Archiv des Autors: Redaktion verdichtet.at

Wacht auf, wacht auf!

Milliarden können es nicht schaffen,
hört, und staunt, von einem Affen,
sich von diesem zu befreien?
Wenn’s nicht wahr wär, echt zum Schreien.
Ein Phänomen nur, und das zählt:
Gottverdammte Männerwelt!

Lassen uns tyrannisieren,
schlagen, treten, schikanieren,
von ehemals Spitzeln und korrupten,
wie sich später bald entpuppten,
Geisteskranken und Agenten,
spiel’n mitunter Präsidenten.
Ist er erst einmal gewählt,
keiner sein Versprechen hält!
Gottverdammte Männerwelt!

Kriminelle Kleptokraten,
die das eig’ne Volk verraten.
Lügen, stehlen und missbrauchen,
die, wenn’s eng wird, untertauchen.
Blutrünstig, korrupt und mies,
wählt sie nicht, sind alle fies!

Unreif wär’n die Leut’, sag’n die,
starke Führung brauchen sie.
Prügel müsst dem Volk verschreiben,
die nicht hergehör’n, vertreiben.
Mag ertragen, wem’s gefällt.
Gottverdammte Männerwelt.

Dann also schnallt die Gürtel enger,
macht den Kerlen Angst und bänger,
werft sie auf die Scheiterhaufen,
haltet sie, lasst sie nicht laufen!
Tut ihnen dasselbe an,
das, was sie euch angetan.

Lasst sie eure Schmerzen spüren,
die ihnen schon längst gebühren,
so, wie sie euch oft gepeinigt,
gehasst, gefoltert und gesteinigt.
Hängt sie auf, am nächsten Ast,
so viele von ihnen, bis es passt!

Herunter dort vom gold’nen Sessel,
legt sie allesamt in Fessel!

Heraus aus der gold’nen Limousin’,
Vetter, Onkel und Cousin
Zündet diesen Haufen an,
dass er nichts mehr anstell’n kann.

Das Lametta reißt herunter,
Kopf ins Wasser, taucht sie unter.
wie sie es mit euch getan.
Bloß nicht zaudern, spuckt sie an.
Prügelt sie, bis dass es gellt!
Gottverdammte Männerwelt!

Selbst der Wunsch nach Macht den Kindern,
wäre besser zu verhindern.
Schon die Kinder spielen Krieg,
krank machend verfluchter Sieg!

Vorbilder sind weder Schiller,
Goethe nicht, sondern Godzilla.
Irgendein brutaler Scheiß,
und einer, der alles besser weiß.
Immer Macht und Ruhm und Geld:
Gottverdammte Männerwelt!

Worte auf Papier verschwendet,
all die Jahre, nichts beendet.
Alles fängt von Neuem an,
weil man sich nichts merken kann.
Einerseits zu blöd zum Lesen,
dann so tun, wär nichts gewesen.
Weil der Mensch nicht anders kann,
fängt er stets von vorne an,
der, dumm gebor’n und nichts behält,
in der verdammten Männerwelt.

So sucht nach geistigen Eliten,
solche, die euch Hoffnung bieten,
selbstlos, klug und auch gerecht!
Einen mit Bildung und Gefühl,
keinen, der macht, was nur er will!

Und seht euch vor, wen ihr anheuert,
nicht wieder einen, schwanzgesteuert,
mit viel Muskeln, ohne Hirn!
Bietet solchen jäh die Stirn!

Frauen schätzen Leib und Leben,
weil sie es sind, die’s schließlich geben.
Nichts davon versteht ein Mann,
weil er sich’s nicht vorstell’n kann.
Foltern Frauen oder morden,
rücksichtslos, wie Männerhorden?
Die Welt bedroh’n, zu lange schon,
bloß Kerle, voll Testosteron.
Wir brauchen wen, der zu uns hält,
nicht die verdammte Männerwelt!

Norbert Johannes Prenner

www.verdichtet.at | Kategorie: ärgstens | Inventarnummer: 25110

 

 

 

 

 

 

Christas Comeback

Redaktioneller Hinweis an alle, die (chronologische) Ordnung lieben:
Dieses Comeback hat eine Vorgeschichte.

 

Einleitung

Guten Abend und willkommen. Oder besser gesagt: willkommen zurück.

Wir erinnern uns an Weihnachten vor drei Jahren … Damals waren wir Teil einer ganz besonderen Selbsthilfegruppe  – für benachteiligte Weihnachtsdekorationen. Vielleicht haben Sie noch Christas Stimme im Ohr: drall, prall und mit einer erstaunlichen Portion Selbstironie. Eine Weihnachtskugel im Dauereinsatz fürs Füllmaterial, stets übersehen, aber nie zu überhören, wenn sie einmal zu sprechen begann.

