Archiv des Autors: Redaktion verdichtet.at

„Smørrebrød“

Das Handy läutet. Peter Halacek nimmt das Gespräch entgegen. „Hello, here is Stockholm. Am I speaking to Mr Peter Halacek?” „Yes, you are.” Der Mann aus Stockholm spricht schlecht verständlich weiter. Da sagt Herr Halacek „Smørrebrød“. Warum, bitte, sagen Sie „Smørrebrød“? „Smørrebrød“ ist das einzige schwedische Wort, das ich kenne. Ich hatte auch „Hm“ oder „Ah“ sagen können. „Smørrebrød“ klingt da schon besser. Soll ich gegenüber Herrn Halacek anmerken, dass „Smørrebrød“ gar nicht schwedisch, sondern dänisch ist? Nein, besser nicht.

Im weiteren Verlauf des Gesprächs stellt sich heraus, dass der Anrufer Herrn Halacek nicht über den Gewinn des Literaturnobelpreises informieren will, sondern er Telefonverkäufer für eine irische Firma namens „Stockholm“ ist, die Badezimmerfliesen vertreibt.

Weiße Graffiti-Fliesen in der U-Bahnstation Landstraßer Hauptstraße

Weiße Graffiti-Fliesen in der U-Bahnstation Landstraßer Hauptstraße

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: schräg & abgedreht | Inventarnummer: 24116

Sesselgedichte: Epilog

Wir schließen hier, spät ist die Stunde,
für heut genug der Sesselkunde.
Du sahst die großen Geister streiten
und die Moderne vorbereiten.

Sie hieben, hauten, fochten, klauten,
doch nur, weil sie an etwas glaubten.
Das Jahrhundert war noch offen:
Man konnte glauben, schaffen, hoffen!

Wir dreh’n uns um und starr’n verwundert
Auf das 21. Jahrhundert.

Bernd Remsing
http://fm4.orf.at/stories/1704846/

Die gesammelten Sesselgedichte sind bereits als Lyrikband mit Illustrationen erschienen.
Er ist beim Autor käuflich zu erwerben: Zur Kontaktaufnahme senden Sie bitte
ein Mail an redaktion@verdichtet.at, wir geben die Bestellwünsche gern weiter.

www.verdichtet.at | Kategorie: möbliert | Inventarnummer: 24115

In der Abteilung für Menscheneinsparung

In der Abteilung für Menscheneinsparung arbeiten – wer wohl? – ausschließlich Roboter. „Wie viele Menschen haben wir noch in der Motorenproduktion?“, fragt der Abteilungsleiter, der eine rote Krawatte trägt. Kein Hemd, kein Sakko, nur die Krawatte und dahinter Blech. „Drei“, antwortet ein etwas korpulenter, älterer Roboter. „Bis Jahresende sollen es nur noch zwei sein. Schaffen wir das?“, fragt der Abteilungsleiter weiter. „Wir schaffen das, wir schaffen das!“, jubeln alle Roboter, von den großen der älteren Baureihen bis zu den kleinen, kompakteren der neueren, die die Assistenten sind.

Der Hof mit dem Bild von Weizenfeldern und dem Himmel darüber, Nahaufnahme

Der Hof mit dem Bild von Weizenfeldern und dem Himmel darüber, Nahaufnahme

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: ¿Qué será, será? | Inventarnummer: 24114

Das Wasser der Nacht wird zur Wolke des Morgens

Gemeinsam schlafen,
nicht miteinander.
Vielleicht zuvor, ja, sehr gerne sogar,
biegend sich, ineinanderfließen,
in Auge und Mund.

Der Traum wechselt zur Wirklichkeit,
und du spürst ihren Rücken, ihre Hüfte, ihr rundes Gesäß,
abertausend weiche weiße Härchen auf ihrer trocken Haut.
Sie teilte deinen Schlaf, doch nach dem Kaffee ohne Frühstück war sie wieder weg.
Wie Wasser ist sie, das des Tages verdunstend geht zur Sonne.

Das PALMERS-Herz am Valentinstag 2024 in den City Arkaden

Das PALMERS-Herz am Valentinstag 2024 in den City Arkaden

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 24113

Fünf Zentimeter

Ich gehe gern weite Strecken. Heute war ich wie immer mit meinem Rucksack unterwegs. Ich war einkaufen, Sachen, die im Rucksack keinen Platz mehr hatten. Daher kaufte ich mir eine große Einkaufstasche, die immer voller und schwerer wurde. Dann ging ich von der Stadt nachhause, was eine Strecke von zirka zwölf Kilometern ausmacht. Die Einkaufstasche schleifte am Boden. Was aber eigenartig war, war, dass die Einkaufstasche rechts nur wenig schleifte, links allerdings sehr stark. Zuhause angekommen sah ich, dass sie ein Loch hatte. Ich vermaß mich, mit dem Ergebnis, dass mein linker Arm um fünf Zentimeter länger ist als mein rechter. Ich konnte es nicht glauben, legte noch einmal Maß an, mit demselben Ergebnis. Fünf Zentimeter sind echt viel!

