Archiv des Autors: Redaktion verdichtet.at

Schreiber

Irgendwann beginnt man als Schreiber,
so gestelzt zu reden.
„Darf ich mich in Ihre Diskussion einbringen?“,
oder „Mich beschleicht die Vermutung, dass …“,
oder „Ist das nicht eine ironische Volte?“
Als wäre man auf der Bühne und läse,
obwohl man nur hinter einem Schreibtisch
mit Mikro und Licht säße
und das Publikum aus drei Zuhörern bestünde.

Gelbe, rote und grüne Lichter mit dem Schriftzug #VELDEN im Kurpark Velden am Abend des 26. Januar 2024 im Schnee

Gelbe, rote und grüne Lichter mit dem Schriftzug #VELDEN im Kurpark Velden am Abend des 26. Januar 2024 im Schnee

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: kunst amoi schau’n | Inventarnummer: 25002

Carlos der Goldfisch

                 Ring – ring.

Bernd:     Hallo Spatzi!

Monika:  Ich bin nicht mehr dein Spatzi. Was willst du?

Bernd:     Ich bin hier, um Carlos zu besuchen.

Monika:  Carlos?

Bernd:     Den Goldfisch.

Monika:  Du spinnst wohl! Umdrehen und zu dir nachhause gehen, aber pronto!

Goldfische im Botanischen Garten

Goldfische im Botanischen Garten

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: unerHÖRT! | Inventarnummer: 25007

Nachts auf dem Schiff

Nachts auf dem Schiff.
Was sagt der Wind, was sagen die Wellen, was der Mond?
In dreizehn Tagen werden wir Kalkutta anlaufen.
Die Riesenkrake sieht das Schiff, aber lässt es verschont.
Die Meerjungfrauen singen, aber wir hören sie nicht.

Die linke Meerjungfrau am gelb-weißen Haus am St. Veiter Ring

Die linke Meerjungfrau am gelb-weißen Haus am St. Veiter Ring

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: hin & weg | Inventarnummer: 25006

Mit Freundinnen zur Auszeit

Vor über zwanzig Jahren hatten die Ehemänner, meiner eingeschlossen, unseres Freundinnenquartetts eine herausragende Idee: Uns wurde ein gemeinsames Wochenende „Wellnessen“ geschenkt. Frauen, die etwas in die Jahre kommen, wo die Kinder aus dem Gröbsten raus sind und die mal auf „Runderneuerung“ fahren wollen, freuen sich natürlich sehr über diese noble Geste. Knapp über dreißigjährig waren wir vier Ladys damals und die Angebote der hiesigen Wellnesshotels an Kosmetikbehandlungen, Massagen und das ganze Drumherum mit Pool und Saunen haben uns schwer begeistert. Unser Motto: Gemütlich soll’s sein, erholsam und natürlich kann man auch gerne von den diversen Behandlungen profitieren – Frau will wieder verschönert und runderneuert werden. Ob unsere geschätzten Männer damals ahnten, dass dies keine einmalige Sache bleiben wird, wissen wir bis heute nicht und hinterfragen das auch besser nicht. Mit Ausnahme der drei Pandemiejahre waren wir somit gesamt achtzehn Mal in unterschiedlichen österreichischen und bayrischen Hotels einquartiert.

Wäre ich eine Influencerin, hätte ich vielleicht ein wenig daran verdienen können. Tatsächlich ist es aber so, dass kein Hotel eine über fünfzigjährige Frau, die bereits Großmutter ist, als Influencerin anfragt. Ohnehin wäre ein Foto von mir im Bikini vor dem Pool und der Hotelfassade kaum Werbung für das Unternehmen. Die Sache mit dem Business auf Social Media lasse ich also lieber bleiben.

