Kategorie-Archiv: Sandra Stadlbauer

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Der Einkauf

In diesem Moment – Sie kennen das bestimmt – habe ich irrsinnige Lust auf die eingelegten Artischocken der Marke X. Ob dieses plötzliche Bedürfnis mit der soeben betrachteten Fernsehwerbung in Zusammenhang steht oder nicht, sei dahingestellt. So mache ich mich auf zum Supermarkt, nicht zu Fuß, sondern mit dem Auto, denn es nieselt leicht und außerdem will ich mich nicht allzu lange mit diesem Gelüste aufhalten.

Gleich beim Eingang am Obst- und Gemüsestand locken herrlich gelbe Bananen und ich nehme gleich 2 davon mit, da gesunde Ernährung wichtig ist. Auch gibt es Karotten im Angebot – 2 kg zum Preis von 1 kg – wieso nicht? Auf dem Weg zu den Artischocken greife ich außerdem noch zu bei den Butterkeksen des Erzeugers L, dem schmackhaften Riesentoast, den ich immer schon ausprobieren wollte, sowie einer 1-kg-Packung Gouda, für die ich mir mit Gutschein € 4,10 bzw 48% des Preises spare.

Da mir das Gewicht der mittlerweile in meinen Armen angehäuften Produkte zu schwer wird, muss ich nochmal zurück zum Eingang, um mir einen Einkaufswagen zu holen. Also nochmal von vorn: beim Obst- und Gemüsestand dieser herrliche, unwiderstehliche Duft der Erdbeeren aus Ägypten, auch die 5 backofenfrischen Semmeln muss ich noch mitnehmen und zu dieser Gelegenheit beim Kauf von 4 Bechern Fruchtjoghurt noch einen gratis dazu. Des weiteren gibt es gerade Polardorsch in Aktion, denn es ist Mittwoch – was für ein Zufall!

Schließlich vor dem vermeintlichen Artischockenregal der Schock: Es wurde umgeräumt! Keine Ahnung, wo jetzt eingelegtes Gemüse zu finden ist! Völlig verloren und der Verzweiflung nahe irre ich im Geschäft umher, spare mir noch schnell 50% beim Kauf von 6 Flaschen Blaufränkischem, auch frohlockt die 5-Liter-Dose Erdäpfelgulasch von I – ich sollte sowieso wieder einmal Freunde einladen. Als gesundheitsbewusster Mensch nimmt man dann noch 2 Packungen in Österreich produziertes Dinkelmüsli und 3 Liter Sojamilch aus kontrolliert biologischer Landwirtschaft.

Endlich bin ich beim Regal meines ursprünglichen Ansinnens angelangt. Zunächst finde ich die Artischocken nicht und nehme stattdessen ein Glas leckerer Paprika in Öl mit Frischkäsefüllung. Ich trete ein bis zwei Schritte zurück, um einen besseren Überblick zu bekommen. Da sind sie! Und es gibt sie sogar mit und ohne Kräuter. Ich nehme zur Sicherheit je ein Glas von jeder Sorte und eile weiter, vorbei an der Wursttheke mit der Verkäuferin, noch schnell zum bereits fertig abgepackten Aufschnitt – ich will jetzt mit niemandem reden und bin gestresst. Doch was ist das? Ein saftiges Stück Fleisch und ein neonoranges Aktionsschild lassen mich dann doch mit der Wurstthekenfrau sprechen, die mir das Teil freundlich in Papier und Plastik hüllt.

Auf dem Weg zur Kassa, zwischen Zeitschriften und Putzmittelregal, ist ein Stand mit warmen Winterschlapfen aufgebaut – ich habe ja eh immer so kalte Füße – und ich erblicke eine ganze Menge übriggebliebener Silvesterglücksbringer zu einem außerordentlich niedrigen Preis. Silvester war zwar erst gerade, aber nächstes Jahr freuen sich meine Freunde bestimmt. Daraufhin nehme ich auch noch Schlapfen für meine Schwester und für meine Mutter mit, weil die beiden letztens auch über kalte Füße klagten. Kurz vor der Kassa stehen dann noch meine Lieblingsschwedenbomben. Zum Glück bin ich mit dem Auto da!

