Kategorie-Archiv: Emma Kreska

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Seeing Isa

In der Wiese sitzend fragte sie
und erhoffte bloß ein Ja
Gründe – im Grunde – verstecken nicht gut
dass Nein seine Antwort war

Erklären ist nicht reden und lieben nicht alles
Schwere Kost auf schmerzenden Magen
Auf dem Teller liegt das Gänseblümchen
das sie ausriss, um nicht nur weinend zu warten

Emma Kreska

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 21081

Vater und Kind

Durch ein Fenster hindurch sieht man den Vater mit seinem Kind, die einen weder sehen noch hören können. Dabei würde man ihnen so gerne zurufen, sie sollen aufhören.

Das Kind, das den Vater so liebt, so unbedingt stolz machen möchte, weint. Ist beschämt, versagt zu haben. Gleichzeitig ist es wütend und empört, wie könne der Vater nur so viel von ihm verlangen? Und der Vater ist zornig, hat seine Geduld verloren, weil er doch nicht viel von dem Kind verlange. Zugleich richtet sich sein Zorn gegen sich selbst, dem das Herz zerbricht beim Anblick des weinenden Kindes, das er doch mehr liebt als alles andere.

Sie starren sich schmerzend an. Gemeinsam gefangen in ihrem schreienden Nichtssagen, denn sie sagten einander nie, wie sehr sie sich lieben.
Und man selbst steht vor dem Fenster, sieht hilflos zu. Ist sowohl Kind als auch Vater und wünschte sich, dass lieben alleine genug wäre.

Emma Kreska

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 21052

Lust zu tanzen

Sie sagte, sie hätte Lust zu tanzen. Durch ihre Brille hindurch sah sie mich erwartungsvoll an.
Ich nippte von meinem Bier, lachte auf. Ich erinnerte sie, dass es Donnerstag sei. Dass es nach acht sei. Dass wir kaum Platz in unserer Wohnung finden würden, wo wir zu dritt tanzen könnten.
Ohne sie zu Wort kommen zu lassen, fast noch im selben Atemzug, erwiderte ich, dass uns die Nachbarn bis zehn allerdings egal sein könnten. Dass wir im Gang, der all unsere Schlafzimmer verbindet, tanzen könnten. Dass, wenn man Lust habe zu tanzen, man zu tanzen habe.
Also tanzten wir.

Im Gang, der nur von den farbewechselnden LED-Lichtern aus Sabines Zimmer beleuchtet wurde. Ich am nächsten zur Gangtür, sie beim Wäscheständer, Paulo zwischen uns. Eins nach dem anderen spielten wir unsere besten Lieder ab. Unsere Amerikalieder. Die, die mich immer an unsere Autofahrten erinnern. An die in Schnee versunkenen Nachbarschaften, in denen wir gewohnt hatten. An eine Zeit, als mir mein Leben, wie es jetzt ist, noch so weit weg schien.
Wir tanzten.

Auf unseren Zehen, um unsere Nachbarn, so gut es ging, in Ruhe zu lassen. Paulo torkelte mehr, als dass er tanzte. Er stützte sich beide Arme seitlich von ihm weggestreckt an den Wänden des Ganges ab und warf seinen Kopf von einer Seite zur anderen. Mit geschlossenen Augen  verschwand er in der Musik, die sich alle paar Minuten änderte. Ein mit Erinnerungen beladenes Lied nach dem andern wurde übergangslos von einem neuen ersetzt. Sabine und ich sahen uns an, trafen uns in irgendeiner Erinnerung, die so wahrscheinlich nie passiert war, sondern lediglich eine Zusammenfassung all jener Momente war, die sich diesen Soundtrack teilen. Ich sah ihr zu, als sie sich im Halbdunkel bewegte, immer nur ein kleiner Teil ihres Gesichtes von dem intensiven Grün, Rot und Blau beleuchtet. Ich liebte, wie sie tanzte. Mal kontrolliert und minimalistisch. Dann wild, befreit und fast schon etwas lächerlich. So oder so, sie tanzte, als tanzte sie allein.

