Archiv des Autors: Redaktion verdichtet.at

Neuer Boden

Wohin gehst du, wenn du stirbst?
Tritt dein Fuß auf neuen Boden,
oder löst du dich auf,
langsam, indem du dich immer mehr von deinem Körper entfremdest,
oder blitzartig, wo du in winzige Teilchen zerfällst, die restlos verschwinden?
Du wirst es wissen, wenn es an der Zeit ist.

Die Beach Party am 10. Juli 2020 auf der Wörthersee-Ostbucht

Die Beach Party am 10. Juli 2020 auf der Wörthersee-Ostbucht

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: ¿Qué será, será? | Inventarnummer: 25104

Das Muttermal

Das Muttermal ist nun auf ihrem anderen Fuß. Es liegt genau seitenverkehrt. Das ist nicht sie! Aber auch als Kopie nehme ich sie liebend gern.

„Komm zu mir, mein Schatz! Wir werden eine schöne Zeit haben“, sage ich zu ihr. „Bei mir wird es dir an nichts fehlen.“

Die junge Frau mit Tasche und Schlapfen

Die junge Frau mit Tasche und Schlapfen

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: ¿Qué será, será? | Inventarnummer: 25103

Die schwarzen Sterne

Die Dunkelheit kommt früher, und sie bleibt länger.
Bis nur noch sie am Himmel sein wird.
Die schwarze Sonne steigt und sinkt.
Ebenso wie der schwarze Mond über den Himmel wandert, der sich in jeder Nacht verändert.
Und die schwarzen Sterne geben Kälte statt Wärme.

Die weiß-schwarze Uhr am Praterstern zeigt 20 Uhr 21

Die weiß-schwarze Uhr am Praterstern zeigt 20 Uhr 21

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: Kleinode – nicht nur an die Freude | Inventarnummer: 25102

Steiermärkisches Kulturwürstchen

„Das geht sich alles aus“, dachte ich mir, als ich vor dem Grazer Landhaus stand, in dem der Landtag Steiermark seine Sitzungen abhält. „Natürlich ist dessen Zusammensetzung keine Idealbesetzung, aber eine Demokratie muss das aushalten.“
Ich zündete mir eine Zigarette an und blies den blauen Rauch weg von mir, als ich von hinten angerempelt wurde.
„Kannst du nicht aufpassen, du linke Bazille?“, rief der sichtlich verärgerte Mann mit der markanten Narbe auf der Wange, während er seinen azurfarbenen Schal, den er bei seiner Rempelei verloren hatte, vom Boden aufhob.
Ich entschuldigte mich sofort, denn ich hatte Angst, dass er mir auch eine Narbe verpassen würde.
„Schau dass du Meter gewinnst, du Würstchen!“, riet er mir. „Am besten, du gehst zum Griesplatz und isst dort dein Kebap!“

Ich war sprachlos. Wie konnte mich dieser Mann als Linken identifizieren? Bei einer weiteren Zigarette dachte ich darüber nach, und bald wusste ich es: Es war mein Schal!
Ich trug einen rot-schwarz gestreiften Schal, denn ich bin Fußballfan, doch diesem Menschen erschien ich wohl wie ein überzeugter Großkoalitionär, für ihn war ich also offensichtlich ein Linksradikaler. Ich erkannte, dass die blaue Farbe seines Schals wohl nicht dem Ausdruck seiner großen Liebe zu Italiens Fußball geschuldet war.
Die Erwähnung des Kebaps erklärte ich mir anfangs mit meiner Leibesfülle, die ein Hinweis auf den Genuss einer Vielzahl dieser Köstlichkeiten sein könnte; jedoch nur, wenn man mit meinen kulinarischen Vorlieben vertraut ist, was der Mann nicht sein konnte.

Ich ging eine Runde um das Landhaus und dachte darüber nach. Plötzlich stand die Erklärung für die Erwähnung des Griesplatzes und des Fast Foods vor meinen Augen.
Als junger Mensch musste er Furchtbares erlebt haben, das bewies die offenbar seit vielen Jahren verheilte Narbe auf seiner Wange. „Wahrscheinlich ist der arme Mensch mit etwas Scharfem wie einem Kebapmesser angegriffen und verletzt worden, während er in der Nacht in einem Lokal auf dem Griesplatz war“, dachte ich. „Vielleicht hält er aus diesem Grund nichts von Kebap.“
Diese Theorie hielt ich für glaubhaft.

