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Was jetzt noch

Was fängt man ohne Hilfe an,
wenn man den Wind nicht ändern kann?
Oft fehl’n Erfahrung und das Wissen.
Vielleicht die Segel richtig hissen?

Alles, was man da so hört,
eine Meinung, ganz allein.
Aber was mich so empört,
das kann doch nicht die Wahrheit sein!

Alle reden von Bedrohung
und von ständiger Verrohung.
Nicht die Bösen sind die Krassen,
jene sind’s, die es zulassen.

Und man sagt, so wie du denkst,
du dein Glück dir selber lenkst.
Da fragt man sich, was denkt der Thor,
was geht denn in dem Kerl vor?

Wie ein Tropfen, scheint das Wissen,
wie ein Ozean, was wir missen.
Bange wird, was die wohl denken?
Und was für Leut’ die Welt jetzt lenken!

Wer stößt sich schon an kleinen Dingen,
wenn er die großen will bezwingen?
Auf dem Wege hin zur Macht
lässt man die kleinen außer Acht.

Doch was wäre schon das Leben,
würde es den Mut nicht geben?
So mancher mag gern was riskieren,
um andre damit zu brüskieren.

Vielen, die oft Macht bekommen,
wurde als Kind was weggenommen.
Auf dem Weg zu den ganz Großen
darf man an Kleinkram sich nicht stoßen.

Doch Macht besitzen macht oft blind,
und schnell vergisst das Menschenkind,
ist es erst wichtig, reich und satt,
dass es dasselbe Schicksal hat.

Copyright: Norbert Johannes Prenner

Copyright: Norbert Johannes Prenner

Norbert Johannes Prenner (Text und Grafik)

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Was jetzt

Fragt man sich, was ist der Sinn des Lebens, oder, gibt es einen Gott?
Was ist eigentlich die Seele? Mag ich Obst oder Kompott?
Oft stellt man sich solche Fragen, täglich an die hundert Mal.
Allzu oft müssen wir passen, bei der Antwort richt’ger Wahl.

Wichtig ist es, kritisch denken, mach dir deinen eig’nen Reim
auf des Lebens ernste Fragen, deine Meinung zählt allein.
Hier geht’s nicht nur ums Wissen, mehr um der reinen Weisheit Willen!
Obwohl ich weiß, dass ich nichts weiß, will ich den Drang nach Wahrheit stillen.

Bei der Wahrheit fängt’s schon an. Zahllos ist die Perspektive,
jeder Mensch hat seine eig’ne, individuelle, anspruchsvolle und naive
Vorstellung von dem, was ist, und es glaubt oft jedermann,
dass die eig’ne, selbst erlebte Wahrheit nur die Wahrheit seien kann.

Natürlich will ich gerne wissen, was so in der Welt los ist.
Und ich will es selbst entscheiden, ist das wichtig oder Mist?
Doch trotz aller Wissenschaft, die uns oftmals Missmut macht,
geht es immer um das eine, Mensch-Sein und Zusammenleben.
Im Mitgefühl, nicht nur im Können, liegt der Menschheit heilend Segen.

Die Frage ist, was will ich bloß? Was brauch, was soll und muss ich denn?
Meine Perspektive sagt mir, ist das wahr und was ist, wenn?
Vielleicht sollte man drüber reden, und man kommt gemeinsam drauf?
Besser, als alleine grübeln, besprechen wir der Dinge Lauf.

Wissen, sagt man, das heißt meinen, sich sicher wiegen, scheint gefährlich.
Menschenleben, die vergehen. Ich bin Mensch, so bin ich sterblich.
Bringt Sich-Regen nicht auch Segen? Wirksam heißt es, sei im Leibe!
Bewahr dir ringsum Wohlbefinden, mach der Seele eine Freude!

Wer sich nur mit Anseh’n füttert, ach, das weiß schon jedes Kind,
wer an Ehr’ und Ruhm sich freut, füttert sich doch bloß mit Wind.
Immer heißt es, der schafft an, der das Geld hat, wär ja g’lacht!
Sehr beliebt scheint diese Meinung, doch nur Wissen, das ist Macht.

Mancher denkt den Körper gar als getrennt von seiner Seel sich,
und er folgert sonnenklar, nun, ich denke, also bin ich.
Nie betrügt uns die Natur, wir sind’s, die wir uns selbst betrügen,
Dass der Mensch nur nützlich sei, straft ihn schließlich selber Lügen.

