um dein Lächeln zu verstehen junge Holikin Tochter von Holifin muss ich den Riesenrochen kennen und den Hieb seines Schwanzes der direkt ins Herz trifft wie das Messer das den Abschiedsbrief meiner Geliebten öffnet
auch muss ich die Haie hier in der Bucht von Monkey Mia sehen und die Narben die sie auf den Flossen deiner Mutter hinterlassen haben Tapferkeitsmedaillen die sie nie wollte für die ihr nicht töten würdet die euch aber unterscheiden von allen anderen
Frank Joussen
www.verdichtet.at | Kategorie: anno | Inventarnummer: 25194
An einem Sommertag, beim Durchqueren eines Parkes, überfällt sie mich wieder. Unerwartet wie immer. Heute wortwörtlich aus heiterem Himmel. Nach Luft ringend lasse ich mich auf die nächstbeste Bank sinken, nehme unscharf wahr, dass eine kleine, schmale Gestalt im linken Eck der Bank sitzt.
Ich atme so laut und regelmäßig wie mir möglich ein und aus, während ich panisch in meiner Handtasche meine Pillendose suche, als ich eine helle Kinderstimme links von mir fragen höre:
„Warum schnaufst du denn so komisch?“
Endlich finde ich die Dose, öffne sie mit zitternden Händen, entnehme zwei der Pillen und schlucke sie.
„Schenkst du mir auch so ein rosarotes Zuckerl?“ Schon wieder diese Kinderstimme.
Ich trinke meine kleine Wasserflasche in großen Schlucken leer, schaffe es dann, zu murmeln:
„Nein, das sind nämlich Medikamente – keine Zuckerl.“
„Bist du krank? Was hast du denn?“
„Möchtest du nicht spielen gehen?“, frage ich matt und deute mit meinem Kopf vage zu dem eingezäunten Kinderspielplatz gleich gegenüber der Bank, auf der das Kind und ich sitzen.
Es antwortet fröhlich: „Doch! Später dann.“
Ich ringe nach Luft. Wann wirken endlich die Tabletten?!
„Was hast du denn für eine Krankheit?“
„Angst“, höre ich mich nun tatsächlich ungewollt antworten, und denke, dass ‚Panikattacke‘ ein unmögliches, ein hässliches Wort ist, ein Wort, das ein Kind wohl nicht verstehen würde.
Schweigen nun im linken Bank-Eck. Dann rückt das Kind näher zu mir. Sehr nahe. Aus den Augenwinkeln sehe ich lange hellblonde Haarsträhnen, ein blaugeblümtes Kleid.
„Du hast bestimmt keine Schatzkiste bei dir, stimmt’s?“, flüstert es neben mir.
Warum quält mich ausgerechnet jetzt, in meinem miserablen Zustand, dieses nervige Kind mit lästigen Fragen?
„Hast du eine Schatzkiste in deiner Tasche?“, insistiert das Mädchen.
Erschöpft schüttle ich meinen Kopf.
„Siehst du!“, ruft es triumphierend. „Darum hast du Angst! Weil du keine Schatzkiste mithast!“
„Schau!“ Ich sehe, wie das Mädchen einen bunten Rucksack auf ihren Schoß nimmt, darin herumkramt und etwas herausnimmt. Dann hält sie mir direkt eine kleine Holzkiste vors Gesicht.
„Das ist meine Schatzkiste.“ Feierlich öffnet sie die Kiste. Ich sehe blaue Knöpfe darin. „Das sind Knöpfe von Mamis Kleid. Das Kleid hat meine Mami am allerliebsten angezogen, als ich noch in ihrem Bauch drinnen war. Meine Mami und ich haben alle Knöpfe runtergeschnitten und in die Schatzkiste gelegt. Es sind 15 Knöpfe. Mami hat gesagt, jeder von den Knöpfen ist ein Sim- Simbol dafür, wie lieb sie mich hat. Wenn ich traurig bin oder Angst habe, soll ich die Knöpfe anschauen und angreifen, dann werde ich keine Angst mehr haben und nicht mehr traurig sein. Das hat Mami gesagt.“
Zum Glück wirken die Tabletten endlich. Ich fühle mich etwas besser.
„Eine schöne Idee von deiner Mami“, sage ich.
„Ja! Und weißt du, ich habe noch andere Schatzkisten von meiner Mami zuhause. Eine mit Briefen von ihr. Die kann ich aber noch nicht lesen. Und eine mit Fotos. Und eine mit Muscheln vom Strand –“
„Deine Mami hat dich sehr lieb. Du hast großes Glück“, stoppe ich erschöpft ihren Redeschwall.
„Ja!“, lacht das Mädchen glücklich.
Dann schaut sie mich aus großen grünen Augen ernst an.
„Hat deine Mami dich denn nicht lieb? Hast du kein großes Glück? Hast du keine Schatzkisten von ihr bekommen?“
Ungewollt drängen sich in mir blitzartig hässliche Szenen von früher – Schläge, Streit, lieblose Blicke und Worte – auf. Ich schüttle den Kopf.