Dass er mich Würstchen genannt hatte, ließ mich vermuten, dass er gerade an den Verzehr eines solchen gedacht hatte, als er mit mir zusammenstieß. Mit seinen glasigen Augen und dem leicht rötlichen Teint machte er auf mich den Eindruck, ein Mann zu sein, der einem fetttriefenden, mit Schweinefleisch, Speck und Zwiebeln gefüllten Darm selten abgeneigt war und mit Lammfleisch, Gemüse und Fladenbrot wenig anfangen konnte.
„In der Steiermark wird es nun ruppiger zugehen“, dachte ich mir.
„Dieser Herr ist der beste Beweis dafür. Solche Menschen werden von ihresgleichen dazu auserkoren, die neue sogenannte Elite zu spielen. Bis sie eben wieder abgewählt werden, nachdem sie sich am Trog sättigen konnten. Und was soll aus Kunst und Kultur werden? Lederhosengejodel und heimattümliche Dichtung statt gehobener Kultur? Aufsteirern und absahnen statt Dezenz und Integrität? Wir werden sehen.“

„Schau, dass du Meter gewinnst“, hat der Mann zu mir gesagt. Ich denke, dass viele und vieles in der Steiermark keine Meter mehr haben. Subventionen werden gekürzt oder gestrichen, einiges wird sich dann vielleicht nicht mehr ausgehen, doch eines wird sich ausgehen: Wir werden, während wir auf bessere Zeiten hoffen, hinschauen, und zwar ganz genau!

Michael Timoschek

www.verdichtet.at | Kategorie: ¿Qué será, será? | Inventarnummer: 25100

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Durchhalten

Wenn man die Morgennachricht hört,
ist man frühzeitig verstört.
Am liebsten möchte man die Decken
sich über’n Kopf zieh’n und verstecken.

Da wird mit Zöllen rumgemacht,
die Börsen krachen, gute Nacht!
Demokratien kämpfen ums Überleben,
Gen Z bleibt auf den Straßen kleben.
Nichts als nur Probleme wälzen,
die Welt wird hin,
die Gletscher schmelzen.

Es jammern Junge, wie die Alten,
hier ist es fast nicht auszuhalten.
Liegt’s bloß am Hirn, zu fokussieren,
auf Erschreckendes zu reagieren?
Bemerken häufig, was uns fehlt.
Positives scheint gezählt.

Selbst ein Sonntag, warm und hell,
lässt uns zweifeln, gar zu schnell.
Darf das sein, in Stadt und Landel?
Ist es schon der Klimawandel?

Wenn du kannst, dann ignorieren,
lies halt keine Zeitung mehr!
Bloß nicht zu viel informieren,
muss auch so geh’n, bitte sehr!

Die Kunst scheint, informiert zu werden,
ohne Wut und ohne Zweifel.
Doch was hilft gegen die Trauer? Sterben?
Zuversicht scheint echt beim Teufel.

Ich beginn zu recherchieren,
nach Mitteln für die Leichtigkeit:
Algorithmen antrainieren?
Posts, die fluten, rasch blockieren?
Micky Maus statt Neuigkeit!

Halte News an feste Zeiten, pfeif auf trommelnden Bericht!
Nun, er tut es, wie wir wissen, gar zu oft, bis dass er bricht,
lass das Handy doch mal stecken, einmal ist pro Tag genug,
geht nicht allzu oft zum Brunnen, wie es heißt, derselbe Krug?

Die Teilnehmer der Polykrise warten zitternd
auf ein für alle rettend’ Wort.
Ohne einen Spielraum witternd,
eilt die Hoffnung weiter fort.

Das Wort, das uns vorm Schlimmsten schützt,
gilt nicht, sagst es nur du.
Wenn wir woll’n, dass es was nützt,
braucht’s vielmehr andere dazu.

Norbert Johannes Prenner

www.verdichtet.at |Kategorie: think it over | Inventarnummer: 25097

Neues Licht

Im Erträumen von neuen Räumen
hast du die Liebe neu erdacht,
die in den Spuren deiner Worte
in meinem Herzen sich entfacht.
Und das Erlebte, dicht an dicht,
reinkarniert im neuen Licht.
Dehnt sich aus über Zukunftsgelände
und macht es vertraut, bis zum Ende.

