Ich treibe Schabernack

Ich gebe es zu: Mir ist der Drang, Schabernack zu treiben, immanent. Bereits in meinen ersten Lebensjahren konnte ich nicht anders, ich musste Schabernack treiben.

Ich wurde vor dreiundvierzig Jahren, acht Monaten und fünf Tagen in Schwarzrussland geboren. In Petrovsklam, um präzise zu sein. Meine Familie war reich, heute ist sie das immer noch, mein Vater, der Intellektuelle der Familie, arbeitete für den schwarzrussischen Geheimdienst DAP. Er war kein gewöhnlicher Agent, er war Oberst. Sein Aufgabenbereich war die strenge Kontrolle der Vorräte an Schwarzrussischer Erdschlacke sowie die Überwachung der Förderung von Schwarzrussischen Bernsteinsaphiren, ein lediglich in Schwarzrussland vorkommender - mein Vater nannte ihn endemisch (er war fürwahr ein Intellektueller!)- Pilzedelstein. Die Bezeichnung Pilzedelstein ist durchaus zutreffend, denn der Schwarzrussische Bernsteinsaphir vermehrt sich vermittels Sporen. Die Aufgabe meines Vaters bestand in der Überwachung der Förderung dieser beiden für Schwarzrussland so wichtigen Bodenschätze, er hatte sicherzustellen, dass kein Milliliter Erdschlacke und kein Gramm Bernsteinsaphir gestohlen wurde. Ertappte Diebe pflegte mein Vater Schwarzrussischen Weißamseln vorzuwerfen, was den äußerst grässlichen Tod dieser Diebe zur Folge hatte, denn diese Vögel sind, was ihren Blutdurst und ihre Angriffslust anlangt, wohl nur mit dem Schwarzrussischen Wolfskarpfen zu vergleichen, auch dieser ist eine gefährliche Bestie, die es ernst meint. Nachdem diese Bodenschätze äußerst wertvoll sind, ist es wohl nicht verwunderlich, dass mein Vater, der auf sie achtzugeben hatte, steinreich wurde - und das in weniger als zwei Jahren!

Ich muss jedoch festhalten, dass ich trotz des Reichtums meiner Familie eine als normal zu bezeichnende Kindheit hatte - bis auf meinen Zwang zum Schabernack eben. Meine Großmutter, ich hielt mich oft in ihrem schlossähnlichen Gartenhaus auf, erfreute sich an und widmete sich der Zucht von Schwarzrussischen Wüstenhühnern, eine Art Vogel, die mir stets ein Dorn im Auge war, denn ich erachte diese Vögel schlicht für sowohl dumm als auch hässlich. Jedenfalls, diese Hühnervögel waren das Ziel -oder die Opfer - des ersten Schabernacks, an den ich mich erinnern kann. Ich war nämlich dahintergekommen, dass die geringe Intelligenz dieser Vögel nicht dadurch zu steigern war, ihnen aus den Büchern Dmitri Boristranks - er ist der größte schwarzrussische Autor - vorzulesen, also wollte ich wenigstens ihr äußeres Erscheinungsbild ästhetischer gestalten.
Ich betäubte die vier Hähne meiner Großmutter mit Äther und dann legte ich los. Ich kürzte ihnen die Schwanzfedern und lackierte ihre Krallen mit dem rosafarbenen Nagellack meiner Großmutter. Danach legte ich die Hähne paarweise aufeinander und verließ das Gehege, das in etwa die Größe eines Fußballplatzes hatte. Als die Hähne aus ihrer Betäubung erwachten, begannen sie sogleich, sich zu paaren, jedoch untereinander, also Hähne mit Hähnen. Ich vermute, dass ihr verändertes - verbessertes, behübschtes - äußeres Erscheinungsbild sie auf eine Art und Weise beeinflusst hat, die ihnen die Großartigkeit der Liebe unter männlichen Wesen vor Augen - oder vor die rosafarbenen Krallen - geführt hat. Nun, die weitere Zucht dieser Vögel war meiner Großmutter nicht mehr möglich, denn fortan blieben die Hähne unter sich. Meine Großmutter verübelte mir diesen Schabernack nicht, sie war der Ansicht, dass Jungs eben Jungs wären.

Mein Bruder Dimitar war keineswegs so nachsichtig mit mir, nachdem ich ihn schabernackiert hatte. Dimitar ist sieben Jahre älter als ich, was bedeutet, dass er entsprechend früher als ich zu pubertieren begonnen hatte, und leitet heute die Stabsstelle für Fragen zur allgemeinen Geschlechtsmoral der schwarzrussisch-orthodoxen Glaubensfirma. Ich hatte in einem der von ihm bewohnten Räume in der palastartigen Behausung unserer Familie eine wirklich sehr große Zahl an Zeitschriften entdeckt, wie alleinstehende Männer sie, wie ich heute zu wissen glaube, gerne durchblättern, um auf, wie man sagt, andere Gedanken zu kommen.
Unaufgeregt, ich befand mich zu diesem Zeitpunkt noch nicht in pubertärem Stadium, blätterte ich in den Zeitschriften meines Bruders und stellte hoch verwundert fest, dass sie beinahe ausschließlich aus Fotografien, welchen ab und an zotige Zeichnungen folgten, bestanden. Auf diesen Fotografien waren üblicherweise eine unbekleidete Frau und ein weiß besockter Mann zu sehen, die sich gegenseitig (und oftmals sogar gleichzeitig!) fellationierten respektive cunnilinguierten, um schließlich die Handlung des Sex zu vollziehen.

