Grauskopf

Mein Name ist Dr. Igor Kushkurow und ich bin Professor für angewandte Kreativität an der Staatlichen Schwarzrussischen Universität.
Für gewöhnlich forsche ich zu Themen wie ‘Die Vor- respektive Nachteile der bodennahen Haltung Schwarzrussischer Finkenbärbiber in außergewöhnlich gestalteten Käfigen oder Gehegen’, oder ‘Wie hat der schwarzrussische Literaturbetrieb auf ein Buch zu reagieren, welches kein Wort enthält?’. Ich darf diese beiden Forschungsgebiete kurz erläutern.

Ein Autor reicht zwanzig unbeschriebene Seiten beim Staatlichen Schwarzrussischen Literaturgroßverlag ein und möchte sein Werk als Roman veröffentlicht sehen. Nun, ich habe den Autor zum Essen eingeladen. Es hat mich zwar einige Mühe gekostet, aus den zwanzig Blatt Papier, die mir der Großverlag freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte, eine schmackhafte Suppe zuzubereiten, doch letztlich habe ich es fertiggebracht. Der Autor dieser zwanzig Seiten wollte sein, wie er es nannte, Hauptwerk erst nicht zu sich nehmen, doch als ich ihm sagte, dass ich meinen Schwarzrussischen Wolfseber holen würde, was diesen grässlich in Harnisch hätte geraten lassen, aß der Literat auf. Ein Wolfseber ist nämlich ein durchaus ernstzunehmender Gegner. Der Literat sah schließlich ein, dass ein Roman zumindest aus dreiundzwanzig Wörtern zu bestehen hat. Ich halte diese Anzahl für ausreichend.

Der Schwarzrussische Finkenbärbiber wiederum ist ein mittelgroßes, gesellig lebendes Wesen, dem allerdings um die Zeit des Vollmondes ein ausgeprägter Hang zum Kannibalismus immanent ist, solange er bodennah gehalten wird. Ich habe ein vollautomatisches Käfig- und Gehegesystem konstruiert, welches die unmittelbaren Folgen dieses Hangs, nämlich den Tod dieser Lebewesen, hintanhält.

Meine letzte Forschungstätigkeit hatte das Problem ‘Die galoppierend zunehmende Kraushaarigkeit weiblicher schwarzrussischer Jugendlicher als Problem auf dem Staatlichen Schwarzrussischen Verehelichungsmarkt, und mögliche Abhilfen’ zum Inhalt, und es handelt sich dabei fürwahr um ein großes Problem. Als Folge einer offenkundigen genetischen Mutation kamen zehntausende weibliche Jugendliche kraushaarig zur Welt. Meine erste Vermutung, alle diese Mädchen hätten den selben Vater, stellte sich als falsch heraus, denn mein guter Freund Dr. Dmitar Schwengeloff, seine beiden Ehefrauen nennen ihn oft ‘wilder Eber’, und er ist selbst kraushaarig, versicherte mir, dass er seine Gattinnen nie betrogen hatte.

Als Ursache dieser Mutation konnte ich letztlich den Verzehr Schwarzrussischer Bockkarpfen ausmachen. Diese Fische ernähren sich vorzugsweise von Schwarzrussischen Gänsefalken, die sie unter Wasser ziehen und mit ihren neunundachtzig messerscharfen Zähnen zerteilen. Die Gänsefalken ernähren sich pflanzlich, sie fressen Wassertulpen und Sumpfagaven. Diese beiden Pflanzenarten sind stark mit DAP, einem Pestizid bester schwarzrussischer Provenienz und Permanenz, was die Dauer der Wirksamkeit anlangt, kontaminiert. Sofort ließ ich den Fang der Bockkarpfen untersagen. Ich halte das für ausreichend, um die Ausbreitung der Kraushaarigkeit einzudämmen.

Danach stand ich vor dem Problem der Kraushaarigkeit zehntausender Mädchen.
Die Schwarzrussisch-Orthodoxe Glaubensfirma lehnte es ab, eine Art Riesenkloster für die Kraushaarigen zu errichten, der Großpatriarch bezeichnete mich gar als endgültig übergeschnappt.
Der schwarzrussische Vizeminister des Inneren weigerte sich, einen von mir vorgeschlagenen Gesetzesentwurf überhaupt zur Debatte zu stellen, wonach sich alle kraushaarigen Mädchen jede Woche zweimal in der jeweils nächstgelegenen Kaserne einzufinden gehabt hätten, um sich das Haupthaar scheren zu lassen. Der Vizeminister nannte mich einen verrückten Zwangsenthaarer. Ich selbst rasiere mir nämlich zweimal den Kopf. Und das jeden Tag. Obwohl ich nicht kraushaarig bin.

