Archiv der Kategorie: Michael Timoschek

Der Jagderfolg

Ich saß vor dem Häuschen meiner Eltern und las eine Kurzgeschichte, die in einer Literaturzeitschrift erschienen war. Ich war so vertieft in die Erzählung, dass ich auf den Mann, der an unserem Gartentor lehnte, erst aufmerksam wurde, als er mir höhnisch zurief: „Ist ja klar: Der Schreiberling sitzt in der Sonne und lässt den Herrgott einen guten Mann sein!”
Ich blickte zum Tor und sah, dass ich von Alois Pöllhammer in meiner Lektüre gestört worden war. Ich legte das Magazin behutsam auf den Boden, dann sprang ich auf und und stürmte auf Pöllhammer zu.
„Was passt dir denn schon wieder nicht, Alois?”, rief ich. Heiß fühlte ich die Zornesröte auf meinem Antlitz.
„Mir passt alles, Michael”, sagte er mit ruhiger Stimme. „Ich habe mir gedacht, dass ich mal durch Gratwein radeln sollte, damit alle Eingeborenen mein neues Mountainbike bewundern können.”

Die Arroganz, die in seinen Worten lag, trieb mich zur Weißglut, doch unwillkürlich warf ich einen Blick auf den Drahtesel. Ich bin wahrlich kein Experte, was geländetaugliche Räder betrifft, doch erkenne ich ein teures Rad, und das von Pöllhammer war definitiv das teuerste, das ich je gesehen hatte.
„Na, Timoschek, was sagst du dazu?”, fragte er und sah mich herausfordernd an.
Ich sagte nichts.
Er begann zu sticheln.
„Mein Bike ist wohl besser als dein klappriges Puch Spezial, das du von deinem Vater übernommen hast, oder? Na ja, als erfolgloser Autor kann man sich eben nicht viel leisten.”
Damit hatte er recht, doch das störte mich nicht. Was mich jedoch störte, war der Knutschfleck, den er auf dem Hals hatte. Dieses Mal stammte nämlich von Sonja Schwaighofer, die Pöllhammer mir zwei Wochen zuvor ausgespannt hatte.
„Na, dann fahre ich wieder heim in mein schönes Haus zu meiner Sonja”, sagte er süffisant und fuhr davon.
Erst wollte ich beschließen, mich nicht aufzuregen, doch dann beschloss ich, es Pöllhammer heimzuzahlen, so erregt war ich.

Der Zufall wollte es, dass sechs Tage nach diesem Vorfall das jährliche Fest der Freiwilligen Feuerwehr in der Gratweiner Mehrzweckhalle stattfand.
Viele Menschen waren gekommen, auch Pöllhammer, und an seiner Seite Sonja Schwaighofer. Sie sah mich, kam auf mich zu und küsste mich zur Begrüßung auf die Wange. Er streckte mir seine Hand herablassend entgegen, und ich schüttelte sie mit meiner.
Ich stellte mich an die Bar und trank ein paar Biere mit meinen Freunden, und es hätte ein angenehmer Abend werden können, wäre Pöllhammer nicht auf die Idee gekommen, mich vor allen Anwesenden demütigen zu wollen.

„Da steht er, der Timoschek, unser Schreiberling!”, grölte er, trunken vom Obstler.
Ich war nicht mehr nüchtern, und da Steirerblut nun einmal kein Himbeersaft ist, geriet ich in Harnisch.
„Und da wankt er, unser Pöllhammer!”, gab ich nicht eben leise zurück. „Er befindet sich in dem Zustand, in dem wir alle ihn nur zu gut kennen.”
„Was willst du damit sagen?”, zischte er.

Die Marktmusikkapelle hatte aufgehört zu spielen, und so kamen immer mehr Menschen von der Tanzfläche an die Bar und wurden Zeugen unserer Konversation.
„Dass du ein Trinker bist, das will ich sagen!”
„Besser ein Säufer als ein armer Schlucker, der sich das Saufen nur zweimal im Monat leisten kann!”, rief er.
Ich errötete, ging aber dennoch auf seine Worte ein.
„Ja, ich bin arm. Aber du, Pöllhammer, bist auch nur durch den frühen Tod deines Vaters zu Geld gekommen”, gab ich zu bedenken.

Schlagartig war es still in der Halle, bloß das Geräusch der Bierzapfanlage war zu hören.
Sonja Schwaighofer hatte sich zu ihren Eltern gesellt und beobachtete Alois und mich aus angemessener Distanz.
„Das ist richtig, Timoschek, ich habe viel Geld geerbt – und weiter?”
„Du führst ein Leben in Saus und Braus, trägst die teuersten Anzüge, fährst die schnellsten Autos – doch am Anfang deines Reichtums steht ein Mord!”, rief ich.

Die Zapfanlage verstummte.
„Was sagst du da, du Gauner?”, rief er.
„Die Wahrheit, du Halunke!”, brüllte ich. „Wie war das denn mit dem Tod deines Alten?”, fuhr ich fort. „Ihr wart doch an diesem Tag, als er seinen Jagdunfall gehabt hat, zu zweit in eurem Revier!”
„Woher willst du das wissen, Timoschek?”
„Ich habe euch beobachtet.”
„Was?”, schrie er.
„Ich war Schwammerl suchen und habe gehört und gesehen, wie du mit deinem Vater wegen Geld gestritten hast. Und dann ist er gestorben.”
„Ich habe oft mit meinem Alten gestritten, das stimmt schon, aber nie wegen Geld!”
„Natürlich wegen Geld, Pöllhammer!”, brüllte ich. „Ein paar Tage, bevor du deinen Alten um die Ecke gebracht hast, hat er deine Saufschulden in sämtlichen Wirtshäusern bezahlt und den Wirtsleuten aufgetragen, dich nie wieder anschreiben zu lassen. Er hat auch zu jedem einzelnen Wirt gesagt, dass er dir kein Geld mehr geben wird, weil du immer alles, was er dir gibt, gleich versäufst oder nach Graz zu den Huren trägst!”
„Das ist eine Lüge, Timoschek!”
„Nein, das stimmt schon! Viele hier in der Mehrzweckhalle könnten das bezeugen, denn sie sitzen ständig im Gasthaus! Jedenfalls, nachdem du deinen Vater in eurem Jagdrevier erlegt hast, hast du sein Sägewerk schnell zu Geld gemacht und lebst nun in Saus und Braus.”
„Das war ein Unfall!”, schrie er.
„Dass sich zwei Schüsse aus deiner Flinte gelöst haben? Nein, mein Böser, das war bei Gott kein Unfall! Ich habe es ja gesehen: Dein Vater hat dir gesagt, dass er am nächsten Tag sein Testament ändern würde, und da musstest du eben handeln!”, rief ich.

Dann fühlte ich, dass es an der Zeit war, die doch etwas bedrückte Stimmung in der Halle aufzulockern, also stellte ich Alois eine Frage, um ihn daraufhin abzuklopfen, ob er ein guter Jäger war.
„Sag, Pöllhammer, hast du deinem Alten wenigstens die letzte Äsung zuteilwerden lassen? Hast du ihm einen Zweig in den Mund gesteckt? Ich bin nämlich davongelaufen, nachdem du ihn erlegt hast.”
„Ich habe ihn nicht erlegt, du Falott! Zwei Schüsse haben sich aus meiner Flinte gelöst, und er wurde das Opfer eines Unglücks!”
„Zwei Schüsse aus einer einläufigen Flinte”, stellte ich fest und blickte die Umstehenden an.
„Ein technisches Versagen, sonst nichts!”, zischte Pöllhammer.
„Natürlich handelt es sich um ein solches. Vor allem, wenn man eine Kipplaufflinte in der Hand hält!”