Ich erreiche die Kassa, den kapitalistischen Ort.
In meinen Händen das Geld ist fort.

Sandra Stadlbauer

www.verdichtet.at | Kategorie: Lesebissen | Inventarnummer: 16010

 

Das rückbezügliche Fürwort

Es war einst ein rückbezügliches Fürwort, das lebte glücklich mit allen anderen Wörtern in einem dicken, großen, bunten Buch namens Leben. Es herrschte völlige Harmonie, jedes Wort kannte seinen Platz. Auch das rückbezügliche Fürwort war ziemlich zufrieden. Dennoch nagte stets das Bewusstsein an ihm, in ständiger Abhängigkeit anderer Wörter zu leben, ohne selbst eine eigenständige Bedeutung zu besitzen. Vielmehr musste es immer und immer wieder seine Dienste erweisen, damit bedeutungsvolle Wörter ihren richtigen Ausdruck erhielten, während es selbst niemals beachtet wurde.

Es klagte sein Leid, erst im Stillen, doch je mehr das rückbezügliche Fürwort über seine Situation nachdachte, desto lauter wurden seine Beschwerden. „Sei doch froh darüber, dass du mit so vielen Wörtern zusammenarbeiten kannst! Wer hat schon solch eine Abwechslung?“, meinte tröstend ein befreundetes Eigenschaftswort. Doch das rückbezügliche Fürwort winkte ab, schließlich wollte es so unabhängig und frei sein wie all die anderen Wörter mit eigenständiger Bedeutung.

So kam es, dass das rückbezügliche Fürwort in einen heftigen Streit mit einem Hauptwort geriet. Das Hauptwort, das zugegebenermaßen ein wenig von sich eingenommen war und sehr herablassend gegenüber dem rückbezüglichen Fürwort auftrat, wandte sich bereits zum Gehen, als es so plötzlich aus dem rückbezüglichen Fürwort herausbrach, dass es heute noch ganz erstaunt ob seines damaligen Mutes und der großen Schlagfertigkeit ist. „Was bildet ihr euch alle überhaupt ein!“, schrie es das Hauptwort an. „Immer soll ich einspringen, wenn es euch hineinpasst! Glaubt ihr, ihr seid etwas Besseres, nur weil ihr eine eigenständige Bedeutung habt? Aber ich sage euch: Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt!“, rief es und verschwand.

Zunächst fiel die Veränderung nicht auf. Lediglich die Lehrer beklagten die schlechten Schulaufsätze ihrer Schüler, ohne jedoch die Ursache der Fehlleistungen zu erkennen oder zu bemerken, dass es auch in ihren eigenen literarischen Ergüssen am rückbezüglichen Fürwort mangelte. Selbst das besagte Eigenschaftswort dachte bloß kurz an seinen lieben Freund, von dem es schon länger nichts mehr gehört hatte, stellte allerdings keine weiteren Spekulationen über dessen Fernbleiben an. Aber eines war dann doch spürbar: Dadurch, dass das rückbezügliche Fürwort nicht mehr verwendet wurde, umschrieb man es auf komplexem Wege oder man benutzte immer wieder die gleichen Wörter, was die Texte zusehends langweiliger machte und gleichzeitig zu einer noch nie dagewesenen Inanspruchnahme bestimmter Wörter führte.