Claudia Lüer

www.verdichtet.at | Kategorie: Kleinode – nicht nur an die Freude |Inventarnummer: 25096

Freundschaft Plus

Claras Kopf ruht auf Sandros dicht behaarter Brust; sie hat ihre Augen geschlossen und genießt seine zärtlichen Streicheleinheiten auf ihrem Rücken. Sie fühlt sich in seinen Armen so sicher, geborgen, wie noch nie bei einem Mann. Ihre rechte Hand ruht neben ihrem Kopf auf seiner Brust, ihre linke unter seinem Rücken. Sie fühlt sich ruhig, versucht, den Moment nicht zu zerdenken. Er riecht nach Sandelholz und Schweiß – beruhigend, wie sie findet. Als sie für einen Moment die Augen öffnet, stellt sie fest, dass seine geschlossen sind, auch seine kreisenden Handbewegungen auf ihrem Rücken werden immer langsamer. Er scheint bald einzuschlafen.

Keiner der beiden hat es so weit kommen lassen wollen, vor allem, weil beide genug Gründe finden, warum nicht mehr als Freundschaft zwischen ihnen sein soll, wenn überhaupt.

Clara betrachtet ihn im dämmrigen Abendlicht, das durch das große Fenster ins Wohnzimmer fällt: Er wirkt verletzlich, selbst im Halbschlaf scheint er auf der Hut zu sein, den Schutzschild hochgezogen, obwohl er ihr schon überraschend viel gezeigt, erzählt hat. Er hat sie in den letzten Monaten immer wieder weggestoßen, manchmal so hart, dass sie sich gefragt hat, warum sie noch hier ist. Und dann hat sie sich daran erinnert, dass auch sie ihm diesbezüglich nichts schuldig geblieben ist. Sie streichelt sanft seinen Oberkörper, ehe sie vorsichtig aufsteht, um auf den Balkon hinauszugehen. Vom fünften Stock sieht man einige der Stadtberge, deren Gipfel mit dem Horizont in einer zärtlichen Umarmung zu verschmelzen scheinen. Die frische Luft des winterlichen Abends riecht nach Regen – für die Nacht war ein Unwetter angesagt. Clara liebt stürmische Nächte, seit sie denken kann, hilft ihr das Geräusch gegen Fenster prasselnder Regentropfen beim Einschlafen.

Clara schließt die Augen, atmet tief durch, als sie spürt, wie sich Sandros Arme sanft, vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken, von hinten um ihre Hüfte legen. Entspannt lehnt sie sich zurück, die Augen noch immer geschlossen. Wie beruhigend seine Präsenz ist; sie zwingt sich, nicht daran zu denken, dass er vielleicht auch mit anderen Frauen solche Momente teilt. Doch wenn dem so ist – sehen auch sie den verletzten Jungen, der noch in dem starken Mann vorhanden ist? „Komm rein, Süße“, flüstert er, „es ist kalt. Ich mache uns eine Suppe warm.“ Süße. Unverbindlich, scheinbar nah, doch nie zu nah, selbst in den intimen Momenten nicht. Doch seine Augen verraten ihn immer – die Sehnsucht danach, jemandem wieder wirklich nahe zu sein. Ob es nun sie oder eine andere Frau ist – der Wunsch, Liebe, Zuneigung, eine Beziehung zuzulassen, anzukommen.

Als Sandro den Topf mit der Suppe auf den Herd stellt, beginnt es zu stürmen – Clara geht zur offenen Balkontüre, um die regenschwangere, feuchte Luft einzuatmen. Es riecht nach frischem Toast, sie liebt den Duft der erfrischten, gereinigten Luft. Sie muss unwillkürlich an ihre auf dem Land, bei den Großeltern verbrachten Kindheitstage denken; die Gewitter sind, besonders im Sommer, so viel anders als in der Großstadt. Sie wendet sich wieder Sandro zu, der gerade Suppe in zwei Teller schöpft. Clara lächelt, sie genießt seine Fürsorge, die Kleinigkeiten, wie die Tatsache, dass er sie immer zudeckt, wenn sie sich einen Film ansehen, er sie zur U-Bahn bringt, wenn sie abends in ihre Wohnung fährt, und immer nachfragt, ob sie gut heimgekommen ist. Sie fühlt sich gut aufgehoben, vermisst ihn, wenn sie sich länger nicht sehen – auch wenn sie sich das nicht eingestehen möchte.

