Der Ruf aus dem Gestern. Pearl S. Buck (1892-1973) zum 125. Geburtstag am 26. Juni

Beginnt man über Pearl Sydenstricker Buck zu schreiben, fühlt man sich fast auf verlorenem Posten. Es stellt sich die Frage, ob man sich nicht mit einer doppelten vergangenen Welt beschäftigt: mit dem China, in dem die Autorin über Jahrzehnte lebte, und welches sie Zeit ihres Lebens in zahlreichen Schriften behandelte, ein Land, das, wie bekannt, seither mehrfach gewaltigste Umbrüche erlebte. Sowie mit der amerikanischen Gegenwart der 1950er/1960er Jahre, in der die Autorin massgebend stilbildend zu wirken versuchte, eine Welt, die im 21. Jh. ebenfalls bereits fast allzu weit zurückzuliegen scheint. Wenn ich trotzdem eine positive Antwort gebe – es lohnt sich unbedingt, an Frau Buck zu erinnern –, dann aufgrund ihrer literarischen Bedeutung für ihre Zeit und aufgrund ihrer Thematiken, die heute, in einer Zeit der fast überbordenden Sinnfragen, wieder Konjunktur bekommen.

Es ist, obgleich fast von Beginn ihrer Schreibtätigkeit an vielfach und namentlich von Männern geäußert, wohl doch eine sehr einseitige Sicht, Pearl S. Bucks Stil als eine biedere (amerikanische) Hausfrauenschreibe abzuqualifizieren. Natürlich können bei einer hohen Produktion von achtzig Titeln, darunter knapp dreißig Romane, nicht zwingend stets äußerst differenzierte Äußerungen erwartet werden. Gewiss kennzeichnet ihren Stil eine Disziplin ohne alle Schnörkel und eine wenig komplexe Ausdrucksweise. Man darf dabei nicht vergessen, in welch starkem Maß die Schriftstellerin zum einen von evangelisch-presbyterianischem Missionselternhaus und erster Ehe in China geprägt wurde, zum anderen vom nachfolgenden gesellschaftlich ausgerichteten Wirken in den USA. So mag die an Bucks Qualitäten zweifelnde Haltung – die im Übrigen bereits parallel zur Verleihung des Nobelpreises 1938 (»für ihre reichen und epischen Schilderungen […]») geäußert wurde – sich als eine Art self fulfilling prophecy erweisen.
Der die Autorin insofern selbst Stoff gab, indem sie sich niemals als novelist, als Romancier, bezeichnete, sondern (lediglich) als Erzählerin. Und auf wen dieser Stil misslich schlicht wirkt, muss sich klarmachen, wann ihre ersten Bücher erschienen. Mit dem Drang nach unkomplizierter Sprache, mit der Suche nach unmissverständlichen Aussagen, mit einer Linearität des «Fort-Schreibens» ist sie in der Zwischenkriegszeit und den folgenden Jahren bei Weitem nicht allein. Ihr lassen sich viele andere Mitautoren anschließen, die, weil zeitgebunden, gleichfalls nicht einfach «bescheiden» zu bezeichnen sind: aus unseren Regionen etwa Gertrud Fussenegger, Karl Heinz Waggerl oder Stefan Andres. Bei Pearl S. Buck scheint der Stil überdies unserem Empfinden für die Äußerungsart Ostasiens zu entsprechen – oder hat gerade sie mit ihrer Produktion womöglich dieses Empfinden erst in diese eine Richtung kanalisiert?

Dies, weiter gedacht, führt zur Frage, wie ihr Stil zum Inhalt steht. Im Wesentlichen handelt insbesondere das geläufige Gros ihrer Geschichten im China der 1920er und 1930er Jahre, jener Zeitspanne, in der das alte Kaiserreich mit seinen jahrhundertelang bindenden Traditionen in Gesellschaft und Kultur zusammenbrach. Die Autorin stellt sich dabei nicht dezidiert gegen die Neuerungen, setzt ihnen indessen eine gehörige Dosis Traditionalismus entgegen – dies nicht zuletzt, weil sie die besonderen Werte dieser vergehenden Zeit nicht allein aus der interpretierenden Distanz der «Abendländer» kannte, sondern insbesondere aus der inneren Welt ihrer einheimischen Freundinnen. In der Mischung aus Teilnahme und Abstand und in ihrem Wunsch, gegensätzliche Vorstellungen auszugleichen, ist sie nicht nur ehrlich; sie wird zu einer authentischen Zeugin: Bei aller dichterischen Freiheit der Romanstoffe hat sie gelebt, was sie schreibt. Diesen Hinter-, besser: Untergrund schildert sie eindringlich bereits im Prolog von «Die Gute Erde» – 1931 (dt. 1933) und nach wie vor wohl ihr bekanntestes Werk –, eingedenk des gewählten Untertitels: «Die Geschichte des chinesischen Menschen» (!).