Ich musste unwillkürlich lachen.
„Die Polizei hat auch festgestellt, dass es ein Unfall war”, sagte er und sah mich triumphierend an.
„Natürlich hat sie das, Alois. War der damalige Postenkommandant nicht der Bruder des Vorarbeiters im Sägewerk deines Alten? Und konnten sich die beiden Herren nach diesem Unglück nicht ihre Häuser bauen, das eine mit einem Schwimmteich, und das andere sogar mit einer riesigen Voliere für Graupapageien?”
„Warum hast du mich nicht angezeigt, Timoschek?”
„Das hätte doch nichts gebracht, Pöllhammer. Es gibt in jedem Dorf die Gleichen, und es gibt die Gleicheren. Außerdem ist es um deinen Alten nicht schade.”
Alois Pöllhammer kam auf mich zu, verabreichte mir eine Ohrfeige, dann drehte er sich um, rief: „Ein Schreiberling eben – so einer erfindet gerne Geschichten!” und stürmte aus der Halle.

Ich rieb meine Backe und sagte zu den Festbesuchern: „Es tut mir leid. Ich wollte euch den Abend nicht verderben, aber das musste gesagt werden.”
Der Bürgermeister kam zu mir, klopfte mir auf die Schulter und sagte: „Es ist, wie es ist.”

Dann kam Sonja Schwaighofer, küsste mich auf die nicht schmerzende Wange und flüsterte: „Pöllhammer wird bald kein Geld mehr haben, wenn er es weiterhin mit beiden Händen rauswirft. Dass er seinen Vater umgebracht hat, habe ich gar nicht gewusst, ehrlich. Na ja, ich wollte ihn morgen ohnehin verlassen und zu dir zurückkommen.”
Ich lächelte wissend und nahm sie zurück.

Michael Timoschek

www.verdichtet.at | Kategorie: drah di ned um | Inventarnummer: 16088

Herr Peters darf noch nicht sterben

„Herr Peters, warum glauben Sie, dass Sie sich umbringen müssen, um die Probleme mit Ihrer Frau aus der Welt zu schaffen?”, fragte Maria Knöpfling, die Psychotherapeutin.
Auf das vor ihr auf dem Schreibtisch liegende Blatt Papier schrieb sie ‘schwere Anpassungsstörung; suizidale Tendenzen??’

„Das wäre die beste Lösung”, gab Norbert Peters zurück. „So wären alle Probleme gelöst.”
„Das ist zweifellos richtig. Aber Sie wären doch nicht zu mir gekommen, um ein Erstgespräch zu führen, wenn Sie sich wirklich das Leben nehmen wollten.”
„Das stimmt, zum Teil wenigstens”, seufzte Peters. „Ich habe den Rat meiner Frau und meines besten Freundes befolgt und bin zu Ihnen gekommen, weil Sie angeblich die beste Therapeutin sind. Ich möchte eine Psychotherapie machen.”
„Das klingt schon besser”, sagte Maria lächelnd und notierte: ‘Anzahl der Stunden – Krankenkasse?’

„Es ist nämlich so”, begann Peters. „Mein bester Freund, sein Name tut hier nichts zur Sache, hat mit meiner Frau gesprochen, und beide haben sie mir geraten, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Sie befürchten nämlich, dass ich mir etwas antun könnte.”
„Das will natürlich niemand!”, sagte Maria und schrieb: ‘bester Freund und Ehefrau; auch Hausfreund?’

„Ihr bester Freund scheint einen großen Einfluss auf Ihre Gattin zu haben”, fuhr sie fort.
„Den hat er in der Tat. Wir sind schon seit Kindergartentagen befreundet, müssen Sie wissen. Wir haben keine Geheimnisse voreinander. Ach, vergessen Sie bitte, was ich vorhin gesagt habe. Er heißt Hugo. Ich kann seinen Namen ja ruhig nennen. Da Hugo mit mir befreundet ist, ist es doch ganz normal, dass er auch mit meiner Frau auf gutem Fuße steht, finde ich.”
„Auf wie gutem Fuße denn?”, fragte die Therapeutin.
„Die beiden gehen alle zwei Wochen essen.”
„Bei diesen Gelegenheiten können sie sich natürlich unter vier Augen austauschen – auch über Sie, Herr Peters.”
„Natürlich. Ich bin sehr froh, dass sie das machen. Als es einmal darum ging, ob ich eine Operation einer Chemotherapie vorziehen sollte, haben sie die Sache besprochen und Hugo hat mir einen Termin beim besten Chirurgen der Stadt verschafft. Heute bin ich gesund.”
„Das ist sehr schön; eine echte Freundschaft eben”, stellte Maria fest. „Möchten Sie die Probleme, die Sie mit Ihrer Frau haben, kurz umreißen, Herr Peters?”
‘bei Verhältnis Frau – Hugo einhaken! (mind. 3 Einheiten!)’, notierte sie.

„Was schreiben Sie da?”, fragte Norbert Peters und beugte sich nach vorn, um das Blatt besser zu sehen.
Maria Knöpfling zog dieses vom Tisch und sagte: „Ich mache mir Notizen, um die Therapie zielgerichtet anlegen zu können, Herr Peters.”
„Nun gut. Sie werden schon wissen, was Sie zu tun haben.”
„Darauf können Sie Gift nehmen”, gab sie zurück und sagte schnell: „Im übertragenen Sinne, natürlich!”
Dann fuhr sie fort: „Sie werden in der Therapie lernen, eigene Entscheidungen zu treffen, Herr Peters. Das wird Sie unabhängig machen von den Entscheidungen Ihrer Frau und Ihres Freundes. Also, wo liegt das Problem?”
„Meine Frau beachtet mich kaum noch. Mir kommt es vor, als wäre ich Luft für sie.”
„Aber Ihren besten Freund beachtet sie?”
„Natürlich.”
„Warum ist das so? Was glauben Sie, Herr Peters?”
„Ich weiß es nicht. Klar, sie ist in den Wechseljahren, das hat man eben kein so großes Interesse am Partner mehr. Ich habe mich ja auch verändert. Vor zehn Jahren hatte ich gut zwanzig Kilo weniger, aber so ist das gute Leben. Man verändert sich. Hugo hingegen, der könnte glatt einen Marathon laufen.”
‘tote Hose; Frau und Freund: Sex?’, schrieb Knöpfling.

