Der Wohlstandstrinker

Während ich zwischendurch an einem Glas Single Malt nippe, krame ich in meinen Büchern und Manuskripten. Übrigens nicht uninteressant, der Geschmack, angenehm duftendes Bouquet … ist es Birne? Walnuss oder Eiche? Oder gar alles zusammen? Ein wirklich geschmeidiger Single Malt, zwölf Jahre im Sherryfass gelagert, atmet er weiters ein würziges Arom von Honig und frischen Pfirsichtönen aus. Im Finish vielleicht noch beerig, dazu etwas harzig getönt. Na, der Fantasie sind gottlob kaum Grenzen gesetzt.
Also, wie bereits gesagt, während ich hier bei einem Glas Whisky sitze, muss ich unweigerlich an Dichter und Schriftsteller denken, die nicht nur über den Alkoholismus geschrieben haben, sondern selbst mehr oder weniger dem Alkoholgenuss durchaus nicht abgeneigt waren, wie beispielsweise Ernest Hemingway, Edgar Allan Poe, Joseph Roth oder D. H. Lawrence, um nur einige zu nennen.
Und dreht man die Zeit ein wenig zurück, finden sich jede Menge begnadeter dichtender Schluckspechte schon in der Antike. Getrunken ist auf dieser Welt offensichtlich immer schon worden. Gedichtet auch. Wer schreibt, der trinkt auch, heißt es. Ein dichtender Chinese, Li Tai-Bo, einige Jahrhunderte vor Christi Geburt, kam im Rausch zu Tode, als er das Spiegelbild des Mondes umarmen wollte. Anakreon, griechischer Textkünstler, fand sich in der Rolle - besser betrunken am Boden als tot - bestens besetzt.

Ach ja, der Alkohol! Tröster und Mörder in einer Gestalt. Was ist nicht alles geschrieben worden im Suff? Was wurde nicht schon alles über das Trinken geschrieben? Würde man zu einer literarischen Verkostung von Trunkenheitsliteratur geladen, präsentierte sich diese wohl in einer Unmenge „alkoholhaltiger“ Leseproben. Vielleicht sollte man sich die Menükarte einer solchen Verkostung einmal genauer ansehen?
Da gibt es Bücher über die Weinkunde, über Etiketten, ja sogar Weinatlanten, die einen mit Tralala in die Welt des  vergorenen Traubensaftes führen. Wieder andere verweisen dezent auf teils verborgene Weinpfade, auf Whiskytrails oder historische Bierreisen, allesamt begehrte Pilgerstätten gepflegten Säuferdaseins. Jedes (hoch)prozentige Getränk hat mittlerweile seinen „Oskar“, wird prämiert, gepriesen und gefördert und in eigens dafür geschaffenen Seminaren wird man darüber belehrt, wie man leert.

Ist das normal? Ist die Sauferei nicht gesellschaftsgefährdend? Sind wir bereits ein Volk der weichen Birnen? Angeblich trinkt jeder Vierte unter uns professionell. Das heißt, pro Kopf und Leber zum Beispiel 256 Liter Bier im Jahresdurchschnitt. Da ist vom Wein noch gar nicht die Rede. Ganz zu schweigen vom Schnapserl.
Aber damit nicht gleich alles so schrecklich ungesund und sündhaft klingt, geben wir den Gläsern, aus denen wir ihn trinken, den verwerflichen Saft, gerne verniedlichende Namen wie Krügerl, Seiderl, Vierterl, Achterl, Glaserl oder Stamperl. Nicht zu vergessen eine beinahe völlig verschwindende Größe unter den Gläsern, die echte Profis kaum wählen, der Pfiff, oder noch kleiner, das Pfifferl. Nein nein nein nein! Das ist etwas für betagte Damen oder den älteren Herren. Ein Amateurgebinde quasi.
Der echte Trinker hat seine Halbe, seine Maß, sein Krügel, sein Seidl oder sein Viertel, alle ohne das verharmlosende „r“ vorm letzten Konsonanten. Ohnehin bloß Schnickschnack für Heimlichtrinker.
Zur Definition des Zustandes danach werden Vergleiche aus dem Tierreich herangezogen, um ihn anschaulich zu beschreiben, wie etwa einen „Affen“ haben, einen „Spitz“ oder „Bären“. Manch einer hat eine „Sau“, einen „Esel“ oder ganz einfach „Kälber“ oder „Gänse“. Wem das zu exotisch ist, kann sich ja mit „Dampf“, „Flieger“, „Fahne“ oder mit „einen in der Krone haben“ begnügen. Man gießt sich entweder „einen auf die Lampe“ oder auch „hinter die Binde“. Im Prinzip kommt es auf dasselbe heraus. Oder kurz gesagt, ganz gleich wie, das Ergebnis hinterher ist immer eindeutig. Besoffen, berauscht, fett, trunken oder schlicht und einfach voll, abgefüllt, zu.

Ich frage mich oft, was hat die Menschheit dazu gebracht, sich seit Jahrhunderten wenn nicht schon länger, Alkoholisches so mir nichts dir nichts hineinzuschütten? Liegen die Ursachen darin, die Welt nicht mehr verstanden zu haben, im Epochenwechsel etwa? Haben die politischen oder sozialen Verhältnisse dazu geführt? Waren die römischen Galeeren oder die kolumbus´schen Koggen maßgeblich an der weltweiten Verteilung von Wein- oder Rumrationen beteiligt? Ist den Menschen Guttenbergs Massendruckerei zu rasch zu Kopf gestiegen oder hat man bloß aus Jux und Tollerei gesoffen?
Vielleicht war die Erringung neuer geistiger Werteskalen ausschlaggebend, um der Trunksucht den geeigneten Teppich zu legen? Die Menschheit fühlte sich überfordert und griff zum Glas, damit sie das alles ertrug. Zugegeben, die neue Rolle des Bürgertums als Kulturträger war sicherlich auch nicht leicht zu ertragen. Worum sollte man sich nicht noch kümmern?

Dann darf man aber auch nicht den Aufschwung der Städte vergessen, den des Handels, des Gewerbes und Handwerkes und damit eng verbunden die Geldwirtschaft. Schließlich musste so ein Rausch ja auch bezahlt werden. Wie hätte denn der Wirt sonst überlebt?
Und viele drängte es vom Dorf ins Stadtleben. Dort schien die Gesellschaft in soziale Unordnung zu geraten, was wiederum dem Griff zum Becher förderlich war, wie Beispiele aus Quellen, die sich mit dem Laster der Trunksucht beschäftigten, bestätigen.
Natürlich wollte man vorerst nichts beschönigen, durchaus nicht. Die Literatur bahnte sich ihren Weg über die Satire zum Alkoholproblem, über Schriften zur Bekämpfung dieser Untugend bis hin zur Glorifizierung des alkoholischen Getränkes. Und zur neuen Geistigkeit der Reformation schienen geistige Getränke recht gut zu passen, wenn man sich ein wenig im 16. Jahrhundert umsieht. Ganz klar, der Mensch war verunsichert. Das wirkte sich auf die Lebensgewohnheiten aus, die sicher nicht nur Freude verhießen, sondern ebenso Leid und Verzweiflung zum Inhalt hatten.
Einer der Arbeitstage, die für das Gesinde, für die Lehrlinge wie auch für die Gesellen, die Bediensteten, Hilfskräfte und Lohnarbeiter frühmorgens nach der Morgensuppe begannen und sieben bis fünfzehn Stunden dauerten, hieß bezeichnenderweise „blauer Montag“, hatte aber mit „Blau-Sein“ nichts gemeinsam. Vielmehr ging er auf den alten Brauch, den Handwerksgesellen am Montag freizugeben, zurück. Ob dies aus logischer Konsequenz geschah, weil die Typen am Montag ihren Dampf vom Wochenende ausschlafen mussten, sei dahingestellt.