Als er ihr einen Teller reicht, erschrickt sie ob der Hitze des Porzellans und manövriert sich vorsichtig zur Couch. Kurz muss sie daran denken, wie sie sich vor wenigen Monaten per Mausklick über eine Dating-App, zu der eine Freundin sie überredet hatte, kennengelernt haben. Gerade als sie ihr Profil hatte löschen wollen, hatte ihr Telefon sie über eine neue Gefällt-mir-Angabe benachrichtigt, die sie nach kurzem Zögern erwidert hatte. Denn eigentlich fand sie ihn schon beinahe zu attraktiv, ausschlaggebend war sein Hund gewesen. Schon nach einer kurzen Unterhaltung hatten sie Nummern ausgetauscht, und sich verabredet – um Mitternacht vor dem Dom in der Innenstadt. Sie hatten bis in die Morgenstunden gesprochen, sich dem anderen völlig offenbart.

„Ich bin gespannt, ob du deine Meinung ändern wirst“, sagt Sandro schmunzelnd, als er den Film in den DVD-Player einlegt, „Herr der Ringe ist der beste Film überhaupt!“ „Das werden wir sehen“, antwortet Clara schmunzelnd, als sie seine Freude darüber, dass sie sich seinen Lieblingsfilm ansehen werden, bemerkt. Sie ist selbst gespannt, denn eigentlich ist sie kein Fan des Fantasy-Genres, will der Verfilmung aber dennoch eine Chance geben – zumindest dem ersten Teil. Ohne dass die beiden es bemerken, verrinnen die Stunden, als sie auf die Uhr sehen, ist es vier Uhr in der Früh und sie haben sich die ganze Trilogie angesehen. Zu ihrer eigenen Überraschung stellt Clara fest, dass sie am Ende sogar Tränen in den Augen hat. Sandro ist gerührt, als er im fahlen Licht der alten Stehlampe einen Blick auf sie wirft. Besonders das Ende hat sie mehr als erwartet berührt. Sanft streichelt er ihren Unterarm, drückt sie an sich und küsst ihren Scheitel. „Du Liebe“, flüstert er, „komm, lass uns schlafen gehen.“ Clara nickt und folgt ihm ins Schlafzimmer. Sie schläft gerne in seinen Armen ein.

Es vergehen einige Wochen, Sandro und Clara treffen sich mit ansteigender Häufigkeit, schreiben beinahe jeden Tag. Clara versucht, nicht zwischen den Zeilen zu lesen, dennoch erwischt sie sich selbst manchmal in Tagträumen. Der Winter hat die Großstadt dunkel werden, aber nicht zur Ruhe kommen lassen. Nur der Alltag ist von Zeit zu Zeit entschleunigt, die freien Tage ruhiger, in der Stille der eigenen vier Wände, weil das kalte Wetter nicht dazu einlädt, sich lange im Freien aufzuhalten, wenn man nicht gerade Glühwein und Punsch trinkt oder Wintersport betreibt. Clara kommt endlich dazu, auszumisten, Bücher zu lesen, die schon viel zu lange unbeachtet auf ihrem Nachttisch neben dem Bett liegen.

Es ist ein kalter, dunkler Abend, Clara hastet müde von der Arbeit nach Hause, wieder ist sie länger als geplant geblieben, ihre Überstunden häufen sich. Sie ist froh, dass sie – im Gegensatz zu Sandro – weder einen Hund noch ein anderes Haustier hat, obwohl sie gerne wieder einen Hund hätte, so wie früher, in ihrer Jugend, bevor sie nach Wien gezogen ist. Es ist schon dunkel, sie mag es nicht, alleine in dieser abgelegenen Gegend unterwegs zu sein. Um diese Jahreszeit behagen ihr die Manager-on-Duty-Dienste nicht, die sich beinahe immer länger als geplant ziehen. Was macht diese Zeit mit den Menschen, dass die meisten von ihnen zu degenerieren und Hausverstand und Eigenverantwortung abzugeben scheinen, sobald sie ihre eigenen vier Wände verlassen?

Sandro wirkt ihr gegenüber unentschlossen zugetan, als er ihr an diesem Abend die Wohnungstüre öffnet. Ihr Gefühl hat sie noch nie getäuscht. Eine seltsame Unruhe überkommt sie, als sie nach dem Duschen wieder in seine kleine Wohnküche kommt. Er wirkt seltsam in sich gekehrt, abwesend. Hat sie etwas falsch gemacht, ihn verärgert? Oder verschweigt er ihr etwas?

