Schlagwort-Archiv: an Tagen wie diesen …

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Très chic

In der Modeabteilung eines Einkaufszentrums sah ich eine Verkäuferin. Außerordentlich elegant gekleidet, in einem braunen Blazer, einem Oberteil in Leopardenfelloptik und einer schwarzen Lederjeans. Als ich sie auf die schöne Hose ansprach, streckte sie ihr Bein aus und bedankte sich. Als sie sich wieder umgedreht hatte, wünschte ich ihr noch alles Gute.

Michael Bauer

www.verdichtet.at | Kategorie: an Tagen wie diesen | Inventarnummer: 23189

Was soll ich dir sagen?

Ich weiß nicht,
was soll ich dir sagen?
Nie geht es gerade,
sondern immer in Schleifen.
Gut oder schlecht, wichtig oder unwichtig,
Stückwerk.
Immer ist da jemand, der dich braucht.

Die goldene Bogenschützin auf der Heckscheibe

Die goldene Bogenschützin auf der Heckscheibe

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: an Tagen wie diesen ... | Inventarnummer: 24004

 

Acht Monate

Acht Monate war er weg gewesen. Nicht zuhause, nicht bei seiner Freundin. Eingesperrt. Es hätte länger sein können, das wusste er, aber acht Monate waren lang genug, kein Sex, keine Berührung, kein Kuss. Jeden Tag totschlagen, bis der Stapel von toten Tagen acht Monate ausmachte.

Nun saß sie neben ihm auf dem Sofa, von der er ständig geträumt hatte, sich ausgemalt hatte, wie es wäre mit ihr – nun war es soweit. Sie küsste ihn, und er küsste sie. Sie hielt seine linke Schulter fest, und er streichelte ihren linken Oberarm. Ihre rote Unterwäsche blitzte hervor wie die Feuerwehr beim Brandalarm, zwischen ihren Brüsten war ein langer Strich.

Er ging nicht weiter, er ließ es dabei. Was er bisher gehabt hatte, reichte ihm. Nähe und Zuneigung. Das Weitere kam morgen.

JUNGES THEATER KLAGENFURT - LIEBELEI - ARTHUR SCHNITZLER

JUNGES THEATER KLAGENFURT - LIEBELEI - ARTHUR SCHNITZLER

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: an Tagen wie diesen ... | Inventarnummer: 24008

Festplatte

Da habe ich meine Abhandlungen über Biologie gespeichert, den Hunger der Seesterne, Knochenfische in der Tiefsee, jahrelange Arbeit. Genau wie meine astrophysikalischen Berichte, eine neue Theorie zur Entstehung des Weltalls, Parallelität durch jedes Ereignis. Und dann kratzt meine Festplatte und macht nach ein paar Minuten schlapp. Keine Chance, die Daten zu retten, ich habe es verbockt! Das war es dann mit dem Nobelpreis und dem Breakthrough Prize, zehn Millionen Schwedenkronen und drei Millionen Dollar sind durch den Gully geronnen.

Die Erforschung der Stanniolfolie

Die Erforschung der Stanniolfolie

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: an Tagen wie diesen ... | Inventarnummer: 24019

Schulanfang

An einem meiner letzten Kindergartentage, an dem wir das Schulgebäude gezeigt bekamen, regnete es. Ich hatte zu meinem Schulranzen den farblich passenden Regenschirm bekommen und ihn parat. Die Erzieherinnen haben mir ein anderes Kind zugeteilt, mit dem ich mir auf dem Weg zur Schule den Schirm teilen musste.

Es war ein Mädchen, für das ich mich immer interessiert habe, das mich aber nicht mochte. Als ich ihr beim Gehen den Regenschirm hielt, merkte ich, dass sie schön gekleidet war und sich dankbar fühlte, dass sie nicht nass wurde.

Zum ersten Mal merkte ich, dass ich mich in sie verliebt hatte. Leider besuchte sie eine andere Schule und ich habe nie wieder etwas von ihr gehört.