Auf dem Staatlichen Schwarzrussischen Verehelichungsmarkt, der am Rande der Großhauptstadt gelegen ist, lehnten es die dort amtierenden Verehelichungsfachmänner ab, neue Kategorien wie kraushaarig-blond, -rot oder -schwarz einzuführen. Selbst mein Vorschlag, diese Kategorien umzubenennen, in krond oder krot, fand kein Gehör.
Mein Freund Dr. Schwengeloff, der Eber, brachte mich in einem langen Gespräch auf die Lösung des Problems. Danke, Dmitar, und prost!

Mein Vetter Narbert Olgach, er ist reich, hatte sich dankenswerterweise bereit erklärt, eine großangelegte Werbeaktion zu finanzieren. Die Sache, also der Krause den Kampf anzusagen, liegt mir nämlich sehr am Herzen. Im gesamten schwarzrussischen Staatsgelände ließ ich riesige Plakate anbringen, auf welchen in Signalfarbe geschrieben steht: ‘Krause muss nicht sein - weder zuhause noch daheim - wenn ihr böse Krausen seht - sollt ihr sprechen ein Gebet!’

Ich durfte nämlich in zahllosen Selbstversuchen herausfinden, dass Gebete helfen, die täglichen Probleme des schwarzrussischen Lebens zu beseitigen. Sie werden jetzt lachen, genau so, wie mich der Großpatriarch ausgelacht hat, als ich ihm meine Erkenntnis mitgeteilt habe. Aber es stimmt. Mein Freund, der Eber, hatte recht, als er meinte, dass ich wohl nur noch durch das Gebet zu retten wäre. Ich kann nicht verstehen, dass mir das nicht selbst eingefallen ist. Dabei wurde ich schon so oft durch Gebete gerettet.

Wie damals, als ich meinen Bruder schabernackiert hatte. Ich hatte die Blößen der Frauen in seinen geliebten Magazinen übermalt, die der Männer jedoch ließ ich stehen. Mein Bruder geriet so sehr in Harnisch, dass ich befürchtete, er würde mich schlagen. Also betete ich. Und meine Gebete wurden erhört. Unsere Mutter kam und entdeckte die eindrucksvolle Sammlung an Magazinen im Lernzimmer meines Bruders. Daraufhin verschwand sie mit meinem Bruder, den sie, wie ich mich erinnere, an seinem Ohr in sein Lernzimmer zog, und ich war gerettet.

Oder als ich einen lebenden Nachtklauengreifer, eine wirklich fürchterliche Bestie, in die Schule mitgebracht habe und der Vogel vor der Zeit aus seiner Betäubung erwachte. In diesem Augenblick haben, so glaube ich, alle im Klassenzimmer gebetet. Und es ist wirklich nichts passiert. Ich glaube aber, dass unser Professor der Biologie nicht richtig gebetet hat, denn er wurde nach diesem Vorfall versetzt. Wenn er nicht schon pensioniert ist, mäht er immer noch den Rasen vor der Schule.

Sie sehen, Gebete helfen. Und nachdem sie mir stets helfen, helfen sie auch allen anderen Menschen, selbst den Krausköpfigen.
Mir ist natürlich bewusst, dass viele der jungen Frauen ihre Erlösung nicht im Gebet suchen werden. Da ich jedoch ein guter Mensch bin, dessen größte Freude es ist, anderen Menschen Gutes zu tun, bin ich außerstande, die jungen Frauen, die nicht beten, mit ihrer Krausköpfigkeit einfach im Stich zu lassen.
Aus diesem Grund habe ich mir von meinem reichen Vetter Narbert, er verdient sein Geld übrigens mit der Herstellung von Pestiziden, eine wirklich große Summe, um präzise zu sein handelt es sich um zwei Milliarden Schwarzrussische Rubel, geliehen.
Mit diesem Geld habe ich eine Kette von Haarschneideläden gegründet und eine Fabrik, in der Mützen und Hauben hergestellt werden, erbaut.
Sie sehen, mein Kampf ist noch nicht zu Ende.

Michael Timoschek

www.verdichtet.at | Kategorie: schräg & abgedreht |Inventarnummer: 17061

 

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