„Wo ist Ihre Frau jetzt, Herr Peters?”
„Sie ist in die Sauna gegangen. Hugo hat sie mitgenommen. Es gibt nämlich eine neue gemischte Sauna in seiner Straße.”
„Herr Peters, was ich Sie jetzt frage, ist etwas heikel: Haben Sie je die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass Ihre Frau ein Verhältnis haben könnte?”
„Es ist so, dass sie ein Verhältnis hatte, aber das ist zwanzig Jahre her. Dass sie wieder eines hat, erscheint mir unvorstellbar.”
„Gut. Darüber werden wir uns noch ausführlich unterhalten. Sie wissen aber, dass Sie mir gegenüber ehrlich sein müssen. Auch wenn es für Sie unangenehm sein sollte, Sie müssen mir die Wahrheit sagen, sonst macht eine Therapie keinen Sinn.”
„Das hat mir Hugo schon gesagt, Frau Knöpfling.”
„Das freut mich, Herr Peters. Haben Sie von Ihrem Freund auch erfahren, was Sie mir sagen dürfen oder was nicht?”
Norbert blickte sie verständnislos an.
„Wie meinen Sie das?”
„Hat er Ihnen geraten, mir zu bestimmten Themen keine Informationen zu geben?”
Er zögerte seine Antwort hinaus.
„Nun ja, er hat mir gesagt, dass ich Ihnen nicht zu erzählen brauche, dass mein Verhältnis zu meinen Eltern kein besonders gutes war.”
„Herr Peters, so geht das nicht. Sie müssen sich von dem Gedanken lösen, dass Sie das zu tun haben, was Ihnen von Hugo gesagt wird. Sie sind ein erwachsener Mensch, der seine eigenen Entscheidungen zu treffen hat. Es ist schön für Sie, dass Sie einen Freund haben, mit dem Sie seit Ihrer Kindheit über alles reden können, doch sollten Sie sich die Frage stellen, ob er ein wirklicher Freund ist.”
‘Hugo!!!’, schrieb sie auf.

„Ich verstehe nicht, was Sie meinen.”
„Es ist doch ganz einfach, Herr Peters. Sie haben Probleme mit Ihrer Ehefrau. So große Probleme, dass Sie sogar daran gedacht haben, sich etwas anzutun. Ich frage Sie: Konnte ihr Freund Hugo Ihnen bei diesen Problemen helfen? Konnte er etwas zu deren Lösung beitragen?”
„Nein”, stammelte er. „Bis jetzt nicht.”
„Natürlich konnte er das nicht. Und wissen Sie auch, warum?”
„Nein, Frau Knöpfling, das weiß ich nicht.”
„Weil er dazu nicht in der Lage ist.”
„Sind Sie denn dazu in der Lage?”
„Natürlich bin ich das, Herr Peters. Nicht umsonst stehe ich im Ruf, die beste Psychotherapeutin weit und breit zu sein.”
„Die teuerste sind Sie aber auch”, bemerkte Norbert.
„Weil ich gut bin.”
„Wie wollen Sie es anstellen, dass ich wieder glücklich werde in meiner Ehe?”
„Ich werde Ihnen Fragen stellen und Sie durch diese zum Nachdenken bringen. So werden Sie erkennen, wo Ihre Probleme liegen, wer schuld daran ist und wie Sie sie lösen können.”, klärte sie ihn auf und sagte milde lächelnd dazu: „Ohne dass Sie sich umbringen müssen.”
Norbert Peters dachte nach.
„Sie haben wahrscheinlich recht”, sagte er dann. „Mein bester Freund ist zweifellos so sehr an mich gewöhnt, dass er die Dinge nicht von außen betrachten kann. Sie kennen mich nicht, wenigstens noch nicht, und sind daher viel eher in der Lage, mich zu verstehen und mir zu helfen.”
Maria Knöpfling malte einen winzigen Smiley auf das Blatt und übermalte ihn sofort wieder.

„Ich sehe, Sie beginnen zu verstehen, worum es geht, Herr Peters.”
„Können Sie mir denn Verschwiegenheit garantieren?”
„Selbstverständlich. Was auch immer Sie mir erzählen, wird streng vertraulich behandelt. Niemand wird davon erfahren. Dazu sind wir Psychotherapeuten verpflichtet.”
„Gilt das auch für meine Frau?”
„Sie meinen, ob ich Ihrer Frau etwas von dem erzählen darf, was Sie mir anvertrauen?”
„Ja, das meine ich.”
„Nein, Herr Peters. Ich bin nicht Ihr bester Freund. Wenn Sie diesem von Ihren Problemen erzählen, so bleibt es ihm überlassen, Ihre Ehefrau einzuweihen.”, sagte sie milde lächelnd, setzte süffisant hinzu: „Bei einem gemeinsamen Restaurantbesuch” und beendete ihre Ausführungen zu diesem Thema noch süffisanter: „Oder in der gemischten Sauna.”

Wieder dachte Peters nach.
„Ich habe mich schon gefragt, ob zwischen den beiden etwas läuft, doch kann ich es mir nicht vorstellen.”
„Nein, natürlich ist so etwas nicht vorstellbar. In der heutigen Zeit ist es undenkbar, dass eine Frau sich den besten Freund ihres Gemahls angelt. Ebenso ist es mittlerweile völlig aus der Mode gekommen, dass ein Mann die Gattin seines besten Freundes begehrenswert findet.”
„Denken Sie denn, dass die beiden ein Verhältnis haben, Frau Knöpfling?”, fragte Norbert mit banger Stimme.
„Das weiß ich nicht, Herr Peters. Aber ich weiß, dass wir diese Frage ausführlich besprechen werden. Wir haben nicht mehr viel Zeit, daher möchte ich Ihnen eine Frage stellen, aber zu einem anderen Thema.”

„Nur zu.”
„Als Sie heute zu mir gekommen sind, haben Sie gesagt, dass Sie überlegen, sich etwas anzutun. War das ernst gemeint?”
Peters errötete.
„Lassen Sie es mich so formulieren: Ich spiele seit meinem sechzehnten Lebensjahr mit diesem Gedanken. Natürlich nicht ständig, also nicht täglich oder wöchentlich, aber ab und an überkommt mich der Trieb, mich umzubringen.”
„Das müssen Sie aber nicht tun, Herr Peters. Es gibt für alles eine Lösung, glauben Sie mir.”
„Das weiß ich doch. Es ist nur so, dass ich mich schon immer von der Dunkelheit angezogen gefühlt habe. Und die dunkelste Form davon ist nun einmal der Tod.”
Maria Knöpfling nahm ihren Bleistift und schrieb ‘intensive Betreuung – Boxter?’

„Glauben Sie mir, Herr Peters, wir werden auch dieses Problem lösen. Im Zuge der Therapie werden wir uns diesem Thema ausführlich widmen und Sie von der Dunkelheit zurück ins Licht führen.”
„Das wäre schön”, sagte Norbert und räusperte sich. „Wenn ich ehrlich sein darf, Frau Knöpfling: Es war dumm von mir, Sie nicht schon vor Jahren aufgesucht zu heben. Ich hätte mir viel Kummer erspart. Ich”, er schluckte zweimal, „habe das Gefühl, in Ihnen einen neuen besten Freund gefunden zu haben, Freundin meine ich natürlich.”
„Ich bin Ihre Therapeutin, und nicht Ihre beste Freundin, Herr Peters. Ich pflege meine Patienten zu siezen, damit die professionelle Distanz gewahrt bleibt.”
„Das weiß ich natürlich. Ich habe auch nicht sagen wollen, dass wir nach der Therapie auf ein Bier gehen, oder in die Sauna. Ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen, dass es mir gut tun wird, mit jemandem zu reden, ohne dass diese Person alles gleich brühwarm meiner Frau erzählt. Auch wenn Hugo es bestimmt nur gut meint.”
„Gut. Eines müssen Sie mir aber versprechen: Während Sie bei mir in Behandlung sind, dürfen Sie sich nichts antun. Versprechen Sie mir das, Herr Peters?”
„Natürlich. Warum sollte ich mich umbringen, wenn ich doch nun eine Therapeutin habe, mit der ich reden kann und die nichts weitersagt? Versprochen.”
„Das freut mich sehr. Zahlen Sie eigentlich privat, oder übernimmt Ihre Krankenkasse einen Teil der Therapiekosten?”
„Ich zahle privat, denn ich bin in der glücklichen Lage, auf die Dienste einer Krankenversicherung verzichten zu können.”
Sie strich das letzte Wort auf dem Zettel durch und schrieb ‘911 Turbo S!!’