Daneben jedoch blühte das Leben, und diejenigen, die es sich leisten konnten, bis zum heutigen Tag kein Unterschied, frönten dem guten Essen und Trinken, der Geselligkeit, dem Spiel, der Jagd, aber auch dem Müßiggang, der Völlerei, dem Luxus wie auch der Wonne und dem Genusse bei Festen wie dem Vogelschießen und der Weinernte, ebenso wie anlässlich privater Feste, Zunftfeste oder an Reichstagen.
Wer von uns kennt den Brauch ums Zutrinken nicht aus eigener Erfahrung, um den Ruhm der Trinkfestigkeit und die Unsitte, den anderen unter den Tisch zu trinken? Besoffenheit galt durchaus nicht als diffamierend. Und es gab genug Tavernen und Schenken, in denen auf ständische Art schrankenlos gesoffen wurde.
Verdächtig derjenige, der nicht trank. Arglistig und gar von niederem Wert sei dieser. Sauf, hieß es, als allmächtiger Abgott, wer auch immer diesen Spruch in die Welt gesetzt hat. Ein Schelm, der behauptet, Martin Luther selbst hätte das verbreitet.
Das Kammergericht hatte wegen der Trunksucht jedenfalls genug zu tun. Delikte von Gotteslästerung bis hin zum Totschlag gehörten zum Alltag. Die Sauferei mündete in Ehebruch, säte Zwietracht unter die Menschen und führte zu Meuterei und Verrat.

Aber, was wäre der Mensch schon ohne Laster? Die Laster sind den Tugenden beigemischt, wie die Gifte der Arznei. Unsere Intelligenz verbindet sie und mäßigt sie, und bedient sich ihrer mit Nutzen gegen die Übel des Daseins. Schließlich erwarten uns die Laster auf dem Weg unseres Lebens wie Herbergen, bei denen wir unbedingt einkehren müssen. Man muss daher zutiefst bezweifeln, dass wir sie aus Erfahrung meiden würden, wenn uns vergönnt wäre, den Weg unseres Lebens zumindest zweimal zu gehen, steht irgendwo.

Doch was die einen gutheißen, verdammen die anderen. Im Alten Testament ist vom beseligenden Getränk des Weines die Rede. Im Neuen Testament gibt es den Vergleich vom Weinstock und der Rebe. Wir verehren Weinheilige und Schutzpatrone, etwa die Traubenmadonnen.
Sind Sie Buddhist oder Moslem, kriegen Sie mit dem Alkohol ein Problem. Aber wir Trinker haben für alles eine Erklärung, die mit dem Alkoholgenuss zu tun hat. Ist etwa Wein im Manne, ist der Verstand in der Kanne. Oder, beim Trunk geht die Zunge auf Stelzen. Denken Sie an den Dorfrichter Adam bei Kleist. Es ist der Wein, der die Zunge erst geschickt macht, den Käse zu schmecken. Ein anderer: Süß getrunken, sauer bezahlt. Klingt echt hart. Nicht zu vergessen, ein guter Trunk macht Alte jung! Und die Römer? Die alten Römer? Waren auch nicht ohne. In vino veritas, Sie erinnern sich? Verachten Sie mir die Germanen nicht! Frankenwein, Krankenwein. Na bitte! Oder Rheinwein, fein Wein! Noch so ein sinniger Spruch, Neckar Wein, schlecker Wein. Der Reim ist nicht ganz rein, hoffentlich ist es der Wein.
Und schon wieder Herr Luther, wenn´s stimmt, red, was wahr ist, iss, was gar ist, trink, was klar ist. Dazu ist nichts zu sagen.

Nun, es muss nicht immer Wein sein, wenn gereimt wird. Wie wär´s einmal mit Bier? Riecht es aus dem Schrank nach Bier, weiß der Bauer, der Knecht war hier. Kein Wunder also, wenn manche von uns schlaftrunken sind, wissensdurstig, von Rachedurst getrieben, im Liebes- oder Siegesrausch sind. Dem Kellner geben wir auf alle Fälle Trinkgeld. Jedoch, wer trunken wird, ist schuldig, nicht der Wein.
Mitunter vermögen Trinksprüche oft recht praktische Bereiche anzusprechen, wenn es da heißt, sauf, dass dir die Nase glüht, rot wie ein Furunkel, dass sie dir als Lampe dient, in des Lebens Dunkel!
Der akademische Mensch hält zuweilen sehr viel von solchen Philosophien, wie alte Studentenlieder beweisen: Um den Jammer zu vertreiben, will dir ein Rezept verschreiben, oft schon hat es zugetroffen, es wird immer fortgesoffen. Oder wie der Großvater meines lieben ungarischen Freundes zu sagen pflegte, Alkohol wäre in kleinen Mengen Medizin, in großen Mengen Medikament. Wenn da noch jemand von maßvollem Trinken spricht, kann es sich dabei nur um einen Widerspruch per se handeln. Die kalten Schauer können einem bei dem Gedanken hinunterlaufen. Wie ein bekanntes Sinngedicht auch bestätigt: Denn es frieret selbst im wärmsten Rock der Säufer und der Hurenbock!

Wenn ich es recht bedenke, ist es gar kein so großes Problem, an eine ordentliche Flasche Schnaps heranzukommen, auch wenn der Säckel noch so leer ist. Um zehn Euro bekommt man schon einen brauchbaren Obstler, Weinbrand oder Whiskey. Zugegeben, der gepflegte Trinker leistet sich natürlich teureren Stoff. Schließlich geht es um Geschmack, um Stil und Tradition. Nicht zuletzt auch um die Gesellschaftsfähigkeit. Ich mache jetzt eine kleine Schreibpause und nehme einen Schluck von meinem Glas. Nach kurzer Zeit werde ich versuchen, meinen Zustand zu analysieren. Ja, ich merke bereits, wie der Alkohol wirkt. Wohlige Wärme durchzieht meine Magengegend und entspannt meine Muskeln. Immerhin sitze ich schon eine geraume Weile vor dem Laptop und tippe. Ich gehöre noch nicht zu den Schnelltrinkern, die bereits am Morgen ihre Ration hinunterkippen müssen, um überhaupt einmal die Kaffeeschale ruhig halten zu können. Daher komme ich mit einer Flasche eine gute Woche durch. Der zweite Schluck bereits hebt mein Selbstwertgefühl in kürzester Zeit enorm. Ich setze das Glas ab. Nun werde ich versuchen, im Text fortzufahren.