Die Empathie liegt bei Pearl S. Buck nicht «obenauf». Empfindung ist eher zwischen den Zeilen, genauer: zwischen den Worten zu finden. Denn sie breitet, beschreibend, äußere gesellschaftliche Situationen aus, deren Ablauf eben durch den inneren Habitus innerhalb der handelnden Familienverbände ganz wesentlich bestimmt wird. Nicht das Gefühl trägt also das (Auf-)Schreiben, sondern das Einfühlungsvermögen. Dies impliziert allerdings, auch, das Vorhaben eines «auktorialen» Erklärens. Doch gilt hier wiederum eine Einschränkung: Die Autorin fällt nicht in die (ansonsten leider häufige) Unsitte, nacherzählend gleichsam Bericht zu erstatten. Sie hält konsequent den Blick auf das jeweilige Geschehen gerichtet … und ihre Ausdrucksform, den ihr eigenen Stil, durch. Aus einem anderen Blickwinkel erweist sie sich dabei – vermutlich durch das Angloamerikanische erleichtert – durchaus versiert in der Kunst des Weglassens und versteht gerade dadurch, «in den Bann zu schlagen».

Diese Rücksicht auf den Anteil des Lesers und bei dieser Autorin ausdrücklich der Leserin mag seinerseits zur Auseinandersetzung durch Filmschaffende gereizt haben; im Kino waren bald nach dem Erscheinen der Bücher etwa «Die Gute Erde» (natürlich) oder «Drachensaat» zu sehen, 2000 wurde dann noch «Die Frauen des Hauses Wu» herausgebracht. Eine gute Grundlage für diese Weiterführung liegt sicherlich in P.S. Bucks gekonnter Handwerklichkeit, wobei bei der Vielschreiberin fast naturgemäss die Professionalität– und darin die Absicht, spezielle Haltungen zu erzeugen – zunimmt. War sie niemals frei davon, die missionarische Stimme mitsprechen zu lassen, so erweist sich der Wille zur unmissverständlichen Deutung deutlich im Spätwerk, etwa in «Lebendiger Bambus» (1963, dt. 1964), das ausnahmsweise in Korea spielt und vor dem Hintergrund des unlängst zu Ende gegangenen Kriegs (1950-53) letztlich fast etwas aufdringlich den amerikanischen Einfluss thematisiert.

Zu diesem Zeitpunkt war die Buck bereits seit drei Jahrzehnten definitiv aus China in ihre Heimat, die sie vollständig als solche empfand, zurückgekehrt, hatte in zweiter Ehe ihren Verleger geheiratet und sich umfassend dortigen sozialen Themen zugewandt. Namentlich engagierte sie sich in der Organisation für Kinder in schwierigen Lagen, sicherlich mitbeeinflusst durch die Behinderung ihrer ersten, in China geborenen Tochter und ihrer zahlreichen Adoptivkinder. Dies «amerikanische» Engagement wirkte sich naturgemäss auf ihre literarische Tätigkeit aus, die sich unter anderem nunmehr der Rassenfrage widmete. Neuartig war dieser Stoff für sie nicht, ging es ihr doch vom presbyterianisch-christlichen Schreib-Beginn an um Toleranz und Völkerverständigung. Wohl nicht von ungefähr also beginnt sie einerseits spät unter dem Pseudonym John Sedges zu publizieren und schreibt andererseits in kurzem Abstand zwei Autobiographien (1954, 1962).
Diese fallen in eine Zeitspanne, in der Pearl S. Buck sich intensiv mit anderen kreativen Fähigkeiten befasst wie Bildhauerei oder Filmregie … und mit der Landwirtschaft, die sie zum Kauf einer Farm in Vermont führte, wo sie auch ihre letzte Ruhestätte fand. Wobei sie neuerlich einen Bogen zu ihren «chinesischen» Erstlingswerken schlägt, die bewusstmachen wollten, dass sich auf explizit diesem Gebiet die beiden von ihr er-, nein: gelebten Welten gar nicht gewaltig unterscheiden.
Unterschieden haben, sollte man wohl hinzufügen – in einer nach der Lektüre ihrer Bücher kenntnisreicheren Spannung von Gestern und Heute, die sich auf das Wirken von Pearl Sydenstricker Buck gründet.

Martin Stankowski
www.stankowski.info

www.verdichtet.at | Kategorie: about | Inventarnummer: 17146

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