Michael Bauer

www.verdichtet.at | Kategorie: an Tagen wie diesen | Inventarnummer: 22137

Tag der Wunder

Es war schwül, ein Unwetter kündigte sich an, mein Kopf schickte mir Vorboten um Vorboten. Und noch dazu sollten wir an jenem Tag meine Großmutter begraben.
Oder zumindest bei einem Gottesdienst verabschieden, es würde später eine Urnenbestattung geben. Ich war mit meinen beiden Brüdern unterwegs nach Tirol, wo unsere Oma so viele Jahre gelebt hatte, das Gefühl war mulmig, die Familie unserer Großmutter chronisch zerstritten, mal diese Schwester mit jener, mal redete der Sohn nicht mit der Mutter, mal sie nicht mit ihrer Tochter. Es war eine Art Dauerzustand beim in Tirol ansässigen Teil der Familie, es fiel im Normalbetrieb nicht mehr groß auf. Sie waren laut, sie debattierten gern und leidenschaftlich, auch und vor allem, wie Außenstehenden schien, über Dinge, von denen sie zu wenig wussten. Aber eine Meinung dazu hatten sie gewiss. Und die von anderen gelten zu lassen, galt kaum als verfolgenswertes Ziel. Hauptsache, lautstark zum Ausdruck bringen, was man davon hält, dass der andere überhaupt etwas Abweichendes meinen könnte. Wer mit der höchsten Dezibelanzahl am längsten durchhält, ist der Gewinner, so kannten wir die Diskussionen im Hause unserer Großmutter.

Und nun war sie nicht mehr.

Spannend blieb, wie sich das Treffen mit unserem Vater und seiner zweiten Frau gestalten würde, wir hatten einander zu diesem speziellen Zeitpunkt Jahre nicht gesehen. Und auch die drei Tanten waren uns nicht wirklich vertraut, zu groß der Abstand, räumlich (eine in Deutschland, zwei in Tirol), zeitlich, emotional.  Unseren Onkel hatten wir einmal vor ein paar Jahren besucht, er und seine Frau begrüßten uns freundlich, andere Friedhofsgäste blieben im Hintergrund. Unser Vater und seine Frau hielten vor der Aufbahrungshalle Smalltalk mit uns Geschwistern, er fragte mich scherzhaft (?), ob ich denn wieder Nachwuchs erwarte. Ich verwies aufs Wohlstandsbäuchlein und Freude am Essen und ließ die Sache gut sein.

Über dem Friedhof selbst braute sich etwas zusammen, schwarz wie die Nacht ballte sich die Wolkenfaust. Wir waren froh, in die Kirche zu kommen, bevor das Gewitter über uns hereinbrechen sollte. Im Gotteshaus selbst erleuchtete ein Kerzenkranz den Sarg, ein Foto unserer Großmutter war davor aufgestellt, sie schien uns anzusehen, oder machte das das Flackern der Kerzen?

Die Gedenkmesse verlief, was das Wort Gottes betraf, recht unauffällig, bis auf das laute Donnergrollen und die Blitze, die die bunten Glasfenster von draußen schlaglichtartig beleuchteten.
Beides nahm zu, und schließlich war es finster: Der Strom war ausgefallen. Nun tauchte nur noch der Kerzenschein die kleine Kirche in schummriges Licht, und stakkatoartig flashten uns die Blitze. Die Anwesenden murmelten, blinzelten, schauten sich um: Es bleib dabei. Altar und Sarg im Kerzenschein, ansonsten Finsternis. Die Zeremonie endete wohl etwas schneller als geplant, denn die Unruhe im Publikum nahm zu.

Schließlich verließ der Zug die Kirche und kam vom Regen in die Traufe, sozusagen, die Verabschiedung der Trauergäste untereinander verlief kurz und bündig, denn das Unwetter war in vollem Gang. Die Urnenbestattung war für Wochen später vorgesehen, und die meisten aus der Trauergemeinde würden sich ja im Gasthaus, unweit des Friedhofes, in wenigen Minuten ohnehin schon wieder treffen.