Ich krame in einer alten Mitschrift aus meiner Studienzeit, die sich mit Trunkenheitsliteratur auseinandersetzte. Beim Lesen entsinne ich mich der hervorragend beschriebenen Wirtshausszenen Seyfried Helblings, Pflichtliteratur damals, einem Spielmann in der Nähe Zwettls gegen Ende des 13. Jahrhunderts. Ein geübter Schreiber, der gegen den allgemeinen Sittenverfall und aufkommende Modetorheiten wettert und versucht, dem Leser mit seinen Schriften eine Art Spiegel vorzuhalten, damit er sich darin in seinen Irrtümern erkennen und womöglich bessern möge.
Den Leuten einen Spiegel vorhalten erwies sich stets als probates Mittel, die Menschheit vor Gefahren und Dummheiten bewahren zu wollen. Damit stand er nicht allein da. Ein gewisser Berthold von Regensburg, 1272 verstorben, steht ihm um nichts nach und fordert in seinen Predigten wortgewaltig die mangelnde Besinnung der Menschen auf sich selbst. Es ist eine Zeit, in der die Moralsatire eine Blütezeit erlebt und sich höchst moralisch an den Lastern und der Liederlichkeiten der Epoche versucht.
Und Weltverbesserer gab es damals genug. Ich finde einen Hugo von Trimberg und den Meister Renauß, Meister ironischer Lehrgedichte, etwa „Des Teufels Netz“, worin es um den Wein und die Liebe geht. Die literarischen Inhalte beziehen sich oft auf opulentes Essen wie sechsgängige Menüs, Trinken aus voluminösen zinnernen Kannen, das Spiel und die Jagd. Und nicht zuletzt standen die ausgeprägtesten Leidenschaften der damaligen Zeit eng im Zusammenhang mit dem maßlosen Genuss von Alkohol. Eigentlich nicht viel anders als heutzutage, vom Zinn einmal abgesehen.

Offensichtlich waren die Folgen des Alkoholmissbrauchs den Behörden irgendwann einmal zu viel geworden, sodass man sich 1512, unter der Regentschaft von Karl dem V., dazu entschloss, ein Reichsgesetz gegen das Saufen zu verordnen, welches Trunkenbolde mit hohen Strafen belegen sollte. Nebenbei wurde auch gleich ein anderes Gesetz verschärft, nämlich der Tötungsparagraf. Wesentlich höher bestraft sollte werden, wer einen Weinbauern tötete. Für passionierte Trinker ein nachvollziehbarer Schritt der Justizbehörde, oder? Schlimm stand es auch um den Schankwirt, wenn er dabei erwischt wurde, dass sein Wein verwässert war. In diesem Falle drohte das höchst ungesunde Eingemauertwerden bei lebendigem Leibe.

Dabei fällt mir ein Satz ein, ohne zu wissen, von wem er stammt: Jugend ist Trunkenheit ohne Wein. War das von Goethe? Aus dem westöstlichen Diwan? Ich weiß es nicht mehr. Nun, da ich nicht mehr jung bin, muss ich zusehen, wodurch ich trunken werden könnte. Ab einem gewissen Alter scheidet Trunkenheit durch Liebe aus. Also gieße ich einen weiteren kleinen Schluck aus der Flasche in mein Glas und setze es an die Lippen.
Wie ich eingangs schon betonte, zähle ich mich selbst zu den sogenannten Genusstrinkern, oder bilde mir zumindest ein, es zu sein. Sollte ich mich einmal über etwas oder jemanden geärgert haben, mir etwas gegen den Strich gegangen sein, kann es schon einmal vorkommen, dass so ein Tatbestand unvorhergesehenerweise einen etwas größeren Schluck zur Folge haben kann. Überdies wage ich seit einer Begegnung mit einem Facharzt der Geriatrie, auch wenn sie schon etwas länger zurückliegt und rein zufällig bei einem Heurigen in Wien Grinzing stattgefunden hat, ohne meinen stets mit Whisky gefüllten Flachmann kaum einen Schritt mehr außer Hauses.
Hat mir nicht jener Spezialist auf eindrucksvollste Weise von seiner eigenen Erfahrung mit einem plötzlichen Herzinfarkt erzählt, den er mit einem ordentlichen Schluck aus seiner Brustflasche soweit in den Griff gebracht hatte, dass er aus diesem Grund nicht zum pathologischen Fall wurde? Unter diesem äußerst beruhigenden Eindruck erlaube ich mir, rein präventiv versteht sich, noch einen Kleinen zu genehmigen. Schließlich weiß man ja nie!

So eine Alkoholsucht hat eigentlich etwas Furchtbares und Abschreckendes. Als Kind schon hatte ich eine Heidenangst vor Betrunkenen entwickelt, wenn manchmal welche sogar am hellichten Tag vor unserem Gartenzaun vorbeitorkelten, vor sich hinlallend, singend oder lauthals herumbrüllend. Einer von ihnen, stets mit einem alten Hanfseil ausgerüstet, um damit zum Nordpol aufzubrechen, soll von einem Blitz gestreift und in der Folge um den Verstand gebracht worden sein. Dieses Erlebnis habe ihn zum Säufer gemacht.
Unbestätigten Tratschereien zufolge hatte es jedoch gar keines Blitzes bedurft, vielmehr habe der Gute immer schon gesoffen. Ein berührendes Menschenschicksal! In diesem Zusammenhang fällt dann schon einmal der Begriff Elendsalkoholismus.

Das Gegenteil davon ist wahrscheinlich der Wohlstandsalkoholismus, denke ich. Dazu zähle ich mich. Wenn mir jemand an seinem Geburtstag ein Glas anbietet, nehme ich es artig und auch noch ein zweites, wenn es sein muss. Schließlich möchte ich nicht unhöflich erscheinen. Und vielleicht noch ein drittes, wenn es der Anstand, oder besser gesagt mein Zustand, erlaubt. Man trinkt eben gemeinsam auf sein oder ihr Wohl. Natürlich auch auf mein eigenes, oder das der Anwesenden, der Nachbarn, der Menschen auf der Straße und so weiter, es findet sich immer irgendein Anlass zum Zuprosten.
Arm angewinkelt, in die Pupille geschaut und runter damit! Alles eine Frage der Tisch- oder Stehtischsitten. Lehrhafte Tischsittenliteratur, Benimmbücher oder Anstandsliteratur gibt es schließlich seit dem 12. Jahrhundert, dazu bestimmt, sie auswendig zu beherrschen und sich ihrer Anweisungen zu bedienen, wenn es der Anstand gebietet.

