Schwedenplatzpartie

Ich sag dir gleich einmal vorweg, dass die Geschichte nicht spannend wird. Ja, du bist gemeint, der Leser. Wie soll sie auch spannend werden? Ich bin ein Jungautor, der glaubt, als Einziger zu wissen, was wirklich Sache ist und das der ganzen Welt mitteilen zu müssen, weil alle anderen selbstverständlich zu blöd sind, um selbst draufzukommen. Somit werde ich Themen behandeln, von denen ich glaube, dass sie noch nie erwähnt bzw. niedergeschrieben wurden, weil ich ja der Einzige bin, der die Welt wirklich richtig sieht, und alle anderen ziellos durchs Leben taumeln.
Wenn man dann von dieser Phase ein wenig Abstand hat, bemerkt man ganz erstaunt, dass alle anderen im gleichen Alter dasselbe denken und erschrickt über die Tatsache, wie jemand, der nur so kurze Zeit auf der Welt ist, glauben kann, alles besser zu wissen und ärgert sich über die Engstirnigkeit und Blödheit der anderen und wie falsch deren Betrachtung des Lebens ist und wie einfach es nicht wäre, wenn diese Menschen die Ansichten von einem selbst hätten und……..
Manche kommen nie darüber hinweg. Egal, ich muss dir was erzählen.

Das ist jetzt schon bisschen länger her. Also es war Freitagabend und ich bin zu Hause gesessen und war mir nicht sicher, ob ich rausgehen soll oder nicht. Vor allem allein ist das meistens irgendwie nicht so ganz das, was man sich vorstellt, also wäre es praktisch, jemanden anzurufen. Nur wen? Da geht man dann im Kopf alle möglichen Kandidaten durch und entdeckt bei jedem irgendeinen schwerwiegenden Nachteil, den man sich ein andermal vielleicht, aber heute sicher nicht geben möchte, wobei umgekehrt wäre unter Umständen…
Mein Handy klingelt und ich höre meinen quirligen Freund Andi aus dem Handy plappern: „Hallo Peter. Wie geht’s? Sitzt schon wieda daheim? Das kann’s jetzt aba nicht sein, heast. Najo, wuascht. Die Petra, der Markus und ich gehen am Schwedenplatz, magst mit?“
„Ja, hallo. Phu… also… hm…, ich weiß irgendwie nicht. In welches Lokal wollts’n?“
Er: „Was heißt, du weißt irgendwie nicht? Du willst doch jetzt nicht ernsthaft an einem Freitagabend allein daheim vorm PC hocken, oda? Und das mit dem Lokal is nicht so dings, weißt doch eh. Wir machen’s so wie imma am Schwedenplatz, halt von einem Lokal ins andere. Also komm jetzt. Um neun bist am Schwedenplatz beim Mäci.“
Ich: „Ja, gut gut. Zu Befehl.“ Ich musste lachen und legte auf. Jetzt erst merkte ich, wie dermaßen ich keine Lust hatte, zum Schwedenplatz zu fahren, um Unmengen an Geld dafür auszugeben, dass ich „gut drauf“ bin, durch Getränke, die meinen Körper gewaltsam dazu zwingen. Andererseits wusste ich, dass ich das Richtige tat. Es ist gesund und gut, regelmäßig unter Leute zu gehen und es macht auch jedes Mal Spaß, aber eben erst, wenn man sich dazu überwunden hat. Da hab ich halt in der Richtung irgendwie einen psychischen Schaden.

Also nahm ich meine Lederjacke, schaute mich noch einmal in meiner Wohnung um, ob ich eh nichts vergessen hatte, ging raus auf den Gang, schloss die Tür und… scheiße, mein Geldbörsel. Also wieder mühsam aufsperren und mit Geldbörsel endlich den Weg zum Schwedenplatz mit den Öffentlichen antreten. MIT DEN ÖFFENTLICHEN, allein das war ja schon wieder mühsam. Nur dafür, dass man Getränke trinken kann, die den Geist betäuben, muss man den Weg zu dem Ort, an dem es diese Getränke gibt, auch noch unangenehmer als notwendig zurücklegen. Da zahlt man extra jedes Monat Unmengen an Geld für Auto und Motorrad und dann sowas. Egal, das ist es wert, weil es Menschen gibt, die sich darüber freuen, Zeit mit mir verbringen zu können, und mich freut es ja schließlich auch, die alle wiederzusehen, nur nicht die Umstände und vor allem nicht die Örtlichkeit.