Drum sollt ein jeder sich bemüh’n, Gesetzen auf den Grund zu gehen,
die das Denken und das Handeln lenken, in Bezug auf das Geschehen.
Was Geschichte und Erfahrung lehren, ist meist allzu leicht vom Tisch.
Was daraus zu ziehen wäre, ist schnell weg, mit einem Wisch.

Copyright: Norbert Johannes Prenner

Copyright: Norbert Johannes Prenner

Norbert Johannes Prenner (Text und Grafik)

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 25225

Ein guter Freund

Wo sind denn bloß, eh ich beginn, alle meine Freunde hin?
Mit denen ich gescherzt, gelacht, ins Leben eingetaucht?
Jetzt merke ich, ja, immer öfter, dass ich alleine bin,
da frag ich mich, hab ich sie wirklich alle schon verbraucht?

Gute Freunde braucht ein jeder, ein guter Freund ist für dich da.
So einer, dem ich fast alles sagen und auf den ich mich verlassen kann.
Einer, den du fast immer fragen kannst, verlässt dich das Geschick. Sag ja,
ich brauch dich jetzt, was soll ich tun? Was fang ich ohne dich bloß an?

Aber, wer weiß schon, ob ein guter Freund immer das Beste für dich will?
Doch immerhin, der meckert nicht an dir herum und nimmt dich, wie du bist.
Und wenn du etwas von ihm brauchst, gibt er dir das Gefühl,
dass er es mit dir ehrlich meint und ihm weg’n dir nichts wirklich lästig ist.

Ein guter Freund, der hört dir zu und gibt dir einen Rat, wenn er es kann.
Vielleicht verzeiht er dir, wenn einmal etwas nicht in Ordnung war.
Und wenn man später drüber spricht, war’s nicht korrekt, was da begann,
dann lacht er drüber und er sagt, mach dir nichts draus, ist alles wieder klar.

So manche Freundschaft braucht’s , das Sich-oft-auf-die-Probe-Stellen,
denn schließlich darf ein jeder eine and’re Meinung haben.
Wenn sie das aushält, ist es auch hart in manchen Fällen,
und sie besteht, dann halt sie fest, dann gibt es keinen Grund mehr, zu verzagen.

Hält eine Freundschaft dir, genauso stark wie diese, musst du sie pflegen, so gut es eben geht.
Ohne dein Zutun wächst beinahe nichts nur so von ganz allein.
Denn sie gedeiht und blüht von eurer Ehrlichkeit und nicht zuletzt eurer Loyalität.
Begleitet sie dich, durch gute und durch schwere Zeiten, halte sie fest, dann ist sie dein.


Copyright: Norbert Johannes Prenner

Copyright: Norbert Johannes Prenner

Norbert Johannes Prenner (Text und Grafik)

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 25219

Idole

Ich weiß nicht, was das soll?
Ich habe kein Idol!
Niemand, den ich so dann und wann
bewundern und nachahmen kann.

Jemanden, der mich inspiriert!
Der mich als Vorbild motiviert!
Verdammt, eine Persönlichkeit,
die mir durch ihre Fähigkeit
die Lösungen vermittelt
und so an meinem Ego rüttelt.

Würd sie bewundern und verehren,
blind würd ich ihr vertrauen.
Ihr Tun und Lassen heiß begehren,
und ehrfurchtsvoll zu ihr aufschauen.

Ein Idol, das mich richtig anspornt.
Das, was ich sage, nicht verballhornt.
Dem ich, ganz in diesem Sinn,
mit Hingabe als Fan dann dien!

Und hab ich nicht als junger Spund
Popstars gern verehrt, na und?
Wie sie sich gaben, imitiert,
daran hab ich mich orientiert.

Auf der Suche, wer ich bin,
das machte mir damals wohl Sinn.
Habe versucht, mich zu verhalten
oftmals so wie Filmgestalten.

Jagger war’s und Peter Fonda,
auf der Harley, nicht auf Honda.
Eastwood gar und Dennis Hopper,
mit der rot-gelb-farb’nen Chopper.