Unter anderen hat auch der allen bekannte Hans Sachs eine solche Anleitung verfasst. Wer hingegen mehr auf Derbes steht, sollte zu Sebastian Brants „Narrenschiff“ greifen. Dort ist man in bester Gesellschaft, so, wie sie nicht sein sollte. Brandt kürt darin seinen Starprotagonisten, den „Grobian“, zum Schutzpatron aller Säufer. Durch ihn sollte der ahnungslosen Menschheit wieder einmal der berühmte Spiegel vorgehalten und die Narren in ihrer unendlich ausgeprägten Vielfalt als Sünder bekehrt werden. Auch nicht zu verachten ist „Der Weinschwelg“, um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden. Handelt von einem Typen, der dem Suff quasi alles opfert.
Um die Liste der Saufliteratur zu vervollständigen, darf dabei „Der Weinschlund“ vom Stricker nicht fehlen, ebenso ein Werk mit dem Arbeitstitel im Genitiv, „Der Wiener Meerfahrt“, auch so um 1260 bis 80 entstanden. Nicht zu vergessen Meier Helmbrechts „Wernher der Gärtner“, oder „Der Welsche Gast“, Literatur, dazu berufen, mit ihrem mahnenden Fingerzeig auf die dringende Notwendigkeit moralischer Besserung hinzuweisen. Man weiß über die Folgen der Trunksucht Bescheid und warnt vor den Schäden an Leib und Seele, an Besitz und nicht zuletzt an der Ehre. Ludwig Uhland macht das Laster des Alkohols zum Leitmotiv in seinen Schlummer- und Trinkliedern und setzt damit dem Wein als Sorgenbrecher und Freudenspender zugleich ein literarisches Denkmal.

Ich hingegen frage mich, ob mein eigenes Wohlstandstrinken so hin und wieder nicht doch schon Konflikttrinken ist? Ein Schluck bloß, um mir psychische Erleichterung zu schaffen, wenn dir die heimische Politik so aus der Hüfte heraus plötzlich zweieinhalb Jahre mehr bis zur Pension aufbrummt oder sie dir die nächste Nulllohnrunde orakelt. Wenn sich über Nacht die Prämie meiner mühsam zusammengekratzten Bausparverträge halbiert. Ja dann … im Gegenzug ließe sich vielleicht auch bei anderen Gelegenheiten etwas mehr von dem Zeug saufen, gar anlässlich eines lustigen Festes? Man verliert bei dieser Art des Trinkens ja nicht gleich die Kontrolle über sich. Eventuell lässt man sich in so einem Fall leichter dazu hinreißen, noch in derselben Nacht eine zornige Mail an seine Interessenvertretung zu senden, in der man sich nach Herzenslust über deren Unfähigkeit auslässt und die sofortige Kündigung bei derselben in den Raum stellt, weil man sich nicht vertreten fühlt?
Wer weiß? Bin ich also jetzt seelisch und körperlich schon abhängig vom Freudenspender? Vom Sorgenbrecher? Eines kann ich vorläufig zumindest mit Sicherheit ausschließen, nämlich Spiegeltrinker zu sein. Gewohnheitsmäßig das gewisse Quantum in mich hineinzuschütten und den Alkoholgehalt gleichmäßig in mir aufrechtzuerhalten. Quartalsmäßiges Saufen, also mit periodischen totalen Umfallern und so, kann ich mir ohnehin nicht leisten. Das würde der Kreislauf nicht mehr verzeihen. Und überdies möchte ich am nächsten Tag auch noch Lust auf das Zeug haben, was nach einer totalen „Sonnenfinsternis“ nicht immer stimmig erscheint. Also belasse ich es bei Alltagssorgen bedecken, Stimmung heben oder „warum soll ich mir nicht hin und wieder was Gutes tun“.
Auch bilde ich mir ein, die vorprogrammierten Gedächtnislücken ausschließlich auf mein fortgeschrittenes Alter zurückzuführen. Schließlich muss ich ein Leben lang schon eine Menge unsinniges Zeug in meinem geplagten Gehirn speichern. Da kann schon mal die eine oder andere Info ausbleiben. Rätselhaft bleibt, warum ich mich oft an das letzte Glas des Vorabends nicht mehr erinnern kann.

Beim Blättern in meinen Aufzeichnungen stoße ich auf den Satiriker und Franziskanermönch Thomas Murner, der einen Vergleich seiner Fachkompetenz mit Martin Luther durchaus nicht zu scheuen brauchte, hatte ich damals aufgeschrieben. Murner wollte es seinem Vorbild Sebastian Brandt gerne gleichtun und auf dessen Erfolgswelle mitreiten. Aus heutiger Sicht wäre er ein Plagiateur, würde man sagen, wo er doch bereits im Vorwort von Brandt abgeschrieben haben soll. Mehrfacher Doktor der Theologie und Juristerei? Da ließe sich sicher noch was Unrechtes finden, wie die Erfahrung der jüngsten Vergangenheit gezeigt hat, nicht wahr? Nun, wollen wir es heute dabei belassen.
Wortgewaltig und als Seelsorger mit der volkstümlichen Ausdrucksweise vertraut, schreibt er in eindrucksvollen einprägsamen Redewendungen satirisch Provokantes, wobei er es sich nicht verkneifen kann, den allgemeinen Sittenverfall vom „Füllen und Prassen“ zu verdammen. Im Gegensatz zum sogenannten Spiegeltrinker also ein Spiegelschreiber.
Dagegen nimmt sich ein Werk eines Herrn Obsopeus zum Thema Alkohol, ich hoffe, dass ich den Namen richtig geschrieben habe, endlich einmal ein wenig positiver aus, wenn er über die Entfaltung des Maßhaltens schreibt und den Trinker zum Genießer werden lässt.

Nach all den Wasserpredigern tut es richtig gut, wenn endlich einer einmal nicht gegen die schädlichen Folgen des Alkoholkonsums wettert, finde ich und greife zum Glas, in dem nur noch ein trauriges Tröpfchen goldfarbenen Gerstenbrandes sein kümmerliches Dasein fristet. Diesen Zustand wollen wir sogleich bereinigen, indem ich etwas aus dieser sympathischen Flasche vor mir nachschenke. Und hast du es nicht gesehen, kann man in Grimms Märchen oftmals lesen, flöße ich mir flugs etwas von der Medizin ein, die ich manchmal benötige, um besser durch den Tag zu kommen, wenn Seele oder gar Kreislauf irritiert scheinen. Alles jedoch mit dem Vorbehalt auf Prävention. Und da es noch nicht so spät ist, dem allabendlichen Ritual zu folgen, den Dämmerschoppen zu nehmen, benenne ich diesen hier den Trunkenheitsliteraturnachmittagserinnerungsdrink, damit das Kind einen Namen hat und ich eine Entschuldigung. Hört sich an, als würde ich andauernd an Alkoholisches denken. Da kann ich nur drüber lachen!