Insgesamt wurden wir in allen Hotels freundlich begrüßt und hatten durchwegs ausgezeichnete Küche. Im Laufe der Jahre haben sich jedoch unsere Prioritäten verändert. Von zu Beginn etlichen Buchungen für Massagen und Beautyanwendungen, bevorzugen wir jetzt eher die Stille in den Ruheräumen zum Lesen und Erholen. Wobei uns schon aufgefallen ist, dass manche Hotelgäste das Wort „Ruheraum“ nicht allzu ernst nehmen. Auf den Liegen wird geratscht, mit Rascheltüten in der Hand Essen verzehrt, es werden Videos am Smartphone angeschaut und manchmal kommt es sogar vor, dass telefoniert wird. Von unseren vier Liegen hört man maximal ein Blättern im Buch, oder ein leises Schnarchen – wobei das Schnarchen nur bei fünfzig Prozent des Quartetts vorkommen kann, also quasi nicht erwähnenswert ist. Aber gut, wir sind ja im Ruhemodus und regen uns über den Lärmpegel der Mitgäste nicht auf. Überhaupt sind wir vier Damen sehr umgängliche und angenehme Gäste, haben keine Extrawünsche und sind sehr anpassungsfähig. Was mich dennoch in einem Hotel etwas stutzig gemacht hat, waren die fix angebrachten Diebstahlschutzsicherungen an allen Kuscheldecken des Ruheraumes. Ich hatte, ehrlich gesagt, bis dahin noch nie darüber nachgedacht, mir eine Decke mit nach Hause zu nehmen?! In meinem Koffer wäre da überhaupt kein Platz dafür?!

Die ersten Jahre in der Beautyabteilung ist es schon mal vorgekommen, dass man bei einer Detoxganzkörperpackung zwei Tage lang riecht wie ein Fisch, Algen helfen, den Körper zu entschlacken und das Hautgewebe zu unterstützen sowie die Durchblutung und den Stoffwechsel anzuregen. Wenn man da eine halbe Stunde in der Versenkung schwitzt und hofft, dass die Kosmetikerin einen nicht vergessen hat, können dreißig Minuten ganz schön lang werden. Vor zwanzig Jahren war ich auch noch eine gute Kundin für den Einkauf an der Theke der Kosmetikabteilung. Ich wollte all die Salben, Seren und Cremes für das heimische Badezimmer kaufen, um Falten vorzubeugen und das Jahr bis zum nächsten Wellnesstermin möglichst straff überstehen. Leider kamen bei der Bezahlung der Hotelrechnung mit den zusätzlich sehr kostspieligen Pflegeprodukten die Sorgenfalten prompt zurück und ins Auto stieg ich dann jeweils mit ziemlich erblasster Gesichtsfarbe. Fazit: Heutzutage bleibt manchmal sogar ein Probepäckchen einer Salbe aus Versehen liegen.

Nachdem wir untertags bei unseren Aufenthalten viel Zeit für Ruhe und Entspannung aufbringen, kann es vorkommen, dass wir abends eine beachtliche Ausdauer für gutes Essen, angenehme Gespräche und den Baraufenthalt vorweisen können. Bei irgendetwas muss sich die angesammelte Energie ja entladen. So wird (aus Macht der Gewohnheit) beispielsweise der leere Suppenteller zur Küche getragen, wenn frau auf dem Weg zum Salatbuffet ist. Daheim verlässt man den Tisch ja auch nicht, ohne abzuräumen. Gut – dieses Versehen ist mir ein einziges Mal passiert –, wird nicht mehr vorkommen, versprochen. Dabei waren wir sogar schon mal in einem Hotel, das als Servicepersonal einen Roboter einsetzt, leider nur zum Wegtransportieren von Geschirr, Bestellungen nahm er keine entgegen, obwohl unsere Kehlen ziemlich ausgetrocknet waren. Das Personal in jenem Haus war recht beschäftigt mit dem Bestücken des Robotertabletts, damit er dieses in die Küche bringen kann. Ehrlich gesagt etwas befremdlich so ein Technikteil, wenn es durch den Restaurantbereich kurvt, denn in diesem Haus ist alles über die Maßen großzügig mit bunten Plastikblumen, glitzernden Tapeten an den Wänden und goldenen Lüstern dekoriert. Über die Dekorelemente des Hotelzimmers werde ich hier nicht näher berichten, denn über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten.