„Hast du überhaupt von irgendjemandem eine Schatzkiste bekommen?“, ruft das Mädchen nun entsetzt.
„Nein“, sage ich. Und bevor ich erklären kann, dass das kein Problem für mich ist, kommt eine junge, blonde Frau schimpfend auf die Kleine neben mir zu: „Ronja, was fällt dir ein! Mache das nie wieder! Ich habe dich auf dem Spielplatz gesucht! Du kannst doch nicht einfach weglaufen!“
„Aber ich bin doch nicht weggelaufen! Ich bin hier gesessen“, verteidigt sich das Mädchen.
Die blonde Frau seufzt, sagt dann: „Ach, komm – wir gehen jetzt einkaufen und besprechen das unterwegs.“
„Ja, aber warte – gleich – ich muss noch ganz schnell etwas machen!“, springt das Kind auf und läuft auf den Spielplatz.
„Beeile dich, Ronja!“, ruft ihr die Frau nach.
„Jaa -a!“
Nochmals seufzend setzt sich die junge Frau auf die Bank neben mich, schweigt. Endlich spüre ich die volle Wirkung der Tabletten, ich fühle mich ruhiger innerlich. Es ist nur mehr der übliche diffuse Angstrest, der nie verschwindet, der immer da ist, in mir.
Ich bin imstande, zu sagen: „Ihre Tochter hat so liebevoll von Ihnen gesprochen, mir eine Schatzkiste gezeigt – “
„Ronja ist nicht meine Tochter“, unterbricht mich die Frau.
„Ach –“, sage ich verwirrt.
„Meine Schwester ist vor knapp einem halben Jahr gestorben. An Darmkrebs. Seitdem lebt ihre Kleine bei mir. Ronjas Vater hat sich vertschüsst, als sie noch nicht mal geboren war.“
Ich kann nichts sagen, muss das eben Gehörte erst verarbeiten.
Und da läuft Ronja mit roten Wangen auf uns zu, ihr bunter Rucksack hüpft auf ihrem Rücken auf und ab, in ihrer rechten Hand hält sie eine grüne Jausenbox.
„Okay, Ronja, dann gehen wir jetzt endlich“, sagt die junge Frau, steht auf, nickt mir zu und geht den Kiesweg voraus.
Ronja stellt sich dicht vor mich und legt mir die grüne Box auf den Schoß.
„Für dich!“, sagt sie feierlich. „Das ist deine Schatzkiste. Damit du keine Angst mehr hast. Ich habe echt schöne Sachen auf dem Spielplatz gefunden. Obwohl ich nur so wenig Zeit zum Suchen hatte.“
Sie winkt mir vergnügt zu und läuft ihrer Tante nach.
„Danke, Ronja!“, rufe ich ihr nach, gerührt und perplex. „Ich freue mich! Sehr!“
Sie dreht sich noch einmal zu mir um, strahlt übers ganze Gesicht. Dann greift sie nach der Hand ihrer Tante, und ich sehe ihnen nach, bis sie aus meinem Sichtfeld verschwunden sind, die beiden, Hand in Hand, die Kleine hüpfend und plappernd, immer wieder zu ihrer Tante aufsehend. Meine Hände liegen auf meiner grünen Schatzkiste. Keine Spur von Angst ist mehr in mir.
„Was die alles weiß!“, sagte mein Bruder über seine ehemalige Lehrerin, „die hat uns die ganzen Kirchen gezeigt.“ „Und wie sie Latein übersetzt hat – wie ein Maschinengewehr. Das nenne ich Bildung. Alte humanistische Schule.“
„Zuerst dachte ich“, fuhr mein Bruder fort, „dass das Treffen bei ihr zuhause langweilig werden würde. Aber da habe ich mich gründlich geirrt. In jedem ihrer Bücher eine Notiz. Und zum Essen gab es nur Schinken. Da weiß man nämlich, was drin ist.“ „Ach“, seufzte mein Bruder, „das sind wirklich feine Leute.“
Als ich dies hörte, war ich zunächst skeptisch, ließ mich aber nach und nach von seiner Begeisterung anstecken. Da ich auch Schüler dieser besagten Lehrerin gewesen bin, kam ich auf den Gedanken, ihr eine E-Mail zu schreiben. Ich malte mir schon aus, was für ein fruchtbarer Austausch entstehen könnte, deshalb machte ich eine Anfrage an ihrer jetzigen Schule. Und in der Tat: Nach ein paar Minuten kam eine herzliche Antwort, dass sie sich sehr freue, von mir zu hören. Also schrieb ich ihr eine kurze Nachricht. Eine weitere Antwort ließ aber auf sich warten und blieb schließlich gänzlich aus.
Ja, ja. Die „feinen Leute“, dachte ich mir.
Michael Bauer
www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 25190
Wer von uns kann schon ermessen, wie es vorher ist gewesen? Wie hat alles bloß begonnen, bevor die Wasser sind geronnen?
Glühendheißes Magma war vor dem großen Regen gar. Dann regnete es, viele Jahre, und das Meer war da, das klare.
