Ich gestehe: In der Welt bin ich früher nicht sehr herumgekommen. Nicht nur, dass ich keine Möglichkeit dazu hatte, sondern auch, dass mich Reisen im Kopf mehr befriedigten.
Dazu bedurfte es nicht einmal eines Weltatlas.
In Berichten im Fernsehen, in Filmausschnitten, in Blogs erkannte ich das Lebensgefühl der Hippie-Generation: Frei sein, high sein, überall dabeisein. Was aber leider schon Vergangenheitsform für mich hatte.
Damals wollten alle nach Indien. Und wenn nicht dorthin, so doch wenigstens nach Istanbul oder nach Portugal. Es bedurfte nicht immer eines eigenen Fahrzeugs, manchmal reichte auch das Interrailticket oder der Autostopp. Wonach strebten sie damals? Nach Exotik? Nach Begegnungen? Nach Der-Weg-ist-das-Ziel-Erfahrungen?
Die Welt hat sich gedreht. Aber wäre es möglich, dies zu wiederholen?
Reisen ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Wir reisen immer weiter, immer öfter. Und welchen Sinn hat das dann noch, wenn wir das Reisen in unsere Innenwelt verlernen?
In meinem Kopf ging ich den alten Reiseberichten noch einmal nach. Und mein Plan war drauf und dran zu gelingen: Ich recherchierte Reisewege und informierte mich über verschiedene Länder. Und ich bekam eine Vorstellung von den Eindrücken, von den Worten, die auf diesen Reisen gewechselt wurden.
Bruchstückhaft holte ich diese Erfahrung später mit eigenen Reisen an die damaligen Orte, nun aber in der Jetztzeit, nach.
Ich bestaunte den Torre de Belém. Und den Weißen Turm. Ich badete im Atlantik und überquerte den Bosporus.
Michael Bauer
www.verdichtet.at | Kategorie: hin & weg | Inventarnummer: 25233
Wer von uns kann schon ermessen, wie es vorher ist gewesen? Wie hat alles bloß begonnen, bevor die Wasser sind geronnen?
Glühendheißes Magma war vor dem großen Regen gar. Dann regnete es, viele Jahre, und das Meer war da, das klare.
Gott Taʼaroa ganz in Trauer, Tränen flossen lang auf Dauer, die die Ozeane füllten, und die Erd’ damit umhüllten. Salzig sind nun mal die Tränen. Kein Meerwasser zum Trinken nehmen!
Das Meeresufer scheint semantisch für mich allein schon hochromantisch. Immer noch lauf ich zum Strand und liege faul im weichen Sand.
Wenn eine leichte Brise weht und mir die Zeit zu schnell vergeht, im Sonnenschein bleib am Gestade ich, bis dass die Sonne sinkt, wie schade!
In eine and’re Zeit versetzt, indes zu Land die Zeit langhetzt, so zwischen Flut und zwischen Ebbe im Sand ich den Entspannten gebe.
Aber langsam wird mir klar, das Meer ist, wo es immer war. Ringsherum verändert sich, beinah alles, so auch ich. Das Meer, ein Ort der Ewigkeit, bereitet mir Glückseligkeit.
Der Wind am Watt weht aus dem Westen. Bei Nebel ist es echt am besten, wenn man eine Jacke nimmt, weil dann der Wind von Norden kimmt.
Dann tu ich auf die Wellen hören, und auf Laute, die mich stören. Man muss auch auf die Ströme achten, und auf die Möwen, wenn sie lachten.
Am Meer droh’n Unheil und Gefahren, das kann man sich ganz leicht ersparen, wenn man es von Grund auf meidet, und sich nur fürs Land entscheidet.
Seine Kraft und seine Weite merkt man erst auf hoher See. Ist man ihm erst ausgeliefert, ist verloren man, oje!
Des Meeres Schönheit eingefangen, vom sich’ren Strand aus rumgehangen. Meine Angst schien überwunden, doch jetzt hat sie zurückgefunden.
Es steigt der Spiegel rasch des Meeres, dort steht ein Inseldorf, ein leeres. Und unter Palmen, ganz geduckt, ganz viele, bald vom Meer verschluckt.
Copyright: Norbert Johannes Prenner
Norbert Johannes Prenner (Text und Grafik)
www.verdichtet.at | Kategorie: hin & weg | Inventarnummer: 25177
Endlich. Endlich nach dunklen kalten Monaten darf ich wieder raus.