Doch auch dieses war nicht verschont geblieben von Weltuntergangsstimmung und Stromausfall: Die Küche war mittlerweile kalt, das Essen halbfertig im oder am Ofen, die Gäste hungrig und aufgedreht, die Stimmung zwischen Gereiztheit, Resignation und Fatalismus angekommen.
Die Anwesenden saßen im Halbdunkel, behalfen sich mit Getränken und waren dermaßen überdreht und strapaziert, dass keiner mehr die Kraft hatte, gegen irgendetwas aufzubegehren, was ohnehin nicht zu ändern war, und so geschahen mehrere Dinge:

Zwei der drei Tanten, die geschworen hatten, ewig kein Wort mehr miteinander zu wechseln, lagen sich schließlich weinend in den Armen. Unser Onkel ließ uns von unserem Vater ausrichten, wir mögen uns doch zu ihnen an den Tisch setzen, und tatsächlich führten wir ein Gespräch miteinander.
Ich legte mich kurz in den Nebenraum auf eine Sitzbank, weil meine Kopfschmerzen unerträglich geworden waren. Und als ich meine Augen wieder öffnete, war der Strom zurück. Nach einer weiteren halben Stunde kamen schön langsam die gefüllten Teller an den Tischen an, man aß, was die Küche in der Geschwindigkeit hergab, und war schlussendlich zumindest gesättigt. Diese Zehrung hatte ihren Namen wirklich verdient.

Danach ging es ans Verabschieden, ab zum Auto meines Bruders, glücklicherweise war das Gewitter inzwischen beinah abgezogen und die Sonne blinzelte schon schüchtern vom Himmel. Wir machten uns auf den Weg nach Norden, circa drei Stunden Heimreise lagen vor uns. Da äußerte ich die Bitte, doch noch kurz einen Abstecher zum Sportplatz zu machen, dort stand das Haus, in dem unsere Oma in einer kleinen Wohnung ihre sechs Kinder ohne Hilfe eines Mannes oder einer anderen erwachsenen Person mehr schlecht als recht großgezogen und das sie bis vor ihrer Unterbringung in einem Pflegeheim schließlich allein bewohnt hatte. Dass ich es sehen wollte, war mir spontan eingefallen, als Abschluss dieses denkwürdigen Tages, und es lag beinah am Weg.

Wir nahmen also die kleine Straße dorthin, und was soll ich sagen … Hätte ich es erfunden, würde ich mich ein bisschen genieren für dieses Klischeebild, aber nachdem es nun einmal so war:

Direkt über dem Haus stand ein prächtiger Regenbogen. Er umrahmte das schmucklose graubeige Gebäude auf wundersamste Weise.  Wir schauten, staunten, schwiegen und fuhren nach Hause.

Carmen Rosina

www.verdichtet.at | Kategorie: an Tagen wie diesen ... | Inventarnummer: 22110

Valentinstag

„Hallo Fritzi, ich bin gerade beim Rudi. So schöne Blumen! Der Mucki läuft aufgeregt herum. Er ist ja ein ganz verspielter kleiner Hund. Ich werde noch ein Weilchen bleiben. Und was ist bei dir?“, spricht die ältere Dame, die alleine und ohne Blumen am Valentinstag des Jahres 2022 neben dem Kleinen See entlanggeht, in ihr Smartphone.

Two Hearts

Two Hearts

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: an Tagen wie diesen ... | Inventarnummer: 22042

 

Die übliche Behandlung

Frau Gertenschlank ruft über ihren Telephonapparat in der Praxis ihres Nervenarztes an. „Tüt-tüt, ja hallo, hier ist die Praxis von Doktor Sonnenfroh, was kann ich für Sie tun?“ „Grüß Gott, Fräulein, hier ist Frau Gertenschlank, ich brauche dringend einen Termin!“ „An welcher Krankheit leiden Sie, gnädige Frau?“, fragt die Sprechstundenhilfe. „Hysterie!“, sagt Frau Gertenschlank mit schrill gewordener Stimme, „ganz akut!“ „In Ordnung“, erwidert die Sprechstundenhilfe, „die übliche Behandlung?“ „Ja bitte, aber bald!“, gibt Frau Gertenschlank zurück. „Morgen um acht Uhr zwanzig hat Herr Doktor Zeit für Sie“, antwortet die Sprechstundenhilfe. „Das ist gut, danke!“, sagt Frau Gertenschlank.