Ich schloss meine Augen und spürte mein Herz, das kräftig gegen meine Rippen pochte. Spürte den Schweiß auf meiner Haut, die bereits zu jucken begann. Meine Haare, die sich nicht mehr in einem Zopf halten ließen und mir bei jeder Bewegung ins Gesicht fielen und in meinem Nacken kleben blieben. Meine Brüste, die mit jedem rhythmischen Auf und Ab ein wenig mehr schmerzten. Mein Körper war erschöpft, doch hörte ich nicht auf. Niemand von uns.
Wir lachten. Tranken weiter aus der Bierdose, die wir uns zu zweit teilten. Tanzten, bis uns die Lieder und der Atem ausgingen.

Emma Kreska

www.verdichtet.at | Kategorie: fest feiern | Inventarnummer: 21026

Pur

Ich möchte etwas tun. Etwas kreieren. An nichts denken, nichts kontrollieren, mich hingeben. Mich fallen lassen. Ich möchte, was auch immer aus mir rausfließen will, aus mir rausfließen lassen. Ohne Einschränkungen, ohne Anleitung. Nur dann kann es pur sein.

Ich möchte einer der Regentropfen auf dem Fenster des Autos, das mit 130 km/h auf der Autobahn fährt, sein, die ich als Kind auf der Rückbank sitzend beobachtete. Ich wusste noch nichts von den Gesetzen der Physik, die schlussendlich den Pfad der Tropfen über das Fenster hinweg kontrollieren würden. Ich dachte, sie würden selbst wählen. Ich dachte, sie wollten mich reizen, mich glauben lassen, dass sie entlang eines bestimmen Weges  fließen würden. Dass sie ihren Kurs erst dann änderten, wenn ich dachte, ich wüsste, wohin sie ihr Weg führen würde. Sie beugten sich meinem Willen nicht.
Ich möchte mich ebenso von meinem Willen befreien.

Ich möchte mich aufschneiden und heraustreten. Die Person, die ich dachte sein zu müssen, hinter mir lassen. Dorthin gehen, wohin ich mich entscheide zu gehen. Und meinen Kurs erst dann ändern, wenn die, die sich entscheiden, mich zu beobachten, weil sie nichts Besseres mit ihrer Zeit anzufangen wissen,  denken, sie wüssten, wohin ich gehe. Wie ich als Kind. Auf der Rückbank des Auto sitzend, nichts Besseres mit meiner Zeit anzufangen wissend, als die Regentropfen am Fenster zu beobachten.

Mit der Zeit habe ich einen Weg gefunden, mich von mir zu befreien. Temporär zumindest.
Wenn ein Mann zum ersten Mal in mich eindringt, denke ich an nichts, kontrolliere nichts, gebe ich mich hin. Lasse ich mich fallen. Ich lasse, was auch immer sich richtig anfühlt, passieren.
Ohne Einschränkungen, ohne Anleitung.

Wenn ich mich in der Welt, wie sie jetzt gerade ist, umsehe, ersehne ich mir nichts mehr als einen Moment, um anzuhalten und tief einzuatmen. Einen echten Atemzug. Einen, der meine Zehen erreicht, meine Lungen in vollem Maß ausfüllt, meinen Körper fühlen lässt,  als sei er endlich vollkommen erwacht. Einen Moment, in dem alles still hält. Fast wie der Augenblick, wenn man aus Wasser auftaucht und die Luft süßer als je zuvor schmeckt und es sich anfühlt, als ob man zum ersten Mal im Leben atmet.

Dieser Moment hat seinen Preis. Im Gegenzug verlangt er einen Moment, in dem man es nicht wagt zu atmen. Wenn deine Lippen nur einen Bruchteil eines Millimeters von seinen entfernt sind. Wenn sich dein Herzschlag beschleunigt und mit ihm dein Atem. Du bist dir seines Körpers plötzlich allzu sehr bewusst und wo er sich bezüglich deines eigenen befindet. Deine Augen sind geschlossen. Du kannst seinen Mund, der deinem so schmerzhaft nah ist, im Geiste sehen. Du fühlst, wie sich deine Lippen voneinander lösen und du hältst deinen Atem.
Eine Pause.
Sein Mund ist auf deinem. Seine Zunge hinterlässt dort, wo sie deine Lippen berührt, den süßesten Geschmack. Hinterlässt dort, wo er entscheidet, deinen Körper zu kosten, kleine Feuer und lässt eine Spur aus heißen Funken zurück, die zu deiner Mitte führt. Ein goldenes Reich, das die Macht hat, dich deinen Körper verlassen und inmitten der Sterne tanzen zu lassen.