Höhepunkt der Krise – und gleichzeitig Anlass sämtlicher Gegenmaßnahmen – war der unerwartete Freitod des Wortes „Selbstmord“. In seinem Abschiedsbrief, den man tags darauf in einer Badewanne fand, klagte es über seinen immensen Arbeitsaufwand, seitdem ihm insbesondere die Wörter „töten“, „erdrosseln“, „erhängen“, „erschießen“ und „vergiften“ mangels Rückbezüglichkeit nicht mehr zur Verfügung stünden. Verbunden mit der ständigen Angst, durch Synonyme, allem voran durch „Suizid“, ersetzt zu werden, sehe es keinen anderen denkbaren Ausweg, als sein Leben zu beenden. Durch diesen schweren Schicksalsschlag wachgerüttelt wurde allen Wörtern auf einmal klar, was ihnen die ganze Zeit insgeheim gefehlt hatte, nämlich das rückbezügliche Fürwort!
Man suchte im ganzen Buch Leben nach ihm, doch es war unauffindbar.

Schließlich berief man einen Krisenrat aller bedeutungsvollen Wörter ein, um über die aktuelle Lage zu beraten und nach einer gemeinsamen Lösung des Problems zu suchen. Die Sitzung verlief äußerst geordnet, jeder sprach für die Dauer seiner im Vorhinein festgelegten Redezeit und man war sich einig darüber, dass etwas zu geschehen hatte. Doch als es konkret um die Arbeitszuweisung ging, wurde die Diskussion heikel, denn niemand wollte die Verantwortung für das Verschwinden des rückbezüglichen Fürwortes übernehmen. Man muss wissen: Die größte Angst eines Wortes mit eigenständiger Bedeutung ist, von einem Synonym ersetzt zu werden. Aus diesem Grund war niemand bereit, sich – wenngleich bloß vorübergehend – der Sache zu widmen, denn für diese Zeit wäre die Vertretung durch ein Synonym zu veranlassen gewesen. Man tagte und stritt und tagte wieder und stritt wieder, referierte, diskutierte, tagelang und nächtelang – ergebnislos. Das Verschwinden des rückbezüglichen Fürwortes hatte sich mittlerweile zu einer handfesten Bedrohung für das gesamte Buch Leben entwickelt.

Eines Tages – man trat wieder einmal zu einem der bereits unzählig gewordenen Krisengipfel zusammen – erklommen ein Artikel und ein Partikel, die grundsätzlich bloßen Beobachterstatus genossen, denen aber an diesem Tag vom Vorsitzenden ausnahmsweise das Wort erteilt wurde, das Rednerpult. Sie hatten lange Zeit gezögert, da sie insgeheim das Verhalten des rückbezüglichen Fürwortes als begründet und gerechtfertigt empfanden und deshalb billigten, jedoch wurden sie der Krise im Verlauf der Zeit überdrüssig. Letztendlich wollten sie dann doch ihr zwar unzufriedenstellendes, jedoch geordnetes Leben wieder zurück. Artikel und Partikel erklärten, sich auf die Suche nach dem rückbezüglichen Fürwort zu begeben. Da die Mission als gefährlich galt, wurden sie sogleich mit Helmen und Warnwesten ausgestattet.

Nach monatelangen Ermittlungen gelang es den beiden schließlich, das rückbezügliche Fürwort am äußersten Rand des Buchrückens ausfindig zu machen. Es lag dort in einer Hängematte und lauschte dem Tosen der Welt. Nun mussten die Armen das rückbezügliche Fürwort zur Rückkehr und zur Wiedereingliederung in die Texte des Buches Leben bewegen. Das rückbezügliche Fürwort hatte es sich allerdings bereits gemütlich eingerichtet und war auch seelisch auf längere Abwesenheit eingestellt. Die zwei mit Schutzhelm und Warnweste bekleideten Knirpse, die es ob der vermeintlich drohenden Gefahr am äußersten Rande des Buchrückens nicht wagten, ihren lächerlichen Aufzug abzulegen, setzten all ihre Überredungskünste auf ein rauchend und Cocktail-schlürfend in der Hängematte entspannendes rückbezügliches Fürwort ein. Das muss vielleicht ein Bild gewesen sein!