Die Zeichnung Nächtliche Vision in einem Waldtal von Klemens Brosch,1905, Scan von Johannes Tosin

Die Zeichnung Nächtliche Vision in einem Waldtal von Klemens Brosch,1905, Scan von Johannes Tosin

Johannes Tosin
(Text und Scan)

www.verdichtet.at | Kategorie: an Tagen wie diesen ... | Inventarnummer: 22033

 

Prokrastination

Wer zur Prokrastination, dem notorischen Aufschieben, neigt, lebte in den Wochen des Lock-down recht bequem. Sie hatten sozusagen ein amtliches Alibi für das Nicht-Erledigen, das: Morgen ist auch noch ein Tag, mach ich morgen, sicher, versprochen!
Ich gehöre eigentlich nicht akut zu dieser Gruppe, stelle aber fest, dass ich davon schwer betroffen bin. Was für einen Stress hätte ich mir selbst gemacht, wenn ich ohne Corona das alles abarbeiten hätte müssen. Die Leute wollen schließlich ihr Geld.
So stellte ich eine Entschleunigung, Verlangsamung, Entzerrung des Alltags fest, das mehr nach innen gewendete Leben, und hätte diesen zunehmend angenehmen Zustand fast gelobt, wenn es nicht obszön wäre, ein tödliches Virus zu loben.

Heute, am 4. Mai, als wieder einiges mehr erlaubt ist, habe ich meine persönliche Liste erstellt. Eigentlich erschreckend, wenn man das schwarz auf weiß vor sich sieht.
In der Vor-Corona-Zeit hatte ich drei Bilder zum Rahmen in die Rahmenhandlung gebracht, Schuhe zum Schuster, einige Textilien zur Änderungs-Schneiderin, eine Lampe zur Reparatur in die Lampenschirmwerkstatt; ich habe Bücher bestellt, Frühlings-Neuerscheinungen oder als Ostergeschenke bestimmt. Alles nebenan, höchstens in Schrittweite. Mit meinem PC-Helfer hatte ich einen Termin ausgemacht, einen mit dem Installateur, auch beim Friseur und der Pediküre und zwei mit dem Fensterputzer Schorsch, der gleichzeitig als mein Wohnungshandwerker fungiert. Die schmerzlichste Absage war in meinem Allergie-Institut, das vielversprechend gegen meine Rhinitis vorgehen sollte. Und auch die beschädigte Lesebrille konnte ich nicht mehr zum Optiker bringen.
Mein weiser Perser Abdel von der Wiedner Teppichgalerie sollte in der nächsten Zeit zu mir kommen und ein paar Teppiche zu Reparatur und Reinigung abholen.

Post, Bank und Lebensmittelläden waren ja immer offen, in der Apotheke bezahlte ich das einzig notwendige Medikament vorläufig selbst, um nicht als „Gefährderin“ und Mitglied der „Risikogruppe“ eine Arztpraxis zu belasten. Das Reiseverbot machte mir keine Probleme, da ich für die gesamte Gartensaison keine längeren Reisen als bis auf den Hüttelberg geplant hatte.
Das Erfreulichste war, dass sich meine Buchhandlung schon in der zweiten Woche der Schließung per E-Mail meldete, dass sie an Werktagen zwischen 9 und 12 Uhr durch den Türspalt die bestellten Bücher durchreichen würden, ich das Geld in der Hand abgezählt mit einer Bonbonniere zurück hinein. Sie hätten auch ausgeliefert oder mit der Post zugestellt. So etwas verleiht Sicherheit und Zuversicht in Krisenzeiten: Mir kann nichts passieren. Aber auch ohne die ersehnten Neuzugänge hätte ich in meinen Bücherregalen genügend Lektüre gefunden, noch für Jahre in der Quarantäne. Altes und Neues, Ungelesenes, Anna Karenina, Krieg und Frieden zum wiederholten Mal, der neue Aphorismen-Band von Elazar Benyoetz und die Gedichte von Karl Lubomirski, fast noch ungelesen, warten auf mich. Das verheißungsvolle Buch „Vivaldi und seine Töchter“ von Peter Schneider habe ich auch noch nicht angefangen.
Da liegen noch „Das letzte Ufer“ von Nevil Shute und „Herr Kato spielt Familie“ von Milena Michiko Flasar, angelesen, unterschiedlich interessant.

