Ihr Gesprächspartner wurde ausgeloggt

Klick! Mich! An! schrie es ihm von der Webseite entgegen.
Mann, war ihm langweilig. Wo war er da nur gelandet? Ein Dienst, der „spannende  Unterhaltungen mit interessanten Menschen“ versprach, versuchte offensichtlich, ihn dazu zu animieren, nach einer besser kurzen als langen Weile eine kostenpflichtige Telefonnummer anzurufen.
Darauf würde er, Philologe, Philosoph und Intellektueller, sicher nicht hineinfallen. Never ever.
Aber neugierig war er doch. Und die erwähnte Langeweile …
Zudem war es höchst gefährlich, eine Lücke entstehen zu lassen. In der Ruhe lauerten die Gedanken. Davon hatte er erst einmal genug.
Geistige Überanstrengung jedenfalls war von dieser Seite nicht zu befürchten, deswegen nur los.
Klick!
Ah, eine junge Frau, wie vorhersehbar, ungebunden, chat (und mehr?)- willig bot ein „Gespräch“ an. Wie praktisch. Eventuell sogar zu „Studienzwecken“ verwendbar.
Das Übliche, wobei er nicht wusste, was in so einem Fall üblich war, ein Foto einer zu grell geschminkten Dame sollte ihm die „Unterhaltung“ schmackhafter machen, als sie es zu werden versprach.
Lobesworte folgten einigen einfachen Sätzen, wie gekonnt er doch formuliere, also in dieser Sprache: Du schreibst so gut. Du bist ein interessanter Mann.
Herausforderung angenommen, Erwiderung: Woher willst Du das wissen?
Das denke ich mir, wie du schreibst.
Mann, mühsam, aber doch, ein Kontakt, wo sonst keiner wäre: Sonst schreibe ich besser.
Sie, ganz auf einfühlsam trainiert: Hattest du einen anstrengenden Tag? Entspann dich etwas.
Dem anstrengenden Tag schien ein öder Abend zu folgen, er beschloss, dem einen Strich durch die Rechnung zu machen: Ich weiß gar nicht, warum ich Dir schreibe, es gibt Dutzende Menschen, mit denen ich mich besser unterhalten könnte.
Nicht gerade die feine Art.
Oh! Das hatte sie gerade tatsächlich geschrieben. Es begann ihn jetzt wirklich neugierig zu machen, folgte da ein „Du schlimmer Junge!“ oder eine anspruchsvollere Koketterie?
Sicherlich wurde der Schriftverkehr mitverfolgt, regelmäßig kontrolliert, ob die Angestellten auch tatsächlich leisteten, wofür sie bezahlt wurden: Lockrufe auszusenden, die unwiderstehlich waren, Suchtpotenzial hatten.
Oder hatte sie ihn durchschaut, dass er nur provozieren, irgendeine Reaktion erhalten wollte?
Nichts Einstudiertes, sondern tatsächliche Auseinandersetzung mit der Person am anderen Ende der Leitung sozusagen? Was für eine Art der Verbindung sollte das denn werden?

Na, beleidigt? folgte auf seine Nachdenk- und daher Schreibpause.
Klar, sie musste ihn ja doch bei Laune halten. Und zum weiteren Tastaturbearbeiten animieren.
Nein, gar nicht, ich habe bloß gemeint, so besonders vieles gibt es nicht, worüber wir uns unterhalten könnten, wir geben sicherlich nichts Persönliches und schon gar nichts Wahres über uns preis, übers Wetter werde ich mich sicher nicht unterhalten und nach Erotischem ist mir nicht, was bleibt also übrig?
Ihr halbherziges „Wieso glaubst du, so was bekommst du von mir?“ ließ ihn wieder zweifeln, ob das zu irgendetwas führen, jemals einen wie auch immer gearteten Sinn ergeben könnte.
Schließlich rang er sich durch, noch einmal zu antworten: Ich dachte, darum ginge es hier hauptsächlich.
Die Antwort verblüffte abermals: Dabei geht es um dich.
Schlichte und einfache Worte, die ihn nochmals ins Grübeln brachten. Ging es hier um ihn?

Ums Verdienen vermutlich, um das Ausloten seiner Dummheit, festzumachen an dem Grad des Widerstands oder der Bereitwilligkeit, einen schönen Teil seines Geldes loszuwerden.
Eine glatte Lüge also. Es war nie um ihn gegangen. Nicht bei der Hochzeitsplanung, die war so geworden, wie es sich die Braut in spe vorgestellt hatte, nicht bei seinen Vorlesungen, da ging es um die Lehrpläne, die ein anderer für sinnvoll erachtet hatte, nicht bei den Untersuchungen beim Arzt, wo nur versucht wurde, zu eruieren, wie lange seine Arbeitskraft auf möglichst hohem Niveau aufrecht erhalten werden konnte.

Er driftete ab, kein Wunder, bei den Belanglosigkeiten, die von ihr kamen.
Was maßte sich diese Frau an? Wieder so eine, die ihm die Welt erklären wollte. Hassenswert „positive“ Ratschläge, dazu dieses pinke, bemühte Lächeln, das ihn vom Bildschirm aus zu verhöhnen schien. Die kapierte rein gar nichts. Was hatte er erwartet?

Ich glaube, es ist genug. Sie schien sich leicht aufzuregen.
Aber ihm war sie einfach nicht gewachsen, warum sah sie das nicht ein? In Ruhe lassen sollte sie ihn, oder gut unterhalten. So etwas brauchte niemand.

Wie viel Zeit vergangen war, konnte er nicht einmal ahnen. Plötzlich war Schluss, ein eindeutiger Moment.
Warte, ich muss schnell etwas holen.

Der Hahn spannte sich ganz ohne Anstrengung (ein Klick), das war ein wirklich kostbarer Augenblick, aber was für ein Vergnügen, endlich, e-n-d-l-i-c-h auch abdrücken zu dürfen, nach all der Zurückhaltung, der Vernunft, der völlig unangebrachten Ratio!

Der Effekt war maximal. Ein ohrenbetäubender Lärm, ein Bersten, ein Splittern, eine Verzückung. Er war mittendrin im Leben. Dann diese Ruhe, das Einssein mit sich, eine unglaubliche und alles und vor allem ihn erfüllende Stille.

Bis er das nächste Geräusch hörte, die Haustüre, die sich wie von selbst öffnete.

Harsche Männerstimmen, vermutlich seine übermotivierten Nachbarn. Aber nicht nur.

Handschellen???

Endgültig ins Aus geklickt.

Carmen Rosina

www.verdichtet.at | Kategorie: schräg & abgedreht | Inventarnummer: 13021

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