Steiermärkisches Kulturwürstchen

„Das geht sich alles aus“, dachte ich mir, als ich vor dem Grazer Landhaus stand, in dem der Landtag Steiermark seine Sitzungen abhält. „Natürlich ist dessen Zusammensetzung keine Idealbesetzung, aber eine Demokratie muss das aushalten.“
Ich zündete mir eine Zigarette an und blies den blauen Rauch weg von mir, als ich von hinten angerempelt wurde.
„Kannst du nicht aufpassen, du linke Bazille?“, rief der sichtlich verärgerte Mann mit der markanten Narbe auf der Wange, während er seinen azurfarbenen Schal, den er bei seiner Rempelei verloren hatte, vom Boden aufhob.
Ich entschuldigte mich sofort, denn ich hatte Angst, dass er mir auch eine Narbe verpassen würde.
„Schau dass du Meter gewinnst, du Würstchen!“, riet er mir. „Am besten, du gehst zum Griesplatz und isst dort dein Kebap!“

Ich war sprachlos. Wie konnte mich dieser Mann als Linken identifizieren? Bei einer weiteren Zigarette dachte ich darüber nach, und bald wusste ich es: Es war mein Schal!
Ich trug einen rot-schwarz gestreiften Schal, denn ich bin Fußballfan, doch diesem Menschen erschien ich wohl wie ein überzeugter Großkoalitionär, für ihn war ich also offensichtlich ein Linksradikaler. Ich erkannte, dass die blaue Farbe seines Schals wohl nicht dem Ausdruck seiner großen Liebe zu Italiens Fußball geschuldet war.
Die Erwähnung des Kebaps erklärte ich mir anfangs mit meiner Leibesfülle, die ein Hinweis auf den Genuss einer Vielzahl dieser Köstlichkeiten sein könnte; jedoch nur, wenn man mit meinen kulinarischen Vorlieben vertraut ist, was der Mann nicht sein konnte.

Ich ging eine Runde um das Landhaus und dachte darüber nach. Plötzlich stand die Erklärung für die Erwähnung des Griesplatzes und des Fast Foods vor meinen Augen.
Als junger Mensch musste er Furchtbares erlebt haben, das bewies die offenbar seit vielen Jahren verheilte Narbe auf seiner Wange. „Wahrscheinlich ist der arme Mensch mit etwas Scharfem wie einem Kebapmesser angegriffen und verletzt worden, während er in der Nacht in einem Lokal auf dem Griesplatz war“, dachte ich. „Vielleicht hält er aus diesem Grund nichts von Kebap.“
Diese Theorie hielt ich für glaubhaft.

Dass er mich Würstchen genannt hatte, ließ mich vermuten, dass er gerade an den Verzehr eines solchen gedacht hatte, als er mit mir zusammenstieß. Mit seinen glasigen Augen und dem leicht rötlichen Teint machte er auf mich den Eindruck, ein Mann zu sein, der einem fetttriefenden, mit Schweinefleisch, Speck und Zwiebeln gefüllten Darm selten abgeneigt war und mit Lammfleisch, Gemüse und Fladenbrot wenig anfangen konnte.
„In der Steiermark wird es nun ruppiger zugehen“, dachte ich mir.
„Dieser Herr ist der beste Beweis dafür. Solche Menschen werden von ihresgleichen dazu auserkoren, die neue sogenannte Elite zu spielen. Bis sie eben wieder abgewählt werden, nachdem sie sich am Trog sättigen konnten. Und was soll aus Kunst und Kultur werden? Lederhosengejodel und heimattümliche Dichtung statt gehobener Kultur? Aufsteirern und absahnen statt Dezenz und Integrität? Wir werden sehen.“

„Schau, dass du Meter gewinnst“, hat der Mann zu mir gesagt. Ich denke, dass viele und vieles in der Steiermark keine Meter mehr haben. Subventionen werden gekürzt oder gestrichen, einiges wird sich dann vielleicht nicht mehr ausgehen, doch eines wird sich ausgehen: Wir werden, während wir auf bessere Zeiten hoffen, hinschauen, und zwar ganz genau!

Michael Timoschek

www.verdichtet.at | Kategorie: ¿Qué será, será? | Inventarnummer: 25100

2 Gedanken zu „Steiermärkisches Kulturwürstchen

  1. Frank Joussen

    Eine humorvolle Geschichte zu einem sehr ernsten Thema. Gefällt mir! Dass ich auch gegen Rechtsextreme bin und auf deiner Seite stehe, Michael, erwähne ich nur deshalb, weil wir uns noch nicht kennen. Diejenigen, die mich kennen – und dazu zähle ich auch unsere beiden sehr engagierten Herausgeberinnen – wissen das längst. In Deutschland haben wir ja – leider – dasselbe Problem mit einer Partei, deren blaue Farbe leider nichts mit dem Blau des Himmels zu tun hat und die alles andere als eine Alternative zu den anderen Parteien ist, sondern ein Rückfall in die deutsche Geschichte von 1933-1945. „Nie wieder ist jetzt!“ lautet bei uns der Slogan. Er ist gut, nutzt sich aber auch – wie alle Slogans – sehr schnell ab. Deshalb sind kreativ und gut geschriebene Texte wie deiner heute wichtiger denn je! Vielen Dank und viele Grüße aus dem Rheinland an der Grenze zu den Niederlanden. Frank

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  2. Michael Timoschek

    Vielen Dank für deinen Kommentar, Frank. Es freut mich, dass dich mein Text angesprochen hat, so wie mich deine Texte ansprechen. Wachsam zu sein und zu bleiben ist in der heutigen Zeit (leider wieder) notwendig.
    Herzliche Grüße aus der Steiermark.
    Michi

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