Wie eingangs erwähnt, wurden wir in wirklich allen Hotels ausgezeichnet verköstigt, und zu einem guten Abschluss des Tages gehört natürlich ein Besuch in der Hotelbar. Und da tun sich Gräben auf!! Nicht bei uns, nein, wir sind ja, wie bereits beschrieben, angenehme Gäste! Aber dass in einem einzigen Jobbereich (Barkeeper:In) so viele unterschiedliche Charaktere arbeiten, ist beinahe unfassbar!

Mir fällt da ein überaus engagierter und sympathischer Barmann ein, der nach unserem ersten Abend im Haus keine Orangen und keinen Tequila mehr vorrätig hatte für den nächsten Tag. Nachdem wir den Barbereich – als Abschlussgäste – verlassen hatten, ist er ins Nachbarhotel marschiert und hat in einem Korb Orangen und eine Flasche besten Tequila geholt. Zimt war noch vorhanden und seine gute Menschenkenntnis hat ihn nicht getrogen, er hat auch am folgenden Abend mit uns gerechnet, und wir wurden nicht enttäuscht. Diesen umsichtigen Barkeeper hätten wir gerne auch in andere Hotels mitgebucht für unseren Aufenthalt. Leider ist das in dieser Form noch nicht buchbar.

In einem anderen Haus war ein sehr junger Barverantwortlicher, der vermutlich etwas überfordert war mit uns vier Damen. Die Räumlichkeit war gut besucht und er hatte etwas Not, alle Tische rasch zu bedienen. Wahrscheinlich hat ihn das müde gemacht und er hat deshalb kurz vor Mitternacht begonnen, die Theke und die freien Tische mit Desinfektionsmittel zu reinigen. Den gastunfreundlichen Geruch habe ich heute noch in der Nase. Es hat nur noch gefehlt, dass er die Sessel auf die leeren Tische stellt und den Bürgersteig hochklappt, während wir bei unseren halbvollen Gläsern sitzen.

Das schöne Bundesland Tirol haben wir nur ein einziges Mal für einen Wellnessaufenthalt besucht. Und das ist begründet in einem Wort mit sieben Buchstaben: Schnaps! Die Hotelchefin meinte es nach dem Besuch des Restaurants so gut mit uns, dass sie uns ihre edelsten Tropfen zum Verkosten kredenzte. Und sie hatte etliche Spirituosen! Ein „Nein“ wurde nicht akzeptiert, und zu unserem Leidwesen waren die Gläser nicht in zarter Fingerhutgröße. Wir wollten nicht unhöflich sein und natürlich wollten wir uns auch keine Blöße geben. Über das Befinden am nächsten Tag legt sich bis heute einvernehmlich Stillschweigen.

Den ganzen Barbesuchen die Krone aufgesetzt hat aber eine Dame im Salzburger Land. Wir haben sie damals auf ca. „Kurz-vor-Pensionierung“ geschätzt. Eine schlanke, mittelgroße Frau, hochdeutsch sprechend und mit Mireille-Mathieu-Frisur. Sie ließ sich äußerst selten blicken für eine Neubestellung, das jedoch nicht, weil sie viel zu tun hatte, nein, wir waren ihre einzigen Gäste! Ihrer versteinerten Miene zu entnehmen, hatte sie keine Lust auf Smalltalk und auch sonst keine Ambitionen, den Barumsatz zu steigern. Bei jedem weiteren Glas meinte sie nur: „Das ist jetzt aber das letzte Gläschen, ja?“ Nachdem wir das nicht als Frage verstanden haben, fehlte natürlich eine entsprechende Antwort. Kurz vor Mitternacht meinte Frau Mathieu: „Jetzt gehen wir dann aber alle hübsch schlafen, gestern war hier ein Chirurgenkongress und es ist länger geworden.“ Wir haben uns neugierig umgesehen und fragten, wo die Chirurgen denn wären? „Die sind schon abgereist, also dann – husch husch!“ Ich erinnere mich vage daran, dass sie in die Hände geklatscht hat beim Wort „Husch“! Kurzzeitig fühlten wir vier Frauen im besten Alter uns, als wären wir in der Volksschule und die Lehrerin habe uns energisch zur Eile aufgefordert.