Dann habe ich noch ein neues Rezept aus der Süddeutschen Zeitung kopiert: ein Hit für partyfreie Zeiten zu zweit.
Bliss Balls:
Datteln, Kokosraspeln, weißer Sesam, Haferflocken fein, Kardamom und ger. Hasennuss, mit ger. Mandelk., ger. Sonnenblumenkernen u. ev. Mandelmus.
Ich hätte sie ja schon gemacht, habe alles da, hab nur beim Hofer keine Kokosraspeln und keinen weißen Sesam gefunden. Jetzt bin ich aber wirklich am Ende. Irgendwo in den USA hat eine Vierjährige durchgedreht, Eltern und Personal angegriffen, weil ihr Lieblings-Hamburger-Laden geschlossen hatte. Aber den von dieser Zeitung angepriesenen Karottenhummus habe ich schon nachgemacht. Rezept ist nachzulesen. Eine Krähe ist aus dem Hof beim Fenster hereingeflogen und hat einen Ast von meinem Paradeiserstöckerl am Fensterbrett geklaut. Die denken, wir sind jetzt alle irre und bemerken das nicht.
Die Schuhe hab ich ebenfalls früh zurückbekommen, repariert, durch den Türschlitz gereicht und bezahlt. Das muss besonders delikat ausgesehen haben, weil ich mich zum bis auf einen Spalt runtergelassenen Rollladen niederknien musste, um die Schuhe entgegenzunehmen.

Für Friseur und Pediküre habe ich mich heute angemeldet, muss aber bis zum 8. Mai warten. PC-Mann, Installateur und Fensterputzer werde ich in den nächsten Wochen nach und nach abarbeiten. Ersatz für saubere Fenster wurden die in der Zwischenzeit erblühten Hofkastanien, frisches Grün mit weißen und rosa Kerzen. Ich glaube, sie belohnen mich und brennen heuer noch prächtiger. Demnächst kommen Flieder und Robinien dazu. Die Amselfamilien sind laut und üben schon für den ersten Ausflug mit den Jungen.
Eine Entdeckung: Der Mensch braucht nicht unbedingt eine Geschirrspülmaschine und kann trotzdem Mensch bleiben. Ich finde das Abwaschen unter fließendem Wasser, das „Pritscheln“, so inspirierend und meditativ, dass ich überlege, den Geschirrspüler überhaupt zu beseitigen. Wie viel Prozent der Weltbevölkerung leben ohne Geschirrspülmaschine? Zum Glück war es nicht der Gasherd, der havariert war, denn kochen am Lagerfeuer auf dem Schönbrunner Parkett, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

Als einmal der Fernsehapparat ein Blackout hatte, drehte ich an einer immerwährend besetzten Hotline mit unsinnigen Ansagen fast durch, brüllte einen Mitarbeiter an, als ich doch einmal durchkam, entschuldigte ich mich sofort und schickte einen Stoß mit Merci-Schokoladen an seinen Arbeitsplatz. Dann war die Blackbox wieder da und lieferte die üblichen 140 Kanäle, von denen ich höchstens fünf benütze, wenn ich überhaupt fernschaue. Die beim Schlosser bestellte neue Türklinke fürs Bad wird erst in den nächsten Wochen eintreffen. Das Versandhaus „British Shop“ entschuldigte sich in zwei Briefen so demütig für die „Unterbrechung der internationalen Lieferkette“, als sei es daran schuld. Der bestellte Strohhut „Miss Sunshine“ kann leider erst Ende Mai geliefert werden. Na, das werde ich wohl überleben.
In Restaurants gehe ich schon lange nicht mehr, mir schmeckt nur mein selbst gekochtes Essen. Natürlich blieb auch mein langjähriger Eierlieferant aus, mit den besten und größten Eiern von glücklichen Hühnern aus dem Burgenland. Ist aber auch eine verwindbare Einbuße meiner Lebensqualität. Ich hoffe, es geht ihm gut, denn er gehört tief hinein in die Risikogruppe.

