Archiv der Kategorie: Carmen Rosina

Dienst nach Vorschrift oder Die Geschichte der „Os“

Ausgesprochen nervös schien sie zu sein, aber das konnte nur er bemerken, weil er sie sehr gut beobachtet hatte in all den Jahren, seit sie seine Vorgesetzte geworden war. Ihr Businessanzug saß perfekt, das helle Haar war hochgesteckt und untadelig frisiert worden, darauf achtete sie immer. Eine Abweichung in dieser Hinsicht hätte Alarmstufe rot bedeutet. So aber konnte er aus ihren fahrigen Handbewegungen und der hektischen Art, das nun zu Erledigende zu erklären, schließen, dass die Ampel für sie wohl bereits kurz davor, auf Dunkelorange, stand.

Es war in seinem Verantwortungsbereich schon länger gemunkelt worden, dass die Finanzprüfung, die sie in Kürze zu durchlaufen haben würden, nun besonders gründlich vorgenommen werden würde, von ihnen unbekannten Personen diesmal, und dass die Geschäfte mit einer bestimmten osteuropäischen Einrichtung wohl besser ungeprüft bleiben sollten. Irgendjemand hatte Insiderinformationen zugespielt bekommen, die Spekulationen blühten.
Ihm war es recht, wenn alles vage blieb und er sich nicht äußern musste. Wozu hatte er denn beim Aufstieg auf der Karriereleiter zurückhaltend agiert, anderen den Vortritt gelassen und sich selten explizit geäußert? Er hatte gewusst, warum. Dass das dicke Ende irgendwann kommen musste, war ihm klar. Ihr, seiner Chefin, war das offensichtlich erst in den letzten Tagen zur Gänze bewusst geworden.

So stand sie nun vor ihm und erläuterte kurz, dass jene Dokumente vom Frühjahr, die mit einem „O“ versehen seien, gesondert behandelt und auf keinen Fall so wie die anderen einfach an die Prüfer weitergegeben werden sollten. Vielmehr sollten die „Os“, wie sie diese Dokumente nannte,  unwiederbringlich verschwinden. Unleserlich gemacht werden für alle Zeiten. Sonst käme das die Firma teuer zu stehen, und einzelne Personen desgleichen. Ob er das verstanden habe?

Und wie er verstanden hatte. Sie war schön, wenn sie aufgeregt war. Er hatte sie immer begehrt. Vielleicht noch mehr, seit er einen unmissverständlichen Korb von ihr bekommen hatte, damals, zu Beginn ihres Aufstiegs. Sein Kollege hatte mehr Glück gehabt als er, der konnte sich zumindest ein paar Monate ihrer Gunst erfreuen. Soweit er wusste, war danach niemand mehr in den Genuss gekommen, zumindest keiner aus der Firma.
Allerdings hätte es wirklich nicht sein müssen, dass sie seine per E-Mail erfolgte Essenseinladung vor allen anderen Anwesenden ausgeschlagen hatte, das war kränkend für ihn gewesen. War ihr das nie klar geworden? Zumindest hätte sie danach ein bisschen freundlicher sein können.
Und selbst jetzt, wo er der Einzige war, den sie ins Vertrauen zog bei diesem wichtigen Unterfangen, bemühte sie sich nicht gerade um ausgesuchte Höflichkeit.
Egal, er würde seinen Job schon erledigen, das hatte er immer getan. Und das sagte er ihr auch.
Sie erwiderte nur kurz, das sei gut so, sie hätte mit der Löschung der elektronischen Daten wahrlich mehr als genug am Hals. Und Abgang.

Kurz darauf ging er ans Werk, schleppte, nachdem die anderen alle gegangen waren, die Stapel mit den Ausdrucken des fraglichen Zeitraums auf seinen Schreibtisch, sortierte gewissenhaft nach „O“-Dokumenten und normalen, bis er zwei schöne Stapel hatte, der „O“-Stoß etwa halb so hoch wie der andere. Die anderen legte er beiseite, dann nahm er sich die „Os“ vor.

Der Prüfer fand zwei Wochen später auf seinem Schreibtisch jede Menge Material vor. Das hatte er schon vorhergesehen und daher die Tage davor Platz geschaffen. Er freute sich auf diesen Fall.
Was immer diese Firma zu verbergen hatte, er würde sich auf dessen Spur begeben. Und dass da etwas war, was er nicht sehen sollte, davon ging er aus.
Nach einem Vormittag emsigen Sichtens und Systematisierens lachte der Prüfer plötzlich laut auf.
In Händen hielt er ein Dokument, auf dem offensichtlich geschwärzt worden war, eine kleine Stelle rechts oben war so unleserlich gemacht worden. Abgesehen davon, dass so etwas jeden Prüfer stutzig machen würde, war ihm sofort klar, worauf er da bereits nach dieser kurzen Sichtung gestoßen war.
Den Rest des Tages suchte er einfach diejenigen Blätter heraus, die Schwärzungen zeigten, und der Fall war gelöst. Fast war er ein bisschen enttäuscht, dass ihm die allermeiste Arbeit bereits abgenommen worden war.
Irgendjemand hatte es ihm da verdammt einfach gemacht.