Christa, die Christbaumkugel: Sie war nicht irgendein Dekoteil aus Plastik, sondern ein Wesen mit Haltung, Humor und einem erstaunlich klaren Blick auf das stille Elend des benachteiligten weihnachtlichen Behangs. Ihre Worte klangen wie ein Manifest für all jene, die zwar glänzen, aber nie gesehen werden. Christas letztes Spotlight war ein letzter Abschied unserer Protagonistin, bevor sie sich – hängend am Weihnachtsbaum – entschlossen der nächstgelegenen Kerze zuwandte.

Heute nun, meine Damen und Herren, kehrt Christa zurück.
Nicht zum ersten Mal, wohlgemerkt. Denn Christa ist eine Wiedergeborene im besten Sinne: ursprünglich ein Plastiksackerl mit tragender Funktion, dann eine Kugel mit Glanzanspruch – nun eine Form, die selbst sie noch nicht ganz versteht. Aber eines ist sicher: Das Universum hat sie nicht vergessen. Und es hat Humor.

Wiedergeboren in neuem Glanz, selbstverständlich plastikbasiert – denn wahre Unvergänglichkeit ist nun mal kein Nebenprodukt der Natur, sondern des Polyethylens. Wer braucht schon Zellulose, wenn man charismatische Chemie sein kann?
Nicht mehr an den Baum gehängt, sondern im Zentrum der Aufmerksamkeit – und das ganz ohne Bio-Siegel. Nicht mehr nur beobachtet, sondern bestaunt. Nicht mehr nur geschmückt – sondern gebraucht.

Lassen Sie uns gemeinsam hören, was aus ihr wurde. Und was aus uns werden könnte, wenn wir uns trauen, ein bisschen mehr zu leuchten, auch jenseits der Lichterkette.

 

Und nun: Christas Comeback

Kapitel 1: Wiedergeburt

Als ich zu Bewusstsein kam, war alles dunkel. Dann: ein Rascheln, gedämpfte Stimmen, ein Lichtschein, der sich vorsichtig durch eine Ritze tastete. Ich stand, geborgen in einer samtgefütterten Box und man präsentierte mich auf einem Podest, das sich langsam drehte. Ich war nicht mehr nur verpackt, ich war inszeniert. Das war neu …

Am unteren Rand meiner Verpackung stand in großen schwarzen Lettern

„The Boss“.

Ein Titel! Was für ein Upgrade!
Früher war ich bloß eine einfache Weihnachtskugel, dazu verdammt, Jahr für Jahr zwischen Lametta und Lichterketten zu baumeln – übersehen, unterschätzt und ignoriert.

Und jetzt? Jetzt hatte ich eine Identität, einen Rang und vielleicht sogar eine Mission!

Meine neue Form war … beeindruckend.
Kraftvoll, stramm und von kunstvollen Linien durchzogen, die sich wie Schicksalsfäden über meine dunkelbraune, nahezu ebenholzfarbene Oberfläche drapierten. Ich fühlte mich monumental und fast ein wenig majestätisch. Man gab mir zwei kugelrunde Pantoffeln mit flacher Unterseite und Saugnäpfen, die stets für einen sicheren Stand sorgen würden, doch das Beste war – mein Helm!

Ein junges Pärchen, das mich zuvor im Laden noch mit einer Mischung aus Erstaunen und Verlangen anstarrte, öffnete ehrfürchtig meine Verpackung. Ihre Augen glänzten. Ihre Finger strichen behutsam über meine Oberfläche, als hätten sie Angst, mich mit einer falschen Geste zu entweihen oder gar zu beleidigen.

Unmittelbar nach diesem ersten Akt der Bewunderung wurde ich gewaschen, eingeölt und immer wieder gepriesen.

Mein Leben hatte eine neue Richtung – und ich, Christa, war bereit, alles dafür zu tun, um meinen neuen Besitzern im Gegenzug für ihre Hingabe die größtmögliche Freude zu bereiten.

(Kurze, triumphierende Pause)

Kapitel 2: Die Spieleabende

Mein erster großer Auftritt kam schneller als erwartet: ein Spieleabend!

Zwar war dieser kein kirchlicher Feiertag – so wie ich es aus früheren Zeiten kannte –, jedoch gab es, was die Kirche betraf, sicherlich auch noch andere Feste, bei denen man so prachtvolle Gegenstände – wie mich – einzusetzen wusste.

Die Wohnung vibrierte von Stimmen, Lachen und dem sanften Klirren von Gläsern. Die Menschen schienen sich auf etwas zu freuen und die Stimmung war gelöst und heiter.

Und dann – die Präsentation:

Ich wurde hochgehoben und wie ein rituelles Werkzeug ins Licht gehalten, sodass alle Gäste meine volle Pracht bewundern konnten. Es folgte Staunen. Kichern. Bewunderung. Eine zierliche Frau gab sogar ein leises Seufzen von sich, was ich als zutiefst wertschätzende Geste verstand.

Als ich endlich zum Einsatz kam, wurde ich entschlossen gepackt, gedreht und in verschiedenste Positionen bewegt. Es glich einem Tanz und jede Bewegung schien bedeutungsvoll zu sein, denn die Reaktionen waren äußerst zufriedenstellend.