Doch sie will nicht fragen, ihre Intuition rät ihr, abzuwarten – noch ist es nicht so weit, dass die Dinge sich ändern, ihre Geschichte enden soll. Sie sprechen noch über ihren anstehenden Geburtstag Mitte Jänner, er möchte unbedingt dabei sein, ihr Umfeld endlich kennenlernen. Beide haben an den Weihnachtsfeiertagen und über den Jahreswechsel Dienst. Clara stört sich nicht daran, sie hat keine eigene Familie und zu ihren Eltern fahren möchte sie nicht. Doch zum ersten Mal seit vielen Jahren empfindet sie Ruhe, das Blatt scheint sich gewendet zu haben. Sie ist in ihrem Job angekommen, hat sich zu einer exzellenten Führungskraft entwickelt. Mit verblüfftem Stolz registriert sie die immer häufiger werdenden Abwerbe-Angebote auf LinkedIn – manche Headhunter sind schon beinahe aufdringlich.

Es sind nur noch wenige Tage bis zu ihrem Geburtstag, als Clara mit ihrer liebsten Kollegin und Freundin Mara auf dem Heimweg von einem Tanzkurs ist und sie spontan beschließen, noch etwas trinken zu gehen. Die beiden Frauen arbeiten seit drei Jahren zusammen, haben das Hotel, in dem sie arbeiten, mit eröffnet: Mara als Restaurantleiterin, Clara als Rezeptionsleiterin und Direktionsassistentin. Die ähnlich klingenden Namen haben sie von Anfang an amüsiert, mittlerweile sind sie unter den Kollegen nur noch als dynamisches Duo bekannt und arbeiten reibungslos zusammen. Doch Claras Herz wird schwer, als sie am nahe an der U-Bahn gelegenen Einkaufszentrum vorbeikommen, in dem Sandro als leitender Sicherheitsmitarbeiter arbeitet – sie hat ausgeblendet, dass er an diesem Abend Dienst haben könnte. Denn dieser Moment offenbart, was sie schon länger befürchtet hat: Sandro hat gerade Pause – die er in der Umarmung einer Kollegin genießt.
Ihre Blicke kreuzen sich kurz – und Clara drängt ihre Kollegin zum raschen Weitergehen, in der Hoffnung, dass er, wenn sie später zur U-Bahn muss, nicht gerade wieder Pause hat.

„Können wir reden?“ Sandros Whatsapp-Nachricht erreicht sie, als sie sich gerade setzen. Ihr Magen verkrampft sich, die junge Frau glaubt für einen kurzen Moment, sich übergeben zu müssen. Die Nachricht lässt sie unbeantwortet – ebenso wie die folgenden beiden. Clara ist froh um Maras Anwesenheit, die ihre Geschichte kennt – und ist dankbar für ihre Ablenkungsversuche. Die beiden lachen, für eine Weile vergisst sie das Gesehene. Es ist beinahe Mitternacht, als sie aufbrechen – Sandro ist nicht zu sehen, als sie zur U-Bahn-Station gehen.

Clara weint sich in den Schlaf, als sie endlich in ihrem Bett liegt, erleichtert, dass sie am nächsten Tag frei hat. Sie hat nur wenige Stunden geschlafen, als ein Läuten an der Türe sie weckt; es ist gerade fünf in der Früh. Der Blick durch den Spion verrät ihr, dass Sandro vor der Türe steht – zögerlich öffnet sie. Er sieht erschöpft aus, müde.

„Clara“, flüstert er, „es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass du es so erfährst, ich wollte es dir an deinem Geburtstag sagen, beim Verabschieden!“ „An meinem Geburtstag?“, fragt Clara kalt, „um den Abend zu ruinieren?“ „Warum bist du böse? Es ist ein Tag wie jeder andere!“ „Für dich vielleicht, ich mag meinen Geburtstag, und das möchte ich auch weiter tun. Es ist besser, wenn du gehst!“ Sandro ist überrascht von ihrer tränenlosen Kälte, sieht sie einen Moment lang schweigend an. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du dich in mich verliebt hast?“, will er schließlich noch wissen. „Weil ich es mir selbst nicht eingestehen wollte – nicht konnte!“, mit diesen Worten schließt sie die Türe und sinkt leise weinend zu Boden. Doch während die Tränen fließen, spürt sie, dass auch Erleichterung langsam einsetzt, ein kleines bisschen.

Clara schläft den Großteil des Tages, lässt ihr Handy auf lautlos. Erst spät liest die junge Frau Sandros Nachricht, ob er dennoch zu ihrer Geburtstagsfeier kommen kann, zumindest kurz, um ihr sein Geburtstagsgeschenk zu überreichen. Doch sie will ihn nicht sehen – sich nicht mit ihm auseinandersetzen, antwortet nur kurz  und schaltet ihr Handy aus.

In den nächsten Wochen zieht sie sich merklich zurück, lässt die Tränen zu – Tränen, die dafür stehen, dass sie nicht zulassen konnte, nicht mutig genug war, zu sich zu stehen. Löscht ihn auf Facebook, als sich sein Beziehungsstatus ändert, räumt die ganze Freundesliste auf – was sie schon lange tun wollte. Doch langsam lässt der Schmerz nach, manchmal in großen Schritten, manchmal kaum merklich. Clara beginnt langsam, sich wieder frei zu fühlen, eine lange verloren geglaubte Motivation findet sie wieder. Mara sieht ihre Freundin wieder lachen, spürt ihre Leichtigkeit zurückkehren.

Nur wenige Monate später sieht sie ihn zufällig, ohne dass ihr Herz in Aufruhr gerät, als er vor einer Bäckerei steht, auf jemanden zu warten scheint. Er bemerkt sie ebenfalls, selbst aus der Distanz erkennt er die Veränderung in ihrer Haltung, es scheint, als wolle er auf sie zugehen, als eine Frau mit zwei Kaffeebechern zu ihm kommt. Ihr Blick verfinstert sich, als sie erkennt, wem sein Blick in diesem Moment gilt. Energisch zieht sie an seinem Arm, doch Sandro zögert, ehe er seinen Blick von Clara abwendet.

Clara fragt sich für einen Moment, ob sie wirklich ein Fehler waren, oder ob sie nur vorläufig in unterschiedliche Richtungen gehen.

Cornelia Hell

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten| Inventarnummer: 25094

Fälschung

Wie schnell ist doch die Zeit verronnen,
und die Zukunft hat begonnen.
Social Bots schleichen sich ein,
geben vor, ein Mensch zu sein.
Heimlich und verdeckt und vif,
grausam manipulativ.

Ziemlich schwer macht’s zwischen beiden,
die Wahrheit von der Lüge scheiden.
Sie gefährden, wie noch nie,
Vertrauen und Demokratie.

Unser Schicksal scheint beschieden,
die lebensgroßen Humanoiden
verdrängen uns aus dieser Welt.
Wer, fragt sich, hat die bestellt?

Blech- und Aluminium-Krieger
bleiben übrig als die Sieger,
stehlen uns die sich’ren Jobs,
mit KI geht alles hops.

Braucht den Developer nicht mehr,
und auch nicht den Ingenieur.
Stimmen, die von Menschen stammen,
schafft KI, sie nachzuahmen.

Erst hat man darum gebeten,
Humanoide fest zu treten.
Die geraten nur ins Wanken,
weil sensorische Gedanken
schnell verhindern, dass sie fallen,
und das bringt mein Blut ins Wallen.

Jede weiteren Manöver
machen die Maschinen klüger,
taumeln bloß, nie fall’n sie um,
hirngesteuert, ach, zu dumm!

Bis jetzt war gut, so wie es war,
ein Mensch sei unverwechselbar.
In der Tat!
Jeder Mensch ein Unikat.

Hilferuf! So soll es bleiben!
Nichts als fakes! Es ist zum Speiben!

Wenn dich wohl dosierte
Deepfakes treffen, generierte,
die nichts nützen, bloß verleumden,
unter Freunden wie auch Feinden.

Desinformationen kleben
fest an deinen Mails soeben,
Cybermobbing heißt der Trick,
Mist verbreiten, das ist schick.

Erstellte Deepfakes fremder Wesen,
niemand weiß, wer ist’s gewesen?
Wenn man fragt, hab ich’s erlaubt?
So wird an deinem Ruf geschraubt.

Fragt man sich, wozu das alles,
ich versteh das nicht so ganz,
Ziel ist, hört man, schlimmsten Falles,
die globale Dominanz.

Norbert Johannes Prenner

www.verdichtet.at | Kategorie: ¿Qué será, será? | Inventarnummer: 25095