Gott Taʼaroa ganz in Trauer, Tränen flossen lang auf Dauer, die die Ozeane füllten, und die Erd’ damit umhüllten. Salzig sind nun mal die Tränen. Kein Meerwasser zum Trinken nehmen!
Das Meeresufer scheint semantisch für mich allein schon hochromantisch. Immer noch lauf ich zum Strand und liege faul im weichen Sand.
Wenn eine leichte Brise weht und mir die Zeit zu schnell vergeht, im Sonnenschein bleib am Gestade ich, bis dass die Sonne sinkt, wie schade!
In eine and’re Zeit versetzt, indes zu Land die Zeit langhetzt, so zwischen Flut und zwischen Ebbe im Sand ich den Entspannten gebe.
Aber langsam wird mir klar, das Meer ist, wo es immer war. Ringsherum verändert sich, beinah alles, so auch ich. Das Meer, ein Ort der Ewigkeit, bereitet mir Glückseligkeit.
Der Wind am Watt weht aus dem Westen. Bei Nebel ist es echt am besten, wenn man eine Jacke nimmt, weil dann der Wind von Norden kimmt.
Dann tu ich auf die Wellen hören, und auf Laute, die mich stören. Man muss auch auf die Ströme achten, und auf die Möwen, wenn sie lachten.
Am Meer droh’n Unheil und Gefahren, das kann man sich ganz leicht ersparen, wenn man es von Grund auf meidet, und sich nur fürs Land entscheidet.
Seine Kraft und seine Weite merkt man erst auf hoher See. Ist man ihm erst ausgeliefert, ist verloren man, oje!
Des Meeres Schönheit eingefangen, vom sich’ren Strand aus rumgehangen. Meine Angst schien überwunden, doch jetzt hat sie zurückgefunden.
Es steigt der Spiegel rasch des Meeres, dort steht ein Inseldorf, ein leeres. Und unter Palmen, ganz geduckt, ganz viele, bald vom Meer verschluckt.
Copyright: Norbert Johannes Prenner
Norbert Johannes Prenner (Text und Grafik)
www.verdichtet.at | Kategorie: hin & weg | Inventarnummer: 25177
Gern würdest du wissen, dass du träumst, aber für dich ist es die Realität. Die zwei üblen russischen Zuhälter, die beim Praterstern mit ihrem schwarzen Mercedes die Vorfahrt vor deinem roten VW Jetta beanspruchen, obwohl du vorschriftmäßig fährst. Der Beifahrer zeigt dir obszöne Gesten. Da bekommst du wirklich Angst und fährst ganz freundlich auf die rechteste Spur, damit er dich mit überhöhter Geschwindigkeit überholen kann, was er auch sofort macht.
Plötzlich fährt links ein älteres, blondgelocktes, hübsches Blumenmädchen mit ihrem Fiat Cinquecento. Sie sieht zu dir, winkt und lacht ohne Grund. Das war ein nettes kleines Zeichen, das deinen Traum verschönerte.
Nun taucht der fiese Chef auf, der dich, als du in deiner Jugend als Kohleträger arbeitest, hinauswirft, weil du zu schwache Muskeln hast.
Stattdessen gewährt er dir eine Lohnerhöhung, weil du plötzlich stark bist wie Dolph Lundgren.
Ihr könnt mir nicht wehtun!, denkst du beim Anblick deiner Feinde ohne Zahl, wobei die verborgenen zusätzlich als Schemen hinter ihnen stehen.
Doch natürlich tun sie dir weh, auf tausend Arten, was du wegsteckst, als wärst du Jesus, der Schmerzensmann, der du nicht bist und auf keinen Fall sein möchtest.
Diese niedersächsischen Kinder, die schauen wie Bock, Jahrzehnte später vergällen sie mir den Traum! Ich habe dort gelebt, war da aber nie zuhause. Das Dorf war kein liebliches, es war voll von Häusern aus den 1970er Jahren, ziemlich reich, aber noch nüchterner.
Darauf folgte Wien, wo sich die Jugendlichen, als ich ebenfalls ein Jugendlicher war, wegen meiner theaterdeutschen Sprechweise über mich lustig machten. Die Pfütze war hier die Lache. Die Stadt war damals noch sehr staubig und grau in grau. Die Farben kamen erst später, nachdem ich wieder weggezogen war.
Back to Klagenfurt, wo ich geboren wurde, als Stammhalter, weil ich männlich bin. Mittlerweile heißt Klagenfurt Klagenfurt am Wörthersee, ist aber eine Stadt im Niedergang. Immer mehr Leerstand an Geschäften und Lokalen, kein Hallenbad mehr, das Planetarium hat einen neuen „Investor“ und ist derzeit geschlossen. Dafür besonders schöne Menschen – war ich auch einmal einer von ihnen? –, mit sonnigem Gemüt.
Remember Roy Black.
Das geschlossene HALLENBAD in Klagenfurt am Wörthersee
am 14. Juni 2023, von Südwesten gesehen
Johannes Tosin (Text und Foto)
www.verdichtet.at | Kategorie: about | Inventarnummer: 25186