Aber nicht mit einem Kleinen Braunen oder Gspritzten im Café zu sitzen, zum Beispiel am Platzl vor dem Café Worthner, Zeitung lesen und mit lieben Menschen tratschen zu können, das empfand ich als eine schmerzliche Einschränkung – „Herausforderung“. Ich erbreche mich inzwischen bei diesem Wort und kriege Schreianfälle. Und natürlich auch das Verbot des gemeinsamen Wanderns und Radfahrens im Freundes- oder Familienkreis.
Was ich vermisse: die ehrenamtliche Tätigkeit im Kafka-Museum in Kierling und die Kaffeekränzchen in der Gruft mit meinen selbstgemachten Marmeladen und Strudeln. Musste sie vor der Tür abstellen und hoffe, dass sie trotzdem angekommen sind.

Mir hat die Corona-Krise keine Gewalt angetan, ich habe keinen Verlust und keinen Schmerz erlitten. Die genötigte Ruhe auf den Straßsen habe ich als Wohltat erfahren. So könnte es öfter sein, dachte ich beim einsamen Spazieren über den ausgestorbenen Ring und durch die Kärtnerstraße zum leergefegten Stephansplatz. Genau vor 75 Jahren brannte die Stephanskirche nach den Bombenangriffen, drei Tage lang, weil die Wiener Feuerwehr auf Befehl der SS aus Wien abgezogen worden war. Keine immer zu ständigem Konsum auffordernden Schreiplakate mehr, sondern affichierte Aufforderungen zum Zusammenhalten und zu Solidarität, viele von der Regierung, die meisten aber von Großkonzernen, die schon wieder nach unserem Geld gieren. Wie die Corona-Viren nach unseren Bronchien und Lungen.

Trotzdem fühlte sich das Leben fremd an, ich selbst fremd im eigenen Leben, in gewisser Hinsicht unlebendig, wie das letzte, eingefrorene Bild in einem gestoppten Film, das Fotostill eines Sportlers im Weit- oder Hochsprung, das Bild eines Kugelstoßers, Basketballers oder Speerwerfers mit dem eingefrorenen Ball, in dem die Kamera noch den imaginären Schweif des Balls oder Speers eingefangen hat. Ein Leben, geronnen zu einem Punkt, nicht ganz in der Wirklichkeit.

Trotz aller Vergnügungen in meinen vier Wänden, vom Lesen der Bücher und Schreiben solcher bis zum immer erfreulichen Hören von Ö1 und besonders guten Filmen im Fernsehen – da wünsche ich mir für immer ein bissl Corona – bis zur lustvollen Introspektion, fragte ich mich, ob ich nicht auch ohne die familiären Störungen eines Morgens als ein Ungeziefer wie Gregor Samsa aufwachen würde. Denn ein einfühlender Nachbar hatte genau zur Quarantäne-Zeit mit dem Generalumbau seiner Wohnung begonnen. Zwei Stockwerke unter mir dröhnten die Presslufthämmer, dass die Mauern wackelten, die Bohrer und Hämmer, dass die Fußböden zitterten, und das von 7 Uhr früh an bis 17 Uhr. Als ich sie mit Hilfe der Polizei zu stoppen versuchte, lachte mich der Polizist nur aus:
„Reg’n S’sich ned auf, gnä Frau, die derfen des, und zwoa bis 21 Uhr, und jetzt iss erst zwöfe. Des is die Wiener Bauordnung.“ Das ging so drei Wochen, dann begannen die Feinarbeiten mit etwas leiseren Bohrern, wie etwa 20 Zahnärzte in einem Raum, dafür aber dazu noch fünf Hämmer mit dem typischen TokTokTok der Parkettleger und dem singenden Heulen der Kachelschneider.

Als die Arbeiter begannen, vor dem Haus und vor meinem Fenster mit Stein- und Stahlschneidern zu operieren, beschloss ich, ins Gartenhaus zu übersiedeln. Da holte mich der kurze, aber heftige Wintereinbruch mit Schneestürmen und minus 5 bei mir oben am Berg ein und trieb mich zurück in die Stadtwohnung. Dort hatte sich inzwischen ein zweiter Bautrupp über die Hinterhofwerkstatt hergemacht, wieder mit Presslufthämmern und Dachdeckern mit der entsprechenden Lärmkulisse.
Eine wahre Corona-Symphonie. Ich lag einige Tage im Delirium einer kapitalen Grippe (Wintereinbruch!), brachte die Polizei – dein Freund und Helfer – nicht mehr ins Spiel und wartete ergeben auf das Ende, und wenn’s meins wäre.