Als der Abend ein wenig fortgeschritten war, bekam ich sogar meinen eigenen Lederschmuck!

Man spannte mich in ein System aus Riemen und Schnallen, so kunstvoll, dass ich mich fühlte wie ein Rennpferd-Champion vor dem Start!

Manchmal hörte ich ein zartes Aufkeuchen, ein Lachen, ein genüssliches Seufzen. Es war, als würde ich eine tief verborgene Seite in den Menschen berühren. Ich war der Funke, der das Eis schmelzen ließ. Meine künstlerische Darbietung wurde mehrmals pro Woche aufgeführt, manchmal vor mehr, manchmal vor weniger Publikum, doch eines kann ich Ihnen sagen: Ich war verdammt gut darin!

Kapitel 3: Im Dienste der Freude

Was genau meine Aufgabe war?

Nun … manchmal fragte ich mich, ob es wirklich wichtig war, es zu verstehen.

Es gab keine Anleitung, keinen klaren Zweck, nur Wirkung. Und diese war unverkennbar.
Ich war nun kein bloßes Dekostück mehr. Kein benachteiligter Christbaumbehang ohne jegliche Bedeutung.
In diesem Leben war ich ein Katalysator. Ein Impuls. Ein Statussymbol.

Wo immer ich auftrat, veränderte sich die Stimmung:
Gesichter hellten sich auf, die Menschen öffneten sich und ließen ihre tief verwurzelten Barrikaden fallen. Zugegeben, manchmal auch mit etwas Nachdruck.

So manches Gespräch, das stockend begonnen hatte, geriet durch mich plötzlich in einen nonverbalen Fluss. Ich fühlte mich wie eine Diplomatin, die den Frieden ganzer Nationen garantierte.
Zwar fiel mir auf, dass mir Männer stets mit etwas mehr Ehrfurcht begegneten als Frauen, speziell wenn ich meinen Lederschmuck trug. Doch wie es mit neuen Bekanntschaften so ist, lösten sich die anfänglichen Zweifel meist durch ein vorsichtiges Herantasten in Luft auf. Ich wusste intuitiv, dass man mit Männern behutsamer umgehen musste, denn auch wenn sie nach außen hin hart erschienen, waren sie im Inneren weich und verletzlich.
Frauen hatten da weniger Berührungsängste, denn oft hatte ich das Gefühl, sie begrüßten mich wie einen langersehnten Freund, den sie schon eine Weile vermisst hatten.

Doch beim großen Finale konnte ich – ehrlich gesagt – keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern feststellen. Zudem wertete ich nicht, denn schließlich war ich für alle da.

Kapitel 4: Bittersüß

Trotz all meiner Erfolge und meiner umjubelten Auftritte blieb da etwas – eine leise, bittersüße Sehnsucht.

Ich fragte mich manchmal: Wer bin ich wirklich?
Bin ich ein Werkzeug, eine Erfüllungsgehilfin interaktiver Performance-Kunst oder war ich doch ein bisschen Zauber, geführt von zwei Händen?

Vielleicht war ja genau das mein Geheimnis:
Man musste mich nicht erklären. Die Menschen wussten instinktiv, womit sie es zu tun hatten, und man gab mir diese Form, um als sakrales Symbol zu fungieren. Ja, die Menschen waren gläubig und vielleicht war ich ihr Kultobjekt. Und wer weiß, vielleicht würde ich ja sogar irgendwann Kirchenwände zieren?

Auch wollte ich einen eigenen Slogan für mich erfinden. Leider waren „geschüttelt, nicht gerührt“ und „yes we can“ bereits vergeben, so habe ich mich letztendlich für „The Boss – Tiefe, die bleibt“ entschieden, denn für Oberflächlichkeiten hatte ich schließlich wenig übrig.

Aber nun Spaß beiseite – man wird ja wohl noch in aller Bescheidenheit träumen dürfen …

Doch neben all diesen Träumereien und Spekulationen weiß ich eines mit Sicherheit:
Wenn irgendwo das Licht gedimmt wird, langsame Musik erklingt und ein ehrfürchtiges Raunen durch den Raum huscht, dann ist es Zeit für mich, die Bühne zu betreten. Ich bin wieder da, mein Comeback ist gelungen.

 

Verena Tretter

www.verdichtet.at | Kategorie: fest feiern | Inventarnummer: 25111

Jonny and Maggie

Jonny und Maggie,
verlaufen sich im Wald.
Es ist so finster
und bloody-fuckin’ kalt.

Sie kommen an ein Häuschen,
von Süßigkeiten fein.
Wer mag der Herr wohl,
von dieser Hütte sein?

Hu-hu, da steht
statt ’nem Herrn
ein Weib davor.

Sie lockt die Kinder
heimtückisch vor ihr Tor.

Dann stellt sie sich ganz freundlich,
oh Jonny, welche Not!
Sie will ihn braten,
im Ofen drin, wie Brot.