Carmen Rosina

www.verdichtet.at | Kategorie: drah di ned um …| Inventarnummer: 15029

Neulich im Heldenbüro

Da saßen sie wieder, die beiden Kollegen, zwei gestandene Mannsbilder, und hatten recht wenig zu tun. Das war kein Wunder und hatte mit der Entstehungsgeschichte ihres Arbeitsplatzes zu tun.
Ihre Abteilung war gegründet worden, als das Heldentum grassierte, die Vorkommnisse diesbezüglich unüberschaubar geworden waren und die Sehnsucht nach Ordnung im Heroen-Chaos übergroß. Angefangen hatte alles mit einem Ägypter, der sich als Superheld gerierte, sich auf Hochhäusern fotografieren und filmen ließ, während er zum Schein Abflüge machte, um die Menschheit, oder zumindest einen Teil davon, zu retten. Es kam, wie es kommen musste: In Zeiten der sozialen und sonstigen Netzwerke verbreitete sich die Kunde von dem Wundersamen rasch, Nachahmer waren schnell zugange, und so bevölkerten erst Dutzende, dann Hunderte und später Tausende Helden diesen Planeten. Leider gingen so die echten, die richtigen, die wirklich wichtigen dabei komplett unter, ja, wurden kaum noch ernst genommen.
Und so wurde das Heldenbüro gegründet, die „Stabsstelle für echte Helden“, bei der man sich melden und registrieren lassen konnte, nebst Angabe der speziellen Fähigkeiten, auf dass die diesbezüglich bedürftige Menschheit später davon Gebrauch machen konnte.
Leider war nach einem anfänglichen Hype der Zulauf in letzter Zeit recht bescheiden gewesen, und so vertrieben sich die beiden Bediensteten inzwischen dort recht routiniert die Zeit mit allerlei Spielchen, als eine von mehreren Strategien, den Tag herumzubringen.
Eine andere war ihnen gerade ein bisschen vergällt worden: Besonders jetzt, wo von den drei Kolleginnen nebenan diejenige auf Kur war, die ihnen beiden am besten gefiel, vermieden sie es eher, dem Nebenbüro einen Besuch abzustatten. Alleine der Name der Arbeitsgruppe im Nebenraum wirkte abschreckend auf sie, „Büro für virtuelle Seuchenbedrohung“. Die Damen waren außerdem sehr beschäftigt, im Vergleich zu ihnen beiden, was die Besuche automatisch verkürzte beziehungsweise eindämmte. Aber jetzt, wo die Hübsche sowieso einige Wochen lang nicht hier sein würde, gab es einen Grund weniger, aufzustehen und sich nach nebenan zu begeben. Die anderen beiden Frauen erkundigten sich immer recht zynisch, wo denn die echten Helden blieben, wenn man sie brauchte. Und die beiden Männer drucksten dann herum und wussten keine Antwort.
Nein, dann lieber schön hiergeblieben und sich etwas anderes als Zeitvertreib suchen.
Sie spielten also das schöne, bewährte Spielchen „Wer hat am schnellsten den Längsten?“ und waren recht vergnügt dabei. Es ging darum, mittels Internetrecherche einen möglichst langen Link zu finden, und wer ihn am schnellsten mittels eines Programmes verkürzt und diese „Tiny URL“ dann seinem Kollegen per eMail geschickt hatte (da konnte die Sendezeit sekundengenau beurteilt werden, was oft auch notwendig war, denn sie waren ebenbürtige Gegner), war der Gewinner. Die Rundenanzahl schwankte und wurde vorab vereinbart, und der Gesamtsieger wurde dann vom unterlegenen Kollegen den Rest des Bürotages lang bedient.
Das Spiel war tricky, denn die Zeitvorgabe war brutal, und so waren Konzentration, Erfahrung und Schnelligkeit unbedingt vonnöten, um diese Aufgabe zu meistern.
Sie hatten sich gerade in einen schönen Spielrausch hineingesteigert, zwei Meister ihres Fachs, als es an der Bürotüre klopfte.
Die Türe öffnete sich, und im Türrahmen stand, zu ihrer totalen Verblüffung – Phantomias!

Er hatte es ihnen leicht gemacht und sein blaues Käppi aufgesetzt, auf dem als einzige Neuerung sein Name stand, aber ansonsten sah er genau so aus wie in den Comics ihrer Jugendzeit.
Die beiden Bediensteten sahen sich an. Sie sahen den Besucher an. Phantomias sah sie an.
Der Kollege, der der Tür am nächsten war, sagte zu seinem Gegenüber: „Kurti, du weißt, was das heißt? Das müssen wir melden. Wir brauchen ein neues Büro. Das könnte dann heißen ,Spezialstabsstelle für tierische Helden’ , oder so ähnlich.“
„Ja“, seufzte der andere, „es reißt einfach nicht ab. Und für Sie, lieber Phantomias, heißt das ein bisschen warten, bis wir das neue Büro und die neuen Angestellten haben. Momentan können wir Ihren Fall leider noch nicht bearbeiten. Sie können aber gerne Ihre Kontaktdaten hier lassen. Wir geben Ihnen dann Bescheid, wenn es so weit ist.“

Ja, genau so hat es sich zugetragen, neulich im Heldenbüro.

Carmen Rosina

www.verdichtet.at | Kategorie: schräg & abgedreht | Inventarnummer: 15018

Der tolle Mann – ein Fragment

Plötzlich verstand ich sie. Warum sie von ihm nicht loskam, was es war, das sie so unglaublich anzog, über Jahre schon. Und warum es ihr unmöglich war, von ihm zu lassen.

Er war ein echt toller Mann. Er hatte, was die Mehrheit der Geschlechtsgenossen so schmerzlich vermissen ließ: Humor, Scharfsinn, Charme und Ironie in der genau richtigen Dosierung. Darüber hinaus war er feinsinnig und großzügig, einer der wenigen, die sich nicht nur dem eigenen Ego verschrieben hatten, viel zu lange schon. Solche wurden bitter, hart und hartnäckig verschwiegen, vergraben in das Eine, das Einzige, das Ewige, das Selbst. Wie mager diese Ausbeute, was war da schon zu holen? Immer das Gleiche, in unzähligen Varianten, die genauer betrachtet gar keine waren.

Dieser Mann war anders. Er überraschte sie, war spontan und hingebungsvoll, und wenn er etwas mit sich selbst auszumachen hatte, so äußerte er zumindest das, sodass sie es gut nehmen und ihn in Ruhe lassen konnte.
Er hatte nur einen offensichtlichen Haken, dieser Traumprinz, und dieser Haken glänzte golden.