„Ich denke, dass wir mit zwei Einheiten pro Woche beginnen sollten, und nach einem halben Jahr sehen wir weiter. Wenn Sie bis dahin Fortschritte gemacht haben sollten, was zwar schwierig, aber immerhin nicht unmöglich ist, können wir die Frequenz unserer Treffen auf einmal pro Woche reduzieren.”
„Vielen Dank, Frau Knöpfling.”
„Sehr gerne, Herr Peters. Sie werden sehen: Für die Probleme meiner Patienten habe ich immer ein offenes Ohr.”
Als sie dies sagte, lagen ihre Hände mit den Handflächen nach oben auf ihren Oberschenkeln.

Michael Timoschek

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary | Inventarnummer: 16089

Die grotesken Erlebnisse des Anus Jung

Es war die Liebe zu harter australischer Rockmusik, die den alten Jung dazu bewegte, dem Standesbeamten des steirischen Dorfes Gratwein mitzuteilen: “Fredl, der Bub soll Angus heißen!”
Alfred Kriechmann, so hieß der Beamte, erschrak und fragte: “Du möchtest, dass dein Sohn wie eine Rinderrasse heißt? Bist du verrückt geworden, Franz?”
Doch Franz Jung war dies keineswegs. Wissend blickte er auf den Aktenordner mit der Aufschrift ‘Geistige Nahrung’, der im Regal stand, und nachdem Kriechmann zwei Wassergläser mit Geistesnahrung gefüllt hatte, klärte Jung ihn auf: “Nein, Fredl, es geht nicht um Kühe, sondern um Rockmusik.”
Mit bedeutungsschwerem Blick deutete er auf den Schriftzug auf seinem schwarzen Shirt: ‘Black in Back’ stand dort. Er hatte das Textil einem Händler abgekauft, der auf dem letzten Gratweiner Kirtag einen Stand mit Devotionalien gehabt hatte, und der, wie er Franz stolz erzählt hatte, einst der wertvollste Reserveverteidiger der tschetschenischen Nationalmannschaft gewesen war.

“Australische Rockmusik”, fügte Jung erklärend hinzu.
Da verstand der Standesbeamte und bereitete die entsprechenden Papiere vor, und er vergaß auch nicht fleißig nachzuschenken, denn Angelegenheiten von einiger Wichtigkeit werden in der Steiermark nur höchst selten nüchtern behandelt.
Hätte Franz Jung dem auf dem Gebiet der harten Rockmusik unbeleckten Alfred Kriechmann bezüglich dessen Rinderrassentheorie recht gegeben, so hätte dieser tatsächlich den Namen Angus eingetragen. Da er jedoch an jenem Tag der erste Bittsteller in der Kanzlei des Beamten war und dieser logischerweise wenig geistige Nahrung zu sich hatte nehmen können, intellektuell somit noch nicht warm geworden war, verschrieb sich Alfred und dem jungen Jung wurde der Name Anus gegeben.

Auf dem Hof der Familie Jung fiel dieser Umstand niemandem auf. Das Dokument wurde zu den anderen in eine Mappe gelegt und diese in einer Truhe auf dem Dachboden verwahrt. Da die Jungs seit Generationen große Gegner der katholischen Kirche waren und Anus selbstverständlich nicht taufen ließen, lebte dieser die ersten sechs Jahre seines Lebens quasi unerkannt unter falschem Namen auf seines Vaters Grund und Boden.
Für alle war er Angus, der Sohn des reichsten Bauern in der Umgebung. Es war jedem Gratweiner klar, dass der Junge eines Tages das Gehöft seiner Familie übernehmen und, sollten die Rahmenbedingungen günstig sein, sogar vergrößern würde.

Als er im Alter von fünf Jahren seinen ersten Reisepass erhielt, stand tatsächlich Anus darin.
Er eilte zu seinem Vater und sagte: “Papa, sie haben ein g vergessen!”
Franz Jung starrte auf das Dokument und fühlte plötzlich Wärme in sich hochsteigen. Er lief zum Gemeindeamt, doch Alfred Kriechmann war in der Zwischenzeit in Pension gegangen und nach Pattaya verzogen, wie der enervierte Vater erfuhr.
Der neuen Standesbeamtin, Fräulein Magister Beate Schnepf, stand der Sinn nicht nach ‘Geistiger Nahrung’. Hinter ihr stand ein Ordner im Regal, der die Aufschrift ‘Veganes Tagebuch’ trug.
In Franz Jung keimte der Verdacht, dass er mit Fräulein Schnepf nicht so gut auskommen würde wie mit Fredl Kriechmann, aber er beschloss trotzdem, das Problem zur Sprache zu bringen.

Beate Schnepf suchte den entsprechenden Akt heraus, las ihn und brach in schallendes Gelächter aus.
“Wissen sie, was Anus bedeutet, Herr Jung?”, fragte sie, noch immer lachend.
“Ja, natürlich weiß ich das”, log Franz.
“Wo ist dann das Problem?”, fuhr das Fräulein fort. “Seien Sie doch froh, dass Ihr Sohn einen derart aus dem Leben gegriffenen Vornamen hat.”
Jung sah sie fragend an.
Da erkannte sie, dass er keinen blassen Schimmer von der Bedeutung des Wortes hatte.
“Es ist schön zu sehen, dass es tatsächlich noch Eltern gibt, die ihren einzigen Sohn nach etwas benennen, das jeder Mensch hat. Sehen sie: Sie haben auch einen.” Wieder begann sie zu lachen. “Stellen Sie sich vor, Herr Jung: Sie haben gleich zwei davon! Den, den Sie sowieso haben, und Ihren Sohn.” Sie wischte sich Tränen aus den Augen. “Ich zum Beispiel überlege, das kleine Mädchen, das ich eines Tages mit meiner Lebenspartnerin adoptieren werde, Vegana zu nennen.”
Diese Information war zu viel für Franz Jung.
‘Zwei Frauen, die ein Kind aus dem Waisenhaus holen und ihm einen derart ordinären Namen verpassen wollen!’, dachte er sich.

“Bitte glauben Sie mir, Herr Jung”, sagte Fräulein Schnepf, erhob sich und reichte ihm die Hand, “es hat schon alles seine Richtigkeit mit dem Vornamen Ihres Sohnes. Seien Sie froh, dass Sie ihm einen so sonnigen Namen gegeben haben.”
“Sonnig?”, fragte Jung und schüttelte ihre Hand. “Was meinen Sie mit sonnig?”
“Nun, Ihr Sohn wird sich mit Sicherheit viel öfter an den warmen Strahlen der Sonne erfreuen als Ihr eigener Anus.”
Jung verließ das Gemeindeamt in der Überzeugung, dass der Terminus Anus wohl die griechische Bezeichnung für einen Teil des menschlichen Körpers sein musste, wie beispielsweise für den Bauchnabel, und er seinem Sohn einen guten Dienst erwiesen hatte.

