass. Der Hass ist vielleicht das wirkungsvollere Stimulans.
Später erfuhr Florian, dass Isabel bislang nicht in der Firma erschienen war. Er verbrachte noch einige Zeit beim Kaffeeautomaten in der Fertigungshalle rauchend und den paar Wahnsinnigen zusehend, die Maschinenteile produzierten, die nie mehr verbaut werden würden. Dann fuhr er nachhause. Wohl hat sich Isabel auch ihren Traum wahrgemacht, der nichts mit der Firma und nichts mit ihm zu tun hat.
Tag 2 vor dem Untergang
Ein Open-Air-Konzert wird vorbereitet. Musiker sind da, um Songs zu spielen, das Publikum zu unterhalten, manche wollen auch Messages transportieren. Wann, wenn nicht jetzt, sollen Musiker auftreten? Jetzt, genau! Die Instrumente und die Mikros auf der Bühne sind verkabelt. Der Soundcheck fällt aus. Gleich wird es beginnen. Die Musiker kommen auf die Bühne. Abertausend Menschen stehen davor. Es ist 20:07 Uhr. Noch existiert die Erde, sonst könnte niemand stehen und niemand könnte spielen und singen. Es ist eine Death-Metal-Band. Die Sängerin singt vom Tod. Die Menschen toben, recken die Arme in Richtung der Bühne. Diesmal ist es nicht nur eine Show. Es ist der vielleicht letzte Auftritt dieser Band. Und alles wird mit dem allgemeinen Sterben ändern. Die Toten werden nicht mehr begraben werden, und niemand wird sich ihrer erinnern, weil niemand mehr da sein wird. Auch darüber singt die Sängerin. Diesmal ist es mehr als Unterhaltung. Es ist so ernst, wie der Tod ernst ist, nach dem nichts mehr folgt. Jeder hofft, dass es danach weitergeht, doch das wird es nicht. Es ist kein vorläufiges Ende, es ist das absolute Ende. Der Punkt des ewigen Satzes.
Statt einer Lightshow brennen Feuer auf der Bühne. Alle Musiker sind schwarz gekleidet, wie die meisten im Publikum. Dann sieht man von den Menschen nur die Gesichter und die Hände, die weiß herausleuchten. Überall werden Joints geraucht, wie früher bei Konzerten, als es noch keine Handys mit Kameras gab. Am Rand sitzen Leute mit pulverförmigen Substanzen, Löffeln, Teilen von Zigarettenfiltern und brennenden Feuerzeugen. Jeder nimmt ein, was er hat. Keine Security ist hier, und auch keine Polizei. Alles ist scheinbar legal, da es keine Veranlassung mehr gibt, jemanden abzustrafen. Die Band auf der Bühne bietet die beste musikalische Darbietung, zu der sie fähig ist. Und das ist eine fantastische. Es ist traurig, denken wohl die allermeisten der Zuseher und Zuhörer, dass es das letzte Mal ist, dass ich diese Band erlebe. Natürlich muss alles irgendwann beendet sein, aber doch noch nicht jetzt, ich bin doch noch viel zu jung.
Mit den Worten: „Goodbye Leute, wir lieben euch, wir sehen uns wieder in der Hölle“, tritt schließlich die Band ab.
Eine andere Band tritt auf und gibt, was sie kann, was diesmal absolut der Superlativ ist. Der helle Gesang lässt eher an den „Stairway to Heaven“ denken als an die Treppe in die Unterwelt. Die Stimme entführt zu anderen Galaxien, was die Rettung wäre, doch sobald man die Augen öffnet, ist man wieder hier, innerhalb der Menge, auf der Erde gefangen.
Seb und Lene verlassen nun den Platz vor der Bühne. Sie gehen durch den Park, in dem sie aufgebaut ist. Da ist Rasen, sind Bäume und Kies, der scheinbar weiß strahlt, Eichhörnchen sind da und Enten, die quaken. Die beiden jungen Leute hatten große Pläne, zuerst ihre Ausbildung beenden, zusammenziehen, ein Kind, mindestens, besser zwei oder drei. Die Pläne werden nun Pläne bleiben, sie können nicht mehr realisiert werden. Leider. Sie besuchen den städtischen Friedhof, auf dem Leute wie sie gerne ein Picknick veranstalteten. Jetzt sitzen sie bloß im Schneidersitz neben einem Grab, jeder schaut für sich, von ihnen fällt kein Wort.