Sonst noch was, du alte Schlampe,
du kriegst gleich eine auf die Lampe!
Die Maggie zeigt den Mittelfinger.
Und das wär vorerst noch geringer!
Nie und nimmer brätst den Bruder!
Blödes, altes Hexenluder!

Copyright: Norbert Johannes Prenner

Copyright: Norbert Johannes Prenner

Norbert Johannes Prenner (Text und Grafik)

www.verdichtet.at | Kategorie: Perfidee | Inventarnummer: 25099

Blockade

Es war damals im Sommer 2006. Ich hatte mich für den Spanischkurs an der Uni entschieden, obwohl meine Motivation dafür noch zu unterschwellig gewesen war. Schnell war auch die erste Stunde vorbei und wir wurden uns gegenseitig vorgestellt. Bei meinen nächsten Besuchen des ordentlich früh beginnenden Kurses sah ich auf der Bank rechts hinter mir eine Studentin, die mir sehr gefiel und zu der ich oft hinüberblickte. Damals hatte ich aber noch nicht den Mut, sie anzusprechen. Es vergingen ein, zwei Monate und die Spanischstunden waren mehr oder weniger dieselben.

Als der Kurs Mitte Mai früh anfing, setzte sich diese junge Frau unvermittelt neben mich, sagte, dass sie nicht in die nächste Stunde kommen könne und ich für sie dann mitschreiben solle. Mit dem Bleistift schrieb sie ihre E-Mail-Adresse auf mein Blatt und verabschiedete sich.

Was dann geschah, weiß ich leider nicht mehr so genau. Ich erinnere mich daran, dass ich ihr eine E-Mail, in der die Hausaufgaben standen, schickte, aber ich erinnere mich nicht mehr an das, was danach geschah.

Auf jeden Fall hätte ich diese junge Frau kennenlernen wollen, aber irgendetwas hielt mich davon ab, sie zu kontaktieren. Da ich mich in dem Kurs unwohl gefühlt hatte, meldete ich mich kurze Zeit danach ab. Ich sah die Studentin noch einmal an einem Abend vor dem Wohnheim, aber meine Blockade verschwand nicht.
Und dann denkst du dir: Wenn du schon einmal die E-Mail-Adresse hast – warum hast du ihr nicht geschrieben? War es Angst vor Zurückweisung? Schüchternheit? Auch heute weiß ich keine Antwort mehr.

Jahre vergingen, und obwohl ich mich später wieder an sie erinnerte, habe ich ihr nicht geschrieben.

Erst nach neun Jahren wieder eine schüchterne E-Mail. Ich erinnere mich noch daran, dass ich danach im Fernsehen eine Folge „Schätze der Welt – Erbe der Menschheit“ sah, als ich gespannt auf eine Antwort wartete.
Aber die Antwort blieb aus.

Später versuchte ich es erneut mit E-Mails, die nun ausführlicher geworden sind. Aber auch sie wurden nicht beantwortet.

Was ich zwischenzeitlich auch noch bemerkte, war, dass sich vieles von dem wiederholte, was ich neun Jahre davor erlebt hatte. Ich wusste, dass ich die Hobbys von damals nach dieser Zeit wieder aufnehmen musste, aber in einer besseren, intellektuelleren Form. Ein Beispiel waren die Western, die ich spät abends im Fernsehen sah und die mir guttaten. Am besten gefielen mir die klassischen US-Western, aber auch einige Italowestern. Ich nahm die Stimmung nun bewusster wahr, und auch die Landschaft und die Sonnenuntergänge, die ich mit denen aus der italienischen Landschaftsmalerei verglich.

Auch das Reisen nahm ich nach einer mehrjährigen Unterbrechung wieder auf. Wie beim Film nahm ich auch im Urlaub Eindrücke viel besser wahr und konnte mehr über die anderen Länder erfahren.

Aber am allermeisten hoffte ich darauf, dass sie sich bei mir melden würde und ich die Jahre, die mir verlorengegangen sind, mit ihr nochmals erleben könnte.
Also entwarf ich ein Szenario, in dem ich ihr etwas über mich und meine Motivation für den Spanischkurs schreiben wollte. Ich könnte auch anführen, dass es mir damals nicht so gut gefallen hat und dass ich – auch etwas überstürzt – den Kurs gewechselt habe. Danach würde ich ihr einen Rat geben, nämlich sich für Kultur zu interessieren, wenn sie es nicht ohnehin schon täte, und ihr von meinen Leseerfahrungen erzählen. Außerdem wollte ich ihr von meinen Vorlieben für Reiseländer – dies waren inzwischen der Ferne Osten und Griechenland geworden – berichten.

Und auf einmal merkte ich, dass sich inzwischen in mir etwas verändert hatte. Ich war viel achtsamer geworden. Es überraschte mich, dass mir diese Bekannte einmal unvermittelt zurückschrieb und dabei anmerkte, dass sie sich nicht mehr genau an diese Zeit erinnern könne, es aber schön sei, dass ich ihr so viele positive Gedanken entgegenbrachte. Sie könnte sich gut vorstellen, dass wir uns einmal in einer Eisdiele treffen.