Brüllend wie ein bei lebendigem Leib am Spieß gebratener Ötscherbär stürzte der junge Jung ein Jahr später auf seinen Vater zu und schlug ihm mit dem Teppichklopfer der Familie, mit welchem er selbst bei verschiedenen Gelegenheiten hatte Bekanntschaft machen dürfen, jedoch ohne dass sich daraus eine Freundschaft oder gar echte Zuneigung entwickelt hatte, zweimal so fest er konnte auf den Allerwertesten.
“Warum hast du das gemacht?”, brüllte er.
“Was gemacht, Bub?”
“In der Schule haben sie mir erklärt, was ein Anus ist!”
“Und?”, gab der Alte verständnislos zurück. “Jeder hat doch so etwas!”

Daraufhin lief der Junge ins Haus und weinte sich bei seiner Mutter aus. Diese holte die Dokumentenmappe vom Dachboden und ein Wörterbuch aus dem Bücherregal im Keller des Hauses.
Da sie im Umgang mit Büchern unerfahren war, dauerte es eine Weile, bis sie herausfand, was Anus bedeutete.
“Franz!” Nun brüllte die Mutter. “Du kommst jetzt her, und zwar sofort!”
Dreißig Sekunden später stand er vor ihr.
“Bub, du schleichst dich sofort nach oben in dein Zimmer! Dein Herr Vater und ich haben etwas zu besprechen.”
Anus ging nach oben.
“Was bildest du dir eigentlich ein?”, schrie Fani Jung, die Mutter von Anus. “Nur weil du süchtig nach Backen bist, nennst du unseren Sohn Anus? Ja, soll denn das ganze Dorf erfahren”, ihre Stimme begann sich zu überschlagen, “was ich mir jede Nacht von dir gefallen lassen muss? Du bringst das wieder in Ordnung, Franz, sonst hat es sich für dich bei mir ausgeanust!”

Allein, die Sache war nicht mehr in Ordnung zu bringen.
Da in den ersten Lebensjahren des vermeintlichen Angus Jung niemand gegen dessen tatsächlichen Vornamen Protest eingelegt hatte, war Verjährung eingetreten und die einzige Möglichkeit wäre gewesen, dem Jungen einen anderen Namen zu geben.
Dies zu tun hätte aber eine Zuwiderhandlung gegen den ursteirischen Brauch bedeutet, nach welchem der Vater den Namen des Sohnes aussucht und der Sohn ihn zu behalten hat. Nennt ein Vater seinen Sohn beispielsweise stets Buakrot, so wird im Reisepass des Jungen unweigerlich Bubkröte zu lesen sein.
Die Eltern von Anus einigten sich mit den Lehrern der Gratweiner Volksschule und den Eltern der Klassenkameraden ihres Sohnes darauf, dass dieser von allen Ani gerufen werden sollte.

Da die Familie Jung gut im Gratweiner Dorfleben integriert war, kam Anus viel herum. Er wurde auf andere Höfe mitgenommen und lernte nach und nach die wichtigen Menschen des Dorfes kennen, wie den Arzt, den örtlichen Apotheker und den Betreiber des Gemeindebordells.
Diese Honoratioren wussten zwar, wie Ani wirklich hieß, doch hielten sie sich strikt an die offizielle Sprachregelung.
In der Volksschule und danach in der Hauptschule wurde Anus zwar oft auf dem Pausenhof gehänselt, doch mit der Zeit bildete er eine Resistenz gegen die Verächtlichmachungen seines Vornamens aus.
Nach dem Abschluss der Hauptschule arbeitete Anus auf dem Hof seiner Eltern. Er führte das Leben eines gewöhnlichen Gratweiner Jugendlichen. Er traf sich mit Freunden, trank erst heimlich, dann öffentlich Bier, rauchte Zigaretten und wurde von seinem Vater dafür geohrfeigt, wilderte zwei schöne Rehböcke und einen Habicht, wofür er vom Revierpächter übers Knie gelegt wurde, und macht eine erste Erfahrung bezüglich einer Stellung.

Das Bundesheer war der Ansicht, keinesfalls auf die Dienste des Anus Jung verzichten zu können, und berief ihn zur Musterung ein.
In der Grazer Kaserne, in welcher diese vorgenommen wurde, saßen alle präsumtiven Grundwehrdiener in einem großen Raum und mussten, sobald sie aufgerufen wurden, “Hier!” rufen.
“Anus Ju- Moment mal!”, sagte der Wachtmeister. “Heißen Sie tatsächlich Anus?”
“Sie können mich Ani nennen. Alle nennen mich so”, sagte Jung.
“Das freut mich!”, bellte der Unteroffizier. “Und das ist mir völlig egal!”
Anus begann zu lachen. Der Schnauzbart des Soldaten erinnerte ihn an den von Emil, der der dümmste Knecht auf dem Hof war.
“Was gibt es da zu lachen, Schütze Anus vom letzten Glied?”, rief der Verlachte, als ein Leutnant den Raum betrat und die jungen Männer anwies, ihm zu den medizinischen Untersuchungen zu folgen.

Einer hübschen Krankenschwester fiel die Aufgabe zu, zu verifizieren, dass der Hodensack des Anus Jung gemäß der natürlichen Ordnung gefüllt war, als diesem eine mächtige Erektion schwoll.
Routiniert griff die Schwester nach einem Glas mit eiskaltem Wasser und sagte: “Mach dir keine Sorgen, Anus.” Sie las seinen Namen ein zweites Mal auf dem Papier, das er ihr gegeben hatte, und begann zu kichern. “Das passiert mir oft. Nimm das Glas und geh damit hinter den Vorhang. Dort kannst du dich beruhigen.”
“Das kann ich auch hier”, sagte er und erhob sich.
Er nahm das Glas, prostete der Krankenschwester zu und leerte es in einem Zug, während sein Penis in Richtung der auf einem Sessel sitzenden Frau ragte.
So etwas war der jungen Frau allerdings noch nie passiert. Sie starrte ihn aus vor Schreck geweiteten Augen und mit offenem Mund an, als der Leutnant den Untersuchungsraum betrat.
Sogleich sah er die geweiteten Augen und den offenen Mund, bloß fünf Zentimeter vom Penis entfernt.
“Fräulein Schlauch”, seufzte der Offizier, “ich verwarne Sie hiermit ein weiteres Mal! Machen Sie das doch zu Hause!”
“Nein, Herr Leutnant!”, sagte sie schnell. “Das hier ist eine ganz andere Situation.”
“Das sagen Sie jedes Mal. Jung, Sie kommen mit!”
Anus wurde für untauglich befunden. ‘Zu erwartende Konflikte wegen eigenwilliger Namensgebung vonseiten der Erziehungsberechtigten des Wehrpflichtigen’, so lautete die in schönstem Soldatendeutsch abgefasste Begründung für Jungs Untauglichkeit.