Du fühlst dich, als würdest du verzweifelt ertrinken. Du schaffst es, kurz über der Oberfläche Atem zu schöpfen, doch wirst du beinahe sofort wieder zurück unter Wasser gezogen. Er vergräbt sich zwischen deinen Schenkeln, erlaubt dir nicht, besser zu Atem zu kommen, als hätte er seine Hand um deinen Hals gelegt. Du willst mehr. Du sehnst dich nach der süßen Erlösung. Nach dem kleinen Tod, der dich so lebendig fühlen lässt, wenn du von ihm zurückkehrst.
Er verlässt deine Mitte, hinterlässt dich kalt, als du abrupt von inmitten der Sterne herunterfällst. Kurz bevor du auf den Boden prallst, gerade als du denkst, dass du die Welt nie wieder von oben sehen wirst, rettet er dich. Er dringt in dich ein. Macht dich vollkommen. Langsam bringt er dich zur Oberfläche bis endlich –
Die Welt hält für eine Sekunde still und du atmest ein. Als wäre es das erste Mal in deinem Leben.
Süßer als je zuvor.
Pur.

Emma Kreska

www.verdichtet.at | Kategorie: ü18 | Inventarnummer: 20128

Die Frau im Zug

Sie schlief, als ich sie sah.
Wir hatten California bereits hinter uns gelassen. Die kleinen Flüsse, die neben den Bahnschienen ihre Wege zogen und dem Zug mit Wellen hinterherwinkten, waren lange schon verschwunden. Eine neue Weite begleitete uns nun. Grauer Sand, auf dem sich die Sonne zu spiegeln schien, erstreckte sich kilometerlang außerhalb der Fenster. Steppengebüsch bot die einzige Abwechslung zu den sonst kahlen Dünen. In meiner Vorstellung würde jede Sekunde Lucky Luke vorbeireiten und seinen Schatten jagen.
Stundenlang sah ich aus dem Fenster. In meinem Kopf wiederlebte ich kürzlich Erlebtes. Versuchte meine Erinnerungen zu manipulieren und bereiste Orte aus anderen Blickwinkeln zu betrachten. Dann schlief ich ein, wachte auf. Der einzige Hinweis darauf, dass Zeit vergangen war, war die Sonne, die ein Stück weiter rechts, ein Stück tiefer als zuvor stand. Doch die Landschaft war dieselbe.

Das und die Frau, die mir nun schräg gegenüber saß. Mein Blick fiel auf sie und blieb hängen. Wie bei mir wenige Momente zuvor war ihr Kopf seitlich gegen die Lehne ihres Sitzes geneigt. Ihre Augen waren geschlossen. Sanft. Nicht verkrampft, wie bei jemandem, der schlafen möchte, jedoch scheitert, sein Bewusstsein zurückzulassen. Sanft, wie bei jemandem, auf den der Schlaf bereits gewartet hatte. Ich fragte mich, ob ihre Zunge wohl entspannt in ihrem Mund lag oder an ihren Gaumen gepresst war. Ob sie die letzten Strahlen der Sonne spürte, die ihr Gesicht so zärtlich berührten. Sie beleuchteten jedes kleine Härchen auf ihrer Wange. Verliehen ihr einen Glanz, einen Schimmer, der sonst nur Göttinnen umgibt. Kurz meinte ich, sie würde tatsächlich leuchten.
Eine Haarsträhne löste sich von den anderen, die sie hinter ihr Ohr gestrichen hatte, und rutschte nahe an ihre Lippen. Ich hatte Sorge, dass ihr Haar sie kitzeln und aufwecken würde. Ich wollte es für sie zurückstreifen.