Um noch einmal auf den Obsopeus zu kommen und sein äußerst sympathisches Werk über die Kunst des Trinkens, in welchem er Bacchus zum Schutzpatron der Säufer, den sogenannten Bacchanten, hochstilisiert, jedoch trotz allem zum Maßhalten rät wie auch zur richtigen Wahl derjenigen Menschen, mit denen man sich bei Speis und Trank umgibt. Er warnt vor raschem Trunkensein, indem man diesem mittels ausreichender Nahrung entgegenwirke. Zu allererst müsste man einmal ein Fundament schaffen, eine Grundlage, hat auch einer meiner Bekannten stets gemeint, vielleicht ergänzt durch den Verzehr von Rettich, getrockneten Feigen oder bitteren Mandeln.
Ein persischer Freund hat mir immer von Trinkgelagen an einem bestimmten See im Iran erzählt, wo man es hervorragend verstanden haben soll, professionell zu feiern. Vor der Revolution versteht sich. Bier, erzählte er, Wein und so weiter, waren nicht genug. Whisky musste es sein. Dabei schmunzelte er vielsagend. Hatte man zu viel getrunken, nahm man etwas Saft vom Granatapfel zu sich. Danach konnte man wieder hervorragend weitersaufen, hatte er hinzugefügt. Man lagerte dazu auf eigens dafür mitgebrachten Teppichen, die man am Seeufer ausgelegt hatte. Und brach dann unweigerlich einmal der Sonntagabend an, hieß es, gehen Sie nicht am Sonntag, bleiben Sie bis Montag. Ich war fasziniert und habe ihn noch Jahre später immer wieder gebeten, mir doch wieder von seinen Festen zu erzählen.

Doch noch einmal zurück zum Obsopeus. In seinem zweiten Buch erzählt er vom Garten der Mäßigkeit, von Tanz und Speisen, von mäßigem Spiel, und er warnt eindringlich vor der Unmäßigkeit beim Trunke, welche den Menschen zum Tier werden ließe, welches sich mit anderen herumprügle. Künstlich müsse man trinken, heißt es hier, sich in der Kunst des Trinkens üben, wobei er empfiehlt, dem Wein etwas Wasser beizugeben, ein Gedanke, zu dem ich mich nicht weiter äußern möchte.
Wenngleich es sich bei dieser Literatur immerhin um ein eher mäßigendes Medium im Umgang mit der Sauferei handelte, hatte der Klerus trotzdem ein scharfes Auge darauf und die Prediger wurden angewiesen, eindringlich vor den verheerenden Folgen des Alkoholmissbrauchs zu warnen. Der Bürger sollte die moralischen, sozialen und politischen Folgen der Trunksucht bedenken, welche die Menschheit zum Kriege verleiten würde, zu Bauernkriegen, zu Kriegserklärungen im Rausch, zu Diebstahl, Totschlag und Misshandlungen. Säuferleben ende am Galgen oder in der Prostitution, hieß es.
Es bedürfe sachlicher Ratschläge. Man nannte Fürsten als Vorbilder und warnte gleichzeitig vor den Folgen des Jüngsten Tages, wenn immer mehr im Glas als im Wasser ertrinken würden. Gescheh‘n in einer Zeit, als fahrende Kaufleute gerade Auerbachs Keller und Hof so über die Maßen lobten. Nun, eine zeitgemäße Predigt gegen das Laster des Alkoholmissbrauchs könnte zum aktuellen Zeitpunkt etwa so aussehen: Sie wissen, dass die regelmäßige Einnahme alkoholischer Getränke heutzutage in alle sozialen Schichten Einzug gehalten hat. Aufgrund dieser Tatsache warnen wir eindringlich vor übermäßigem Genuss geistiger Getränke hinsichtlich der drohenden Abhängigkeit von Alkoholika, welcher nicht zuletzt zu diversen neurologischen Erkrankungen führen kann. Durch regelmäßige Alkoholzufuhr erhöht sich in der Folge das Risiko für Sie, physische und psychische Schäden zu erleiden, enorm. Beachten Sie daher die Ihnen zuträgliche Tagesdosis genau, die bei Männern zwischen 20 bis 24, bei Frauen hingegen schon bei 10 bis 12 Gramm liegt. Bedenken Sie überdies, diese Menge nicht täglich zu konsumieren.
Bereits der geringste Rauschzustand hat psychopathologische wie auch neurologische Auswirkungen auf Ihren Organismus. Unterbewerten Sie nicht den bereits nach den ersten Schlucken auftretenden leichten Erregungszustand und vermeiden Sie jede weitere Trübung Ihres Bewusstseins durch die fortgesetzte Einnahme alkoholischer Substanzen, die vorerst zur Ermüdung, in weiterer Folge sogar bis zum Koma führen kann.

Nach dem Durchlesen meiner letzten Zeilen muss ich mir eingestehen, dass ich in dieser besonderen Sache äußerst wenig Talent zum Prediger zeige. Obendrein hat das viele Lesen meine Augen müde gemacht, und während ich mich einem langen Gähnen voll und ganz hingebe, prüfe ich den Pegelstand in meinem Whiskyglas über einen ganz bestimmten Augenwinkel, wobei ich feststelle, dass dieser wieder einmal mehr ziemlich stark gesunken ist. Ich überlege daher, ob ich nicht vielleicht noch etwas Medizin zugießen sollte?
In solchen Momenten habe ich auch stets mein Rauchgerät in der Nähe, denn genau dann erfasst mich zumeist der innere Wunsch, ein Trieb beinahe schon, nach meiner Pfeife italienischer Provenienz in der rechten Rocktasche zu greifen, um diese aus ihrem dumpfen Gefängnis zu befreien. Leidenschaftlich ertasten meine Finger die rustizierte Struktur des Pfeifenkopfes, geübter und durch die Jahre hindurch ritualisierter Berührungsablauf. Wenn es ums Design ging, scheint den Italienern von jeher stets das Hervorragendste zu gelingen, seien es Autos, Kleidung oder was sonst noch alles.
Ich schätze diese Pfeife ganz besonders und werde nicht müde, sie zu bewundern, sie täglich erneut zu ertasten und in ihren Konturen zu erfahren, nicht zuletzt auch ihrer anthrazitfarbenen Tönung wegen, die in mir etwas wie die Wehmut eines verlorenen und plötzlich wiedergewonnenen Horizontes auszulösen vermag. Oft schon hervorgerufen durch eine kleine, unscheinbare Farbauslassung am Ende des Holms. Die nussbraun schimmernde Lasur oder der hölzerne Urgrund, dazu angetan, in mir jene süße Ahnung zu entlocken, wenngleich auch nur auf Dauer des Bruchteils einer Sekunde. Und das allein durch einen schmalen Streifen hellen Holzes zwischen dieser Stelle und dem Rest glänzendem Dunkel wie undurchdringlicher Steinkohle.
Ich habe sie erst vor Kurzem geraucht und es ist noch genügend Tabak darin vorhanden. Geübt ziehe ich das silberne Feuerzeug aus der schmalen Öffnung meines englischen Gilets, in der hehren Absicht, das pechschwarze Kraut darin erneut zu entflammen, welches, kaum mit dem Feuer in Berührung, sich in seinem Schmerz sogleich aufbäumt, um kurz darauf rubinrot zu erglühen. Nun gilt es, die Intensität des Brandes zu bezähmen, die Rauchschwaden auf ein Minimum zu reduzieren, die Hitze auf ein erträgliches Maß einzudämmen, denn nur so kann sich die angenehme Süße, das eigenwillige Bukett seines Aromas und der vollkommene Charakter dieser Mixtur aus hellem Virginia und dunklem Perique seinen Weg durch das Labyrinth meiner vom Whisky abgehärteten Geschmackspapillen suchen.