Nach neun Jahren endlich wieder ein Treffen. Ich wusste gar noch nicht genau, worüber ich mit ihr hätte sprechen können, und für den Fall, dass ich in Verlegenheit geriete, überlegte ich schon vorher einige Stichworte. Es waren die bereits erwähnten Themen, aber ich wollte sie auch noch überraschen.

Das Treffen verlief noch schöner, als ich es erwartet hatte. Es überraschte mich doch sehr, dass sie so nachdenklich war und mir recht gab, dass es besser sei, Bücher zu lesen, auch wenn deren Handlung frei erfunden sei, als nur Tratsch weiterzugeben oder Stammtischgespräche über Politik zu führen. Sie erzählte außerdem, dass auch sie sich in dem Spanischkurs nicht wohlgefühlt und ihn im darauffolgenden Semester abgebrochen hatte. Die Jahre darauf waren vom Berufseinstieg geprägt – sehr viel Stress –, aber es gab auch schöne Momente, wie Urlaube.

Auch ich wollte noch darauf eingehen, was ich in den letzten neun Jahren getan hatte, und fasste zusammen, was ich gelernt hatte: „Es ist am wichtigsten, bewusster – auch auf die kleinen, zunächst unscheinbaren Dinge – zuzugehen. Wir lernen bald, nur das Große, Erhabene zu ehren, und wir schätzen andere, alltägliche Erfahrungen, die wir für trivial oder unbedeutend halten, klein und das möchte ich an einem Beispiel zeigen: Wie sehr gefielen mir die Spaziergänge im Hain, die Abende bei einem Film vor dem Fernseher oder auch nur ein Besuch in einem Café, aber vor neun Jahren habe ich das noch nicht so wahrgenommen und wollte lieber etwas Großes erleben. Eine Expedition, möglicherweise. Heute wäre ich glücklich, ich könnte einen Vormittag in der Kleinstadt flanieren und dabei ein paar Kuriositäten in den Schaufenstern entdecken oder mit einigen Menschen ins Gespräch kommen.“ Dabei unterbrach mich meine Gesprächspartnerin und sagte: „Genauso ging es mir auch. Aber ich habe relativ früh schon Erfahrungen gemacht, die mich glücklich gemacht haben – in meiner Arbeit als Pädagogin oder bei Spieleabenden. Da habe ich wirklich einige sehr schöne Stunden erlebt.“

„Eine andere Erfahrung, die ich gemacht habe, ist, dass sich doch vieles im Laufe der Jahre zum Besseren entwickelt hat. Es war doch meistens übertrieben, zu denken, dass mir doch nichts gelingt, wenn es nur etwas Zeit gebraucht hat, dass sich die Dinge geklärt haben.“  Sie erwiderte: „Das stimmt. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so gut deutsch spreche, aber mit der Zeit ist dies von alleine gekommen.“

„Ein Drittes wäre die Nostalgie. Wenn ich alte deutsche Filme aus den 1970er Jahren sehe, empfinde ich eine Sehnsucht nach der Mode und dem Design und möchte gerne wieder in einer Zeit leben, in der ich noch nicht geboren war. Aber es gibt ja zum Glück Schallplattenläden, die diese Sehnsucht etwas stillen können.“ „Oder Vintage-Läden“, warf sie ein. „Dort habe ich selbst schon einige schöne Sachen gefunden.“

Inzwischen fühlte ich dasselbe Behagen, das ich damals gespürt habe. Ich merkte, dass unser Gespräch nun zu einem Ende kommen würde, deshalb kam ich zu meiner Überraschung: „Da ich damals sehr schüchtern gewesen bin, dich aber immer toll fand, möchte ich mit dir etwas unternehmen, sozusagen etwas nachholen, was ich vor neun Jahren mit dir gerne getan hätte.“ „Und was wäre dies?“, fragte sie aufgeregt. „Ich hätte gerne mit dir einen Ausflug in eine andere Stadt gemacht. In keine Großstadt, sondern in eine der Nachbarstädte. Wenn ich mich damals mehr getraut hätte, wäre ich gerne mit dir nach Aschaffenburg gefahren, wir hätten die Stadt besichtigt und es uns in einem Park gemütlich gemacht. Bist du damit einverstanden, dass wir das nach neun Jahren nachholen?“

„Einverstanden!“, sagte sie, dabei spürte ich in ihrem Gesicht so etwas wie Herzenswärme.

Michael Bauer

www.verdichtet.at | Kategorie: ¿Qué será, será? | Inventarnummer: 25078

Vom Lesen und vom Sterben

„Ich kann das nicht lesen.“ Roberts kleiner Zeigefinger tippte vorwurfsvoll auf die handschriftliche Widmung auf der ersten Seite seiner wunderschön illustrierten Ausgabe von „Grimms Märchen“. Seit er zwei Jahre zuvor in die Grundschule gekommen war, ging er immer davon aus, dass er alles Geschriebene auch lesen konnte. Aber wer kann das schon?