Später, als ich älter war,
Martin Sheen, als Captain gar.
Wirres, der Apokalypse
vagen Selbstbewusstseins Stütze.
Doch niemals wollt’ ich Hitler sein,
Stalin, oder sonst ein Schwein!

Aber jetzt, als alter Mann,
fang ich damit nichts mehr an.
Niemand kann und will ich sein
als nur mehr ich, das ganz allein.


Copyright: Norbert Johannes Prenner

Copyright: Norbert Johannes Prenner

Norbert Johannes Prenner (Text und Grafik)

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 25213

Die „feinen Leute“

„Was die alles weiß!“, sagte mein Bruder über seine ehemalige Lehrerin, „die hat uns die ganzen Kirchen gezeigt.“ „Und wie sie Latein übersetzt hat – wie ein Maschinengewehr. Das nenne ich Bildung. Alte humanistische Schule.“

„Zuerst dachte ich“, fuhr mein Bruder fort, „dass das Treffen bei ihr zuhause langweilig werden würde. Aber da habe ich mich gründlich geirrt. In jedem ihrer Bücher eine Notiz. Und zum Essen gab es nur Schinken. Da weiß man nämlich, was drin ist.“ „Ach“, seufzte mein Bruder, „das sind wirklich feine Leute.“

Als ich dies hörte, war ich zunächst skeptisch, ließ mich aber nach und nach von seiner Begeisterung anstecken. Da ich auch Schüler dieser besagten Lehrerin gewesen bin, kam ich auf den Gedanken, ihr eine E-Mail zu schreiben. Ich malte mir schon aus, was für ein fruchtbarer Austausch entstehen könnte, deshalb machte ich eine Anfrage an ihrer jetzigen Schule. Und in der Tat: Nach ein paar Minuten kam eine herzliche Antwort, dass sie sich sehr freue, von mir zu hören. Also schrieb ich ihr eine kurze Nachricht. Eine weitere Antwort ließ aber auf sich warten und blieb schließlich gänzlich aus.

Ja, ja. Die „feinen Leute“, dachte ich mir.

Michael Bauer

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 25190

Nur ein kleiner Tropfen

Mensch, vergiss deine Bestimmung nicht,
bedenke, alles ist vergänglich,
betrachte die Erhabenheit der Natur,
fühle dich nicht so wichtig.

Wir sind alle nur ein kleiner Tropfen
im großen Ozean des Lebens,
unser Dasein ist sehr wertvoll.
doch ebenso zerbrechlich.

Drum nutze deine kostbare Lebensreise
mit Demut und äußerstem Bedacht,
dann wirst du wieder erkennen,
wie nichtig die meisten Probleme erscheinen.


Dario Schrittweise
dario-schrittweise.org

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 25182

Das E-Bike

Mein Schatz, ach sag mir wo du bist,
wenn ich so einfach frage.
Im Bad bin ich, wie’s halt so ist.
Ich stehe auf der Waage.

Ach so. Und darf man auch erfahren,
was macht denn das Gewicht?
Jetzt komm, das will ich dir ersparen!
Nein nein! Ich sag’s dir einfach nicht!

Jetzt sei doch bitte nicht so stur!
Nanu? Was war das für ein Schrei?
Ich bitt’ ja um die Zahlen nur,
wenigstens die ersten zwei.

Oh Gott, nein wirklich, echt, es reicht!
Ab morgen muss etwas gescheh’n!
Ich weiß, das wird für mich nicht leicht,
das wirst du hoffentlich versteh’n?

Nun gut, meint sie, ich bin bereit.
Ich denk, ich fahr mal Rad.
Vielleicht erlaubt das meine Zeit,
die kostbare, auch wenn ich sie nicht hab.

Seit diesem Tag fährt seine Frau
mit ihrer Freundin beinah täglich
Elektrorad, und das genau
zwei Stunden lang, sagt sie, angeblich.

Das Phänomen, man sieht sie nicht,
doch hört man sie schon quatschen.
Und dann erkennt man ihr Gesicht,
ganz angeregt, wie beide tratschen.

Vor ihnen, Steilhang. Am Rennradl
ein Typ mit superstrammen Wadln.
Sie schaffen, mit Elektrokraft,
sekundenschnell, was der nicht schafft.
Dabei die Klappe dauernd offen,
das macht den Kerl stark betroffen.