Eines Tages wachte ich auf und musste wieder an Gregor Samsa denken. Denn in den Fenstern erschienen grün gekleidete Männer, die an Seilen in den Bäumen turnten – Baumschneider.
Eine Gärtnerei Ziegler aus Pottenbrunn machte sich aus einem für mich nicht ersichtlichen Grund über die voll in Blüte und Saft stehenden Kastanien und Ahorne her und schnitt wie wild in den Kronen herum. Welche Idioten machen so etwas denn im Frühling? Wen haben diese Bäume gestört? Und so grob, mitten in die Äste hinein gesägt, dass die jetzt abstehen wie Gebeine in einem geplünderten Skelett.
Nachdem die großen Äste am Boden lagen, setzten die Motorsägen ein, zur Zerkleinerung. Dann rückten die Laubsauger an. Bevor ich ins Delirium fiel, konnte ich noch ein kurzes Bedauern empfinden, dass meine Mordlust nie zur Reife gekommen ist. Was hat das Ungeziefer gemacht, als er im Treppenhaus und im Vorzimmer der K.’schen Wohnung die Untermieter und Gläubiger poltern und streiten hörte? Gregor verzog sich unters Sofa und stellte sich aufs Sterben ein.
Schade, dass ich nicht in der Lage war, dieses Triple-Konzert auf Tonträgern festzuhalten. Ich hätte es sonst beim Festival Wien Modern vorgeführt, als Andenken an Corona. Benannt hätte ich es „Die Wiener Bauordnung in Zeiten von Corona“.

Meine Bilanz: Am wenigsten fehlten mir die neu gerahmten Bilder, die Textilien und die Art- Deco-Lampe. Hab sie alle bis jetzt nicht abgeholt. Ich schwöre es, zum Gartencenter fuhr ich erst eine Woche nach der Wiedereröffnung, aber wirklich nur deswegen, weil meine Rosen in der Trockenheit dringend einen Dünger brauchten. Ein paar Lavendelstöcke mussten auch mit. Schließlich gartle ich am Rosenhang im Rosental. Nomen est omen, ich kann nichts dafür. Möbel, Geschirr und Textilien, seien es Klamotten oder Teppiche, brauche ich für die nächsten drei Leben keine mehr. Dafür habe ich viel aussortiert und zur Carla am Mittersteig und zur Volkshilfe in der Laxenburgerstraße gebracht. Die Schneiderin hat übrigens ihre Produktion auf Gesichtsmasken aus bunter Baumwolle umgestellt.

Das Fehlen der Druckerpatrone und der Batterie für die Kamera ist lästig, aber man kann durchaus ohne sie leben, wobei mir noch dazu das Druckerpapier ausgegangen und der Libro geschlossen ist. Dass das legendäre Haushaltswarengeschäft „Zur goldenen Kugel“ wieder aufgesperrt hat, freut mich ganz besonders, weil allein die offenen Türen, die Ständer und Wühlkisten entlang dem Gehsteig, das menschliche Gewurl davor, einen Hauch von Normalität verströmen. Die Cafés links und rechts davon und gegenüber müssen noch im Dorncorönchenschlaf warten.
Das dürften viele Menschen so empfinden, denn das Gedränge drinnen in der goldenen Kugel wäre auch in Vor-Corona-Zeiten beängstigend gewesen. Baby-Elefanten gehen sich da nicht aus. Viele Sonderangebote, von Blumenerde, Grassamen und Kakteendünger bis zu Riess-Töpfen, Plastikdosen, Grillbesteck und -kohle. Hoffentlich überleben sie das! Das Erste bei mir war ein Großeinkauf von Gemüse- und Blumensamen, schließlich ist Pflanzzeit, und der ganze Sommer im einsamen Rückzugsort vor den Toren Wiens hängt davon ab. Decamerone lässt grüßen. Die Geschichten dazu werden am Abend in den PC gehämmert.

Schön und interessant, wie man in einer Ausnahmezeit die wahre Hierarchie der Dinge und der Bedürfnisse, seine Laster und Tugenden, seinen Verzicht und Luxus vor Augen geführt bekommt.

Wien, 4.5.20

Veronika Seyr
www.veronikaseyr.at
http://veronikaseyr.blogspot.co.at/

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