Aufmerksame Leser werden bemerken, dass zu all der Ruhe und Erholung, zu den guten Gesprächen, dem leckeren Essen und den wunderbaren Stunden mit den Freundinnen noch ein weiteres, ganz wichtiges Attribut bei diesen Aufenthalten dazu gehört – Spaß! Jede Menge Spaß und viel Lachen! So werden an den drei Tagen im Jahr zwar die Lachfältchen mehr, aber diese Tage sind immer etwas ganz Besonderes und Kostbares. Ich danke meinen „Mädels“ ganz herzlich dafür.

Manuela Murauer
waldgefluesteronline.com

www.verdichtet.at | Kategorie: fest feiern | Inventarnummer: 24180

Der Wind der Julier

Mathilda zieht sich ein zweites Paar Wollsocken über ihre Schlafsocken an und in eine dicke Lammfelljacke gehüllt schürt sie das Feuer im Ofen der Stube. Die Kälte wollte in diesem Winter nicht weichen, seit Wochen war das Tal von einer dichten Schnee- und Eiskruste verhüllt. Ihre Finger sind klamm und steif, und sie kann nur mit Mühe Wasser in den Kessel füllen. Aus der Kammer nebenan hört sie leises Wimmern und Husten, die Tochter ist wach. Augustin, der Hund, der in diesem Winter im Haus schlafen darf und der in einer Ecke zusammengerollt geschlafen hat, erhebt sich und tapst zum Bett der Kleinen. Ihm entgeht es nie, wenn ein Kind von Mathilda in Nöten ist.

Aus einigen Lagen Decken und Fellen holt Mathilda die kleine Agatha hervor, zieht Haube, Fäustlinge und Überwurf fest um das Mädchen und stillt das fiebernde Kind. Matthias, der drei Jahre ältere Bruder, der im anderen Bett des Zimmers liegt, öffnet die Augen und steckt sich den Daumen in den Mund. Das Feuer knistert im Ofen, Wasserdampf steigt aus dem Kessel auf und taucht den kleinen, dunklen, verrußten Raum in einen feinen Nebel, das Kerzenlicht am Tisch flackert.

„Wir müssen heute Holz sammeln und Hagebutten ernten, Matthias, hörst du? Du musst mir helfen. Agatha braucht Hagebuttentee, damit sie gesund wird. Unsere Vorräte gehen zur Neige und der Winter ist hartnäckig in diesem Jahr.“

Matthias hüpft von der Pritsche und zieht sich rasch an. Aus der Truhe neben dem Tisch holt er Brot und Käse, ein kleines Stück Geräuchertes und zwei Becher. Mathilda beobachtet ihren Sohn liebevoll und atmet tief durch. Seit dem Tod ihres Mannes im Herbst davor konnte sich ihr Herz nur mehr selten erwärmen, und wenn, dann nur durch den Anblick der beiden Kinder.

Nachdem Mathilda die Hühner, Schafe und Schweine im Stall nebenan gefüttert hat, setzt sie sich mit ihrem Sohn an den Tisch und sie essen die spärliche Mahlzeit. Seit Wochen sind sie und der Kleine hungrig aufgewacht und hungrig zu Bett gegangen. Zum Glück hatte sie noch genug Milch in ihren Brüsten für die kleine Agatha.

Ein sachtes, dunkles Knarzen und gleichmäßiges Poltern ist aus der Richtung des Dobratsch zu hören, als sich Mutter und Kinder auf den Weg machen. Die Tochter fest eingehüllt und mit Tüchern an ihren Bauch festgebunden, stapfen sie mit hohen Stiefeln durch den Schnee.