Meine Eltern kümmerten sich nie gut um mich. Ich war ihnen anscheinend egal. Mit meiner jüngeren Schwester hatten sie eine Freude. Ich war der Doofmann. Mit sechzehn zog ich von zuhause aus. Ist meinen Eltern nie aufgefallen, dass meine Arme unterschiedlich lang sind? Mit, sagen wir, zwölf war mein linker Arm ungefähr drei Zentimeter länger. Zu meiner Entschuldigung muss ich sagen, dass ich über keinen mannsgroßen Spiegel verfüge. Ja, ja, dennoch, ich muss doch bemerkt haben, dass meine Pullover links viel kürzer wirken. Habe ich aber nicht.

Fängt jetzt für mich ein neues Leben an? Nein, das alte geht weiter.

Waiting in in SoCa's Atelier am 1. Februar 2024 in Villach

Waiting in in SoCa’s Atelier am 1. Februar 2024 in Villach

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 24112

Der Esel furzt

Ich bin in einer äußerst unerfreulichen Situation. Was habe ich nur eingeworfen? Ich hätte meinen Dealer nicht wechseln sollen. Habe ich aber, ist passiert. Ich bestehe nur noch aus meinem Kopf, der so groß wie der Jupiter ist, also riesengroß. Ich schwebe im Weltraum. Ich frage mich, warum ich atmen kann, wenn es rund um mich keine Luft gibt. Das muss ein Traum sein, natürlich, ganz bestimmt! Ich kneife mich. Ich spüre Schmerz und wache nicht auf, weil ich nicht träume.

Man muss immer das Beste daraus machen, sagt mein Schwager stets. Er hat leicht reden, er schwebt nicht als Riesenkopf im Weltraum. Wenn das so weitergeht, werde ich noch an Langeweile sterben.

Doch es geht nicht so weiter. Ein gewaltig großer Esel nähert sich mir. Neben mir kommt er zum Stillstand. „Hallo“, sagt er. „Hallo“, sage ich, „Sag mal, warum kann ich dich eigentlich verstehen?“ „Keine Ahnung“, antwortet der Esel, „aber das ist ja gut. Dann können wir uns unterhalten.“ „Da hast du Recht“, sage ich, „wie lange bist du denn schon hier?“ „Weiß ich nicht“, sagt der Esel, „ich habe ja keine Uhr.“ „Aha“, sage ich.

„Isst du auch so gerne Heu?“, fragt der Esel. „Nein, das würde meine Ernährung billig machen“, sage ich, „aber mein Magen verträgt das nicht.“ „Meiner verträgt es auch nicht, wenn ich zu viel davon gegessen habe“, sagt der Esel. „Ich habe jetzt echt schlimme Verdauungsprobleme.“ „Wie äußern sich denn deine Verdauungsprobleme?“, frage ich. „Das wirst du gleich bemerken“, sagt der Esel. Er dreht seinen Hintern Richtung Sonne und furzt. Der Furz ist gewaltig laut. Das ist wieder so eine Anomalie, denn Schall breitet sich im Vakuum nicht aus.

Allerdings ist etwas Fürchterliches geschehen, das Sonnenfeuer ist ausgegangen! Unsere Sonne ist nun ein gigantisch großes Stück Holzkohle. Jetzt ist die Kacke am Dampfen, nun aber wirklich! Wie viel Pech ich habe, ist unglaublich!

Der hellbraun-weiße Esel in der Koppel in Nötsch am 29. Juli 2023

Der hellbraun-weiße Esel in der Koppel in Nötsch am 29. Juli 2023

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: schräg & abgedreht | Inventarnummer: 24111

Archiv April 2024

27.4.24: Claudia Dvoracek-Iby: Katzenmädchen
27.4.24: Claudia Lüer: Vorprogrammiertes Leid
27.4.24: Johannes Tosin: Hallo Mädels!
27.4.24: Bernd Remsing: Sesselgedichte: Hoffmann: Sitzmaschine, 1905
27.4.24: Johannes Tosin: Kennen wir uns?
20.4.24: Bernd Remsing: Sesselgedichte: Gustav Sigl: Armlehner für die Pariser Weltausstellung
20.4.24: Lorena Pircher: mare di notte
20.4.24: Johannes Tosin: Die Ewigkeit
20.4.24: Johannes Tosin: Insasse Miguel
13.4.24: Lorena Pircher: salz, schorf
13.4.24: Robert Müller: max, der Bauherr – Auf Rosen gebettet
13.4.24: Johannes Tosin: ja
13.4.24: Bernd Remsing: Sesselgedichte: Wilhelm Schmidt für Prag-Rudniker
13.4.24: Johannes Tosin: Das Gehäuse der Welt
6.4.24: Bernd Remsing: Sesselgedichte: Adolf Loos: „Smokers Bow“ für die Wohnung Stössler
6.4.24: Johannes Tosin: Astronaut
6.4.24: Johannes Tosin: Der Treck