Er gehörte einer anderen. Falls ein Ehering Besitz symbolisieren sollte, und für manche tat er das auch. Wie sie das sah, wusste ich nicht. Ich verstand nur, dass sie bis zu einem gewissen Grad zurückschreckte vor dem letzten Schritt, der einen Frage, dieser einen Entscheidung, vor die sie ihn nie stellte: „Sie oder ich?“

Diese Frage blieb also unbeantwortet, vielmehr ungestellt. Auch wusste sie nicht, wie das Zusammenleben mit ihm war. Wie schwermütig seine Abende ohne sie verliefen, wie wenig er sich mochte und wie gut er an sich selbst leiden konnte.
Das sprühende Charmebündel, das er nach außen gab, war innen nicht gefestigt, eine lose Konstruktion, gebildet, um anderen zu gefallen.
Es klappte ganz gut, das fehlende Fundament zu verbergen, außer, man verbrachte die vielen Tage und Abende und Nächte mit ihm, in denen er zweifelte, meinte, in und an allem zu versagen, nichts wert zu sein und darum auch nicht geliebt zu werden. Wer es dennoch tat, mit dem musste etwas nicht stimmen.

Was half alles Gegenreden, Mutzusprechen, Ermutigen und Ermuntern, wenn die Seele in ihren Grundfesten erschüttert war? Ich wusste nicht, wie es mit ihr gewesen wäre, wenn sie es wirklich versucht hätte, alles, ihr Leben seinen Stimmungsabschwüngen unterordnen, seine Kraft sein wollte, seine Lebenslust, seine Muse. Ich wusste es nicht.

Ich wusste aber, es würde schwer werden, bleischwer. Und ich musste es wissen. Ich hatte es die vielen Jahre versucht, mit diesem tollen Mann, meinem Mann.

Carmen Rosina

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 14071

 

 

 

 

Reflexionen in der U-Bahn

Er mag sie ja alle, die Dicken, die Dünnen, sogar die, die so aufdringlich riechen. Ihm macht es nichts, wenn sie fluchen, meckern, sich zieren und unmöglich benehmen. Ob die Frau da drüben wirklich meint, was sie sagt? Er ist ihr nicht böse, und wenn sie noch so Herzloses von sich gibt.
Eigentlich versteht er sie alle. Das Leben ist kein Honiglecken. Wer sich darüber beschwert, war immer schon im Recht. Und diese so genannte Fahne, die so viele um diese Zeit hier vor sich hertragen, der Geruch nach Alkohol, nur zu verständlich. Ein Tröster in der Not. Wer kennt das nicht?
Ein Unmensch, wer glaubt, über andere urteilen zu dürfen. Was weiß er schon von deren Schicksalen?
Die Einsamkeit, die tut das ihre dazu. Da werden die Menschen nun einmal eigenartig. Einzigartig waren sie vorher, eigenartig werden sie mit der Zeit, mit dem Alleinsein ganz von alleine.
Er sinniert gerne, so in der U-Bahn. Die ist ein Symbol für ihn: Um irgendwo anzukommen, wo man hin möchte, muss man zuerst einmal ganz hinunter.
Er fährt gerne einfach so durch den Untergrund. Das Grübeln kommt da ganz von selbst.

Ihm gegenüber sitzt ein Mann, dem man anmerkt, dass er früher viel trainiert hat, das erkennt er auf den ersten Blick. Er hat einen breiten, fülligen Oberkörper. Die Oberarme stehen leicht davon ab, sogar im Sitzen. Er muss seine muskulösen Arme im Schoß verschränken, damit sie nicht seitlich an andere Fahrgäste stoßen. So sitzt er da, irgendwie eingeklemmt in sein eigenes Dasein, sich selbst zu viel, und bemüht, anderen nicht im Weg zu sein.

Was die anderen von ihm halten mögen? Ein Spiegel-Affe, denken sie sich vielleicht, ein Körperfetischist, der nichts im Kopf hat außer Trainieren.
Er aber denkt nicht so über sein Gegenüber. Bestimmt hat auch dieser Mann eine Geschichte, die zu erzählen lohnt. Er will nicht nach dem Äußeren urteilen, das machen schon viel zu viele andere. Ob er die Vorurteilsbehafteten auch leiden kann, wo er doch alle Menschen mag, darüber will er bei seiner nächsten U-Bahn-Fahrt nachdenken, alles der Reihe nach.

Er betrachtet also sein Gegenüber, das groß und fehl am Platz die anderen Fahrgäste fast schüchtern aus den Augenwinkeln ansieht, einen nach dem anderen, auch ihn selbst, den er nun am Fenster gegenüber entdeckt hat. Beinahe scheint der Koloss hoffend, dass sie alle, alle anderen, ihm nichts antun, ihn in Ruhe hier sitzen und schauen lassen. Ihn nicht anreden, ihm nichts vorhalten, ihn mit nichts konfrontieren. Der Mann wirkt nervös, Schweiß bildet sich auf seiner breiten Stirn. Oder bildet er sich das ein?

Der große Mann sieht freundlich aus, und wenn er nicht gerade umherschweift, ist sein Blick ein wenig verloren, wie der eines tagträumenden Kindes. Nachdem er alle anderen Mitfahrenden gemustert hat, wandert sein Blick schneller im Abteil umher. Wonach sucht er denn? Kann er ihm helfen? Fährt er etwa ohne Fahrschein mit und ist deshalb so unruhig? Er wird den Mann nicht danach fragen. Der will seine Ruhe haben, keine Frage.
Er kennt das ja von sich selbst zur Genüge. So viele Wohlmeinende, die mitmischen, sobald man eine Rückzugsphase hat. Oder eine schlimme, egal. Das stört wirklich, nur die Wenigsten wissen, wann es genug ist mit diesen Ratschlägen, die keiner braucht.