Sie sind nicht die einzigen Schwarzgekleideten hier, von denen man denkt, sie seien Satanisten. Einige haben sich auf dem Friedhof versammelt. Heute reißt niemand das Kreuz eines frischen Grabes heraus und steckt es andersrum zurück in die Erde.
In Wirklichkeit will ja niemand von ihnen, dass sie der Teufel holt. Wenn es denn so wäre, dann wäre das übermorgen der Fall. Es kann gut sein, dass diese Leute von dieser besonderen Ruhe eines Friedhofs angezogen sind, und auch davon, dass er ein historischer Ort ist, mit den altertümlichen Namen und manchen Schwarzweiß-Fotos der Verstorbenen. Es ist der richtige Platz, um langsam zu atmen. Nachts kommen die Geräusche fast nur vom Wind und von kleinen Tieren.
Jetzt greift Lene nach Sebs Hand. „Es ist schade um uns“, sagt sie. „Ja, es ist schade um uns“, sagt Seb.
Tag 1 vor dem Untergang
Die Tageszeitung liegt vor der Wohnungstür. Der Kolporteur macht weiter, als wenn nichts wäre. Er ist Sikh. „Frohe Weihnachten und ein glückliches neues Jahr“, stand auf einer Karte von vor ziemlich genau einem ½ Jahr, die mit Singh beschriftet war. Wahrscheinlich sammelt er Pluspunkte für sein zukünftiges Leben, denkt Tino. Aber wo will er ohne Erde leben? Doch das soll mich nicht kümmern, es geht mich auch nichts an. Der Mann wird schon wissen, was er tut. Er arbeitet ja nur noch um der Arbeit willen, denn Lohn wird er keinen mehr erhalten.
Tino blättert die Zeitung durch. Sie hat weniger Seiten als früher, aber sie ist erschienen, die Seiten sind bedruckt mit Text und Fotos, Redakteure und Fotografen waren an der Arbeit. Als ob sie einen Auftrag zu erfüllen hätten, oder sie glauben, dass das Unglück doch abgewendet werden kann. Tino ist nicht zur Arbeit gegangen „Scheiß drauf!“, hat er sich gesagt, „diese Arbeit ist nicht mein Lebenszweck.“ Und bald darauf fragte er sich: „Morgen werde ich sterben, was soll ich dann heute tun?“ Bald bemerkte er, dass ihm niemand wichtig genug war, um ihn – oder sie, in jedem Fall viel eher eine Sie – zu besuchen und vielleicht bis zum Ende zu bleiben. Nein, das war es nicht, was ihm fehlte. Er ließ seine Gedanken schweifen, und dann hatte er es vor sich: eine Gebirgslandschaft. Ja, das war es: Er würde wandern gehen, auf den Hochobir. Dort war er noch nie, und genau jetzt war es an der Zeit, ihn zu besteigen. Sonst gäbe es ja auch keine Gelegenheit mehr dafür.
Tino macht sich fertig. Er würde alleine gehen. Als er jünger war, hat er oft lange Sportausflüge unternommen, bei so gut wie allen war er solo. Das ist ihm lieber, er braucht sich nach niemandem zu richten, keiner ist da, der ihn beschwatzt. Und besonders jetzt möchte er in Ruhe gelassen werden. Er setzt sich in sein Auto, unterwegs tankt er kostenlos, er fährt bis zum Fuß des Hochobirs. Von ganz unten wäre die Gehzeit für ihn zu lange, er fährt die Serpentinen des Berges hinauf, bis da ein großer Parkplatz ist. Dort stellt er das Auto ab. Von hier bis zum Gipfel und zurück müsste er es bei seiner schlecht gewordenen Kondition in vier bis längstens fünf Stunden schaffen.
Der Parkplatz ist fast voll. Tino geht los. Viele Menschen gehen mit ihm und kommen ihm entgegen. Es ist ein Run auf den Berg. Steile und flachere Abschnitte wechseln einander ab. Wunderschön findet er die Natur, und interessant, wie sie sich mit steigender Höhe verändert. Jetzt sieht er unten in einem Tal einen kleinen See. Tino kennt ihn gar nicht. Er wird morgen dort baden gehen, bis es aus sein wird. Wenn der Komet einschlagen wird, wird er am Ufer des Sees liegen.
Überall sind jetzt viele Bergsteiger unterwegs, touristische, welche die Berge begehen, und Kletterer, die Felswände vertikal hinaufkrabbeln. Man würde denken, dass praktisch alle Kletterer freeclimben würden – es muss doch toll sein, einen langen freien Fall zu erleben, bevor man stirbt, was morgen ja ohnedies der Fall sein wird –, aber nein, mehr als wahrscheinlich üblich sind angeleint, sie wollen wohl keine einzige Stunde versäumen.
