Fünf Zentimeter

Ich gehe gern weite Strecken. Heute war ich wie immer mit meinem Rucksack unterwegs. Ich war einkaufen, Sachen, die im Rucksack keinen Platz mehr hatten. Daher kaufte ich mir eine große Einkaufstasche, die immer voller und schwerer wurde. Dann ging ich von der Stadt nachhause, was eine Strecke von zirka zwölf Kilometern ausmacht. Die Einkaufstasche schleifte am Boden. Was aber eigenartig war, war, dass die Einkaufstasche rechts nur wenig schleifte, links allerdings sehr stark. Zuhause angekommen sah ich, dass sie ein Loch hatte. Ich vermaß mich, mit dem Ergebnis, dass mein linker Arm um fünf Zentimeter länger ist als mein rechter. Ich konnte es nicht glauben, legte noch einmal Maß an, mit demselben Ergebnis. Fünf Zentimeter sind echt viel!

Meine Eltern kümmerten sich nie gut um mich. Ich war ihnen anscheinend egal. Mit meiner jüngeren Schwester hatten sie eine Freude. Ich war der Doofmann. Mit sechzehn zog ich von zuhause aus. Ist meinen Eltern nie aufgefallen, dass meine Arme unterschiedlich lang sind? Mit, sagen wir, zwölf war mein linker Arm ungefähr drei Zentimeter länger. Zu meiner Entschuldigung muss ich sagen, dass ich über keinen mannsgroßen Spiegel verfüge. Ja, ja, dennoch, ich muss doch bemerkt haben, dass meine Pullover links viel kürzer wirken. Habe ich aber nicht.

Fängt jetzt für mich ein neues Leben an? Nein, das alte geht weiter.

Waiting in in SoCa's Atelier am 1. Februar 2024 in Villach

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Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 24112

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