Der Mann gegenüber fährt nun schon einige Stationen lang mit, und das Spiel wiederholt sich. Es steigen Menschen ein und aus, welche mit Kindern (um diese Zeit?), andere mit Hunden, sogar ein Mann mit Katze ist dabei. Und der Mann betrachtet sie alle, schüchtern, hektisch, als wären sie eine im Dunklen lauernde Gefahr, die er noch nicht abschätzen kann. Die Augen schießen hin und her, sobald eine neue Station erreicht ist. Noch sitzt er, aber er wirkt jederzeit bereit zum Sprung.
Jetzt ist er, der ihn vom Gang gegenüber Beobachtende, sicher, dass der unruhige Riese weder Fahrkarte noch Geld hat. Daher die Nervosität, verständlich, auch das ist ihm selbst nicht fremd.

Es wird Zeit, auszusteigen, er erhebt sich und wirft noch einen Seitenblick auf sein Studienobjekt gegenüber. Erstaunt nimmt er wahr, dass auch dieses aufsteht, zeitgleich mit ihm. Er blickt ihm direkt in die Augen, nur eine schwache Reflexion des Fensterglases im Licht des Abteils nimmt ihm die letzte Illusion.
Sie gehen beide gleichzeitig, natürlich spiegelverkehrt, wenden sich dem Ausgang zu, nicht ohne sich noch einen verschämten Blick zugeworfen zu haben.
Sie beide wissen von einander, aber für alle anderen hier verlassen sie die U-Bahn als ein und die selbe Person.

Carmen Rosina

www.verdichtet.at | Kategorie: schräg & abgedreht | Inventarnummer: 14067

Best Control

Sie trank ihr Glas Milch in einem Zug. Ein Genuss, den nur wenige nachvollziehen konnten, aber was wussten die schon?
Wenn sich diese milchig-schleimige Schicht innen in ihrem Hals anschmiegte, ölig fast, das war es, was sie nach so einem Job dringend brauchte.
Heute war es besonders schlimm gewesen: nächtens auf den Knien herumzukriechen, mit gekrümmtem Rücken, das Gesicht nahe dem Boden nach etwas suchend, von dem sie nicht wusste, wie es aussah, nur allzu oft dem Schmutz und dem Staub dort beinahe schutzlos ausgeliefert.
Die äußerliche Reinigung war ja schnell erledigt, duschen, umziehen, fertig.
Aber innen drin in ihrer Kehle schien es, als habe sich all der Unrat der Orte festgesetzt, an denen sie zu tun hatte.
Und es waren selten die schönen Seiten des Lebens, die sich ihr dort präsentierten.
Heruntergekommenes, der unterste Rand unserer Gesellschaft, so schien es ihr, sehr hart im Urteil, denn sehr oft waren es ganz normale Häuser, die sie aufsuchen musste, mit belanglosen Menschen, die dort wohnten, arbeiteten, schliefen, ja, sogar aßen. Kaum vorstellbar, nach all ihren Entdeckungen dort, aber ihre Maßstäbe an Hygiene waren wohl kaum die üblichen, wie man so sagt.
Das hätte sie sich auch nicht träumen lassen, eine akademische Ausbildung, dann eine Umschulung, und nun musste sie sich, ohne Aufsehen zu erregen (besser, die Nachbarschaft bekam nichts mit, was heißt, besser; unumgänglich, wenn sie länger in diesem Job bestehen wollte, das wurde ihr von Beginn an eingetrichtert …) meist mitten in der Nacht oder zumindest nach Einbruch der Dämmerung zu ihr unbekannten Behausungen kutschieren lassen, in einem unauffälligen Wagen, versteht sich.
Keine Zeit verschwenden, systematisch vorgehen, analytisch denken, auch wenn ihr noch so graute vor dem, was sie fand, jeden Vorgang auch bildlich dokumentieren, bereits Notizen verfassen, diese später ausformulieren, das reichte aber am nächsten Tag.
Wenige waren so gut wie sie, so war sie ausgebucht bis zu ihrem Urlaub. Den verbrachte sie ausschließlich bei ihr zu Hause. Da war alles schön, an seinem Platz, wenig zu befürchten.
So wie jetzt. Alles in Ordnung. Morgen würde sie die Bilder sortieren müssen, sich grausen, stundenlang nichts essen können, vielleicht in einer Arbeitspause Milch kaufen gehen, sie hatte einmal gelesen, dass Milch sehr reinigend wirken soll.

Hatte ihr diese Arbeit jemals wirklich Spaß gemacht? Sie wusste es nicht mehr. Eigentlich war sie prädestiniert dafür, mit ihrem Blick für die noch so kleinsten schmutzigen Details, die nachlässig verwischten Spuren, keine Ahnung hatten sie, die Menschen. Nicht davon, wie man Sachen ordentlich abwischt, wie man Verräterisches endgültig zum Verschwinden bringt, nicht, wie selbst mit freiem Auge sichtbar ganze Geschichten offen da liegen, von Vernachlässigung, von grobem Verschulden, ja, von vorsätzlichem Verbergen, von strafbarem Verhalten. Und dafür war sie zuständig, unbestechlich in ihrem Blick.

Der junge Kollege, der sie zum Essen hatte einladen wollen, wusste nicht, worauf er sich da eingelassen hatte. Ein Flirt, der ihn weiterbringen sollte in seinem Werdegang, könnte nicht schaden, hatte er wohl gedacht. Sie galt als das Mastermind im gesamten Team, und darüber hinaus; und sie war sich dessen bewusst. Aber ein Essen in einem Restaurant, da war sie mal gespannt. Die Auswahl wollte sie sich schon ansehen, denn dass er ihr mehrere Lokalitäten zur Begutachtung anbot, verstand sich wohl von selbst.
Wie erstaunt war sie, als er sich erbot, für sie zu kochen, bei ihm zu Hause. Leichte Panik ergriff sie. Damit hatte sie nun nicht gerechnet. Aber manchmal gibt es selbst bei kontrolliertesten Menschen einen Moment, in dem sie unvorsichtig, ja übermütig werden, und so sagte sie ihm für den nächsten Samstagabend zu. Der Kollege wusste sich vor Freude kaum zu fassen. Sie sah sich gezwungen, ihm aufzuerlegen, dass im Kollegenkreis niemand Wind von ihrem bevorstehenden privaten Treffen bekommen sollte.