Plötzlich saß ich neben ihr. Behutsam strich ich ihr die Strähne aus ihrem Gesicht. Legte meine Hand auf ihre Hände, die übereinander in ihrem Schoß ruhten. Ich küsste ihren Kopf, der an meinen Oberarm gelehnt war. Vorsichtig. Sie brauchte ihren Schlaf. Wo sie wohl gerade war? Was sie tat? Ob sie mich vermisste?
Sie atmete tief ein. Langsam verließ sie den Ort, an den sie nie wieder zurückkehren würde. Ich sah zu, wie sie in sich ankam. Wie sich zu allererst ihr Zeigefinger bewegte. Dann ihre Lippen. Ich sah auf sie hinunter, als sich ihr Kopf und Körper langsam in eine aufrechte Position begaben. Kurz fiel mir ihre Brust auf, als sie ihren Rücken durchstreckte, jeden Teil ihres Körpers aufweckte.
Erst dann öffnete sie ihre Augen.

Über den Gang hinweg sah ich sie an. Ihre Augen fanden meine. Ich fühlte mich entblößt, ertappt. Doch ich sah nicht weg. Sie hielt meinen Blick fest.
Sie lächelte, als die Sonne hinter dem Horizont verschwand.

Emma Kreska

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary | Inventarnummer: 20126

 

(Meine) Sonne

Sie bemerkte heute, dass der Wind manchmal sehr wie das Meer klingt.
Das Wetter war willkürlich gewesen in letzter Zeit. Samstags noch war sie bis zur Hüfte in der Donau gestanden und hatte befürchtet, dass sie sich wohl einen Sonnenbrand zuziehen würde. Heute waren beinahe den ganzen Tag lang sämtliche Lichter in der Wohnung aufgedreht. Der Himmel war vollständig von schweren, dunklen Wolken bedeckt gewesen. Es schien ihr, als hätte der Himmel am Tag zuvor seine ganze Energie verbraucht. Als sei der Himmel so müde wie sie. Wolle wie sie bloß schlafen, schreien und loslassen. Und wie der Himmel schrie.

Ihr fiel auf, wie dunkel es war. Sie sah aus dem Fenster hinaus und fragte sich, ob es zu regnen beginnen würde. Im nächsten Moment antwortete der Himmel. Donnerte die Antwort laut und nass gegen die Fensterscheibe.
Die Sonne war nie hinter den Wolken hervorgekommen, doch kam sie zu ihr nach Hause. Zuerst mit Brille, durch die sie braune Augen anlächelten, frischem Haarschnitt und Jeansjacke. Dann mit elfengleich blondem Haar, einem hellblauen Blazer und allen Möbeln, die noch nicht nach Wien gezogen waren.
Sie sah zu, wie die Wohnung, die sie ihr Zuhause nennt, aufwachte und zu leben begann. Sie horchte und roch. Jeder Raum fand seinen Nutzen.

Ihr Fenster stand offen. Warme, feuchte Luft strömte in ihr Zimmer. Es roch süßlich. Ein Nachklang der Zigarette, die sie Stunden zuvor geraucht hatte. Sie trat ein, ignorierte gekonnt die Unordnung, die sich darin breitgemacht hatte. Ohne Sonne war es ihr schwergefallen, Licht auf sich selbst und ihre Umwelt fallen zu lassen. So hatte sie ihr Zimmer, solange es nur ein Raum, solange die Wohnung nur das, aber kein Zuhause war, und das Chaos darin weit möglichst gemieden. Sie betrat es nur, um ihr Feuerzeug zu holen. Als sie es verließ, hielt sie jedoch im Türrahmen inne.
Ihre Sonne kam auf sie zu. Sie sah zu ihr hin, sagte ihr, dass sie bei ihr stehen und ihre Augen schließen solle.

„Hörst du den Wind? Er klingt wie das Meer.“ Sie legte ihre Hand auf den Kopf ihrer Sonne, spürte die Wärme, die endlich durch ihren Körper floss.
Sie hörte das Meer vor ihrem Zimmer, sah den großen Baum vor ihrem inneren Auge. Wie er sich den Wogen der Luft hingab und seine Blätter tanzten. Als sie ihre Augen öffnete, wurde sie angestrahlt. Nicht von einem sterbenden Stern, sondern dem Leben selbst.
Sie holte eine Zigarette und folgte ihrer Sonne in die Nacht.

Emma Kreska

www.verdichtet.at | Kategorie: hin & weg | Inventarnummer: 20125