„Du hast Recht“, sagte ich, „das ist auf eine alte, schwierig zu lesende Art geschrieben. Es lautet: Für Robertchen, mit Liebe – deine Oma Gertrude.“

„Ich kann mich nicht an sie erinnern! Wie sah sie aus?“

„Sie hatte ein sehr altes, gütiges Gesicht. Lange Haare, die hinten in einem Knoten zusammengehalten wurden – aber zwei oder drei kleine Strähnen wollten sich einfach nicht bändigen lassen und fielen ihr immer ins Gesicht.“

„Okay. Und wann hat sie mir dieses Buch geschenkt?“

„Ja, weißt du, das war eins meiner Lieblingsbücher, als ich so alt war wie du, und sie hat mir immer daraus vorgelesen. Sie war eine super Vorleserin!“

„Warum kann sie dann nicht kommen und mir etwas vorlesen? Du hast immer so wenig Zeit!“

„Schau mal, sie ist gestorben, als du erst zwei Jahre alt warst. Deshalb kannst du dich auch nicht mehr an sie erinnern. Aber sie hat dich sehr liebgehabt.“

„Was ist denn passiert? Wo war sie, als sie …?“

„Sie hat früher immer bei uns gewohnt, in dem großen Zimmer oben, das jetzt Mamas Arbeitszimmer ist. Aber als sie zu schwach geworden war, ging sie in ein Heim für alte Menschen. Da ist sie gestorben.“

Der kleine Robert fing an zu weinen. Ich weiß bis heute nicht, ob er vor der schwarzen Wand des Todes zurückgeschreckt war, die er niemals zuvor gesehen hatte, oder ob er schon dazu in der Lage war, eine Vorstellung von Altenheimen mit ihrer Einsamkeit zu entwickeln. Vielleicht hatte er von beidem eine ungefähre Ahnung bekommen. Oder kam in ihm eine nebulöse Erinnerung auf – vielleicht durch unvorsichtig gemachte Bemerkungen in der Vergangenheit – von dem Tag, an dem sie allein starb?

Wir waren bei ihr im Heim gewesen. Es war Karneval in Deutschland. Alle waren wir für den Rosenmontagszug verkleidet – Robertchen in seinem weißen Clownskostüm mit einem winzigen roten Punkt auf seiner Nase –, als sie uns anriefen. Meine Frau und ich fuhren schnell zum Heim, es war nicht weit. Wir luden Robertchen und seinen Buggy aus dem Auto und hasteten in das Zimmer, in dem sie seit dem Tod meines Großvaters allein wohnte. Sie hatte Fieber, war aber geistig ganz klar. Sobald Robertchen auf dem Arm meiner Frau in den Raum kam, fixierte sie ihn.

„Robertchen, Robertchen, komm her zu deiner Urgroßoma!“

Robert konnte mit seinen kleinen Armen nicht bis zu ihr hin reichen, deshalb musste ich ihm den Teddy in den Arm legen, den sie ihm unbedingt hatte geben wollen.

„Frau Schmitz macht diese schönen Teddys. Wisst ihr, die alte Dame, die dement ist und immer ihre Unterwäsche über ihren Kleidern anzieht. Sie ist eine gute, alte Seele. Ich hatte diesen hier schon vor Monaten bestellt, und jetzt ist er fertig!“

Der Teddy war groß und weich, und Robert fing sofort an, ihn ein bisschen auf und ab zu schütteln; dann untersuchte er sein Gesicht. Meine Oma schien erleichtert. Dann erzählte sie uns von der bösen Erkältung, die sie nicht loswerden konnte, und meinte, dieser Winter käme ihr endlos vor. Sie fragte auch nach unseren Aktivitäten zu Karneval, aber dann wurde sie wieder aufgeregt.

„Es ist schon spät, oder? Ist es nicht längst Zeit für Robertchens Mittagsschläfchen?“

Wir versuchten abzuwiegeln, sie zu beruhigen. Aber etwas in ihrer Stimme hatte Robert verunsichert, und er fing an zu greinen. Das passte gar nicht zu ihm, aber die ganze Atmosphäre in dem halbdunklen Zimmer mit dem Krankenhausgeruch und den gedämpften Stimmen kam ihm wohl nicht ganz geheuer vor.

„Ja, du hast Recht. Weißt du, was wir machen? – Wir fahren schnell nach Hause und kommen wieder, sobald er seinen Mittagsschlaf gehalten hat.“

Aber Robert verhielt sich weiterhin unnormal. Erst aß er viel langsamer als sonst und spuckte die Hälfte des Essens sofort wieder aus. Dann wollte und wollte er nicht einschlafen. Ich erzählte ihm irgendeine blöde Geschichte oder sang ihm ein dummes Gute-Nacht-Lied vor; ich erinnere mich nicht mehr so genau. Endlich schlief er ein – und wachte lange Zeit nicht mehr auf.