Das ist nicht ganz in seinem Sinn,
sein Ehrgeiz, der scheint echt dahin.
Er lässt, wie wild, die Gänge klicken.
Die zwei entschwinden seinen Blicken.

Und die Moral aus der Geschicht’,
E-Biken verringert nicht überschüssiges Gewicht.
Doch ist es auch nicht ungesund:
Es strafft die Muskeln um den Mund.

Copyright: Norbert Johannes Prenner
Copyright: Norbert Johannes Prenner



Norbert Johannes Prenner (Text und Grafik)

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 25178

Stadtluft macht frei

Endlich frei! Und gleich! Und sicher!
Keiner, der mir blöde kommt!
Selbst – nicht fremdbestimmt, todsicher!
Garantiert Beweglichkeit, echt prompt.

Natürlich gibt es auch Verlierer,
Erfolg ist meistens nicht von Dauer.
Die Sieger sind nicht nur Kassierer,
am Ende tragen manche Trauer.

Ich richte mich nach den Gesetzen,
die mir mein Menschsein garantier’n.
Doch gleichzeitig fasst mich Entsetzen,
über Dinge, die in der Stadt passier’n.

Die meisten haben wirklich alles,
was das Herz begehrt, und mehr.
Ein Neustart droht, wohl jeden Falles,
zu Tod’ gesiegt, scheint mir’s. Unfair!

Denn langsam wird es um uns eng,
für das, was weidlich ausgelebt.
Und Raum wird knapp, nach Schwinden drängt.
Gerammelt voll. War so nicht angestrebt!

Es trampeln oftmals die Befreiten
schon auf den Füßen and’rer ’rum.
Im Umfeld heißer Metropolen streiten
sich die Leut’, in Massen. Dumm!

Stadtluft!, sehnt man sich herbei,
Stadtluft, sagt man, die macht frei!
Obwohl die Straßen vollgerammelt,
Straßen, Häuser oft vergammelt.

Über uns stau’n Satelliten,
heiß geht’s her, geg’n gute Sitten!
Hetz-Mobs, einen Tweet entfernt,
was hat der Mensch schon groß gelernt?

Bloß heiße Luft, die überhitzt,
fertig ist man und man schwitzt.
Beschränkt die and’ren, beim Entfalten,
Reibungsflächen sich gestalten.

Es knallt an planetaren Grenzen,
nichts wächst, bloß Turbulenzen.
Der Ruf, laut, nach Autonomie,
ist hörbar und so stark wie nie.

Konflikte, die aus Trümmern ragen,
von Gewinnern und Verlierern ausgetragen.
Zwischen Opfern und den Tätern,
sozialen Ankern und Verrätern.

Individuen vermeiden,
sich festzulegen, zu entscheiden,
wohin sie eigentlich gehören,
und gottgewollte Ordnung stören.

Die Wirtschaft wächst kaum so wie früher,
der Erdball hitzt, wird langsam glüher.
Zwischen Sieger und Verlierer
bleibt nicht viel, bloß für Paktierer.

Norbert Johannes Prenner

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 25147

Der Mann, der seine Stadt rechnete

Aron Kurz lebte seit 30 Jahren in seiner Stadt, die wir hier Dönen nennen. Wir tun das, weil weder Aron noch Dönen gewollt hätten, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen. Aron hatte immer schon einen besonderen Kopf besessen, der Zahlen liebte und besonders viel Ordnung brauchte. Spontaneität wirkte auf Aron wie Hindernisse auf eine Schnecke; beide zogen sich in sich zusammen.

Er arbeitete in einem Computerzentrum, was er gerne mochte, weil dort alles seine Ordnung hatte. Das Computerzentrum, wo Aron arbeitete, gehörte zur Stadtverwaltung.

Seine Stadt unterschied sich nicht von anderen Städten, die 200.000 Einwohner hatten, halb in einer Hügellandschaft, halb in einer Ebene lagen, von zwei Flüssen durchschnitten wurden, etwas Industrie und etwas Kultur aufwiesen und langsam mit den Nachbarorten verschmolzen.