All das geschieht stets in der Hoffnung, für stabile und zumindest für eine bestimmte Zeit nachhaltige Entwicklung der sich gleichmäßig ausbreitenden Glut zu sorgen. Diese zu bezähmen und zu hegen ist mein Ziel, des Pfeifenrauchers innigstes Bestreben allgemein. Gleichzeitig aber liegt der tiefere Sinn in der Ausprägung einer Disziplinierung, wie bereits erwähnt, die Gifte, die ja wie Laster den Tugenden beigemischt scheinen, zu mäßigen, um sich ihrer, gewissermaßen als Trost im ständigen Kampf gegen die Übel des Daseins, zu bedienen.
Ich blase schwere Rauchwolken vor mich hin und bin verzückt vom Flair des Duftes. Wenngleich selber rauchen leider auch verminderte Wahrnehmung der Raumnote bedeutet. Die Raumnote ist es, die sich dem Passivraucher wesentlich intensiver, gleichsam als der wahre Charakter des Aromas in seiner ursprünglichsten Form offenbart. Intensiver als man selbst in der Lage ist, sie zu erfahren. Eine Tatsache, wenn auch bedauerlich. Aber es stört mich nicht weiter, habe ich doch immerhin das individuelle Vergnügen warmen, wohlgeformten Holzes in meinen Händen.

Jetzt ist die Zeit gekommen, zur Flasche zu greifen und vorsichtig nachzugießen. Bei den 24 Gramm war ich heute schon einmal angelangt, durchschießt mich der Gedanke. Nichtsdestotrotz ziehe ich maßvoll an der Pfeife und nehme einen Schluck vom Glas. Die Harmonie zwischen dem Tabakrauch und dem Whiskygeschmack ist wahrhaft überwältigend. Ja, jetzt spüre ich sie, die Müdigkeit. Meine Beine fühlen sich schwer an, die Eingeweide durchzieht ein warmer Schauer. Jetzt ein Nickerchen wär´ nicht schlecht, denke ich.

Als mein Stapel Manuskriptblätter durch eine unachtsame Bewegung vom Schreibtisch auf den Boden knallt, erwache ich jäh. Der Bildschirm meines Laptops verdunkelt, in Schlafstellung wie ich selbst. Es mochten gut zwei Stunden vergangen sein, die ich in meinem Arbeitssessel dösend verbracht habe. Als ich die Blätter mühsam vom Boden auflese, fällt mein Blick auf einen Buchtitel, „Der vollen Brüder Orden“, und muss hellauf lachen.
Jetzt erinnere ich mich, ja, ich hatte einen Traum gehabt, ich wäre nach einem gewaltigen Rausch erwacht, irgendwann im Mittelalter, so kam es mir zumindest vor, und irgendwo im Gastzimmer einer Schenke. Mein Kopf brummte vom schweren Wein, den ich die Nacht über getrunken hatte. Dennoch bestellte ich eine neue Kanne roten Weines, nachdem mich der Wirt aufmunternd einen treuen Diener Bacchus‘ bezeichnet hatte.
Ich lalle irgendetwas vom Säuferlohn, von Krankheit und dem qualvollen Tod. Ich bin Bacchus, merke ich, inmitten einer illustren Gesellschaft, während mich der Teufel an einer Kette festhält. Um uns herum toben Schweine, Affen und Kälber. Unter den Tischen blöken Schafe, deren Hirten an der Schank stehen und einen Becher nach dem anderen leeren.
Ein Weinspiel ist´s. Eine irrationale Kneipenszene im Wirtshaus „Zur blauen Ente“, wie ich an einem bemalten Holzbalken zu erkennen vermag. Rings um mich all die Tiere, die frei herumlaufen. Komische Typen in merkwürdigen Gewändern, die mir mit ihren Gläsern zuprosten. Einer, der donnernd gegen das Saufen poltert. Drüben in der Ecke ein Pfaffe unter Weinbauern mit blauen Schürzen, die in heftigen Reden den Wein in Schutz nehmen möchten, indem sie seine Vorteile loben. Ich selbst, Gott Bacchus, doziere immer noch über den Säuferlohn, und wie ich mein Reich stets durch die wachsende Zahl meiner Jünger stärke. Täglich würden die Reihen meiner Diener länger.
An der Wand hinter mir hängt ein Holzschnitt, auf dem ich als Kind abgebildet bin, ein Gesetzesbuch in Händen. Soeben geleite ich meine Anhänger zum Teufel hin, eine ausgelassene Gesellschaft, mit Schweinsschädeln, Eselsohren und Gänse- als auch Bärenköpfen. Satan selbst, an dem Treiben höchst erfreut, übt sich in Ratschlägen über das Saufen, und darüber, dass der Wein mehr vermag als der Opfertod Christi. In einer anderen Szene bin ich meiner Gottschaft enthoben und zum gichtigen Alkoholiker degradiert, den Wein anklagend, der letztendlich von seiner Schuld freigesprochen wird.

Ich reibe mir die vom Schlaf noch halb geschlossenen Augen. Ab welchem Zeitpunkt ist man Alkoholiker?, beginne ich mich zu fragen. Die paar Schlucke täglich? Das kann doch nicht sein! Zugegeben, manchmal habe ich die ersten Gläser rasch geleert. Und hat es allzu lang gedauert, bis sich bei mir der gewünschte Effekt eingestellt hat, bin ich umgestiegen. Was das heißt? Nun, vom Wein zum Schnaps, ist doch ganz einfach. Sollte unter meinen Freunden einmal die Rede von der Trunksucht sein, vermeide ich es tunlichst, mich zu outen. Im Gegenteil, ich mache Witze darüber, ziehe die Sauferei ins Lächerliche oder so.