Mir ist gerade schwindelig, sie hat einfach kein Taktgefühl, Frau Kaiserin.
Sie dreht mich in drei Sekunden um und mir wird übel.
Diesmal werde ich im Aufzug transportiert, was ist denn los? Ich erreichte sonst den Strand wie ein Baguette unter dem muskulösen Arm von Frau Kaiserin.
„Ach du meine Güte, der Rücken tut so weh. Ich bin nicht mehr die Jüngste.“
Sie schaut sich im Spiegel des Lifts an, sie ist ganz ernst. Sie zupft an der Haut der Wangen, kämmt die Augenbrauen mit dem Zeigefinger und geht mit der Hand durch ihre Haare. Sie sind ganz wenig und dünn. Sie färbt sie anscheinend nicht mehr, sie ist nun grau meliert.
Was ist denn mit ihr los?
Die Türe öffnet sich, wir sind im Erdgeschoss angekommen. Ich werde auf einen Wagen gestellt und an die Liegen gebunden. Ein Mann kommt und schiebt den Wagen. Für einen Augenblick befürchte ich, nach zehn Jahren Dienst auf den Müllabladeplatz transportiert zu werden, aber Frau Kaiserin ist eine treue Person.
Sie ist zwar hart, aber sehr zuverlässig, und ich sehe noch sehr gut aus.
Die Sonne scheint, aber es weht eine kühle Brise. Der Strand ist sehr still. Ich werde wie ein Baum im Sand gepflanzt, der Schirm wird aufgemacht und der Wind weht durch den blauen Stoff.
Ich fühle mich wie ein Drache, der frei im Himmel fliegt.
„Hallo Schatz, wann kommst du denn?“
Schatz? Frau Kaiserin hat ein Herz? Da bin ich mal sehr gespannt.
„Ich liege schon an der Sonne, ich warte auf dich und dann essen wir zusammen zu Mittag.“
Und dann hängt sie eine schwere Tasche unter meinen Schirm.
Drachengefühl weg!
„Hallo Karen, na gehen wir was essen? Du kannst diese Tasche auf dem Sand unter den Schirm stellen, die ist schon sehr schwer.“
Die Stimme ist sanft, mein Retter scheint Frau Kaiserin elegant im Griff zu haben. Sie widerspricht ihm nicht, küsst ihn und gibt mir mein Drachengefühl zurück.
Ich bin wieder allein, die Täubchen sind essen gegangen.
Eine Möwe gleitet auf meinen Schirm: „Bist du wieder da?“
Ich bleibe einen Moment still, kenne ich sie?
„Ich bin Uwe, weißt du nicht mehr?“
Ach, Uwe die Möwe. Jaja, jetzt weiß ich wieder.
„Wie geht’s denn, Alter? “
„Blendend. Wenn so wenige Menschen unterwegs sind, ist es wunderschön, und ich verbringe gerne Zeit am Strand.“
„Schau, eine Möwe!“
Ach Mensch, Frau Kaiserin ist wirklich ganz weich geworden, jetzt begeistert sie sich sogar für Möwen. Was ist dann mit ihr passiert? Einerseits scheint sie krank zu sein, andererseits ist sie verliebt und lebendig wie noch nie!
Uwe ist weggeflogen, er hält Menschen nicht aus.
Ich spüre die Wärme der Sonne auf meiner Spitze, es ist sehr angenehm. Warum lassen sie mich auch im Winter nicht am Strand? Es ist so schön, draußen zu sein!
Hilfe, ich atme nicht mehr. Was ist los? Eine enge Hülle drückt mich, jemand entführt mich.
Hilfeeeeeeeeee!
„So hältst du länger, mein Lieber, und bist vor der nächtlichen Feuchtigkeit geschützt.“
Ach, die Frau Kaiserin. Was hat sie sich dabei jetzt gedacht? Ich will nicht in dieser Plastikhülle bleiben, Mist!
Der Liebhaber ist anscheinend einverstanden, er hat nix kommentiert. Er schien anders als sie zu sein, aber es gibt einen Grund, wenn sie sich gefunden haben.
Hilfeeee, ich will raus!
„Schau mal was für einen eleganten Anzug du anhast. Hast du heute Abend ein Date?“
Jemand kräht und kichert, das ist Uwe!
NEIN, ich wurde in diese Tüte gezwungen, ich will raus.