Bereits in der U-Bahn stehend, schaute ich mir die Leute an, die da sonst noch waren. Alle waren sie auf dem Weg zu einem gemeinsamen Besäufnis und alle schienen sie jetzt schon mehr Spaß zu haben als ich den ganzen Abend. Warum tu ich mir das an? Wäre ich doch gleich daheimgeblieben. Hätte mich wenigstens kein Geld gekostet. Mit diesen Gedanken im Kopf stieg ich Schwedenplatz aus und hörte hinter mir die U-Bahntüren fröhlich tutend zugehen. Nach dem relativ langen Weg durch die kahlen unfreundlichen U-Bahngänge endlich an der Oberfläche angekommen, offenbarte sich mir wie jedes Mal der charmante Schwedenplatz. Wie ein Kumpel, der einem freundschaftlich den Arm um die Schulter legt, weil er sich freut, einen zu sehen. Auf dem kurzen Weg von der U-Bahnstation zum Mäci kamen mir schon unendlich viele, bereits ziemlich besoffene, Leute entgegen und ich fragte mich wie jedes Mal, ob ich, mit der gleichen Alkoholmenge intus, tatsächlich genauso wirkte, mich bewegte und aussah.

Fast beim Mäci angekommen, hörte ich plötzlich links von mir: „SCHATZIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII!“ Ich drehte mich nach links und bevor ich noch wusste, wie mir geschah, wurde ich schon von Petra angesprungen und so liebevoll umarmt, dass Atmen nur noch unter großen Anstrengungen möglich war. „Na, wie geht’s dir, mein Peterchen?“ „Jetzt lass mich doch einmal den süßen, liebesfilmreifen Moment der Begrüßung genießen und mir die Vorstellung der weiteren romantischen Szenen am heutigen Abend und unsere aufkeimende Liebe zueinander ausmalen, die sich zu späterer Stunde auf einem Parkbänkchen unter diesem wie dafür gemachten Sternenhimmel zu einem Kuss entwickelt und unsere Herzen, die sich freuen, ein Teil dieses Momentes sein zu dürfen, kräftig und bestimmt schlagen zu fühlen, während sich unsere Lippen leidenschaftlich und doch sanft und gefühlvoll umschmeicheln.“ „Du bist SOOOOOOOOOOOOOOOOOOO blöööööööööööööööööd.“
Ich zwinkerte sie an, sie lächelte zurück und wir gingen gemeinsam zu den anderen beiden, die sich ebenfalls sichtlich freuten, mich zu sehen und mich fröhlich begrüßten. „Und du Trottel wolltest heute daheimbleiben“, dachte ich mir und stellte mir vor, wie ich mich selbst von oben herab ansah, mit einem abschätzig strafenden Blick, den ich ja tatsächlich verdient hatte.

„Geh ma danzn.“ „NEIN“ hörte ich mich schreien, bevor ich noch über das eben Gehörte überhaupt nachdenken konnte. „Trink das, dann is es leichter auszuhalten“, hörte ich von links und sah dann eine Eineinhalbliter-Flasche, mit nach frischem Motoröl aussehender Flüssigkeit gefüllt, vor mir wackeln. Er kümmert sich ja immer so lieb um mich, der gute Andi. Zuerst überwindet er mich für mich selbst auf den Schwedenplatz zu kommen, durch einen Anruf, und dann erleichtert er mir das Besuchen eines Tanzlokals mit Wodkaredbull, wie sich ein paar Schlucke später herausstellte. Auch das Mischverhältnis war meiner Begeisterung über den Besuch eines Tanzlokals sehr angemessen. Soll heißen: eine Flasche Wodka, also einen dreiviertel Liter, und den Rest liebevoll aufgefüllt mit Redbull eben. Lauwarm vom ständigen Halten, versteht sich, und Schluck für Schluck brechreizverursachend.
Nach einem geschätzten Viertelliter bekam ich wie durch ein Wunder plötzlich eine andere Einstellung zu dem heutigen Abend und alles Schreckliche, das ich mir vorher ausgemalt hatte, wurde plötzlich positiv und alle Nachteile lächerlich. Ich machte größere Schritte, grinste öfter und breiter und machte schlechtere Witze, die besser ankamen als die guten in nüchternem Zustand. Wenn ich genauer drüber nachdachte, war eigentlich das gesamte Leben absolut genial und ein sehr großzügiges, wundervolles Geschenk. Wie stark sich plötzlich meine Arme anfühlten und eigentlich mein gesamter Körper. Ach wie gut hatte ich es denn erwischt mit meinem Leben? So viel Glück auf einmal gehört geteilt mit Menschen, die es nicht so gut haben. Ich wollte plötzlich der ganzen Welt helfen, ganz Afrika zu mir einladen auf selbstgekochte Spaghetti mit wundervoller selbstgemachter Sauce. Und während ich mir gerade vorstellte, wie sich meine eingeladenen Gäste aus Afrika meine Spaghetti schmecken ließen und wie schön es wäre, danach darüber zu plaudern, welche Musik ihnen gefällt und worauf sie da hören, inklusive einer kleinen Vorstellung meiner eigenen, selbstgeschriebenen Lieder auf meiner E-Gitarre, stellte ich fest, dass wir bei dem Lokal angekommen waren und mir versetze es einen Stich ins Herz.

Ich sah die Leuchtschrift und als ich panisch woanders hinschauen wollte, stach mir der Türsteher ins Auge. Der einzige Hoffnungsschimmer, der mir noch blieb, um nicht in dieses Lokal zu müssen. Die Tür ging selbstständig auf und auf der Schwelle standen Leute, die definitiv nicht meinen Musikgeschmack teilten und mich mit einem Blick, gemischt aus Verzweiflung und Unverständnis darüber, was sie verbrochen hatten, dass sie mich in der Nähe ihres Lokals sehen mussten, anschauten.
„Wos is mit eich? Geht’s eine oda schleicht‘s eich“, sprach der herzensgute, freundliche, gutgelaunte Türsteher, während wieder selbstständig die Tür aufging und ein paar Leute mehr von den rhythmisch elektronischen Bässen aus dem Lokal gepumpt wurden.

Nachdem der Türsteher schon wieder Luft holte, gingen wir schnell in dieses sympathische Lokal, um nicht dafür geschlagen zu werden, auf freiem Wiener Grund und Boden stehen zu wollen. Während ich noch die Schlussklänge eines DUZDUZDUZBUMBUMBUM-Liedes mit Eichhörnchenstimme hören durfte, schaute ich mich um und stellte fest, dass das Lokal an sich gar nicht so unsympathisch war. Niedlich klein, mit abgefuckten Stehtischchen, einem unarroganten, nett grinsenden Barkeeper und einer von überall leicht einsehbaren Klotür. Jetzt war sie da, die kurze Stille zwischen einem gerade gespielten Lied und dem, das gleich losbrechen wird. Dieser Moment beunruhigte mich gar nicht, schlimmer als vorher konnte es sowieso nicht kommen, aber plötzlich: „Do you have the time… To listen to me whine… about nothing and everything all at once”, Greenday, dieses wundervolle Phänomen. Unter normalen Umständen gehört, eine niedliche, liebevolle, kleine Band, mit gut gemachten kommerziellen Liedern, nichts Außergewöhnliches, man weiß, was man kriegt, aber gemischt mit Alkohol sind diese Amiburschen von nur ganz wenigen auserkorenen Bands, die man an einer Hand abzählen kann, zu schlagen. Große Selbstbeherrschung war nötig, um nicht jedes Wort, jedes Gitarrenriff und jedes Schlagzeugbreak mitzusingen.

„Heast Oida, SAUUUUUUUUUUUUUF“, unterbrach meine Unentschlossenheit über das Mitgröhlen und vor mir schaukelte ein schmales langes dünnes Brettchen mit zehn Stamperln Wodka und der tief gebräunte Bursche, frisch aus der Steckdosenkaribik kommend, schlug mir fröhlich lallend vor: „Pass auf Oida… wenn ich g’winn, dann holst du die nächstn zehn Stampaln und wenn du g’winnst, dann muss ich die nächsten holn… aba zahln muss dann imma der, der was nicht die Stampaln holt… ok, Oida?“
Fünfzehn Sekunden später meinte er: „Scheiße Oida… unentschiedn… das kann ja ua nix… na is wuascht… heast Alex? Was macht ma bei unentschieden? Doppelt? Ok… na gut Oida… dann müss ma jetzt zwanzig kaufen.“
Ich schaute ihn lachend an und entgegnete: „Paaaaaaaaaasst… du hast ja jetzt die erste Runde zahlt, gö? Ich lad dich ein auf die zwanzig.“ Strahlend wie ein kleines Kind vor dem Weihnachtsbaum entgegnete er „Oida, na passt, Oida… bist ja da ua Leiwande Oida.“

Ich grinste ihn noch einmal an und ging so selbstverständlich wie möglich aufs Klo. Die Eingangstür zum Klo flog hinter mir zu und die Musik war nur mehr sehr dumpf zu hören. Es war außer mir niemand hier. Ich packte aus und ließ rinnen und während sich meine Blase nach und nach entspannte, wurde mir klar, dass ich der glücklichste Mensch der Welt war. Das Leben ist einfach wundervoll und vor allem mein Leben ist absolut wundervoll. Ich packte ein, ging zum Waschbecken und sah im Spiegel den wohl lässigsten und leiwandsten Typen auf Erden freundlich sich selbst anlächeln. „Also dann auf zurück in die Menge, die vermissen mich sicher schon, wer auch nicht?“, dachte ich mir und als ich die Tür öffnete, hörte ich: “düdüdüdüdüdüdüdüdüdüdüdüdüdüdüdü AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAH“, und da hielt ich es nicht mehr aus, es musste einfach raus.
Ich holte tief Luft und schrie so laut ich konnte: „DU BIST WIRKLICH SAUDUMM… DARUM GEHT’S DIR GUT… HASS IST DEINE ATTITÜDE… STÄNDIG KOCHT DEIN BLUT.“
Ein paar Leute drehten sich erschrocken zu mir um, ein paar prosteten mir freundlich lächelnd zu und ein paar, die gerade das Lokal betreten hatten, schauten peinlich berührt auf den Boden.
„ALLES MUSS MAN DIR ERKLÄREN… WEIL DU WIRKLICH GAR NICHTS WEISST… HÖCHSTWAHRSCHEINLICH NICHT EINMAL… WAS ATTITÜDE HEISST.“

Plötzlich spürte ich links und rechts von mir Hände auf meinen Schultern, drehte mich erschrocken zur Seite und sah zwei Typen, die lauthals mit mir mitschrien und zu hüpfen begannen, während sich ihre Arme nun vollständig um meine Schultern gelegt hatten: „Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe… deine Springerstiefeln sehnen sich nach Zärtlichkeit… du hast nie gelernt, dich zu artikulieren… und deine Eltern hatten niemals für dich Zeit… OH OH OH“, und jetzt gab es nur einige Wenige, deren Fäuste nicht in die Höhe gestreckt waren: „ARSCHLOCH“, jetzt ließen mich die beiden Typen los und begannen zu pogen, also für die älteren Leser als Erklärung: Pogen bedeutet, einander unbegründet zu stoßen, ohne sich anschließend in eine Schlägerei verwickeln zu müssen, was die meisten aller Jugendlichen, warum auch immer, unter anderem als lustig und amüsant empfinden und auch “Spaß haben“ nennen. Da ich allerdings aufgrund des bereits reichlichen Konsums von Alkohol nicht mehr so perfekt wie sonst das Halten meines Gleichgewichts unter Kontrolle hatte, stolperte ich, flog auf einen Tisch, schob dadurch die sich auf dem Tisch befindlichen halb gefüllten Gläser auf den Schoß des dort Sitzenden und landete danach auch noch auf demselben.