Das Stadtbild des IT-Spezialisten hatte für ihn keine sinnlichen Qualitäten, obwohl die Stadt sich in Regen, Sonne und Schnee veränderte. In der Sommersonne schien sie metallisch zu gleißen, unter Wolkenhimmel verschwammen ihre Konturen. Sie roch nach Gummi, Autos, Feuchtigkeit, manchmal auch dumpf und machte die üblichen Geräusche, welche von Sirenen und Baumaschinenlärm durchstoßen wurden. Doch das war für Aron unerheblich, seine Stadt bestand aus Zahlen, aus Bits und Bytes.

Manche Menschen definieren die Stadt durch ihre Bewohner, ihre Ereignisse, ihren Tageslauf. Der Dreißigjährige mit den kurzen karottenroten Haaren, die sich dank der Schermaschine in Reih und Glied befanden und kaum aufgrund eines Kammes ihre Wuchsrichtung veränderten, mit dem glühbirnenförmigen Kopf, dem schlaksigen mittelgroßen Körper und immer ein wenig abwesend wirkenden braunen Augen hatte nur einen Freund und eine Schwester und seine Eltern, die aber woanders lebten. Außerdem gab es eine etwas jüngere braunhaarige Frau, die sich für ihn interessierte. Auch er interessierte sich für sie, aber er dosierte die Begegnungen so, dass sie in seine Ordnung passten.

Die Brünette mit den grünen Augen und dem etwas fülligeren Körper durfte ihn etwa täglich zwischen 18.00 und 19.34 weder persönlich noch per Handy stören, denn da rechnete Aron seine Stadt auf seine Weise aus. Geburt und Tod, Kartoffel- und Fleischverbrauch, allgemeiner Wasserverbrauch, spezieller Wasserverbrauch, Diebstähle, Müllverbrauch, Christbaumverschleiß.

Seine Stadt hatte 174 Frisöre, die 130.000 Liter Wasser pro Tag brauchten, sofern sie einen Durchschnitt von 5 Kunden pro Tag hatten, was wenig war, denn 870 Kunden waren unverhältnismäßig für eine Stadt mit 200.000 Einwohnern. Das verbrauchte Wasser hätte den täglichen Trinkwasserbedarf eines Dorfes von 2.400 Einwohnern gedeckt.

Andererseits, mit Kochen, Waschen und Duschen brauchte eine Person alleine 60 bis 100 Liter, schon weil eine Dusche 16 Liter Wasser pro Minute raussprüht. Das waren für seine Stadt 20 Millionen Liter täglich. Damit würden 100 Menschen ihr ganzes Leben lang nie Durst haben.

Mit dem Wasser spülte seine Stadt etwa 80.000 Tabletten pro Tag runter, vorausgesetzt, jeder nahm durchschnittlich 2 Stück.

Außerdem wusste Aron, dass 30.000 Plastiksackerln oder 600 Kilo am Tag verwendet wurden. 600 Kilo, das produzierte eine Person jährlich an Gesamtmüll.

Arons Verehrerin erfuhr das auch, als sie ihn auf einen Kaffee einlud. Für die Kaffeepause hatte Aron exakt 100 Minuten eingeplant. Weil er nicht besonders gut in Konversation war, unterbreitete er seiner braunhaarigen Schönen seine Ergebnisse und erntete ein Seufzen.

„Das heißt, ich habe in einem Jahr 600 Kilo Mist zur Mülltonne geschleppt?“

„Statistisch gesehen ja.“

Sie sah ihn mit hochgezogenen Brauen an, während er anstatt ihrer fragenden Miene nur das dumpfe Geplapper im Hintergrund und das zeitweilige Klappern und Klirren von Geschirr registrierte.

„Angefühlt hat es sich wie 300 Kilo“, legte sie nach.

„Davon kann ich nichts sagen, wie es sich anfühlt.“

„Es wäre schön, wenn ich meinen Mist nicht alleine tragen müsste“, wagte sie ihrer Meinung nach eine Andeutung, sie wolle ihren Haushalt irgendwann mit einem Partner teilen.

Doch Andeutungen verstand Aron nicht. Außerdem war Mist das unromantischste Thema, das man sich vorstellen konnte, um die Kurve zu einem Partnerschaftsangebot zu kratzen.