Ich war erschrocken und von meinem Bruder enttäuscht. Wie konnte er bloß Gefallen an zotigen Zeichnungen und Fotografien finden? So was hatte ich nicht erwartet. Dennoch beschloss ich, ihm das Betrachten der von ihm offenkundig geschätzten Bilder nicht zu verunmöglichen, also übermalte ich lediglich die auf den Fotografien gut erkennbaren - oftmals sogar durch das Stilmittel der Nahaufnahme! - Blößen der Frauen (die der Männer machte ich nicht unkenntlich) mit schwarzer Tinte bester schwarzrussischer Provenienz und Permanenz. Am nächsten Tag eilte mein Bruder in sein, wie er es zu nennen pflegte, Lernzimmer und versperrte die Tür des Raumes hinter sich. Zwei Minuten vergingen, dann kam Dimitar mit hochrotem Kopf aus seinem, wie er es nannte, Lernzimmer gestürmt und lief, meinen Vornamen, Michail, brüllend durch den Palast unserer Eltern.
Ich erkannte, dass sich mein Bruder in einer Art Notstandszustand befinden musste und eilte zu ihm, um ihm zu helfen. Er packte mich, schüttelte mich und brüllte etwas von Präonanist und unterstellter Homoerotik. Als ich zu meiner Rechtfertigung (ich ahnte, dass der Notstandszustand meines Bruders etwas mit seinen Zeitschriften zu tun haben musste) vorbrachte, dass ich doch bloß die Blößen der Frauen auf den Fotografien übermalt, die der Männer jedoch nicht angetastet hätte, geriet mein Bruder noch grässlicher in Harnisch. Er schlug mich und brüllte dabei, dass sein Schatz nun wertlos geworden wäre.
Zu meinem großen Glück betrat in diesem Augenblick unsere Mutter den Raum. Ich legte ihr, sie war eine Frau von strenger Moral und hoher Sittlichkeit, den Sachverhalt dar und verriet ihr, wo in seinem, wie er es nannte, Lernzimmer mein Bruder seinen, wie er sich ausdrückte, Schatz gelagert hatte. Unsere Mutter nahm diesen Schatz in Augenschein, zählte dessen Bestandteile gewissenhaft, sie kam auf zweihundertzweiundsiebzig Zeitschriften, dann geriet sie in Harnisch und befahl mir, das Lernzimmer meines Bruders zu verlassen. Zwei Wochen später war mein Bruder Dimitar immer noch böse auf mich.

Im Schwarzrussischen Staatsgymnasium, das ich auf Wunsch meiner Familie zu besuchen hatte, schabernackierte ich meinen Professor der Biologie. Ich war dazu auserkoren worden, einen Vortrag über den Schwarzrussischen Nachtklauengreifer zu halten, eine Art Eule, bloß viel gefährlicher, denn bei einer Flügelspannweite von fünfeinhalb Metern bringt es dieses Tier leicht (und gerne!) fertig, Schwarzrussische Bachpferdstuten durch die Luft zu tragen und in seinem Horst, dessen Grundgerüst durchaus aus Teilen von Schienen der Staatlichen Schwarzrussischen Kupferbahn bestehen kann, an seinen Nachwuchs zu verfüttern. In der Sammlung ausgestopfter schwarzrussischer Tiere, die mein Gymnasium unterhielt, hatte sich naturgemäß auch ein Exemplar des Nachtklauengreifers befunden, doch wollte ich dieses keinesfalls als Anschauungsobjekt während meines Vortrags heranziehen. Ich ging also tief in den Wald, wo ich bald einen Horst dieses Vogels ausfindig machte. In einer ebenso kühnen wie lebensgefährlichen akrobatischen Aktion betäubte ich das adulte Tier mit Äther, wie ich es schon mit den Hähnen meiner Großmutter gemacht hatte, und setzte den betäubten Vogel auf den Tisch meines Professors der Biologie.
Niemand im Klassenzimmer bemerkte, dass da ein lebender, lediglich betäubter Nachtklauengreifer saß. Anfangs ging alles gut, ich hielt meinen Vortrag, demonstrierte am Schnabel und an den Krallen des betäubten Vogels die Gefährlichkeit der Wesen dieser Art und hätte ihn betäubt in seinen Horst zurücksetzen können. Doch das Tier erwachte vor der Zeit aus seiner Betäubung. Der Nachtklauengreifer blickte auf die sechsundzwanzig Kinder und den einen erwachsenen Menschen im Klassenzimmer, die vor Schreck erstarrt waren, und wusste offensichtlich nicht, wie er reagieren sollte. Also reagierte er auf die einzige seinem Wesen entsprechende Art und Weise, indem er in Harnisch geriet. Dabei gebärdete er sich derart grässlich, dass ich mich noch heute frage, warum keiner der siebenundzwanzig Menschen im Klassenzimmer zu Tode kam.
Eine großzügige Spende meiner Familie an das Gymnasium ließ die Sache zeitnah in Vergessenheit geraten, auch der Professor der Biologie durfte an der Schule verbleiben. Er bekam einen grauen Arbeitsmantel ausgehändigt, humanerweise mit dem Hinweis, dass er sich dieses Mantels selbstverständlich entledigen durfte, wenn er den Rasen vor dem Gymnasium zu mähen hatte.

