Archiv des Autors: Redaktion verdichtet.at

Neue Seiten schreiben

Jedes Jahr können wir
Eine Möglichkeit finden,
Etwas Neues zu beginnen.

Jeden Monat können wir
Ungewohnte Wege gehen,
Indem wir Änderungen schaffen.

Jede Woche können wir
Eine neue Seite
im Buch unseres Lebens schreiben.

Jeden Augenblick können wir
Eine Chance ergreifen,
Etwas besser zu machen.

Daher blicken heute wir
Mutig und optimistisch in die Zukunft,
Dann können wir nur gewinnen.

Dario Schrittweise
dario-schrittweise.org

www.verdichtet.at | Kategorie: ¿Qué será, será? | Inventarnummer: 25041

Max, der Kleptomane

Jawohl, Hohes Gericht, ich gestehe: Ich bin ein Dieb!

Noch schlimmer: Ein Gewohnheitsdieb! Ich stehle seit meiner Jugend, und das noch heute. Vielleicht sogar hier am Gericht, nach dem Unterschreiben des Protokolls. Wenn keiner hinschaut. Weil: Ich kann nicht anders! Ich liebe schöne Kugelschreiber!!! Halten zu Gnaden, Herr Rat, sie sind so schön und praktisch.

Was habe ich mich damals in der Schule mit dem ewig undichten Füllfederhalter geplagt. Das Kratzen am Papier, dauernd war man blau an den Fingern. Und dann kam in den 50er-Jahren der Kugelschreiber aus Amerika zu uns. Herrlich! Da gleitet der Stift – ja, wie auf Kugellager – am Papier und hinterlässt nur einen zarten blauen Strich, ohne Patzen, und auch die Kurven gehen superleicht.

Sie waren anfangs ganz schön teuer, und man hat sie nicht überall bekommen so wie heutzutage. Am billigsten war dann der BIC-Kugelschreiber, mit der durchsichtigen sechskantigen Hülle. Ich kann mich noch an die Werbung erinnern: Da hat man sie vom Hochhaus auf die Straße geworfen, eingefroren, mit einem Luftgewehr in eine Holzplanke geschossen, und sie schrieben danach immer noch. Auf jedem Kontinent, in jedem Kiosk an der Küste oder tief im Niemandsland konnte man sie kaufen. Na ja, heute sind die BIC nicht mehr so begehrt, weil man Kugelschreiber überall, in jeder Form, Farbe und Ausführung bekommt. Die anfangs teuren Markenkugelschreiber von Mont Blanc und Pelikan mit vergoldeten Kappen haben ihren Begehrens-Wert verloren, wenn man an jeder Ecke, bei jedem Anlass diese Werbekugelschreiber geschenkt bekommt. Bei politischen Parteien, Interessensgemeinschaften und Firmen, beim Doktor, beim Greißler und beim Zahnarzt, überall stehen sie herum und werden einem nachgeworfen.

Das alles wäre ja ein Grund, keine mehr zu stehlen! Aber es sind immer wieder schöne, praktische und gut in der Hand liegende dabei, wenn man ein Auge dafür hat. Nur: Die ganz billigen mit der eh nur halb gefüllten dünnen Mine lehne ich geradezu angeekelt ab. Aber die stärkeren, mit der Großraum-Mine wie sie die Parker-Kugelschreiber haben, also die betteln geradezu danach, von mir mitgenommen zu werden. Ich habe in jedem Sakko einen farblich dazupassenden in der Brusttasche. Ja, wenn es nur das wäre! Meine Schreibtischschublade quillt schon über von meinen Sammlerstücken, und wenn ich in irgendeine Tasche meiner Kleidung greife, springen sie mir entgegen. Natürlich auch die „versehentlich“ eingesteckten, wenn wo was zu unterschreiben war, bei der Bank, bei der Versicherung, am Gemeindeamt, beim Mechaniker oder einmal auch bei der Bestattung – der war besonders schön, schwarz mit goldenem Kreuz.

Ja, es ist schlimm – ich habe alle Mühe, nicht in Verruf zu kommen. Einmal ist mir was Peinliches passiert: Da habe ich beim Doktor was unterschreiben müssen, und der Kugelschreiber war weg. „Bemühen Sie sich nicht“, habe ich gesagt und einen aus der Seitentasche gezogen. Und das war dann einer mit seiner Werbeaufschrift!!! „Der, äh, der ist noch vom vorigen Jahr“, habe ich mich herausgelogen. Hoffentlich hat er das geglaubt.

Sehen Sie, Hohes Gericht, es ist ein innerer Zwang. Ich bitte um Freispruch, weil es ist noch niemand zu Schaden gekommen – ich habe keine Gewinnabsicht dabei. Als tätige Reue werde ich dem Protokoll-Beamten ein Dutzend meiner schönsten Kugelschreiber auf den Tisch legen. Da ist sogar ein Parker ohne Werbeaufdruck dabei, den ich – nein, der mir beim Finanzamt geschenkt worden ist.