Wieder auf dem Hof seiner Familie, wurde Anus von seinen Eltern zur Rede gestellt.
“Anus, wann bringst du endlich ein Mädchen mit nach Hause?”, fragte Fani Jung.
“Was soll ich mit so etwas anfangen?”, gab er zurück. Die Tatsache, dass seine Mutter ihn nicht Ani genannt hatte, machte ihm den Ernst der Situation klar.
“Na, was man mit einer Frau eben macht!”, rief sein Vater.
“Kochen?”, fragte Anus.
Fani Jung seufze und sagte zu ihrem Mann: “Nimm genug Geld mit, Franz. Vielleicht braucht der Bub zwei Stunden.”
“Komm, Bub, heute wirst du ein Mann!”, sagte Franz und zog seinen Sohn aus dem Haus.

In ‘Josefs Knallerbude’, dem Gratweiner Bordell, wurden Anus zwei Frauen vorgestellt. Dusica, eine Zwanzigjährige, und Edeltraud, ein Urgestein des horizontalen Gewerbes im Dorf, erfahrene vierundfünfzig Jahre alt.
Anus deutete schnell auf Dusica und die beiden setzten sich an einen Tisch. Der Besitzer des Etablissements brachte ihnen zwei kleine Flaschen billigen Sekt und die junge Frau füllte die Gläser. Sie stießen an und Dusica rückte dicht an Anus heran.
“Ich Dusica”, flüsterte sie in sein Ohr.
Er gab ihr die Hand und sagte: “Anus.”
Sofort rückte sie von ihm ab, sah ihn streng an und sagte “No! No Anus!”
Er sah sie erstaunt an.
“Anus”, wiederholte er und versuchte sie auf die Wange zu küssen.
“No!”, rief sie. “Anus no good!”
“Anus very good!”, protestierte er und sah, dass sich Edeltraud bereits die Hände rieb. Offensichtlich stand ihr der Sinn danach, dem Sohn ihres Stammkunden Jung zu zeigen, was nur eine erfahrene Gunstgewerblerin wissen und beherrschen kann.
Da schaltete sich der Bordellier ein.
Er klärte das Missverständnis auf und als Anus nach einer Stunde grinsend zurückkam und von seinem Vater, der an der Bar gewartet hatte, die Bezahlung einer weiteren Stunde forderte, erhielt er eine Ohrfeige.

Als Anus sechsundzwanzig Jahre alt war, erfüllte er den Wunsch seiner Eltern und brachte eine Frau mit auf dem Hof.
Sie hieß Notburga Lunz und bald war sie sowohl in die Gemeinschaft auf dem Hof integriert als auch in die des Dorfes Gratwein. Übelmeinende Zungen setzten das Gerücht in die Welt, dass dafür lediglich eine Tatsache verantwortlich sein konnte: nämlich die, dass Notburga eine Inklination zur Promiskuität innewohnte und sie dieser oft und gerne nachgab.
Anus konnte nichts gegen das Verhalten seiner Freundin ausrichten, zumal ihm dämmerte, dass diese nach dem Tod seiner Mutter ohne Weiteres seine Stiefmutter werden konnte.
So kam es dann auch: Fani Jung starb an einer Lungenentzündung und nachdem sie auf dem paganen Friedhof Gratweins unter dem Schädel eines Ziegenbocks vergraben worden war, musste Anus Notburga mit ‘Mutter’ ansprechen. Von diesem Tag an sagte sie nie wieder Ani zu ihm.

Anus übernahm den Hof von seinem Vater, der sich mit Notburga in ein Ausgedingehaus zurückgezogen hatte.
Nachdem dieses von Anus warm abgetragen worden war, und nachdem er seinen Vater und Notburga aus Rache und gegen eine schöne Spende an die Kirche auf dem katholischen Friedhof begraben hatte, verkaufte Jung seinen Grundbesitz und verließ Gratwein.
Zu seinem Nachbarn soll er zum Abschied gesagt haben: “Ich fliege nach Pattaya. Dort habe ich etwas zu erledigen. Und dann”, bei den folgenden Worten soll sich seine Miene etwas aufgehellt haben, “ziehe ich nach Australien. In Sydney soll es eine Selbsthilfegruppe für Anguse geben, die unter Rechtschreibfehlern bei der Namensgebung zu leiden haben.”

Michael Timoschek

www.verdichtet.at | Kategorie: ü18 | Inventarnummer: 16057

Fundstücke

Gestern Abend entdeckte ich auf dem Dachboden des Häuschens meiner Mutter eine Truhe, die mir irgendwie bekannt vorkam.
Ich hatte mich auf den Dachboden zurückgezogen, denn ich wollte vermeiden, dass meine werte Frau Mama mitbekam, in welchem Zustand ich mich um acht Uhr abends als achtunddreißigjähriger Mann befinde, wenn ich die Stunden zuvor, meist drei an der Zahl, mit meiner Lieblingsbeschäftigung verbracht habe.
Ziemlich angetrunken, wie ich eben war, öffnete ich das hölzerne Gebilde und wich vor Erstaunen zurück.

Heute, in nüchternem Zustand, halte ich meinen ersten Gedanken nach dem Aufmachen ‘Eine Schatztruhe!’ für überzogen. Als solche würde ich eher den hintersten Raum unseres Kellers bezeichnen, in welchem meine Vorräte an Bier und Spirituosen lagern und ihrer Konsumation durch mich harren – wobei ich mir natürlich im Klaren über meine luxuriöse Situation bin: Ich verfüge über eine begehbare Schatztruhe.

Ich öffnete also die Holzkiste und war erstaunt. Darin lagen Gegenstände, die ich vor vielen Jahren verwendet hatte.
Ich nahm ein großes Glas mit in Alkohol eingelegten Weichseln heraus, welches mein in allen Belangen umsichtiger Großvater mir geschenkt hatte. Ich erinnerte mich an seine Worte: “Michael”, hatte er gesagt und eine bedeutungsvolle Miene aufgesetzt, “iss die Weichseln und lass die Frauen den Schnaps trinken.”
Nun, es hat funktioniert. Die Weichseln brachten mir von meinem zehnten bis zu meinem vierzehnten Lebensjahr große Freude, und dann lockerten sich die Mädchen bei meinem Schnaps auf. Danke, Opa! Prost!

Dann bemerkte ich eine seltsame Kappe in der Truhe, blau und mit einem schwarz-rot-goldenen Band verziert. Verdutzt blickte ich auf das Utensil und versuchte mich an dessen Verwendungszweck zu erinnern. Bald kam mir dieser in den Sinn: Der von Staub bedeckte Burschenhut war einst von mir gestohlen worden.
Ein Freund aus Jugendtagen hatte mich eines sehr fröhlichen und noch feuchteren Abends dazu überredet, ihn zum Haus seiner Schülerverbindung zu begleiten. Ich ging mit ihm dorthin, bekam das Käppchen und war plötzlich kein Österreicher mehr, sondern Deutscher. Kaum hatte ich es auf dem Kopf, war ich Germane. Setzte ich es ab, war ich wieder ein Steirer, also ein Österreicher von rustikaler Wesensart.
Ich stahl die Kappe und versuchte etliche Male, mich in einen Deutschen zu verwandeln, doch da kein anderer Kappenträger anwesend war, gelang mir dies einfach nicht. Stattdessen erntete ich bloß mitleidige und spöttische Blicke von den anderen Gästen in meiner Stammkneipe.