„Aron, wie viele Menschen heiraten pro Jahr?“

„922. Aber wir haben schon hundert Minuten gesprochen. Ich muss jetzt gehen. Bis nächste Woche zur selben Zeit.“

Wir wissen an diesem Punkt der Ereignisse noch nicht, ob Aarons Treffen mit seiner Braunhaarigen irgendwann zu was anderem führte als zu zahlenmäßigen Erörterungen seiner Stadt. Wir wissen aber, dass die Zahlen für Aron etwas Besonderes waren und dass man sich ihm und seinem Leben am besten nähern konnte, wenn man das berücksichtigte.

Und mehr als seine persönlichen Beziehungen wuchs seine klar quantifizierbare Beziehung zur Stadt.

Sein Leben begriff er als einen geringfügigen prozentualen Anteil an ihr. Wie oft er seine Straßen zur Arbeit und zurück beging, wie viele Autos an ihm vorbeifuhren, wie hell sie in der Nacht leuchtete (etwa ein 12-Tausendstel der Leuchtkraft der Sonne, rechnete er aus).

Diese Berechnungen trug Aron fein säuberlich in ein Heftchen ein.

Doch irgendwann ging ihm auf, dass man die Menschen nicht berechnen konnte. Nicht die Braunhaarige, nicht mal seine eigene Verwandtschaft, und das irritierte ihn.

Und eines Tages kam das Unvermeidliche.

Die Frau, die mit ihm Kaffee trinken ging und sich übrigens Eva nannte, hatte, seiner Ausführungen müde, auf ihn, Aron, persönlich Bezug genommen.

„Aron, immer sprichst du von Zahlen. Von deiner Stadt in Zahlen. Wann sprichst du von dir? Können wir sogar nicht auch einmal von uns sprechen?“

Das verschreckte den Mann, der sich deshalb so an seine Zahlen klammerte, weil er allem, das nicht auf eine numerische Größe reduzierbar war, zutiefst misstraute. Damit konnte er nicht umgehen.

Eva hatte seine Grenzen überschritten. Sie merkte es erst, als sie Arons verkrampftes Gesicht sah. Dass dieser seltsam korrekte zahlenbesessene Mann nicht anders konnte, ahnte sie. Aber dass er so heftig reagierte, überraschte sie, die bisher keinem Menschen mit einem so speziell arbeitenden Gehirn begegnet war.

Alles in Zahlen zu fassen, zu quantifizieren, war ja grundsätzlich auch ein Männerding.

Doch ihr Kaffeepausenpartner tat etwas Unübliches. In der 87. Minute sprang er auf, schnappte seinen Mantel und verließ die Kantine der Stadtverwaltung, wo die beiden ihr Heißgetränk einzunehmen pflegten.

Eva blieb überrascht sitzen. Sie blieb sogar noch 20 Minuten vor ihrem erkalteten Kaffee sitzen, weil sie nun ihrerseits nicht einordnen konnte, was passierte.

Fassung zu gewinnen, dazu brauchte Aron mehr als seine Wegstrecke nach Hause. Er wusste nur, er wollte durchaus wieder die Gewohnheit, mit dieser Frau Kaffee trinken zu gehen, aufnehmen, wenn er sich eingekriegt und stabilisiert hatte. Dass er diese Gewohnheit des gemeinsamen Koffeinkonsums jetzt schon misste, war ein Ausdruck dessen, dass er Eva durchaus positiv zugetan war. Alleine, dass er ihr Zeit eingeräumt hatte, die sie miteinander verbrachten, war ein Indikator dafür. Auch, dass der Verlust dieser Gewohnheit ihn mit einem Bangen erfüllte, das über die Befürchtung hinauswuchs, seinen Tagesplan neu auffüllen zu müssen, er sorgte sich sogar, die Gegenwart dieser Frau nie wieder zu erfahren.

Es war also ein Weg zu finden, mit ihr zu sprechen, ohne dass sie auf dramatische Weise erneut plötzlich Verbindliches oder gar Persönliches einforderte. Er musste vielleicht unter Umständen die Möglichkeit zulassen, diesen Aspekt wohldosiert den Begegnungen hinzuzufügen.

Zu Hause setzte er sich an seinen Tisch, nahm eines der sorgfältig aufeinandergestapelten Heftchen, in denen er seine Stadt rechnerisch festgehalten hatte, und suchte in all den statistischen Zahlen etwas Zwischenmenschliches, etwas Persönliches. Denn all diese Zahlen mussten doch in ihrer Generalisierung auch etwas Individuelles geborgen haben. Tatsächlich war er gezwungen, mehrere Hefte auf einmal zu nehmen, zu öffnen, zu überfliegen, zu schließen und wieder fein säuberlich auf ihren fest bestimmten Platz im Stapel zu legen.