Danke vielmals, Hohes Gericht, für die bedingte Strafe. Ich werde ab heute keine Kugelschreiber mehr stehlen – weil meine Elli nämlich gesagt hat, sie lässt sich scheiden, wenn ich noch einmal einen nach Hause bringe. Auf Wiedersehen – äh, ich meine, auf Nimmer-Wiedersehen!!!

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: drah di ned um … | Inventarnummer: 25040

Archiv Dezember 2024

28.12.24: Dario Schrittweise: Fragmente der Erinnerung
28.12.24: Tim Tensfeld: Aus stillen Phasen
28.12.24: Johannes Tosin: Mein Feuer in der Nacht
28.12.24: Bernd Watzka: Die schrecklichen Drachen
28.12.24: Johannes Tosin: Minute
21.12.24: Claudia Lüer: Weihnacht
21.12.24: Johannes Tosin: Einzeller
21.12.24: Wilfried Ledolter: Essenszeiten
21.12.24: Bernd Watzka: Das Angora-Kaninchen
21.12.24: Johannes Tosin: Die Volkszählung
15.12.24: Bernd Watzka: Das Saola
15.12.24: Johannes Tosin: Wind
15.12.24: Wilfried Ledolter: Rätsel
15.12.24: Johannes Tosin: Wetterscheide
7.12.24: Sonja Steingreß: So leicht
7.12.24: Bernd Remsing: Eines zur Weltlage
7.12.24: Bernd Watzka: Klagelied der Knoblauchkröte
7.12.24: Johannes Tosin: Der Bauer und sein Herr
7.12.24: Johannes Tosin: Würfelzucker

Stein und Kohle

Laut ist gefährlich,
aber leise kann noch gefährlicher sein.
Warum verbirgt jemand sein Geräusch?
Weil er böse Absichten hat.

Sie hat gehört, wie es war.
Hat gehört, aber sie weiß es nicht.
Es könnte sein, vielleicht, vielleicht auch nicht.

Dreizehn Wahrheiten gibt es.
Dreizehn Wahrheiten, wisst ihr das?,
dreizehn Wahrheiten, und eine jede ist wahr.
Dreizehn Menschen können Recht haben,
obwohl jeder etwas anderes sagt.

Solange du munter bist, bist du aufmerksam.
Fällst du in den Schlaf, bist du wehrlos.
Es gibt keine Garantie, dass du wieder erwachst.

Als wär es ein Feld von Sonnenblumen,
schwarz durch den Ascheregen.

Die alte Sonnenblume am 4. August 2021

Die alte Sonnenblume am 4. August 2021

Gelesen in Möderndorf im Gailtal beim Literaturfrühstück des Kärntner
Schriftstellerverbands zum Gedicht „Holz und Späne“ von Ingeborg Bachmann.

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: think it over | Inventarnummer: 25039

Im Jahr 2024 in Möderndorf

Es muss um 1850 sein,
hier in Möderndorf,
aber dann stehen da Autos,
und die Menschen sind bunt gekleidet.
Eine der niedrigsten Bevölkerungsdichten
Europa gibt es hier,
dennoch ist es das Jahr 2024.

Stromleitungen in Möderndorf über Wiesen und Weizenfelder am 22. Juni 2024

Stromleitungen in Möderndorf über Wiesen und Weizenfelder am 22. Juni 2024

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: anno | Inventarnummer: 25038

Himalayamurmeltiere

Die Alpenmurmeltiere sind nette Kerlchen. Gut bekannt. Die Jäger gehen gern auf sie los. Wo Murmeltiere besonders stark verbreitet sind, ist im Himalaya, also in Tibet, das gehört nun zu China. Die Himalayamurmeltiere essen mit Stäbchen, wohlgemerkt.

Birni und Murmeltier mit Alpinhut

Birni und Murmeltier mit Alpinhut

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: Von Mücke zu Elefant | Inventarnummer: 25037

Marlboro

Mit meiner Wells’schen Zeitmaschine, mit Hebeln und alles analog, bin ich ins Jahr 1961 zurückgereist. Entschleunigt und idyllisch, wenn man das so sagen kann, zumindest am Land. Da ist nur eine Sache: Jeder raucht. Ich bin Nichtraucher, Exraucher, und ich weiß, wenn ich nicht sofort in Richtung Zukunft reise, werde auch ich wieder rauchen.

Nun bietet mir ein netter Mann eine Marlboro an. Ist gut für die Gesundheit, sagt er, wie auch die damalige Werbung. Wer kann da Nein sagen? Ich jedenfalls nicht.

Der volle Aschenbecher und die zerknüllte Marlboro-Schachtel

Der volle Aschenbecher und die zerknüllte Marlboro-Schachtel

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: hin & weg | Inventarnummer: 25036

Fragmente der Erinnerung

Eine Kurzgeschichte in Briefform

5. 7. 2031

Meine liebe Fernanda,

endlich finde ich Zeit, dir zu schreiben. Ich bin schon mehr als sieben Monate in dieser Einrichtung, meine Gedächtnislücken und Bewusstseinseintrübungen werden immer weniger. Am besten gefällt mir die Lage. Die Insel ist idyllisch und das Anwesen luxuriös. Internet und Smartphones sind hier untersagt, doch mein neuer Freund Art bringt meine Briefe zur Post, bis ich wieder laufen kann. Der Chefarzt hat mir gesagt, dass ich den Rollstuhl in spätestens fünf Wochen nicht mehr brauche.