„Hast du das gehört, Matthias? Dobraci grummelt wieder!“ Der Sohn sieht seine Mutter an und schüttelt leicht den Kopf. „Nein, Mutter, ich höre nichts.“ Sie marschieren entlang des teilweise vereisten Flusses und die Wasserkristalle an der Oberfläche bilden einen glitzernden Nebel. Langsam nähern sie sich dem Fuße des Berges, an dessen Hang Hundsrosen wachsen. Der Hund bleibt schwanzwedelnd vor ihnen stehen und hält inne. Hebt einen Fuß und lauscht. Auch er scheint etwas im Inneren des Berges zu vernehmen. Mathilda stellt den kleinen Korb hin und Sohn und Mutter pflücken die letzten Hagebutten der Sträucher. Augustin streift durch die Büsche und sucht nach Beute, er muss sich selbst versorgen.

Wieder knarzt und pocht es aus dem Berg, die Erde scheint leicht zu beben und der Hund schießt nun winselnd aus dem Gebüsch. Ein starker Wind zieht über die Julischen Alpen kommend in ihre Richtung und wirbelt Schnee auf. Das Kopftuch von Mathilda entschwindet in die Lüfte.

„Was ist das, Mutter? Kommt ein Schneesturm?“, der Sohn klammert sich an das Kleid der Mutter und schiebt sich den Daumen in den Mund. „Ich weiß es nicht, Matthias. Ich höre den Groll des Dobraci schon länger poltern. Jede Nacht werde ich wach davon.“

„Was sprichst du da, Frau! Was für einen Groll hörst du?“ Der Bauersfrau nähert sich mit Riesenschritten der Pater des Dorfes, der wohl ihren letzten Satz noch vernommen hat.

„Gott zum Gruße, Hochwürden.“ Sie senkt ihren Kopf und drückt ihre Kinder an sich.

„Was treibt dich hier heraus bei diesem Wetter, Witwe? Und wieso ist dein Haupt nicht bedeckt?“ Der Pater stemmt seine Fäuste in die Seiten, unter seiner dicken Lammfelljacke quillt ein beachtlich großer Bauch hervor. Seine buschigen Augenbrauen sind zusammengezogen und seine hellgrauen Augen funkeln. Mit einer hastigen Bewegung fegt er dem Jungen die Mütze vom Kopf. „Benehmen, meine Junge! Benehmen! Nimm die Mütze ab, wenn ich mit euch spreche!“ Mathilda drückt ihren Sohn an sich und blickt dem Pastor nun in die Augen, ihr Kinn leicht nach vor gereckt, atmet sie tief ein und aus und die Atemluft malt Kringel in die Sphäre.

„Meine Tochter Agatha hat seit Tagen Fieber, Hochwürden. Wir suchen hier nur Hagebutten für das kranke Kind, und Feuerholz für den Ofen, es geht zur Neige.“ Mit zittriger und etwas zischender Stimme schmeißt sie dem Pfarrer die Worte vor die Füße. Dieser kratzt sich am Ohr und macht einen Schmollmund.

„Soso, Hagebutten. Die Witwe hat Kräuterwissen? Ist sie gar im Pakt mit dem Teufel, Ketzerei? Und warum war sie mit den Kindern nicht beim letzten Gottesdienst?“

„Ich sagte doch, dass die Kleine krank ist. Ich konnte deshalb nicht zur heiligen Messe.“ Der Pastor stapft zwei Schritte näher an Mathilda heran, sodass er dicht vor ihr zu Stehen kommt. Sein weingetränkter Atem schlägt ihr ins Gesicht. Die kleine Agatha beginnt plötzlich zu husten und zu weinen, als der Pfarrer zu sprechen beginnt.

„Der Gutsherr hat mir berichtet, dass du die Abgaben als Hufenbäurin nicht mehr leisten kannst. Es hat den Anschein, als kommst du den Pflichten der Kindererziehung nicht ausreichend nach, sie zu gehorsamen, gottesfürchtigen und bescheidenen Menschen zu erziehen! Ich rate dir, nach Einhaltung des Trauerjahres wieder zu heiraten, ansonsten nimmt das ein schlimmes Ende mit dir, Weib!“ Die letzten Worte spuckt er angewidert aus, er rümpft die Nase und rotzt in den Schnee.