Ich halte es für essenziell zu erwähnen, dass ich auf dem Kronleuchter der Gottesfurcht nicht das hellste Licht bin. Ich hatte meinen fünfundzwanzigsten Geburtstag zelebriert. Da meine Familie sehr reich ist, hatte ich eine Vielzahl an jungen Frauen in die palastartige Behausung meiner Eltern bestellt und mich mit jeder einzelnen dieser jungen Frauen in mein Schlafgemach zurückgezogen (mit einer zweimal, mit einer anderen sogar dreimal), was sowohl den jungen Frauen als auch mir großen Spaß bereitet hatte.
Der Zufall wollte es, dass der Großpatriarch der schwarzrussisch-orthodoxen Glaubensfirma am darauffolgenden Tag auf dem Hauptplatz der Hauptstadt das alljährliche öffentliche Bekennen der Sünden abhielt. Ich bat die jungen Frauen, einen weiteren Tag mit mir zu verbringen und dort auf dem Hauptplatz ihre Sünden öffentlich zu bekennen. Sie entsprachen meiner Bitte bereitwillig, denn ich bin reich, und ich fuhr mit ihnen in drei eigens angemieteten Bussen zum Hauptplatz. Das Bekennen war bereits in vollem Gang, als wir dort eintrafen. Nachdem ich mir nie etwas zuschulden kommen lasse, verzichtete ich darauf, in das mir vor die Nase gehaltene Mikrofon zu sprechen und gab dieses an die erste der jungen Frauen weiter und forderte sie auf, sich kein Blatt vor den Mund zu nehmen und gänzlich ungeniert ihre Sünden des vergangenen Jahres zu bekennen.

Als diese erste der jungen Frauen begann, ihre Sünden zu bekennen, erhob sich sowohl Raunen als auch Murren in den Reihen der braven schwarzrussischen Bürger, denn sie nahm sich in der Tat kein Blatt vor den Mund. Dem Großpatriarchen stieg das Blut zu Kopf, dann entwich es diesem wieder, dann stieg es wieder hoch, was sich als farblicher Kontrast zu seiner rosafarbenen Kutte schlicht köstlich ausnahm. Als die zehnte der jungen Frauen an der Reihe war, herrschte bloß peinlich berührtes Schweigen, lediglich das Knacken der Fingerglieder des Großpatriarchen war zu vernehmen - ich vermute, er war zu diesem Zeitpunkt bereits in Harnisch geraten. Als die letzte der jungen Frauen das explizite Aufzählen ihrer Sünden beendet hatte, war sein Antlitz purpurrot angelaufen, und seine zitternden Hände waren zu Fäusten geballt. Niemand auf dem Platz sagte ein Wort. Ich war hochvergnügt und musste plötzlich lachen. Ich lachte jedoch nicht wirklich - vielmehr prustete ich los. Die Augen aller Menschen auf dem Platz waren auf mich gerichtet, und ich machte mich mit den jungen Frauen auf den Weg zu den Bussen. Ich hatte den Großpatriarchen lehrbuchmäßig schabernackiert.

Gestern hat mich mein Vetter Wladimir Stiernoff besucht, er hatte seinen erst kürzlich erworbenen Hund dabei. Bei diesem Hund handelt es sich um ein Exemplar der Rasse Schwarzrussischer Flohwinscher. Hunde dieser Rasse erreichen eine maximale Schulterhöhe von zehn Zentimetern. Es trifft sich gut, dass ich vor drei Tagen Ratten entdeckt habe, die sich in meinem Park eingenistet haben. Vor zwei Tagen konnte ich drei dieser Ratten fangen. Diese drei Ratten sind männlichen Geschlechts, so wie der Hund meines Vetters. Seit Stunden überlege ich, wie ich den Hund den Ratten näherbringen kann. Sofern überhaupt noch vorhanden, dürfte der rosafarbene Nagellack meiner Großmutter eingetrocknet und somit für meine Zwecke ungeeignet sein. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass ich eine Lösung für dieses Problem finden werde ...

Michael Timoschek

www.verdichtet.at | Kategorie: schräg & abgedreht | Inventarnummer: 16134

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