Warum diese Aufregung, wozu das Treffen, und wann hatte sie zum letzten Mal etwas gegessen, das nicht sie selbst zubereitet hatte? Das konnte böse enden.
Sie hatte wohl zu lange ihre Freizeit in dieser eigenen, wenn auch großzügigen Wohnung verbracht, sich alle auswärtigen Vergnügungen versagt, und so hatte sie vielleicht einen Lagerkoller oder ähnliches, der sie zu solch gewagtem Tun verleitete.
Außerdem war der Mann immerhin ein ambitionierter Kollege, sie nahm also an, dass vom hygienischen Standpunkt aus alles in Ordnung sein müsste, zumindest eher als beim Rest der arglosen Bevölkerung. Sie wollte sich also überraschen lassen, ganz entgegen ihrer vorsichtigen Natur.

Die Begegnung warf ihre Schatten voraus. Bereits am Donnerstag traf sie den Hoffnungsvollen, als er seine Unterlagen für den nächsten Auftrag im Büro abholte.
Er lächelte sie verschwörerisch an, während sie ihre Dokumentation des letzten Einsatzes der Sekretärin übergab. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Worauf hatte sie sich da bloß eingelassen?
Um Gerüchten keinen Vorschub zu leisten, drehte sie sich abrupt um und verließ das Büro hastig und grußlos.

Der Kollege rief sie am Freitag an, fast flehentlich, um sie zu fragen, ob ihr Treffen aufrecht sei, was sie bejahte. Die Neugierde überwog doch, ein Einblick in seine Wohnung würde ihr viel über seine Person verraten, aus der sie nicht recht schlau wurde. Zur Abwechslung war diese Wissbegier diesmal kein „Fall“, der erledigt gehörte, sondern eine Privatsache.
Sie machte sich am Samstagabend auf den Weg, der Freitag war unerfreulich-unappetitlich zu Ende gegangen, und sie hatte dessen Dokumentation tagsüber erledigt. So war sie froh, diese Bilder aus dem Kopf zu bekommen, nun Abwechslung zu  haben, Aufregung sogar, und was für eine!

Der Mann war korrekt gekleidet, wie immer. Das sah sie gleich, als er die Tür öffnete, sofort nach ihrem Klingeln, als hätte er die ganze Zeit über auf sie wartend dahinter gestanden. Ein vielversprechender Beginn also.
Er begrüßte sie förmlich, mit entgegengestrecktem rechtem Arm allerdings, das hätte es nun wirklich nicht gebraucht. Als er sie bat, einzutreten und voranzugehen, bewunderte sie den blitzblanken Flur, die gekonnt auf Hochglanz polierte Garderobe und die in Reih und Glied aufgestellten Schuhe. Sie fühlte sich auf Anhieb wohl. Als sie ins Esszimmer trat, stockte ihr der Atem. Ein Luster über einer geschmackvoll gedeckten Tafel verströmte warmes Licht, das eine fast unwirkliche Szene beleuchtete.
Auf dem Tisch schmiegten sich Pipetten an Reagenzgläser, lockte glänzendes Stahlbesteck neben Messinstrumenten jeglicher vorstellbarer Art, lagen dezent Kabel, wo welche für elektronische Vorrichtungen benötigt wurden, in schöner, abgestimmter Ausrichtung, insgesamt ein Bild herrlicher Ordnung, Kontrolle und Messbarkeit. Sie spürte die Lust, zu erforschen, allem auf den Grund zu gehen, was es zu wissen gab. Er strahlte sie an. Ihrem Gesichtsausdruck sah er an, dass er ins Schwarze getroffen hatte.
„Ich wusste, Sie würden nichts essen, was Sie nicht genau kennen. Darum darf ich Sie ganz herzlich zur gemeinsamen Analyse einladen. Es freut mich so, dass Sie hier sind, das kann ich Ihnen gar nicht sagen. Freude ist gar kein Ausdruck dafür. Sie sind meine Muse …“
Nur mühsam gelang es ihr, nachdem sie das erste Erstaunen überwunden hatte, ihn zu unterbrechen, mit einem begierigen „Fangen wir an, Herr Kollege! Was wollen Sie uns als erstes auftragen?“
„Wir beginnen mit Paradeiscremesuppe, Sie wissen, worauf das hinausläuft?“ meinte er noch mit einem ausgelassenen Zwinkern, das sie so von ihm nicht kannte.
„Keine Ahnung“, meinte sie unschuldig. „Aber wenn es etwas zu finden gibt, lieber Kollege, so verlassen Sie sich darauf, wird es heute Abend entdeckt.“

Carmen Rosina

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 14062

Maggie, die Heizkörperfrau

Schau, da drüben steht sie, die Heizkörperfrau. Weißt du, warum ich sie so nenne? Weil sie genau so ist, wenn sie aufgedreht ist: außen heiß. So schrill, bunt geschminkt, hat einen roten Minirock an, zieht sich an, als ob sie schöne Beine hätte.
Das innen drin will keiner sehen. Die Maggie ist innen drin farblos, uninteressant, so was von öd. Ein Gespräch mit ihr über etwas anderes als Kleidung, Schminke, Schmuck und wie das alles zusammenpasst, wirst du kaum führen können. Sie kennt nichts und niemanden, und ihr Musikgeschmack ist zum Grausen.