„Warte mal, das kriegen wir schon hin.“
Ich spüre eine andere Möwe auf meiner Spitze, sie nimmt die Hülle in den Schnabel und Uwe schiebt sie nach oben von unten.
„Ich bin wieder frei, ihr seid so lieb! “
„Komm, wir gehen weg.“
„Wo denn? Ich bin seit zehn Jahren da, was macht Frau Kaiserin ohne mich? “
„Sie wird einen neuen Sonnenschirm kaufen, was glaubst du? Du bist nicht unersetzbar.“
Uwe kann sehr direkt sein, er hat ein gutes Herz, aber manchmal treffen mich seine Worte wie ein Splitter im Stoff und hinterlassen einen Riss.
Er hat aber Recht.
„Willst du weiter jeden Abend im Sommer mit dem Kondom eingeengt werden und keine Sterne sehen? Es ist deine Wahl, aber schrei bitte nicht um Hilfe das nächste Mal, okay?“
„Tja, Recht hast du, Alter. Ich komme mit, aber ich habe Angst, ich bin nie geflogen.“
„Hab Vertrauen, du lernst es schon.“
Die kühle Brise weht noch, ich werde ganz leicht, drehe mich um mich selbst, der Strand entfernt sich mehr und mehr und die Sterne nähern sich.
nach einem kurzen Regenguss musste die Außenluft doch etwas kühler sein erschöpft verließ ich das Krankenzimmer um die gute Nacht zu begrüßen
auf das Dach des Nachbarhauses stieg bedächtig eine mumienhaft aussehende Gestalt einen Schal über den Kopf gestülpt in eine fadenscheinige Decke gehüllt trat sie zögernd aus dem Schatten
oben auf der Treppe angelangt wurde sie meiner Anwesenheit auf dem Balkon gegenüber gewahr sie lächelte mir zu und warf mit einer einzigen Bewegung Schal und Decke ab sich als der Nachbarsjunge von vielleicht acht neun Jahren entpuppend
ab da beachtete er mich nicht weiter sondern nahm graziös wie Gandhi in Erwartung nächtlicher Kühle im Lotussitz Platz auf der Dachterrasse seines Elternhauses im südindischen Chennai welches seine Großeltern noch als Madras kannten
Frank Joussen
www.verdichtet.at | Kategorie: hin & weg | Inventarnummer: 25184
Es ist, als sei er in der leeren Welt. Er erwachte aus dem Koma, kam zurück, und niemand war mehr hier. Einzig er. Wofür dann leben, für Steine und Gestrüpp?
Gestrüpp auf der Schlangeninsel im Schnee am 31. Januar 2021
Johannes Tosin (Text und Foto)
www.verdichtet.at | Kategorie: hin & weg | Inventarnummer: 25142
wen wundert’s dass hier oben jemand ans Fliegen glaubte oder dass eine Gruppe schöner gebildeter Menschen sich fantastische lustige und erotische Geschichten erzählen konnte nachdem sie dem Tod im Tal entronnen waren
wer hier oben aufwuchs glaubt womöglich wirklich dass der Mensch ein kultiviertes Wesen werden kann wenn man so hinunterblickt auf das Arnotal und Florenz
doch was würden die Straßenkinder die afrikanischen Händler die Flüchtlinge dazu sagen sollen wir noch einen Garten mit schönen Menschen suchen oder zu den Armen rund um den Ponte Vecchio zurückkehren
Frank Joussen
www.verdichtet.at | Kategorie: hin & weg | Inventarnummer: 25137
San Gimignano E.M. Forsters Monteriano den Ort gibt es wirklich wo viktorianische Damen sich in italienische Zahnärzte verlieben wo zur Mittagszeit Musik durch die Steine fließt wo du in die Hölle blicken kannst mitten in einer Kirche wo Levkojen blühen für die Schönheit einer Heiligen
aber wie war eurer Leben Bewohner von San Gimignano als ihr ungestört vom Tourismus lebtet boten euch die Türme Sicherheit machten sie euch engstirnig ließen sie euch glauben ihr wäret in einem Babylon der Toskana oder hörtet ihr auf eure Nachbarn zu bekriegen brachtet ihr Schinken Wein und Gesang auf eurem Marktplatz dar ließet ihr eure Türme einfach hinter euch
Frank Joussen
www.verdichtet.at | Kategorie: hin & weg | Inventarnummer: 25137