Etwas, worüber er Eva berichten konnte und das ihre Beziehung ins Lot brachte, war nicht so leicht zu finden, genauso wie etwas, das vielleicht auch so etwas wie eine Beziehung von zwei Menschen in einer Stadt ausdrückte.

Zwischen 18.00 und 19.34 Uhr war für solche Recherchen nicht viel Zeit. Tage vergingen ohne Ergebnis, ohne die Gewohnheit, mit Frau Eva Kaffee zu trinken oder gar einen neuen Schritt zu wagen. Er war sich schmerzlich bewusst, dass es eine Veränderung geben musste.

Nach drei Wochen war es so weit. Genau 15 Minuten vor Dienstschluss wählte er mit seinem Amtstelefon das Amtstelefon von Frau Eva an.

„Hallo, Frau Eva.“

„Hallo Aron.“

„Frau Eva, ich bedaure, dass ich überstürzt weggelaufen bin.“

„Du bist nicht nur das. Ich habe lange nichts von dir gehört. Ist das das Ende unserer Kaffeetreffen?“

„Das möchte ich nicht. Ich habe eine Lösung gesucht. Eine Lösung, auch anders mit Ihnen zu sprechen.“

„Oh, ist das so schwer für dich?“

„Ja. Ich sage es nicht gerne, aber ich bin als Autist klassifiziert. Ich kann nächstes Mal gerne erklären, was das ist. Aber Sie sollten wissen, dass meine neurologische Spezifikation eine wesentliche Rolle in meinen zwischenmenschlichen Beziehungen spielt. Sie verlangt Ordnung und Absehbarkeit.“

„Hat es was mit deiner Vernarrtheit in Zahlen zu tun?“

„Ja auch. Zahlen geben mir Sicherheit. Spontane Gefühle, abrupte Wendungen verunsichern mich zutiefst.“

Eine Pause von gut zwei Minuten trat ein. Sie wurde ihm nur um weniges leichter, weil er ihre Atemzüge zählen konnte, die sich nicht auf die Minute genau ausgingen.

„Gut, wir können ja uns einmal treffen. Dann erzähl mehr.“

Zum ersten Mal merkte Aron, dass er die Asymmetrie der persönlichen Anrede als störend empfand. Er musste sich also auch zurechtlegen, das Sie und das Du in ein Gleichgewicht zu bringen. Aber zuerst brauchte er eine Lösung, auch seine Beziehung zur Stadt, zur Arbeit zu den Zahlen und zu persönlichen Interaktionen in Einklang zu bringen.

Arons Lösung mag für Außenstehende verblüffend wirken. Sie würde möglicherweise auch sein Leben beeinflussen.

Wochenlang hatte er danach gesucht. Und dann subtrahierte er sich und Eva aus den Berechnungen. Zahlenmäßig würde das nicht ins Gewicht fallen. Etwa 20 Millionen Liter weniger 200 Liter Wasser. Oder die 0,34 Plastiksackerl, die er und Eva durchschnittlich pro Tag brauchten und welche die 30.000 dieser Stadt nicht erheblich dezimierten.

Aber, es war für Aron ein erster Schritt, das Unberechenbare des Menschlichen zuzulassen. In statistisch unerheblichen Dimensionen, versteht sich. Er konnte sich nun beruhigt mehr auf Eva einlassen.

An das Chaos, das dieses Verhalten auslösen würde, wenn jeder so handelte wie er, verschwendete er keinen einzigen Gedanken.

Antonia H.

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 25125

Dasein voller Lücken

Ein Leben voller Lücken,
mit Ecken und Kanten versehen,
ohne unsere Schwächen zu verstehen,
was kann uns damit glücken?

Mängel, Haken und Ösen,
ist das die Wurzel alles Bösen?
Können wir am Ende nur noch träumen
und dabei unser wahres Glück versäumen?

Wir Menschen sind alles andere als perfekt,
doch das macht unser Dasein bunt, nicht defekt,
darum gibt es keinen Grund für Trauer oder Groll,
leben wir optimistisch und hoffnungsvoll.

Dario Schrittweise
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