Drum wundert es mich ja, dass sie hier ist, die Maggie. Bei diesem Konzert hätte ich sie nie und nimmer erwartet. Jetzt versaut sie mir das auch noch. Drei Jahre meines Lebens und das Konzert, auf das ich mich seit Wochen freue. Lehnt da drüben, bekommt nichts mit, kennt kein einziges Lied von denen und kratzt sich aufreizend am Hintern. Na ja, der ist ja ganz ok, aber sonst? Nichts Besonderes.
Weißt du, das habe ich mir nicht verdient. Hab sie immer zum Urlaub eingeladen, ihr dort Klamotten gekauft, fast alles, was sie haben wollte. Hab versucht, mich vor meinen hochklassigen Freunden nicht allzu sehr zu schämen. Obwohl die schnell gecheckt haben, dass im Oberstübchen der Dame nicht allzu viel los ist. Da habe ich mir einiges anhören müssen, von wegen Gegensätze ziehen sich an  und so. Und ich war eine gute Partie für sie: Einen Magister an Land zu ziehen, das ist ja wohl das erklärte Ziel von Frauen wie Maggie.

Na ja, und als mir die patente Kollegin vom Projektmanagement angeboten hat, gemeinsam abends ein bisschen länger zu arbeiten als die anderen, hat Maggie sich aufgeführt, als ob ich ihr weiß Gott was angetan hätte, nur weil ich ihren Geburtstag vergessen hatte. Kein Wunder, dass mir da die Kollegin von da an besser gefallen hat als die keifende Maggie daheim. Und dass ich der Dame vom Projektmanagement dann mein Leid geklagt habe, der ging es auch gerade nicht so gut mit ihrem Mann, so ein eifersüchtiger Kasperl ist das. Und dass eins zum anderen führt, nun ja, das kann nach drei Jahren schon einmal passieren. Dabei kann die Maggie froh sein, dass ich es ihr erzählt habe. Ich hätte auch alles abstreiten können, geistig kann sie da nicht mithalten, keine Chance.

Aber was macht sie? Zuckt völlig aus, schreit von drei vergeudeten Jahren mit einem egoistischen Schnösel, und dass sie was Besseres verdient hätte. Was Besseres, hallo? Schau dich in den Spiegel, Maggie, du hast noch ein paar gute Jahre, dann ist das Spiel vorbei. Dann kannst du froh sein, wenn du noch jemanden findest. Einen wie mich sowieso nicht mehr.
Für mich ist dieser Heizkörper abgedreht, kalt, eiskalt. Die Frau kann mich nicht mehr aufregen. Und weißt du, was das Schönste ist? Sie wird auch einmal herüberschauen, mich sehen in meinem superscharfen neuen Outfit, und sich leid sehen. Geschieht ihr recht! Die Sachen packen, einfach von einem Tag auf den anderen ausziehen, nicht einmal die Küche hat sie mehr geputzt. Obwohl sie kocht, als ob es kein Morgen gäbe. Da schaut es aus nachher! Aber das Essen war immer gut. Das muss man ihr lassen.

Ah, der Herr Doktor ist auch da, schau an! Das hätte ich gar nicht gedacht, in so gehobener Position, und dann bei einem so coolen Konzert, den hätte ich eher in die Philharmonie gegeben, geistig. Und es scheint ihm zu gefallen, schau, wie er lacht und sich freut. Das ist gut, das habe ich im letzten Manager-Seminar gelernt, Gemeinsamkeiten ansprechen. Das mache ich gleich am Montag, vom Konzert erzählen. Vielleicht ist dann endlich die Gehaltserhöhung drinnen, auf die ich schon so lange warte.

Und was macht die Maggie? Siehst du sie? Ich sehe sie gerade nicht. Ah, weil der Doktor die Sicht verstellt. Und was ist jetzt, kannst du mehr sehen als ich? Was??? Er hat die Hand auf ihrem Arsch??? Das glaube ich nicht!
Unglaublich. Ich bin sprachlos. Jetzt halten sie auch noch Händchen. Also ich hätte das nie gemacht, in der Öffentlichkeit, mit dieser letztklassigen Tussi. Dem ist auch nichts zu blöd. Der muss ja einen ordentlichen Notstand haben. Und jetzt küsst er sie auch noch, ich glaube, ich spinne!

Na gut, näher betrachtet schaut die Maggie doch ganz gut aus. Besonders wenn sie so strahlt wie jetzt. Die ist gut drauf, die Maggie! Und wenn ein so hochklassiger Typ wie der Doktor auf sie abfährt, muss sie doch ihre Qualitäten haben. Der ist ja nicht blöd, könnte ja jede haben, bei dem Gehalt, na sicher. Aber er scheint ein bisschen heikel zu sein. Die toughe Kollegin vom Projektmanagement hat sich da die Zähne ausgebissen bei dem Doktor, davon redet die ganze Abteilung.

Also die Maggie, die hat schon ihre Vorzüge. Und so rein haptisch gibt sie schon was her. Weißt eh, angreifen tut man sie halt gerne, weil sie so eine knackige Karosserie hat. Da versteh ich ihn schon, den Doktor, ist ja auch nur ein Mann. Und gescheit reden, na ja, das ist vielleicht überbewertet, dafür kann man ja auch jemand anderen finden.
Also Heizkörperfrau, das trifft es wirklich genau. Very hot, die Maggie!