Stunden später – Robert hatten wir inzwischen zur Nachbarin gebracht – gingen meine Frau und ich den gleichen düsteren Flur bis zu ihrer Tür. Sie stand offen. Die Nonnen knieten auf dem blankgescheuerten Linoleum, und Omas ehemalige Verkäuferin, die ich noch nie leiden gemocht hatte, sagte: „Sie ist tot.“

„Weißt du, wenn deine Urgroßoma mir etwas vorlas, war das immer wie Urlaub. Oder wie ein schöner Sommertag – angefüllt mit dem Geruch vom frischem Heu, dem Summen von Bienen, dem Geschmack von Erdbeeren. Ein endloser, wunderschöner Urlaubstag.“

Ich überflog das Inhaltsverzeichnis mit all seinen lustigen und grimmigen Geschichten.

„Und wenn sie zu Ende gelesen hatte, habe ich mich immer nur an den Anfang der Geschichte erinnert, niemals an das Ende.“

Robert war während meiner Reminiszenzen seltsam still geworden. Dann nahm er behutsam meine Hand von der Inschrift und deutete mit meinem Zeigefinger auf das kleine Bild zu „Schneewittchen“.

„Okay, Papa. Es ist okay. Wollen wir jetzt lesen?“

Frank Joussen
aus „Kleinkrieg und Frieden„, hrsg. von Frank Joußen/D.C. Hubbard

www.verdichtet.at | Kategorie: auszugsweise | Inventarnummer: 25109

 

Die geschenkte Zeit

An jenem denkwürdigen Tag wachte Isidor spät auf. Müde blickte er auf den Wecker auf dem Nachttisch. Der kleine Zeiger erreichte schon 09:43 Uhr. Erschrocken stellte er fest, dass er verschlafen hatte.
Isidor stand auf und rannte ins Bad, um sich zu erfrischen. Nach einer schnellen Dusche putzte er sich die Zähne, zog sich an und nahm seine Aktentasche.
Schon 10:17 Uhr – er musste sofort zum Auto.

Die Müdigkeit war verflogen, jetzt dachte Isidor nur daran, so schnell wie möglich zu seinem Arbeitsplatz zu kommen. Er rannte zum Wagen, den er in der Nähe geparkt hatte, und sprang hinein wie in ein Fluchtfahrzeug. Doch als er versuchte, den Motor zu starten, stotterte dieser nur.
„Lass mich jetzt bitte nicht im Stich!“, bettelte er, doch sein sonst so zuverlässiges Gefährt hustete nur.
Dann muss ich mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, beschloss er.

Isidor rannte nach Hause und hastete hinunter in den Keller. Dort lehnte sein altes Fahrrad vernachlässigt in einer schummrigen Ecke. Er machte sich daran, das Fahrradschloss zu öffnen. Doch was war das? Die Kette war aus dem Zahnrad gesprungen!
Stimmt, da war etwas, erinnerte er sich, ich wollte ja das Fahrrad nach der letzten Tour reparieren. Hätte ich das bloß nicht vor mir hergeschoben! Dann eben der Bus.

Isidor eilte zur nächsten Bushaltestelle, die zwei Häuserblocks entfernt war. Er wartete fünf Minuten, zehn Minuten, nach fünfzehn Minuten verlor er die Geduld.
Was ist denn heute los? Nicht einmal auf den Bus ist Verlass, ärgerte er sich innerlich. Ohne auf den Fahrplan zu achten, verließ er entnervt die Haltestelle.
Wie es aussah, musste er zu Fuß zur Arbeit gehen. Nun gut – er wollte sich ohnehin wieder mehr bewegen.
Es regnete leicht. Der Asphalt glänzte. In den Pfützen bildeten die Regentropfen kleine Kreise.

Die erste Besprechung des Tages hatte er bereits verpasst. Die Kollegen würden gerade ihren zweiten Kaffee trinken, wenn er ankam. Sie würden den Kopf schütteln, wenn er keuchend und schwitzend zur Tür hereinkäme. Die zweite Besprechung war ebenfalls in Gefahr.
Isidor hatte einen Weg von etwa zwanzig Minuten vor sich. Leider hatte er im Durcheinander nach dem Aufstehen sowohl sein Mobiltelefon als auch seine Armbanduhr zu Hause vergessen. In einer Bäckerei fragte er nach der Uhrzeit.
„Es ist 10:53 Uhr“, antwortete die Verkäuferin. Sie stand hinter der Theke, in der viele verschiedene Gebäckstücke und Brotsorten präsentiert waren.
„Was darf’s denn sein?“
„Nichts, danke. Ich muss dringend zur Arbeit.“
„Ja, ja, die schwer arbeitende Bevölkerung hat es nicht leicht. Vor allem, wenn man arbeiten muss, während andere die Füße hochlegen“, sagte sie verständnisvoll.
„Ja, danke“, erwiderte Isidor, „ich muss dann weiter.“
„Einen schönen Tag noch“, rief die Verkäuferin ihm gut gelaunt hinterher.
„Einen entspannten Tag“, antwortete er und wunderte sich, warum die Frau so viel Verständnis gezeigt hatte.