Die anderen Patienten sind freundlich und wir unternehmen viel gemeinsam. Stell dir vor, gestern waren wir an einem weißen Sandstrand. Er sah aus wie auf einer Postkarte. Nur du fehlst!

In ewiger Liebe
dein Grimaldo

 

9. 7. 2031

Lieber Herr Esposito,

ich freue mich, dass Sie sich gut eingelebt haben, nur Ihr lückenhaftes Gedächtnis macht mir immer noch Sorgen. Sie haben mich gebeten, stets ehrlich zu sein, daher muss ich etwas richtigstellen: Ich bin nicht Ihre Lebenspartnerin, sondern seit drei Jahren Ihre Therapeutin. Nach dem Unfall haben die Ärzte und ich Sie in die Klinik von Professor Sterling bringen müssen. Sein besonderes Projekt hilft Patienten wie Ihnen. Der Professor wird weiter unsere Briefe weiterleiten. Ich freue mich, wieder von Ihnen zu lesen.

Weiterhin gute Genesung
Dr. Fernanda Summers

 

2. 8. 2031

Lieber Herr Esposito,

warum antworten Sie nicht? Haben meine Worte Sie verletzt? Bitte schreiben Sie mir.

Freundlich grüßt Sie
Dr. Fernanda Summers

 

6. 8. 2031

Liebe Frau Dr. Summers,

nein, Ihr Brief hat mich nicht verletzt. Ihre offenen Worte haben mir geholfen, mich zu erinnern. Danke dafür. Mir ist wieder eingefallen, warum ich in dieser Einrichtung bin. Die Bruchstücke der Erinnerung kehren zurück: der schreckliche Autounfall, die vielen Verletzten und Toten.

Jetzt weiß ich auch wieder, wer Sie sind. Ich habe nur ein Foto mit Ihrer Adresse bei mir entdeckt und Sie für meine Freundin gehalten. Mein Gedächtnis spielt mir weiter Streiche.

Alle sind sehr freundlich, doch es ist zu schön, um wahr zu sein. Das Wetter ist stets sonnig und das Klinikpersonal ist immer gleich und zu gut gelaunt. Und was ist das für ein Projekt? Niemand gibt mir eine vernünftige Antwort.

Allerbeste Grüße
Grimaldo Esposito

 

7. 8. 2031

Lieber Herr Esposito,

ich habe mit der Wahrheit gewartet, um Ihnen den Schock zu ersparen. Beim Autounfall haben nur Sie überlebt, aber schwerstverletzt. Dann haben wir Sie an Professor Sterling überwiesen, der ein experimentelles Projekt leitet.

Sterling hat Ihr komplettes Gedächtnis in eine virtuelle Realität hochgeladen und Ihren Körper in ein künstliches Koma versetzt.

Verzeihen Sie mir, dass ich Ihnen keine erfreulichere Antwort geben kann. Hoffentlich werden Sie auf der Insel glücklich.

Ich wünsche Ihnen alles Glück der beiden Welten, bitte passen Sie auf sich auf.

Alles Gute
Dr. Fernanda Summers

 

Dario Schrittweise
dario-schrittweise.org

www.verdichtet.at | Kategorie: fantastiques | Inventarnummer: 24202

ausgrabung am offenen herzen

selbst[betr]achtung. eingriff am selbst.
ein beginnen – das kritische auge [schaufelzwilling]. ein wandern.
um jede weitere schippe – das freilegen der seele [nahe dem kern].
im loch liegend: staub von sich gepustet.
fundstücke [reichlich] aus dem verborgenen geborgen.
augenblick – ein aufbauen der ewigkeit.
atmen – „das bin ich also“.

Tim Tensfeld
https://www.autorenwelt.de/person/tim-tensfeld
https://www.literaturport.de/lexikon/tim-tensfeld

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary | Inventarnummer: 25035

Aus stillen Phasen

Draußen. Hinter frostverzierten Fenstern. Windpfeifen.
Ein alter Sommer schläft unter weißer [kalt atmender] Decke.
Tabak verglimmt [durch die Spekulationen] in einem
Pfeifenkörper.
Feuer verzehrt Kaminholz [Trockenerbstücke] vergangener Zeiten.
Rauchzeugungen.
Dann und Wann: Gelegentlich ein Vogel [Seltenheitsfundstück] im
Garten.
Er schenkt uns, in unregelmäßigen Momenten, kurze Interaktionen
und erinnert daran, dass das Leben auch mal seine stilleren Phasen
ersehnt.

Tim Tensfeld
https://www.autorenwelt.de/person/tim-tensfeld
https://www.literaturport.de/lexikon/tim-tensfeld

www.verdichtet.at | Kategorie: spazierensehen | Inventarnummer: 24201