Jetzt brauche ich einen Schluck vom Glas. Ist noch genug drinnen. Ach, ich vergaß, ich hatte ja davor etwas geschlafen. Und überhaupt, was soll das? Ich benehme mich ja so, als hätte ich Schuldgefühle wegen der Sauferei. Obwohl, jeder tut es. Neulich habe ich eine Dokumentation gesehen, über Tiere in den Tropen. Es gab da einen Mangobaum. Die Mangos waren alle überreif und lagen auf dem Boden herum, bereits im Gärungsprozess. Eine Horde Affen hatte sich darüber hergemacht. Die wussten genau, was in diesen Früchten steckt. Und alle waren besoffen. Die einen schlugen Purzelbäume, die anderen bewegten sich im Zickzack oder kugelten ganz einfach auf dem Boden herum. Ziemlich menschlich haben sie ausgesehen in ihrem Dusel. Na und?
Wenn du hier zum Internisten gehst, fragt er dich, trinken Sie? Was muss man antworten, damit man seine Ruhe hat? Gelegentlich. Gut, sagt der dann, aber ihre Leberwerte sind irgendwie auffällig. Womit die Sache oft auch schon beendet ist. Gott sei Dank! Ja ja, natürlich habe ich oft dieses – dieses Verlangen nach mehr. Ich habe alles im Griff. Meine Freunde sehen mich manchmal so sonderbar an, wenn ich das fünfte Bier bestelle. Ich beobachte das immer öfter. Dann sage ich, es wäre meine Sache, nicht? Wenn ich will, höre ich einfach damit auf, verstanden?
Vor zwei Jahren habe ich von heute auf morgen drei Monate keinen Schluck getrunken. Aber derzeit will ich trinken, und es ist mir egal, versteht ihr? Ja, es ärgert mich maßlos, wenn sie sagen, dass ich zu viel trinke. Weil´s nicht stimmt, deshalb! Und dass man am Abend mit mir nichts mehr anfangen kann, sagen sie. Blödsinn. Bin eben zu müde, das ist alles. Interessiert mich eben derzeit nichts. Muss es?
Stattdessen träume ich gerne vor mich hin. Ist das vielleicht verboten? In einer Welt, die so aussieht, wie sie derzeit aussieht? Mit den verdammten Völkermorden in Afrika, am Balkan, im Nahen Osten? Und die Griechen? Die Portugiesen? Die Italiener? Ist das alles nichts? Wer weiß, was noch alles kommt? Da soll man nicht ab und zu einen zu sich nehmen dürfen, wie?

Wie soll man denn die ganze Scheiße aushalten ohne Alkohol? Ein Kiffer will ich ja schließlich nicht werden, oder? Ich schenke ganz einfach nach. Es nervt mich, mich ständig vor anderen rechtfertigen zu müssen, warum ich trinke. Ehrlich! Ich habe mir ein Lager angelegt. Lauter herrliche Dinge. Biere, Whiskies, Gin, Cognac, Port, Wodka und so weiter. Vom Feinsten. Schließlich bin ich ja kein Sozialfall. Ich lache still in mich hinein. Ich gehöre nicht zu den Tetrapack- oder Dopplertrinkern, sage ich mir.
Und meine kleinen Panikattacken zwischendurch gehen niemanden etwas an. Nehm´ ich eben einen Schluck aus dem Flachmann, dann geht´s gleich wieder besser. So ist das eben! Das nimmt mir die Angst. Die Angst vorm Leben, vor der Arbeitslosigkeit, davor, zu versagen. Ist doch gut, dass das so funktioniert, oder? Bloß die Sache mit meinen Augen stört mich etwas. Irgendwie alles verschwommen. Ich versuche, mein Manuskript zu entziffern. Etwas weiter weghalten? Ja, so ist es besser. Ein kleiner Schluck dazwischen.

Mein Traum fällt mir wieder ein. Träume ich eben noch? Keine Ahnung.

Dem Onkel haben sie auch den Alkohol verboten, nach seinem Schlaganfall. Seither lacht er nicht mehr. Sitzt nur mehr teilnahmslos rum, randvoll mit Medikamenten. Beruhigungsmittel oder so. Das macht Sinn. Die Korbflasche dort auf dem Bild zieht mich ungeheuer an, sage ich mir. Warum eigentlich? Chianti müsste drinnen sein. Wie damals, als wir auf dem Gut nahe Siena waren, Ostern neunzehnhundertund? Weiß nicht mehr. Der Gärtner stellte uns jeden Morgen eine solche Flasche, mit Bast umwickelt, vor die Treppe zum Eingang. Vierzehn Volumsprozent Alkohol! Unser Schlummertrunk. Oft kriegte ich nicht einmal das zweite Glas leer, schon war ich sanft entschlummert. Habe die Abendzeche nicht zu Ende gebracht. Was für eine Zeit! Da hat man den Wein aus Potten, aus Pinten, Kelchen, Kellen und Trinkschalen geschält.
Wie komm ich jetzt da drauf? Döse so vor mich hin. Das Manuskript rutscht langsam wieder zu Boden. He, Wirtsknecht, schenk ein! Hundesohn, verdammter! Zu meinen Zechgenossen: „Lasst uns vom Trinken parlieren! Was war zuerst?“, rufe ich, „war´s der Durst oder war´s der Trank?“ Die anderen grölen und jubeln. Nur nicht den Mut sinken lassen. So singt, dass keiner trinke! Und trinkt, dass keiner singe! So ein Schwachsinn! Wo gelöscht wird, muss es gebrannt haben, wie? Was, ein so kleines Glas? Was soll der Fingerhut, mein Freund?
Ein Film schiebt sich vor meine nebelige Erinnerung. Häuptling Fünffässer verhandelt mit dem Whiskyhändler. Er soll ihm drei Wagen Whisky geben, oder er würde ihn nicht passieren lassen. „Holt Orakeljones!“, rufen die Männer. „Ja, holt Orakel, der wird uns sagen, was wir tun sollen!“, schallt es aus der Menge. Der Mann wird geholt. Ein Typ, kahlköpfig, Vollbart, leerer Blick. „Was siehst du?“, fragt einer. „Ja, sag uns, wie der Winter wird!“, fordern ihn die anderen auf. Einer füllt ihm sein Glas mit Whisky. Orakel leert es mit einem Schluck. „Die Bisons fressen wie verrückt. Die Eichhörnchen und Biber sammeln ungewöhnlich viele Vorräte. Oben am Pass liegt bereits der erste Schnee. Wenn wir jetzt keine Wagenlieferung mehr bekommen, müssen wir den Winter über ohne Whisky auskommen!“ Er trinkt ein zweites Glas mit einem Schluck.

Blankes Entsetzen macht sich unter den Männern breit. Ich schrecke hoch. Was? Kein Whisky mehr da? Mühsam rapple ich mich hoch und schiebe meine Hand unter das Regal vorm Fenster. Alles noch da. Fünf Flaschen hier, drei andere lagern im Kleiderschrank. Kein Grund zu Panik. Es ist vorgesorgt. Ich muss mir keine Sorgen machen. Die Kiste Bier ist unten im Kühlschrank eingekühlt. Was soll mir noch passieren? Tabak ist auch genug da. Gerettet! Alles in Ordnung. Alles wird gut. Orakel nimmt jetzt die ganze Flasche. Er hebt sie zum Mund und setzt sie an. „Ich sehe eine Wagenladung Whisky kommen. Fünf, zehn“, er macht eine Pause, trinkt, „zwanzig, dreißig, vierzig Wagenladungen!“ Die Menge jubelt. Ich bin wohl etwas eingenickt. Egal.