Mathilda wendet sich jäh ab, greift nach dem Korb mit den Hagebutten und stapft mit ihren Kindern zurück ins Dorf. Der Erdboden scheint nun wieder leicht zu beben und das Donnern aus dem Berg und der beißende Wind aus den Julischen Alpen legt zu. In ihren Augen sammeln sich Zornestränen, sie weiß es geschickt, sie zu unterdrücken: Kinn nach vor, Rücken gerade, tief atmen.

Auf dem Heimweg muss sie an ihren verstorbenen Mann denken, der nach etlichen Jahren mit Missernten, eisig kalten Wintern und nach dem Heuschreckeneinfall vor drei Jahren den Mut nie verloren hat. Er war Bauer aus voller Überzeugung und beide schufteten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf dem kleinen Hof, um die Abgaben an den Gutsherren rechtzeitig leisten und um die Familie ausreichend ernähren zu können. Sie weiß, dass sie es alleine nur schwer schaffen kann, denn sie hat keine Unterstützung von Nachbarn und Frauen aus der Umgebung, die sie nur als „die fremde Frau aus Italien“ bezeichnen, weil sie die Schöne, Unnahbare war, die den heimischen Bauern geheiratet hat, den andere wollten.

In der Nacht pfeift ein eisiger Schneesturm ums Haus, der an den Fensterläden zerrt und das Vieh im Stall unruhig werden lässt. Mathilda, Matthias und Agatha liegen eng aneinandergeschmiegt unter vielen Decken, der Hund liegt vor dem Bett, hechelt und spitzt die Ohren. Der Donner, der nun durchs Tal poltert, kommt nicht vom Himmel, er kommt aus dem Inneren des Berges. Mathilda kann es bis in ihre Magengrube fühlen. Tisch und Stühle in der Stube nebenan zittern sachte, die Becher in der Truhe schlagen aneinander. Die Kinder schlafen, nur Mathilda, der Hund und das Vieh im Stall sind hellwach.

Am nächsten Morgen liegt die Schneedecke dicht vor der Haustür und eine grelle Wintersonne scheint vom Himmel, als wäre nichts gewesen. Einzig den Schafen, Hühnern und Schweinen ist nicht wohl zumute und der Hund läuft aufgeregt um den Hof. Mathilda bereitet Hagebuttentee und der Sohn holt die letzten Brot- und Käsereste aus der Truhe. Die Kirchenglocken rufen zum Morgengebet und die Dorfbewohner stapfen durch die Schneewehen zur Messe.

Mathilda tritt vor das Haus und ihre Blicke schweifen über den eindrucksvollen Dobratsch, der sich wie ein Herrscher über das Tal zu beugen scheint. Weiter westlich liegen die Julischen Alpen, die Julier, die nun von der Sonne hell ausgeleuchtet im Hintergrund verharren, als hätten sie noch etwas zu erledigen an diesem Tag. Wieder spürt Mathilda ein leichtes Beben unter ihren Füßen, ein beharrliches Knarzen und ein Stöhnen vom Berginneren.

„Was ist denn bloß los, Dobraci?“, flüstert sie. Eine plötzliche Übelkeit macht sich in ihr breit und sie muss würgen. Ihr Herz beginnt zu rasen und der Atem stockt in ihrer Brust. Mathilda läuft ins Haus, verstaut das spärliche Hab und Gut in ein großes Tuch, packt ihre Tochter ins Tragetuch und drängt ihren Sohn zur Eile. Sie öffnet die Stalltür und entlässt das Vieh in die Freiheit.

„Mutter, Mutter, die Erde wackelt!“, schreit der kleine Matthias. Sie laufen zur Kirche, reißen die Türen auf und Mathilda ruft ins Gotteshaus: „Ein Erdbeben, sofort raus hier!“

Dann geht alles ganz schnell. Mathilda läuft mit ihren Kindern und dem Hab und Gut das Dorf entlang Richtung Passstraße. Sie weiß, sie muss weg von hier. Einige Schafe und der Hund laufen hinter ihr her. Lautes Geschrei von den Dorfbewohnern ist zu hören, aber sie ist längst auf dem Weg. Sie ist unterwegs in ihre alte Heimat Venetien, zu einem kleinen Dorf am Meer, während hinter ihr der Dobratsch zornig stürzt. Einhundertfünfzig Millionen Kubikmeter Gesteinsmassen schüttet der Berg ins Tal hinab. Die nahe gelegene Stadt steht durch das Erdbeben in Flammen, Flüsse treten über die Ufer und Klöster, Kirchen und Gutshäuser werden zu Ruinen.