Heute war doch ein gewöhnlicher Werktag, an dem niemand die Füße hochlegte. War die Verkäuferin komplett durcheinander?
Isidor ging zielstrebig weiter, schaute sich aber genauer um. So etwas, es waren nur wenig Menschen unterwegs. Gar nicht, was er von einem normalen Arbeitstag gewohnt war. Auch der Straßenverkehr war für gewöhnlich dichter. Waren alle Werktätigen schon in ihren Büros und auf den Baustellen?
Er musste jemanden nach dem Tag fragen. Ein älterer Herr im karierten Anzug kam ihm mit einem aufgespannten Regenschirm entgegen.

„Guten Tag, entschuldigen Sie die Störung. Können Sie mir bitte sagen, welchen Wochentag wir heute haben?“
„Heute ist ein Sonntag, guter Mann“, antwortete der Gefragte verdutzt. Isidor lachte schallend.
„Habe ich etwas Witziges gesagt?“, fragte der Mann verwirrt.
„Nein, ganz und gar nicht“, beruhigte ihn der Glückliche. „Sie haben mir den Tag gerettet.“
„Ich verstehe zwar nicht warum, aber es freut mich, dass ich Ihnen helfen konnte“, sagte der Mann heiter.

Isidor kaufte sich in einer Eisdiele zwei Kugeln Erdbeereis. Der Regen hatte aufgehört. Hinter den grauen Wolken trat schüchtern die Sonne hervor. Isidor spazierte mit dem Eis fröhlich in einen Park und setzte sich auf eine Bank. Seine Aktentasche legte er neben sich. In seiner Nähe führte eine Ente ihre watschelnden Küken zum Teich. Er lehnte sich zurück, genoss sein Eis und freute sich über die geschenkte Zeit.

Dario Schrittweise
dario-schrittweise.org

aus: „Kaleidoskopische Welten: Kurzgeschichten, Miniaturen und szenische Texte

www.verdichtet.at | Kategorie: an Tagen wie diesen … | Inventarnummer: 25108

Archiv April 2025

26.4.25: Norbert Johannes Prenner: Durchhalten
26.4.25: Norbert Johannes Prenner: Fälschung
26.4.25: Carmen Rosina: Susi, die KI, redet mit Paul, dem Chef
26.4.25: Claudia Lüer: Neues Licht
26.4.25: Cornelia Hell: Freundschaft Plus
26.4.25: Johannes Tosin: Im Jahr 2024 in Möderndorf
26.4.25: Johannes Tosin: Stein und Kohle
20.4.25: Michael Timoschek: (F)Eiernockerln mit grünem Salat
20.4.25: Johannes Tosin: Graviton
20.4.25: Norbert Johannes Prenner: Wenn …
20.4.25: Johannes Tosin: Der Zähler
20.4.25: Michael Bauer: Erinnertes, Geschriebenes
12.4.25: Cornelia Hell: Ein alter Freund
12.4.25: Johannes Tosin: Fort von hier
12.4.25: Norbert Johannes Prenner: Unter Verdacht
12.4.25: Johannes Tosin: Getreide
5.4.25: Bernd Remsing: Morgen
5.4.25: Frank Joussen: Die Wohlgerüche deines Gartens
5.4.25: Norbert Johannes Prenner: Unordnung
5.4.25: Cornelia Hell: Angsthase adieu
5.4.25: Johannes Tosin: Meerrettich
5.4.25: Wilfried Ledolter: In der Teebox
5.4.25: Johannes Tosin: Die Roboter-Gegenwart

Denkt die Frau

Wo bist du, wenn du nicht bei mir bist?
Machst du Überstunden?
Viel Arbeit mit deiner Sekretärin, ja?
Aber ich kenne das: Würde ich mich vor das Bürogebäude stellen,
wären alle Fenster schwarz.
Erzähl mir nichts, erzähl mir nichts,
aber frag ich dich?, nein ich frag dich nicht.
Wer bin ich denn, dass ich dir nachspioniere?
Nein, so weit bin ich nicht, lang noch nicht.
Doch warum denk ich an dich?
Es tut mir doch nicht gut, überhaupt nicht gut.
Ich werd Folgendes tun: Ich zeichne dich auf ein Blatt Papier
und radiere dich dann aus.
Von dir wird nichts bleiben,
und ich werde aufgehört haben, an dich zu denken.

Der Krokodilradiergummi

Der Krokodilradiergummi

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 25107

In der Vergangenheit

Ich kann den Mann angreifen,
aber ihn wegzustoßen oder ihn zu mir zu ziehen ist unmöglich.
Das Bild von ihm zittert.
Denn der Mann ist nicht bei mir, sondern nur sein Bild,
und das liegt in der Vergangenheit.

Die Eisenbahnunterführungen in der Villacher Straße bei Schneefall am 23. Januar 2023, von Westen gesehen

Die Eisenbahnunterführungen in der Villacher Straße bei Schneefall am 23. Januar 2023, von Westen gesehen

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: anno | Inventarnummer: 25105