Soll ich rüber gehen, was meinst du? Gemeinsamkeiten ansprechen könnte ich ja jetzt, hahaha! „Wissen Sie, Herr Doktor, ich hatte auch schon das Vergnügen mit Ihrer Herzensdame“, könnte ich sagen. Dann sieht er gleich, dass ich auch was drauf habe, so ein Touch Abenteurer, das kommt immer gut, haben sie im Seminar gesagt. Und ich hab ja immer einen guten Spruch auf den Lippen. Aber ich glaube, ich bin heute besser nicht zu aufdringlich, die Führungsetage schätzt das nicht so besonders, in der Freizeit.
Und der Doktor ist da so wie alle Alpha-Männchen, ganz bestimmt. Ich kann mich noch gut an die Sache in der Sauna erinnern, als er zu mir sagte: „Manche Fehler macht man nur einmal, Herr Magister. Haben wir uns verstanden?“
Natürlich habe ich das verstanden, ich bin ja ein cleverer Bursche. Ich kann mich ja gut kontrollieren. Am Montag reicht es auch noch.

Geile Musik, findest du nicht?

Carmen Rosina

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 14060

 

 

 

Liebesbrief eines Brauers

Meine holde Schöne,

wie begehre ich Dein strahlendes Leuchten, Deinen sprühenden Geist, mehr noch als Deinen kraftvollen Körper … Deine feingliedrige Grazie verzückt mich jeden Tag aufs Neue.
Du mein funkelndes Gold, vornehmen Glanz verströmend, Du edler Genuss voller Eleganz, weich und rund …
Doch wie sehr liebe ich auch Deinen stattlichen Malzkörper. Er schenkt mir großartige Intensität, beschert meinem Alltag honigsüße Noten, erwärmt mein Herz.
Dein Kuss schmeckt voll, einem verheißungsvollen Antrunk gleich. Oh, welch süße Aromen beleben meine erwartungsdurstigen Geschmacksknospen!
Wie wohlig lang der Ausklang nach der Berührung der Lippen, dem das feinste, reinste Gaumengefühl folgt …
Wie sehr mundest Du mir, meine Schönheit, meine Hopfenkönigin, meine schaumgekrönte …

So grüßt und küsst Dich in aufrichtiger Ergebenheit

Dein Rotschopf

Carmen Rosina

Szenisch dargeboten bei Theaterzeit Freistadt 2014

www.verdichtet.at | Kategorie: süffig | Inventarnummer: 14056

Willkommen bei der Bierverkostung

Nur hereinspaziert, meine Damen und Herren, gleich geht es los mit unserer Bierverkostung! Einen guten Schluck in Ehren kann niemand verwehren … Was haben wir hier für Hopfen-Tropfen, feinste Auslese, das Beste vom Besten ist gerade gut genug für Sie!

Kommen Sie, nur herein mit Ihnen, der Herr, keine Scheu, hier, am ersten Stand finden Sie die leichten Biere, die Autofahrer-Tröpferl sozusagen. Da geht etwas mehr, wenn Sie Durst haben. Und heiß genug ist es ja heute. Na, wie schmeckt es? Nach mehr? Das habe ich Ihnen gleich gesagt!

Die Dame, ein kleines, feines, helles Bierchen, na, wie wäre es? Gerne auch im Kelch, es muss nicht immer ein Humpen sein. Das schöne Glas klingt hell und fröhlich, stoßen wir darauf an!

Junger Mann, nicht so schnell, das Glas wird gehoben, nicht gestürzt! Wir haben alle Zeit der Welt. Die Bierverkostung dauert den ganzen Tag, den Abend und einen Teil der Nacht, wenn Sie möchten. Und ich wette, Sie bleiben gerne bei uns …

Denn weiter geht es mit den herben Sorten, die schmecken wie das Leben manchmal auch, so leicht bitter im Nachgeschmack, und lassen können wir auch nicht davon. Immer wieder greifen wir zu, wollen wir nachgefüllt haben, von dieser Geschmacks-Wucht kosten.

Süffig wünschen wir uns die nächste Etappe, ja, da rinnt er, der gute Tropfen! Junge Frau, für Sie wird wohl eher Alkoholfreies fällig? Auch das schmeckt berauschend gut, lassen Sie sich überraschen!

Gnä’ Frau, darf ich Ihnen etwas Besonderes anbieten? Dieses süße, malzig-cremige Bierchen schmeckt fast wie ein Dessert. Wenn schon genießen, denn schon!

Was ist da los? Sie wollen schon gehen? Dabei haben wir doch noch gar nicht auf uns getrunken, so geht das nicht! Heben wir die Gläser, auf unsere Biere, auf uns, die sie trinken dürfen, aufs Durchkosten durch alle Möglichkeiten!

Was für eine Freude, Sie als Gäste bei uns begrüßen zu dürfen! Na dann prost!