Des Weiteren fand ich ein Schienenstück und einen Waggon einer Modelleisenbahn.
‘Ach’, dachte ich, ‘einst wollte ich Lokführer werden, doch es hat nicht einmal zum Zugbegleiter gereicht!’
In diesem Augenblick, gestern, betrunken und allein auf dem Dachboden, wurde mir bewusst, wie glücklich mein Leben verlaufen wäre, hätte ich diesen Beruf ergriffen. Ich hätte eine schöne Mütze tragen dürfen, und mich insgeheim als Germane fühlen können, hin und wieder ein Gläschen mit den Lokführern oder Stammpassagieren geleert und wäre zwangsläufig immer in Bewegung gewesen.
‘Was ist stattdessen aus mir geworden?’, fragte ich mich und zerdrückte eine Träne.
‘Ein Schriftsteller, der sich mit dem Zug von einem Stammlokal ins nächste bringen lassen muss, weil er kein Auto hat und zu faul zum Laufen ist’, beantwortete ich meine Frage und seufzte.

Doch dann beschloss ich, einer plötzlichen Eingebung folgend, das Beste aus der Situation zu machen und meinen Jugendtraum wenigstens für ein paar Minuten in meinem Versteck wahr werden zu lassen, nachdem die bereits vergessene Fundgrube mit Utensilien aus meiner Jugend offen vor mir stand.
Ich nahm einen großen Schluck aus dem Glas mit den Weichseln und fühlte mich sogleich bereit, die Kappe, trotz meines mittlerweile langen Haupthaares, erneut aufzusetzen. Ich tat dies und –
Ich blieb zwar Österreicher, doch kam ich mir sogleich wie ein Schaffner vor.

Nur konsequent, gab ich dem Spielzeugwaggon einen Stoß und rief: “Dieser Zug fährt von der Steiermark nach Nirgendwo! Bitte alle die Fahrkarten vorweisen! Wer keine gültige hat, wird ohne Erbarmen -”
In diesem Augenblick ging das große Dachbodenlicht an und ich vernahm die schneidende Stimme meiner Mutter, die meinen Satz zu Ende brachte: “ein weiteres Mal mit Hausarrest belegt, denn mit knapp vierzig Jahren sollte man vernünftiger sein!”

Michael Timoschek

www.verdichtet.at | Kategorie: anno | Inventarnummer: 16058

Veronika geht

Der Abschied von dem Mann, mit dem sie seit siebzehn Jahren verheiratet war, fiel Veronika leicht. Sie führten keine schlechte Ehe, doch eine, in der sie einander alles gesagt hatten, was sie dem anderen jemals hätten sagen können.
Ihre beiden Töchter gingen zur Schule, lernten gut und führten das normale Leben von Teenagern, Peter, Veronikas Ehemann, besaß eine gut gehende Firma und Veronika selbst führte das geruhsame Leben einer betuchten Hausfrau.

“Wir sehen uns in drei Wochen wieder, Peter”, sagte sie, bevor sie in das Flugzeug stieg, das sie nach Spanien bringen würde, und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
“Erhol dich gut, Veronika”, sagte Peter, nachdem er ihren Kuss erwidert hatte.
Dann bestieg sie das Flugzeug und sah freudig ihrem Urlaub in Madrid entgegen.
Dass sie nicht zurückkommen sollte, wussten zu diesem Zeitpunkt weder sie noch ihr Mann.

“Darf ich mich an Ihren Tisch setzen?”, hörte Veronika, als sie nach einem Museumsbesuch in einer Bar saß und an einem Gin Tonic nippte. Der Mann, der ihr diese Frage gestellt hatte, war ungefähr in ihrem Alter und stellte sich als Arturo vor.
Veronika bejahte und im Laufe des Gesprächs, das sich zwischen ihnen entwickelte, erfuhr sie, dass er sein altes Leben als Rechtsanwalt hinter sich gelassen und sich auf die Suche nach dem Sinn seines Lebens begeben hatte.

“Sie sprechen akzentfrei Deutsch, obwohl sie offensichtlich Spanier sind. Wie kommt das?”, fragte sie.
“Von meinem Aussehen her bin ich in der Tat Spanier, doch bin ich bei meiner Mutter in Berlin aufgewachsen. Mein Vater, er war Anwalt in Madrid, ist bei einem Unfall gestorben, als ich drei Jahre alt war”, führte er aus. “Und da meine Mutter Berlinerin war und als junge Witwe nicht alleine in Spanien bleiben wollte, ist sie mit mir in ihre Heimatstadt gezogen.”
“Wie kamen sie dann wieder hierher?”, fragte sie.
“Nach dem Abitur habe ich in Madrid Rechtswissenschaften studiert und den Beruf meines Vaters ergriffen. Damals wollte ich, wie ich heute weiß, meinem Vater, den ich nie wirklich kennenlernen durfte, nahe sein. Ich habe Spanischkurse belegt und mich durch das Studium gequält.” Er lachte. “Heute weiß ich, dass es eine Fehlentscheidung war.”

“Warum war das falsch, Arturo? Ich denke, wir sollten uns duzen, wenn Sie nichts dagegen haben”, sagte Veronika.
“Natürlich, Veronika. Es war falsch, weil man keinem Menschen nahe sein kann, den man bloß von ein paar alten Fotos kennt.”
“Das stimmt”, sagte sie. “Oft ist es sogar so, dass man einen Menschen, mit dem man seit langer Zeit zusammenlebt, kaum kennt, weil man sich einfach nichts mehr zu sagen hat und einander so annimmt oder hinnimmt, wie man sich eben kennt. Einfach um die Ordnung, an die man sich gewöhnt hat, aufrecht zu halten.”
Veronika seufzte.
“Du sprichst von deinem Mann, oder?”, fragte er, obwohl er wusste, dass es eine rhetorische Frage war.
“Bist du verheiratet, Arturo?”, fragte sie und hoffte, dass seine Antwort bejahend wäre.

Veronika fühlte sich zu dem Mann hingezogen. Er war der erste Mensch seit vielen Jahren, von dem sie sich verstanden fühlte. Eine innere Stimme sagte ihr, dass sie ihr Getränk bezahlen und die Bar verlassen sollte, doch sie brachte es nicht fertig, dieser Stimme zu gehorchen.
“Nein, ich bin geschieden”, gab er zurück.
“Wo willst du denn zu dir finden, Arturo? Hier in Madrid?”
“Nein, Veronika. Ich werde morgen abreisen und aufs Land fahren.”
“Wohin?”
“In die Nähe von Sevilla. Dort gibt es ein kleines Dorf, das an einem wunderschönen Bächlein liegt. Dort ist es ruhig, es ist beinahe so still wie das Kloster, in dem ich ein Zimmer habe.”
“Das klingt nach Einsamkeit”, warf Veronika ein.
“Nein. Einsamkeit ist etwas Leidvolles, Ruhe hingegen ist etwas Schönes.”
Sie überlegte, bevor sie weitersprach.
“Dann klingt es gut und wird dir bestimmt guttun.”
“Begleite mich”, schlug er vor.
Ihre innere Stimme befahl ihr aufzustehen und zu gehen, doch Veronika bestellte einen weiteren Gin Tonic, und sie und Arturo sprachen bis Mitternacht über ihre Leben, ihre Träume und darüber, dass Wünsche hin und wieder in Erfüllung gehen.