Mathilda erreicht mit ihren Kindern nach zwei Tagen Fußmarsch ihr Heimatdorf geschwächt, aber lebend. Der Zorn des Dobratsch hat ihr das Leben gerettet, denn einige Wochen später wird die Pest nach Österreich ziehen und Jahrzehnte danach findet in Kärnten der erste Hexenprozess statt.

Angelehnt an die wahre Begebenheit des Bergsturzes vom Dobratsch am 25. Jänner 1348.

Manuela Murauer
waldgefluesteronline.com

www.verdichtet.at | Kategorie: anno | Inventarnummer: 24179

Hier spricht die Polizei

Tüt – tüt.

„Polizist“:
Grüß Gott, spreche ich mit Herrn Wiegefurtner?

Herr Wiegefurtner:
Ja genau.

„Polizist“:
Hier spricht Gruppeninspektor Ewald Höllerer.

Herr Wiegefurtner: Aha.

„Polizist“:
Verstehen Sie, Herr Wiegefurtner? Hier spricht die Polizei.

Herr Wiegefurtner:
Ja, Herr Polizist.

„Polizist“:
Wir haben Hinweise darauf, dass eine ausländische Bande Ihnen Ihr Kapital entwenden will.

Herr Wiegefurtner:
Ausländische Bande, Kapital? Das ist schlecht.

„Polizist“:
Sehr schlecht ist das, Herr Wiegefurtner, sehr schlecht. Wir können das Problem lösen, indem ich bei Ihnen vorbeikomme und Sie mir Ihr gesamtes Kapital übergeben. Wir, die Polizei, verwahren es dann sicher und bringen es Ihnen am Monatsletzten zurück.

Herr Wiegefurtner:
Meinen Sie, dass sich das auszahlt, Herr Polizist? Ich habe nur knapp 100 € Guthaben auf meinem Konto, und sonst habe ich nichts.

Tüüt.

Herr Wiegefurtner (denkt):
Aufgelegt?

Das Radarpistolengraffito

Das Radarpistolengraffito

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: Perfidee | Inventarnummer: 25009

Mit Blindheit geschlagen

Manchmal hat man Augen und sieht nicht.
Man sieht die Blitze nicht, man hört den Donner nicht, man spürt den Wind nicht.
Der Himmel ist nicht mal blau, sondern rosarot.

Die alten Römer waren bestimmt der Meinung,
sie wären das am weitesten entwickelte Volk,
sie hätten die ideale Staatsform und wären allzeit gerüstet,

im Jahr eins vor der Völkerwanderung.

Römer mit Federhelm an einer Hauswand in Krumpendorf

Römer mit Federhelm an einer Hauswand in Krumpendorf

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: anno | Inventarnummer: 25008

Archiv Oktober 2024

26.10.24: Tim Tensfeld: aus der schwarzweißwelt
26.10.24: Johannes Tosin: Juniorchef
26.10.24: Johannes Tosin: Pretty Good Privacy
19.10.24: Johannes Tosin: In dem gelben Haus
19.10.24: Claudia Lüer: Für mein Kind: Zurück zu den Wurzeln gemeinsam mit dir
19.10.24: Johannes Tosin: Vögel
12.10.24: Bernd Remsing: Herbst 2024
12.10.24: Johannes Tosin: Quarkscomputer
12.10.24: Johannes Tosin: Lichtspiele
5.10.24: Tim Tensfeld: nachtwanderung.
5.10.24: Bernd Watzka: Das falsche Sonett
5.10.24: Johannes Tosin: Halo
5.10.24: Johannes Tosin: Wahrscheinlichkeiten