 Carmen Rosina
Szenisch dargeboten bei Theaterzeit Freistadt 2014

www.verdichtet.at | Kategorie: süffig | Inventarnummer: 14055

Vorbereitung auf ein neues Leben

„Und dann gehe ich in die Bank. Du liegst da schon am Boden oder fällst gerade hin. Timing ist alles bei dieser Sache, sonst geht es schief. Und schiefgehen darf da gar nichts. Du musst genau checken, wann ich hereinkommen kann!“
Die blasse Frau sieht ihn fragend an, sagt aber nichts, legt nur die rechte Hand auf ihren gewölbten Bauch.
„Hast du verstanden?“ Sein Ton ist ungeduldig. Sie antwortet zögernd und leise:
„Das ist nicht so einfach. Wie stellst du dir das vor? Und das Fallen, wenn da was passiert? Immerhin bin ich im achten Monat.“
„Das ist ja das Tolle. Darum wird ja ein Wirbel entstehen. Niemand lässt eine Hochschwangere einfach unbeachtet liegen. Wenn wir Glück haben, wird sogar die Polizei noch von der Ambulanz behindert. Die Rettung hat immer Vorfahrt! Und bei den engen Gassen …“
Sie unterbricht ihn jetzt: „Ich rede von dem Baby. Was ist, wenn ich unglücklich hinfalle? So einfach ist das nicht.“
„Keine Sorge, das habe ich alles bedacht. Du wartest, bis die Bank richtig voll ist. Viele Menschen, Pensionisten, die sich das Geld am Monatsbeginn bar auszahlen lassen wollen, da geht das am besten. Je mehr Leute in der Bank, desto besser. Und du stellst dich ganz hinten an, wartest ein bisschen, bis dich jemand vor lässt oder sich ein paar Leute in der Schlange hinter dir angestellt haben. Und dann, wenn drinnen alles okay ist, schickst du mir das SMS. Ich bin gleich um die Ecke und warte darauf. Sobald du mich bei der Tür siehst, fällst du, es fängt dich garantiert jemand auf. Und gleichzeitig komme ich rein, rase schnurstracks auf den Schalter zu, zücke die Waffe und schwupps! bin ich mit dem Geld wieder draußen. Du wirst mit der Rettung abtransportiert. Keiner wird dich mit mir in Verbindung bringen.“
Die Frau knetet ihre Hände im Schoß, rückt mit ihrem Stuhl ein Stückchen in seine Richtung, schlägt die Beine übereinander, schlägt sie wieder auseinander, wagt schließlich einen Einwand: „Und wenn sie mich fragen, warum ich gerade zu dem Zeitpunkt ohnmächtig geworden bin, als ein Bankräuber das Gebäude betreten hat?“
„Schwangere sind doch ständig schwindlig, der Kreislauf, das brauche ich dir ja nicht zu sagen. Außerdem wird es heiß nächste Woche, du hast geschwollene Beine, das Stehen, … Und wenn alle Stricke reißen, sagst du einfach, du hättest mich gesehen, meine Waffe, und dich so erschrocken, dass du umgefallen bist. Oder nein, das ist verdächtig, die Waffe ziehe ich ja erst beim Schalter. Sag einfach, du weißt nichts mehr. Das hat auch Vorteile: Vom Überfall selbst bekommst du natürlich auch nichts mit. Du bist dann keine brauchbare Zeugin oder so.“
Sie ist noch nicht überzeugt, man kann ihr die Zweifel am schmalen Gesicht ablesen. „Und wenn etwas schiefgeht? Wenn Wachen da sind, denen du gleich verdächtig vorkommst? Du trägst keine Maske, oder? Wenn sie Kameras haben, dauert es bestimmt nicht lange, bis dein Foto überall zu sehen sein wird. Und vermummt kommst du sicher nicht hinein.“
„Ich werde sehr schnell sein, ich werde laufen, sobald ich durch die Tür bin. So gut sind die Kameras hierzulande noch nicht, mit scharfen Standbildern werden sie Pech haben. Meinen Bart rasiere ich schon seit ein paar Tagen nicht mehr, bis dahin wird er schon halbwegs lang sein. Und ich ziehe ein Käppi aus meiner Tasche, sobald ich beim Eingang vorbei bin. Ich trage gefärbte Kontaktlinsen, dazu Brille und Make-up, das alles kommt gleich nach der Flucht herunter, ebenso wie der Bart. Und ich bin in keiner Kartei, sie können keine Bilder von mir herzeigen, es kann mich also auch niemand wiedererkennen. Wenn mir die Flucht gelingt, bin ich aus dem Schneider. Und die Flucht gelingt leichter, wenn da eine Schwangere mitten am Boden liegt und Erste Hilfe braucht.“
Die Frau denkt nach, überlegt offensichtlich, was sie entgegnen könnte. Schließlich sagt sie recht versöhnlich: „Du hast recht, das meiste Risiko liegt bei dir. Sie können mir nichts vorwerfen, außer, dass ich zum falschen Zeitpunkt umgefallen bin. Solange niemand draufkommt, dass wir uns kennen, kann mir nicht viel passieren. Ich muss auch an mein Kind denken, das Geld können wir gut brauchen. Ich kann auf Monate nicht arbeiten, selbst wenn ich eine Stelle bekäme, mit dem Baby. Und es soll in einem anderen Land aufwachsen, irgendwo in Mittel- oder Nordeuropa, weit weg von diesen Existenzsorgen, der Arbeitslosigkeit und dem ständig drohenden Staatsbankrott. Gut, rauben wir die Bank aus, solange sie noch Geld hat. Es wird schon nichts passieren. Es darf nichts passieren.“
Nach diesen Worten schweigt sie wieder, und ausnahmsweise auch er. Beide scheinen darüber nachzudenken, wie das viele Geld ihrer beider (oder dreier) Leben verändern würde. Schließlich erhebt er sich, sieht sie mit fast feierlicher Miene an und bittet sie, auch aufzustehen.
„Geben wir uns die Hand darauf. Und das Baby ist der jüngste Komplize der Welt.“

Carmen Rosina
Szenisch dargeboten bei Theaterzeit Freistadt 2016

www.verdichtet.at | Kategorie: ¿Qué será, será? | Inventarnummer: 14053

 

 

das bereuen, was man nicht getan hat

das bereuen, was man nicht getan hat

und sich fragen, warum man es gelassen hat. der furcht den vortritt gelassen, schon so eingewöhnt ins fürchten, zögern, zaudern. das erleben hintangestellt, das risiko minimiert.
ein gespräch, ein satz, der einem zu denken gibt. warum nur hast du es nicht versucht?
die versuchung war größer, es zu lassen, wie es ist, alles so, wie es war. obwohl es nicht gut war, wie es war.

das bereuen, was man getan hat

wie viel einfacher ist das. ach hätte ich doch nicht! ist schnell gesagt, gedacht, vergessen. eine weile später, gut verdaut, lässt sich’s sogar darüber schmunzeln.
„mut für alle!“ stand geschrieben. nichts wie hinein ins reine vergnügen.
den unsinn, die schwäche zulassend tänzeln wir einer unsicherheit entgegen, deren wahrer name freiheit ist.

(für tina)

Carmen Rosina

www.verdichtet.at | Kategorie: Kleinode – nicht nur an die Freude | Inventarnummer: 14050