“Du hattest recht, Arturo. Dieser Bach ist wunderschön”, sagte Veronika.
“Es freut mich, dass er dir gefällt. Darf ich dir eine Frage stellen?”
“Ja. An diesem Ort darfst du mich alles fragen.”
“Hast du schon einmal daran gedacht, alles hinter dir zu lassen?”
“Sprichst du von Selbstmord?”, fragte sie mit gespieltem Entsetzen. Sie wollte Zeit gewinnen, um sich eine Antwort überlegen zu können.
Doch dann beantwortete sie ihre eigene Frage.
“Nein, von so etwas sprichst du natürlich nicht. Die Antwort ist ja. Ich habe schon etliche Male daran gedacht, mein Leben zu ändern, und zwar radikal.”
“Warum hast du es dann nicht gemacht?”
Sie überlegte.
“Weil ich zu feige bin.”
Wieder dachte sie nach.
“Nein, Arturo!”, rief sie. “Weil ich zu sehr an meinen Status gewöhnt war.”
Das letzte Wort betonte sie.

Arturo legte seinen Arm um ihre Schulter, und sie ließ es nicht bloß zu, sie genoss es. Nie zuvor war sie an einen Menschen geraten, der sie dazu brachte zu erkennen, dass sie ihr eigenes Leben an sich hatte vorbeiziehen lassen – und noch schlimmer. Sie hatte sich selbst dabei beobachtet, wie sie eine gute Mutter war und eine Ehefrau, die ihrem Mann in allen Belangen den Rücken freigehalten und alle außerehelichen Verhältnisse stumm ertragen hatte; und das nur, um den schönen Schein zu wahren.

“Hast du deine Frau geliebt, Arturo?”, fragte sie.
“Ja, sehr. Dennoch ist es mir leichtgefallen, sie zu verlassen.”
“Wie hat sie reagiert?”
Veronika fühlte, dass diese Frage eine Indiskretion darstellte, die sie in ihrem gewohnten Leben niemals geäußert hätte, doch gleichzeitig wusste sie, dass sie mit Arturo über alles sprechen konnte.
“Sie hat mich verstanden, wie auch unser erwachsener Sohn.”

Veronika verspürte den Drang, Arturo zu küssen, und als sich ihre Lippen zum ersten Mal berührten, fühlte sie sich frei.
“Was fühlst du jetzt?”, fragte er, nachdem der Kuss geendet hatte.
“Ich fühle, dass ich den ersten Schritt in ein neues Leben gemacht habe.”
“Aufgrund eines Kusses?”, fragte er und sie wusste, dass die Verblüffung, die in seiner Stimme gelegen hatte, ehrlich war.
“Nein, Arturo. Du hast mir die Augen geöffnet. Der Kuss war eine schöne Zugabe, doch es waren die Gespräche mit dir, die mir vor Augen geführt haben, dass ich mein Leben ändern muss, um der Mensch sein zu können, der ich wirklich bin und der sein zu wollen ich vor über zwanzig Jahren aufgegeben habe.”
“Was werden dein Mann und eure Töchter sagen?”
“Das werde ich dir morgen erzählen.”

“Leb wohl, altes Ich”, sagte Veronika und ließ ihr Telefon in das Wasser des Baches gleiten.
“Wie hat deine Familie reagiert?”, fragte Arturo.
“Meine Töchter finden es gut, dass ich endlich ich selbst sein möchte. Ich soll mich ab und an bei ihnen melden, wenn ich zu mir gefunden habe.”
“Nicht viele Kinder reagieren so.”
“Sie haben gesagt, dass sie froh wären, dass ich mit meinem gewohnten Leben abschließe, und wahrscheinlich sind sie auch froh, dass ich ihnen zu Hause nicht mehr auf die Nerven gehe.”

Arturo lachte.
“Was hat denn dein Mann gesagt?”
“Er war emotionslos. Er hat mir zugesichert, mir eine größere Summe Geld zu überweisen und mich im Falle einer Scheidung fair zu behandeln.”
“Wie geht es weiter, Veronika?”
Sie zögerte ihre Antwort hinaus. Weder wollte sie Arturo verlieren, war doch die vorige Nacht, die sie mit ihm verbracht hatte, für sie die schönste seit vielen Jahren gewesen, noch konnte sie bei ihrer Suche nach sich selbst Gesellschaft brauchen.

“Auch ich weiß einen wunderschönen Ort, an dem ich mich finden kann, Arturo”, sagte sie schließlich. “Er liegt in Frankreich und dorthin werde ich morgen für zwei Monate reisen.”
“Was wird nach diesen zwei Monaten sein, Veronika?”, fragte er und sie erkannte am leichten Beben seiner Stimme, dass auch er sie wiedersehen wollte.
“Dann treffen wir uns hier, an genau dieser Stelle, und reden. Ist das für dich in Ordnung?”
“Natürlich ist es das, Veronika.”

Zwei Monate später wartete Veronika am Bach auf den Mann, der sie dazu gebracht hatte, ein neues Leben zu beginnen.
Arturo kam nicht, doch hatte er im Kloster einen Brief für sie hinterlegt. In diesem stand, dass er sich verliebt hätte und der Frau nach Belgien gefolgt wäre. Er wünschte Veronika alles Gute für ihren weiteren Lebensweg und bat sie, ihm nicht böse zu sein.
Veronika, die in Frankreich ebenfalls zarte Liebesbande geknüpft hatte, war erleichtert.
Bevor sie abreiste, ging sie ein letztes Mal zum Bächlein und sprach: “Danke, Arturo. Ohne dich hätte ich nicht den Mut aufgebracht, mein Leben zu leben.”

Michael Timoschek

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 16059

Altmodischer Liebeszyklus

Ein Brunnen, der stets Wasser gibt – wenn ein Mensch den andren liebt.
Anfangs sind es Sturmfluten – Absenz lässt die Herzen bluten.
Die Vertrautheit stellt sich ein – Störendes wird gänzlich klein.
Etwaiges Denken an ein Ende – es wischt fort die Kraft der Lende.
Die stete traute Zweisamkeit – bald heißt sie schlicht Gewohnheit.
Was der Mensch kennt, ihm langweilig – Wünsche werden gegenteilig.
Das Sprechen, Reden, es nimmt ab – bis man liegt im selben Grab.
Die Liebe ist es dennoch wert – man fühlt sich sicher, ist begehrt.

Michael Timoschek

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 16053

war was da?

wenn die sonne untergeht
und schwarz der mond hoch steht
wenn der tag zu ende geht
und die ewig dunkle nacht dann steht

ist es an der zeit zu fragen
gab es was zu lebens tagen
etwas das bestehen bleibt
ein denkmal aus des lebens zeit

ein leben ist gänzlich verloren
wenn nicht ein einzig kind geboren
wenn kein baum im erdreich steckt
und zeilen bleiben unentdeckt

wer sich selbst die frage stellt
ob sein schaffen ewig hält
der die antwort nicht vermisst
dass es vergänglich wertlos ist

und stellt er anderen die frage
selbst wenn es ist am letzten tage
erhält er nett bemüht antwort
deren geber schnell blickt fort

diese frage ist die qual
wenn am horizont das licht wird schmal
es wäre letztlich wunderbar
wenn wer sagt dass da was war

Michael Timoschek

www.verdichtet.at | Kategorie: Kleinode – nicht nur an die Freude | Inventarnummer: 16047