Wie ich diese Kerle verstehe, ehrlich, ich mag sie! John Wayne, meine Güte! Ich muss einfach trinken, weil ich zu feige bin, mich auf direktem Wege ins Jenseits zu befördern, oder? Ich lache laut. Oder weil mir der Mut fehlt, mein Leben endlich selbst in die Hand zu nehmen. Alkohol ist mein Notventil. Mein Ruhekissen. Meine Flucht vor mir selbst. Beim Trinken nehme ich mich aus der Verantwortung, für alles! Und alles wird dabei relativ, nicht mehr so wichtig. Frisst mich nicht so auf wie Alltag, Arbeit, Beruf und solche Sachen. Und ich bin in prominenter Gesellschaft. Die Typen von vorhin Gottfried Keller, E. T. A. Hoffmann und so, später Joseph Roth, Maler wie van Gogh, Henry Miller zum Beispiel. Was, der auch? Oder Oscar Wilde, Churchill mit der dicken Zigarre und so weiter.
Dann kann ich ja noch was trinken, oder? Ich tu´s.

Wo war ich doch gleich? Ah, genau, beim zu kleinen Glas. Schließlich wollen wir Geschirr, bei dem man sich nicht gleich die Zunge anstößt. Ein Glas so groß wie ein Latz. Das ist die Vorstufe zum Wahnsinn, kommt mir in den diffusen Sinn. Der Wirt ist der Best´, ist voller als die Gäst´! Der Wein macht keinen stumm, oder? Holt Wein, wir sollen fröhlich sein! Wir trinken drum den guten Wein, die Sorgen zu vertreiben. Er setzt das Gläschen an den Mund und trinkt es aus bis an den Grund, rezitiere ich.
Ein wenig macht mir meine Zunge Schwierigkeiten, die Worte korrekt zu artikulieren. Aber das kommt von der Müdigkeit. Ich gähne. Da haben wir´s. Schon Zeit fürs Bett? Unmöglich!

Langsam aber sicher habe ich wohl genug, meine ich. Mein Denken fühlt sich an wie in einem dumpfen, tiefen Kanal. Links und rechts fällt mir nichts ein, keine Assoziationen, nichts. Auch gut. Beim Schlafen brauche ich nicht zu denken! Vor mir Dr. Schiwago, wie er mir einen Gummischlauch in den Mund schiebt, obendrauf ein Trichter, in den der Unmengen Wasser aus einem Krug schüttet, in den er vorher ein kleines Fläschchen entleert hatte, welches er aus seiner Instrumententasche genommen hatte. Man will mich gewaltsam ausnüchtern! Eine Magenspülung! Das ist doch alles lächerlich! Ich fühle Wut aufsteigen, gepaart mit Erschöpfungs- und Angstzuständen.
Scheiße! Mir geht´s schlecht. Ich versuche, aufzustehen. Es gelingt nicht. Ich reiße mir die Decke von den Beinen. Ich erwache. Kann mich an nichts erinnern. Wo bin ich eigentlich? Alles dreht sich um mich. Einmal von links nach rechts, dann von vorne nach unten, o Gott o Gott! Ich muss erbrechen!
Jemand ruft nach Butyrophenon. Was soll das sein? Wenn ich längere Zeit nichts trinke, also, das kommt kaum vor, oder? Wenn ich also längere Zeit nichts trinke, beginnen immer meine Hände zu zittern und ich fange an zu schwitzen. Gräulicher Zustand, das! Dann bin ich reizbar wie ein bengalischer Tiger. Ich schlafe unruhig, wenn überhaupt und seit geraumer Zeit kommt mir vor, als wäre ich mir selber fremd. Besonders dann, wenn ich an großen Plätzen stehe, von denen aus ich manchmal nicht mehr weiter weiß. Als hätte ich irgendwie die Orientierung verloren, obwohl ich jeden Tag dort vorbeikomme. So was Dummes!

Ich meine, ich werde alt. Irgendwie verwirrt. Das ist ganz normal. Aber dieses Zittern bereitet mir Sorgen. Unlängst habe ich schon vor dem Frühstück einen kleinen genommen. Danach waren meine Hände ruhig. Na also! Man muss sich nur zu behandeln wissen, sage ich immer. Trotzdem, komische Situation das, wer trinkt, gilt hierzulande gewissermaßen als normal. Trinkst du nicht, betrachten sie dich als abartig.
Ach, dann ist da noch dieses Kribbeln in den Beinen! Ich kratze und kratze schon die längste Zeit und es wird nicht besser! Jetzt werden mir die Augen wieder schwerer und schwerer. Mein Kopf sinkt nach vorne. Nur noch ein letzter kleiner Schluck, einer noch, ein allerletzter.

Wegen der argen Schmerzen in meinen Armen und Beinen fällt es mir schwer, wirklich einzuschlafen. Vielleicht eine Viertelschlaftablette? Mit einem Schluck Whisky wirkt sie viel schneller. Dann brauche ich mich um nichts mehr zu kümmern, bin weg, geh mir selber nicht mehr auf die Nerven, mache Urlaub vom Ich.
Schweißausbrüche und Herzrasen befallen mich. Durch Sehschlitze erkenne ich fahl die Umrisse Udo Lindenbergs, der sich vor mir auf dem Boden windet und in meinen Ohren verklingen seine Worte: Wieder geht ein Tag zu Ende und die Dämmerung zieht rauf, leise zittern ihm die Hände und der Säufermond geht auf … gib mir noch ein kleines Glück, meine Nerven, die sind, ach, die sind heut´ wieder‘ n bisschen schwach…mach mich bitte wieder wach … und der Whisky – der zieht runter und sein Blut wird schnell und warm, und jetzt nimmt ihn Lady Whisky ganz zärtlich in den Arm… lass uns beide, du und ich, erstmal richtig einen saufen… und die Zimmerdecke hebt sich, und die Wände brechen ein, auf dem Boden leere Flaschen, und er wieder so allein… in den Ohren ist ein Sirren und im Herzen ist ein Schlag, alle Fenster klirren, dieses Zimmer ist ein Sarg … aus dem Fenster zu den Sternen nur: Die kann er nicht mehr seh‘n, und in dunkler Wolkenferne scheint fahl der Säufermond… ein Mann lag in seinem Zimmer… mit den Nerven wurd´ es schlimmer… jede Nacht ´ne neue Qual, dieses Leben ist so arm – ferngesteuerte Quälerei, öffne die Flasche Numero drei…

Norbert Johannes Prenner

www.verdichtet.at | Kategorie: süffig | Inventarnummer: 15072

 

image_print

2 Gedanken zu „Der Wohlstandstrinker

  1. mag. robert müller

    gut, aber weniger wäre mehr gewesen. das ist ein text zum durchlesen und nicht "glasweise" zu konsumieren, und dann ist er trotz guter schreibe ermüdend lang.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar zu mag. robert müller Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert