Die Angst vor dem Erfolg

Am zwölften September im Jahr der Venlafaxinunverträglichkeit kommt Robert nach einem langen Tag, den er alleine, er arbeitet in einem kleinen Büro, in welchem er vor dem Bildschirm eines Computers zu sitzen hat, denn er ist kollegenlos bei seiner Tätigkeit, die das Beantworten und das Abwickeln von Anfragen beinhaltet, präzise gesagt ist die Beantwortung respektive die Abwicklung von Anfragen der einzige Inhalt von Roberts Tätigkeit, die telefonisch, also die Anfragen, per Telefax oder via E-Mail an ihn gestellt werden, also an Robert, zugebracht hat, denn sein Kollege, Marcel Fleischbon, war ihm entzogen worden aufgrund von Sparmaßnahmen, welche die Etage der Chefs, die über allen und allem stehen, angeordnet hat, um an Mammon, also am Geld zu sparen, heim in sein Haus, welches am Rand der Stadt, in der Robert wohnt und wirkt, also werkt, präzise gesagt arbeitet, gelegen ist und welches außer ihm noch drei weiteren Menschen, also Roberts Ehefrau, sie heißt Marion und ist Cellistin in einem großen Orchester in der Stadt, in der sie beide leben, sowie seinen beiden Kindern, die er mit Marion gezeugt hat, denn Robert ist der Ansicht, dass Kinder das Beste sind, was ein Mensch der Welt schenken kann, sofern sie, die Kinder, zu guten Menschen erzogen werden, ihnen, also den Kindern, das Gute, was ihren Eltern innewohnt, vermittelt wird, Obdach gibt, ihnen also ein Dach über ihren Köpfen bietet, außerdem Wärme und Sicherheit, präzise gesagt Geborgenheit, und findet sein Abendmahl, gegrillten Fisch mit einer Beilage aus selbstgezogenem Spinat, auf dem Esstisch vor, der umringt wird von seiner Familie, also an dem Marion, Roberts Ehefrau, die er über alles liebt, sowie Anna und Ronja sitzen, die Kinder, präzise gesagt die Töchter, von Robert und Marion, die beide über alles lieben, und vice versa, noch warm, denn Robert kommt acht Minuten nach dem mit Marion vereinbarten Zeitpunkt nach Hause, und berichtet, während er den Fisch und die Beilage aus Spinat aus dem eigenen Garten hinter dem Haus zu sich nimmt, von den Vorkommnissen, die er in seiner Firma, präzise gesagt in der Firma, die ihn beschäftigt hält und ihn bezahlt, am heutigen Tag, und welche durchaus positiver, also förderlicher Natur waren und immer noch sind, denn Robert wird in der Hierarchie der Firma, die ihn beschäftigt hält und bezahlt, aufsteigen, er wird zum Leiter der Abteilung für das Design der neu zu entwickelnden Inkontinenz-Unterwäsche befördert werden, ein neuartiges Produkt, das die Firma, die ihn beschäftigt hält und ihn bezahlt, in ihren Katalog, also in ihr Angebot, das sie für ihre Kunden bereitstellt und bereithält, aufnehmen wird, denn diese Firma verdient sehr viel Geld, indem sie Gegenstände, um präzise zu sein Kleidungsstücke, herstellt, der letzte Verkaufsschlager dieser Firma waren atmungsaktive, dennoch geruchsundurchlässige und flüssigkeitsundurchlässige Schweißfußsocken, hergestellt nach einem von der, mittlerweile verstorbenen, Großtante des Besitzers der Firma entwickelten streng geheimen Verfahren, die den Schweiß der Schweißfüße der Verwender dieser Socken in olfaktorischer Hinsicht verschwinden, also, so kann man es sagen, verduften lassen, durch ihre, also die der Socken, Undurchlässigkeit bleibt der Schweiß in den Socken und durchdringt deren Gewebe nicht, was es den Menschen, die mit dem Problem des Schweißfußes ihr Leben führen müssen, erlaubt, ihre Schuhe abzustreifen, ohne befürchten zu müssen, den Mitmenschen in ihrer unmittelbaren, im Fall der schlimmsten Ausformung des Schweißfußes, des sogenannten Großen Zehenkäslers, in weitem Umkreis dieselbe unangenehme olfaktorische Erfahrung, in Verbindung mit verschämtem Halten der Nase in die dem Stinker entgegengesetzte Richtung, zu bereiten, die offen im Kühlschrank stehen gelassener Klosterkäse der Nase bereitet, in Ländern, in welchen Menschen sich mehrmals täglich ihrer Schuhe entledigen müssen, beispielsweise um den in diesen Ländern eingemahnten religiösen Verhaltensweisen, präzise gesagt um zu beten, zu entsprechen, erweist sich diese Art Socke immer noch als regelrechter Bestseller, und er, also Robert, soll die Gestaltung dieses neuartigen Produkts übernehmen, er geht davon aus, dass ihm diese Aufgabe übertragen wird, weil er ein überaus feinfühliger Mensch ist, der die heikle Aufgabe der Schöpfung dieses Kleidungsstücks, der Inkontinenz-Unterwäsche, mit der erforderlichen Sensibilität erfüllen wird, schließlich ist es essenziell wichtig bei Inkontinenz-Unterwäsche, auf die Dichtheit, sodass idealiter kein Tropfen Flüssigkeit aus ihr treten kann, darüber hinaus muss sie sich olfaktorisch gänzlich neutral verhalten, Augenmerk zu legen, und nachdem Männer in verschiedenen Ländern dieser Erde unterschiedlich lange Glieder vor sich her tragen, bei Frauen sieht die Sache weniger kompliziert aus, muss Robert unterschiedliche Modelle des neu zu entwickelnden Produkts entwerfen, um inkontinente Männer in allen Ländern dieser Erde, zumindest augenscheinlich, trocken zu halten und der Firma einen weiteren Verkaufsschlager zu bescheren und es soll sein Schaden nicht sein, hat sein Chef ihm versichert, denn wenn Robert die ihm gestellte Aufgabe mit der für diese heikle Sache, unterschiedliche Längenangaben von Gliedern von Männern aus verschiedenen Ländern zu erhalten, sein Chef ließ offen, ob Robert selbst wird Maß nehmen müssen oder ob guter Glaube ausreichen wird, Robert ist aufgrund seiner Sensibilität in der Lage zu erkennen, ob ein Mann ihn belügt, wenn die Sprache auf das Thema Gliedlänge kommt, erforderlichen Feinfühligkeit erledigt, wird Robert eine gewisse Beteiligung am Umsatz, den die Inkontinenz-Unterwäsche der Firma bescheren wird, erhalten, was Marion, Roberts Ehefrau, sehr freut, denn sie drängt seit geraumer Zeit auf den Ankauf eines Sportwagens, eines Cabriolets eines niedereuropäischen Herstellers, denn sie möchte ihre Freundinnen beeindrucken durch die Vorfahrt in einem solchen Cabriolet, noch dazu jetzt, wo Robert, ihr geliebter Ehemann, erfahren hat, dass er zur Prüfung antreten darf, dies ist die zweite Neuigkeit, die Robert seiner hocherfreuten Familie am Esstisch zur Kenntnis bringt, also dem zweiten, dem mündlichen Teil seiner, lange Jahre hinausgezögerten, Dissertation in der Studienrichtung Transzendentale Sensibilität, deren erster Teil, also der erste Teil der Prüfung, also die schriftliche Arbeit, Roberts Dissertationswerk, von einem Professor der Transzendentalen Sensibilität an Roberts Universität mit der Benotung Sehr Befriedigend versehen wurde und er, also Robert, auf dem besten Weg ist, die Doktorwürde zu erlangen, also ein Transzendentaler Sensibilist erster Kapazitätsklasse zu werden, und mit einem solchen Mann als Ehemann, findet Marion, und spricht dies auch aus, steht ihr ein Cabriolet zu, und als Robert einwilligt, freuen sich sämtliche Mitglieder der Familie, also Robert, Marion und ihre beiden gemeinsamen Töchter am Esstisch, an welchem Robert den Text seiner Dissertationsarbeit verfasst hat, doch im selben Augenblick beginnen Sorgen in Robert zu wachsen, es sind nicht Sorgen von der Art, beispielsweise finanzieller Natur, die ein Mensch empfindet, der von einem Augenblick auf den nächsten seine Arbeitsstelle verliert und nicht weiß, ob er im nächsten Monat in der Lage sein wird, anfallende Kosten zu decken, also Rechnungen zu begleichen und Nahrungsmittel zu erwerben, um selbst genug zu essen zu haben oder, in diesem Fall werden die Sorgen für gewöhnlich größer, seine Familie satt machen zu können, oder von der Natur, die ein Mensch empfindet, dem eine Diagnose zu Ohren gebracht oder vor Augen gehalten wird, die ihm bewusst macht, dass er an einer schweren Krankheit, die eine lange und risikoreiche Operation erforderlich macht, oder die überhaupt als unheilbar gilt und in kurzer Zeit, verbunden mit starken Schmerzen, unweigerlich zum Tod des erkrankten Menschen führen wird, eine Art Sorge, die sich steigert zur Angst vor dem, was passieren wird, Robert empfindet das stumpfe, das diffuse Gefühl der Unsicherheit, das des Nicht-Wissens, Nicht-greifen-Könnens der Dinge, die vor ihm liegen, die eintreten werden, geschuldet ist dies der Unsicherheit, welche die beiden positiven, seine eigene Zukunft und die seiner Familie in eine gute Richtung lenkenden Neuigkeiten des Tages in Robert keimen lassen, er ist erfreut über das Gute in den beiden Neuigkeiten, doch fühlt er im selben Augenblick, dass diese beiden Umstände, die Beförderung in der Firma, die ihn beschäftigt hält und bezahlt, sowie die Aussicht auf die baldige Erlangung der Doktorwürde, sein Leben, das Dasein, das er bis jetzt, bis zu diesem zwölften September im Jahr der Venlafaxinunverträglichkeit geführt hat, verändern, doch verbirgt Robert seine Sorgen vor seiner Familie, er möchte seine geliebte Ehefrau nicht mit seinen Sorgen belasten, ebenso-wenig die beiden geliebten gemeinsamen Töchter, mit Marion, seiner Ehefrau, pflegt er die Praxis des Miteinander-Redens nicht, er hat das, also das Reden mit Marion, trotz der Liebe, die zwischen ihm und ihr existiert, die so groß ist, dass ihr zwei Kinder entsprungen sind, nie gemacht, und er will in diesem Moment nicht damit beginnen, denn er fürchtet, von seiner Ehefrau nicht verstanden zu werden, er fürchtet sich davor, dass sie ihn nicht anhören wird und seine Sorgen, just an diesem Tag des Triumphs, dem Tag der beiden guten Neuigkeiten, als unbegründet abtun wird, und so schweigt Robert, trinkt eine Flasche Wein mit seiner Ehefrau, liebt sie dort, wo sie es am liebsten hat, auf dem Sofa im Wohnzimmer, ihre Töchter sind in ihren Betten und schlafen den unschuldigen Schlaf von Kindern, um sich nach dem Akt im Wohnzimmer gemeinsam mit Marion in das Ehebett zu legen, doch er findet, im Gegensatz zu Marion, die tief neben ihm schläft, keinen Schlaf, seine Sorgen wachsen und werden immer größer, das Nicht-Wissen, wie die neue Situation werden wird, wie sie sich anfühlen wird, wird Robert so unerträglich, dass er keine Sekunde länger im Bett an der Seite seiner geliebten Ehefrau zubringen kann, so steht er auf, gibt seiner Ehefrau einen Kuss auf die Stirn, präzise gesagt handelt es sich um den Hauch eines Kusses, er möchte sie nicht wecken, er haucht seinen beiden geliebten Töchtern zwei flüchtige Küsse zu, steigt, wie er gewandet ist, also in seinem Schlafanzug, in sein Auto und fährt, einer plötzlichen Eingebung folgend, zu einem Bahnhof außerhalb der Stadt, in der er mit seiner Familie lebt, und er macht sich nicht die Mühe, die Tür seine Autos zu schließen, auch dessen Scheinwerfer lässt er an, sie erleuchten gespenstisch die Umgebung, sie erleuchten die diffus im Nebel liegenden Geleise der Bahn, und Robert stellt sich auf sie, also auf die Geleise, wartet auf das Eintreffen des, gemäß dem Fahrplan der Bahn, nächsten Güterzugs, er sieht die Scheinwerfer der Lokomotive des Zugs auf sich zurasen, sie werden immer größer und heller und Robert steht auf den Geleisen und wartet.

Michael Timoschek

www.verdichtet.at | Kategorie: ärgstens |Inventarnummer: 17141

image_print

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert