An der Bar

Der Stammgast lehnt lässig an der Bar seiner Lieblingskneipe und versucht, die hübsche Frau, die er in diesem Lokal nie zuvor gesehen hat, dazu zu bewegen, die Nacht mit ihm zu verbringen.

Er schmeichelt ihr, erklärt ihr, dass an dieser Theke noch nie eine Frau gestanden hätte, deren Schönheit der ihren geglichen hätte. Er bietet ihr an, noch am selben Abend Gulasch für sie zu kochen. Bislang hätte sein Gulasch jeder Frau gemundet, er würde es nämlich in solcher Perfektion auf den Tisch bringen, dass es den Geschmack aller Menschen träfe. Es würde selbstverständlich kein Problem für ihn darstellen, wenn sie den Wunsch äußerte, bei ihm zu übernachten. Er lebte zwar mit seiner Mutter in einem Haus, doch der von ihm bewohnte Bereich wäre großzügig angelegt, sodass sie ungestört wären. Sollte ihr der Sinn nach erhöhtem Alkoholkonsum stehen, so würde ihn dies freuen, Schaumwein der besten Provenienz hätte er stets reichlich zu Hause, und darüber hinaus auch ein hervorragendes deutsches Auto, mit welchem er sie am nächsten Morgen gerne heimbringen würde, und wegen der Abgaswerte bräuchte sie sich keine Sorgen zu machen.

Die attraktive Frau steht in aufrechter Haltung an der Bar und versucht, ernst zu bleiben. Sie befindet sich zum ersten Mal in diesem Lokal. Vor drei Wochen ging sie eine Beziehung mit dem Barkeeper ein und wurde vor ihrem ersten Lokalbesuch über den Stammgast aufgeklärt, und auch über dessen tatsächliche Lebensumstände.

Sie erfährt, dass sie die schönste Frau ist, die der Stammgast in den letzten drei Tagen zu Gesicht bekommen hat. Es schmeichelt ihr, der Veganerin, auf ein Gulasch eingeladen zu werden. Dass dieses Gericht aus seinem Kochtopf den Geschmack der meisten Menschen trifft, erscheint ihr nicht verwunderlich - nicht umsonst ist die Firma, die die von ihrem Verehrer bevorzugten Konservendosen befüllt, so erfolgreich. Sie weiß, dass sie ohne Weiters bei ihm übernachten könnte. Die beiden müssten dem Liebesspiel bloß leise frönen, denn das Kinderzimmer, das er im winzigen Häuschen seiner Mutter noch immer bewohnt, liegt neben deren Schlafgemach. Die alte Frau schätzt Damenbesuch keineswegs, und es kam bereits einige Male vor, dass sie den weiblichen Frühstücksgästen ihres Sohnes eine Standpauke bezüglich unentgeltlicher Prostitution hielt.

Der jungen Frau, die nur wenig Alkohol trinkt, graut bei der Vorstellung, eine Flasche billigsten Sekt nach der anderen mit ihm zu leeren, doch lässt sie sich nichts anmerken. Als ihr auch noch angeboten wird, im kleinsten Modell aus dem Hause Opel nach Hause gefahren zu werden, beginnt sie zu lachen.

Der Stammgast blickt sie erschrocken an und will sich Hilfe suchend an den Barkeeper wenden, der den Monolog mitgehört hat. Doch dieser befindet sich mittlerweile in der Küche des Lokals, aus der schallendes Gelächter zu hören ist.

Michael Timoschek

www.verdichtet.at | Kategorie: süffig |Inventarnummer: 17064

 

 

 

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Ein Gedanke zu „An der Bar

  1. mag. robert müller

    Zum "Helden": Eher billiger "Schmäh", na ja, es ist nicht jeder ein Meister und promillefest. Aber er hat sich wenigstens bemüht - und eine die Beachtung werte Frau nicht zu beachten wäre ja fast ein wenig beleidigend gewesen.

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