Nun hat Tino den Gipfel erreicht. Er sieht sich beim Gipfelkreuz um, dann geht er bergab, in Richtung des Parkplatzes, wo sein Auto steht, zwischen vielen anderen. Jetzt, wo er dort ist, kommt ihm ein kleiner, böser Gedanke: Warum habe ich, wo ich mich mein Leben lang immer bemüht habe, nur einen als gebraucht gekauften Kleinwagen, und manche von den anderen, die die totalen Flaschen sind, haben hier ihre Nobelkarossen stehen?
Und so nimmt er seinen Autoschlüssel in die Hand und zerkratzt den Lack von einigen der Limousinen, Sportwagen, Riesen-SUVs. Er macht das unauffällig. Trotzdem kann es natürlich sein, dass manche von den anderen Wanderern hier seine Aktion bemerken. Jedenfalls sagt niemand etwas – weil es nicht ihr Auto ist, überlegt Tino, diejenigen, die feststellen werden, dass bei ihrem Auto der Lack zerkratzt wurde, sind bestimmt, wenn schon nicht fuchsteufelswild, dann wenigstens nur wild, eher aber doch fuchsteufelswild – obwohl sie in etwas mehr als 24 Stunden sowieso sterben werden und die gesamte Erde unbewohnt sein wird.
Während er nachhause fährt, denkt er nach, wie er morgen zu diesem kleinen See gelangen soll. Das Internet wird ihm eine Lösung aufzeigen, kein Problem. Er stellt sich das Wasser vor, in das er dort tauchen wird. Wasser ist für ihn ein angenehmes Medium, wie komprimierte Luft. Schwimmt man lange Strecken, kann das wie Schweben anmuten.
Ob es Surfer auf den Tsunamis geben wird? Der Großteil der Menschen wird ja recht unmittelbar nach dem Kometeneinschlag sterben, aber auch wenn es manche Surfer danach noch aufs Meer schaffen würden, und selbst wenn sie einen Tsunami erreichten, bevor der sich zur vollen Größe aufgebaut hätte, wäre er viel zu schnell, um ihn zu reiten. Es wäre absolut unmöglich. Aber es gäbe ein spektakuläres Bild, einen Surfer auf einer viele hundert Meter hohen dahinrasenden Welle zu sehen.
Tag des Untergangs
Es ist 00:26 in Österreich. Theo ist auf einer Party. 20 Stunden und 16 Minuten ist noch Zeit. Überall sind jetzt Partys, Farewell-Partys, Goodbye-to-Earth-Partys. Musik und Visuals, DJs, DJanes. Put your hands up in the air. Never stop.
Doch genau jetzt denkt Theo: Was tue ich eigentlich hier? Er zieht sich in eine ruhigere Ecke zurück und schreibt auf seinem Smartphone Nachrichten, an Frauen, die ihm wichtig waren und, ja, es noch immer sind. Es gibt schon seit Langem keinen Kontakt mehr, aber sie ist wichtig, die eine, und sie ist wichtig, die andere, und einige mehr, die ihm wichtig sind, an alle die schreibt er. Nach einiger Zeit kommen auch Nachrichten zurück. Eine schreibt ihm: „Theolein, warum hast du mir das nicht vor drei Jahren geschrieben?“ Dann könnten wir jetzt vielleicht beisammen sein, weiß er.
Man kann das Leben so sehen, dass es aus Taten besteht, oder man kann es so sehen, dass es aus Versäumnissen besteht.
Anyway, heute ist es aus.
Jetzt, je näher der Untergang rückt, desto mehr Menschen sitzen vor ihren Fernsehern. Manche lassen sich unterhalten – bestimmte Sender strahlen Blockbuster-Filme aus. Andere betrachten Zusammenschnitte von historischen Filmaufnahmen ohne Ton. Dort wird genau jetzt eine Zahl in dieser Schrift eingeblendet:
365 Sekunden bis zum Untergang
364, 363, 362, 361, 360. Sieht man aus Fenster, ist der Komet bereits deutlich größer als die Sonne, bei jeder weiteren niedrigeren Zahl ist er weiter gewachsen. Bei 100 beschleunigt die Luft stark. Der Komet ist jetzt so groß wie ein Fußball 50 Zentimeter vor den Augen.
Bei 30 schließt Fiona die Augen. Sie wird sie erst wieder öffnen in dem Moment, in dem sie stirbt.
Johannes Tosin
(Text und Bild)
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