Katzenmädchen

Geweint hatte sie, die Nachbarin vom dritten Stock, als du ihr zufällig im Stiegenhaus begegnet bist. Geweint vor dir, einer ihr relativ Unbekannten, und auf dein behutsames Nachfragen stockend erzählt, soeben erfahren zu haben, dass ihr Bruder einen schweren Autounfall gehabt hat, dass sie zu ihm wolle, für ein, zwei Wochen, mit dem nächstmöglichen Flug, nach Berlin, unbedingt, zum Bruder, der dort im Krankenhaus liege – sie wisse jedoch niemanden, der ihre Katze während dieser Zeit versorge. Du hast nicht eine Sekunde gezögert und ihr deine Hilfe angeboten.

Ben hast du nicht davon erzählt, um dir seine Kommentare zu ersparen.

Bereits einige Stunden später streichelst du die Katze in der fremden Wohnung, ein zartes Tier, das sich sogleich vertrauensvoll an deine Beine schmiegt. Du genießt es, das weiche Fell zu berühren.

In deiner Kindheit sind ständig Katzen um dich gewesen. In deinem Elternhaus, bei den Großeltern, bei Freundinnen. Du liebtest das.

Ben hingegen mag keine Haustiere.

Als du Katzenfutter in eine Schüssel gibst, hörst du ihn innerlich nörgeln: „Typisch für dich. Als ob du nichts anderes zu tun hättest. Du musst lernen, Nein zu sagen.“

Zugleich taucht ein Bild in dir auf: du, als kleines Mädchen in Omas Stube. Wie so oft streichelst du eines ihrer Kätzchen, das auf deinem Schoß liegt.

„Katzenmädchen“, sagt Oma, von einer Stickarbeit aufblickend, zärtlich zu dir. „Mein Katzenmädchen.“

Wie sanft doch Omas Stimme in deinem Inneren die tadelnde von Ben unterbrochen hat! Es treibt dir Tränen in die Augen.

Du hast deine Oma lange nicht gesehen, dein letzter Besuch bei ihr liegt Monate zurück. Damals ist Ben mitgekommen. Zum ersten und sicherlich letzten Mal. Er hat sich unwohl gefühlt in der überheizten, altmodischen Stube, hat sich geekelt, vor den Katzenhaaren am Sofa, vor Omas abgetragener Kleiderschürze, ihrem selbstgemachten Kompott, und sich kaum bemüht, dies zu verbergen. Oma hat offensichtlich nichts bemerkt, naiv hat sie euch beiden immer wieder Hände und Wangen getätschelt. Du hast dich geschämt. Für sie, für ihn.

Deine alte Welt bei Oma, deine neue Welt mit Ben, sie passen nicht zusammen.

Du solltest nun gehen. Jeden Moment wird Ben nach Hause kommen, heute mit seinen beiden Kollegen. Projektbesprechung. Du hast Sushi für sie vorbereitet. Die Kollegen werden Ben um dich beneiden: rare Momente, in denen Ben stolz auf dich ist.

Oma ist nie stolz auf dich. Ihre Liebe zu dir ist immer gleichbleibend, unabhängig von Leistung, Erfolg oder Misserfolg.

Dein Handy läutet. Ben. Du ignorierst seinen Anruf. Wie müde du plötzlich bist. Du legst dich auf die Couch im Wohnzimmer. Wohltuende Stille um dich. Die Katze springt zu dir. Du streichelst sie. Die Katze schnurrt, schläft dann ein auf deinem Bauch. Wieder Handyläuten. Nein, flüsterst du, nein. Du weinst.

Später dann, viel später, nimmst du das Handy, drückst auf eine Nummer, wartest sehnsüchtig. „Oma“, sagst du leise, als du den vertrauten Klang ihrer Stimme hörst.

Claudia Dvoracek-Iby

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary| Inventarnummer: 24110

Sesselgedichte: Katia und Werner Nussbaumer: Straßenbahnstuhl, 2004

Lang diente ich der Straßenbahn,
dann fing ein neues Leben an:
Befreit von vier Designerhänden,
sollte sich mein Schicksal wenden.

Vom stillgelegten Schwerarbeiter,
Freischwinger wurde ich, befreiter!
D’rum schwing ich hier weit nicht so teuer
wie van der Rohe und Marcel Breuer.

Grafik: Jannis Edelsbacher

Grafik: Jannis Edelsbacher

Bernd Remsing
http://fm4.orf.at/stories/1704846/

Die gesammelten Sesselgedichte sind bereits als Lyrikband mit Illustrationen erschienen.
Er ist beim Autor käuflich zu erwerben: Zur Kontaktaufnahme senden Sie bitte
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www.verdichtet.at | Kategorie: möbliert | Inventarnummer: 24108