Das rückbezügliche Fürwort – so ehrlich war es – genoss die Situation, die Aufmerksamkeit und die Wichtigkeit, die seiner Person, obwohl vonseiten dieser unbedeutenden Zwerge, zukam. Letztendlich wurden Artikel und Partikel mit den Bedingungen des rückbezüglichen Fürwortes zum Krisenrat zurückgeschickt. Dieser verlieh Artikel und Partikel jeweils einen Orden niederen Ranges und ersetzte sie durch die diplomatisch geschulten Bindewörter. Nach mehrmaligem Hin und Her wurde schließlich ein für beide Seiten akzeptables Vertragswerk errichtet, das dem rückbezüglichen Fürwort Anerkennung, Urlaubsansprüche und das Recht, sich vertreten zu lassen, einräumte. Im Gegenzug verpflichtete sich das rückbezügliche Fürwort zur Teilnahme an grammatikalisch richtigen Sätzen. Auch den Wohnsitz am äußersten Rande des Buchrückens musste es aufgeben, durfte die Einrichtung aber weiterhin als Feriendomizil verwenden.

Seither besitzt das rückbezügliche Fürwort eine große Achtung unter den Wörtern, war denn sein Mut, sich gegen die Obrigkeit aufzulehnen, von Erfolg gekrönt worden. Jene Wörter mit eigenständiger Bedeutung erkennen nun die Notwendigkeit des rückbezüglichen Fürwortes. Jene Wörter ohne eigenständige Bedeutung bewundern es, weil es etwas zustande brachte, das sie selbst niemals gewagt hätten. Doch neben all den Bewunderern bekam das rückbezügliche Fürwort ebensoviele neue Feinde. Jene Wörter, die das rückbezügliche Fürwort aufgrund seiner Privilegien beneiden, erleben es als selbstverherrlichende Gestalt. Die Bevorteilung des rückbezüglichen Fürwortes lässt sich ihrer Ansicht nach durch nichts anderes als den geleisteten Widerstand zurückführen, was als unangemessen und im Übrigen auch als ungerecht wahrgenommen wird.

Zum Schluss möchte ich mich noch ganz herzlich beim rückbezüglichen Fürwort bedanken, da es sich zur Verfügung gestellt und mich in die Lage versetzt hat, diese – seine – Geschichte zu erzählen.

Sandra Stadlbauer

www.verdichtet.at | Kategorie: Wortglauberei | Inventarnummer: 15147

 

 

Die Beere

Gegeben sei eine einzigartige Pflanze, deren Frucht derart giftig ist, dass selbst der Verzehr kleinster Mengen zum sofortigen Tode führt. Aus diesem Grund konnte bislang eine Beschreibung des wohl einzigartigen Geschmacks dieser Beere nicht gelingen. Auf jeglichen Versuch der kulinarischen Erfassung - sei es aus wissenschaftlichen Motiven oder aus bloßer Neugier - folgt dieselbe unverzügliche und finale Konsequenz.

Zahlreiche Augen starren immerzu auf dieses besondere Gewächs, während sich in den Mündern angesichts der vielleicht köstlichen Beere der Speichel schon sammelt. Manchmal gelingt es, sich von der unheilvollen Schöpfung abzuwenden. Das Tückische an der Versuchung liegt jedoch darin begründet, dass aufgrund irgendeines seltsamen Naturgesetzes das weit entfernte stets das begehrteste aller Objekte ist. Durch die Faszination des Unerreichbaren erlangt die Beere Eingang in alle Gedanken, in alle Träume, in alle Handlungen, in alle Zielsetzungen.

Man isst, man trinkt, man schläft, man wacht, man denkt, man spricht, man leugnet, man existiert wegen der Beere. Man versucht mit großem Einsatz und sämtlichen Mitteln die Beere zufriedenzustellen, ja ihr zu genügen. Man lebt für die Beere und geht in ihr auf. Was gibt es noch Begehrenswertes an dieser Welt, wenn nicht die eine einzig wahre wahrhaftige Frucht aller Früchte?

Schließlich esse ich die Beere und sterbe den glücklichsten Tod meines Lebens.

Sandra Stadlbauer

www.verdichtet.at | Kategorie: Lesebissen | Inventarnummer: 15146