Aus meinen bis jetzt gemachten Erfahrungen, hätte ich mich entweder einem direkten Schlag ins Gesicht, oder zumindest dem Androhen eines solchen, stellen müssen, doch es passierte zuerst einmal gar nichts. Während ich mich aufrappelte, murmelte ich mittelmäßig verständliche Entschuldigungen in Richtung Schoß des Angeschütteten, doch es kam keine Reaktion.
Überrascht schaute ich in das Gesicht und sah einen etwa 50-jährigen Mann mit gepflegten zurückgekämmten Haaren und einem den Mund umrandenden Bart. Ich weiß den Fachbegriff leider nicht dafür, aber ich meine diesen DJ-Ötzi-Bart, nur sah das bei dem Herrn nicht prolohaft, sondern edel aus. Sein Blick war weder böse noch belustigt, sondern ruhig, unendlich ruhig, aber mit so einer Stärke dahinter, dass es mir einen Stich ins Herz versetzte. Ich bekam Panik und den Drang, wenigstens irgendetwas zu tun, dass diese Schande ein wenig geringer werden würde und hörte mich sagen: „Tschuldigung… das war der Dopplereffekt… höhöhö“, und als mir bewusst wurde, was ich gerade gesagt hatte, fühlte sich diese Schmach an wie ein Peitschenschlag ins Gesicht.
Sein Blick war immer noch ruhig und gelassen. Mit sehr viel Menschenkenntnis konnte man in seinen Augen einen Hauch von einem väterlich liebevollen: „Hach… der Bua… mein Gott“ erahnen, jedoch sonst keine Regung. Erst jetzt begann er, mit routinierten und perfektionierten Handgriffen die Gläser, von denen keines zersprungen war, wieder auf den Tisch zu stellen und holte ein Tuch aus der Manteltasche des Mantels, den er neben sich aufgehängt hatte, heraus, das aussah, als wäre es vor fünf Minuten erzeugt und nach allen Normen der Faltkunst, mit einer Toleranz von einem Zehntelmillimeter, gefaltet worden. Noch während er seine Hände damit gründlich säuberte, sagte ich: „Reinigung… ich bring das in die Reinigung.“

Er: „Schon gut… ich konnte keine Absicht hinter Ihren Handlungen erkennen und sehe, dass Sie ohnehin ein schlechtes Gewissen plagt… Hinzu kommt, dass die Strapazen deutlich größere wären, wenn Sie die Reinigung meiner Kleidungsstücke übernehmen würden.“
Ich: „Aber irgendetwas muss ich do..“
Petra kam zu mir gestürmt und fragte mich mit mütterlich umsorgten Augen: „Is dir eh nix passiert? Alles in Ordnung?“
Ich: „Ja… aber…“, und schaute verzweifelt in Richtung des edlen Herrn, währenddessen  Petra sagte: „Na Gott sei Dank.“ Obwohl sie noch sprach, umarmte sie mich herzlich und fragte: „Du Peter? Kann ich heute bei dir schlafen?“
Ich: „Ähm…“
Sie: „Büüüüüüüüüüüüüüüütte“, und ich spürte ihre warme Hand auf meiner Wange, die meinen Kopf mit sanftem Druck in Richtung ihres Gesichtes bewegte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, legte ihre Hände um meinen Hals und ich spürte, wie sich ihre warmen, weichen Lippen um meine schlossen, mein Herz begann fester und schneller zu schlagen, und es breitete sich dieses wundervoll schöne Gefühl von Stärke, Wärme und Zufriedenheit aus, an das nur sehr wenige Dinge annähernd herankommen und selbst dann nicht wirklich vergleichbar sind. Wie direkt ich auf einmal spürte, wie gern sie mich hatte und wie leidenschaftlich sie mir genau das unter Beweis stellen wollte.
Ich strich ihr über ihre Wange mit der wohl weichsten Haut der Welt und löste meine Lippen von ihren, während sie mich mit einem Blick ansah, für den es keine Worte gibt, die schön genug wären, um ihn zu beschreiben. Plötzlich trat sie einen Schritt zurück, nahm mich bei der Hand, nickte lieb schauend Richtung Ausgang und sagte: „Komm Peter“, mit einem anschließenden Lächeln, für das ich ihr am liebsten gleich nochmals um den Hals gefallen wäre. Doch während des Gehens machte sich wieder schlechtes Gewissen breit und ich rief in Richtung des edlen Herrn: „Es tut mir wirklich leid… Entschuldigung“, und bevor ich noch fertig gesprochen hatte, schloss er väterlich verständnisvoll seine Augen.

Endlich draußen aus dem Lokal, war es angenehm ruhig. Die gepflasterten Straßen waren feucht, ohne dass jemand gemerkt hätte, dass es geregnet hatte, und es wehte sanft und kühl der Wind. Nicht zu kühl, sondern genau richtig.
„Mir is kalt“, hörte ich von rechts neben mir und spürte gleichzeitig einen sanften liebevollen Rempler. Petra sah mich an wie ein kleines Mädchen, das ihre Eltern fragt, ob sie etwas naschen darf. Ich umarmte sie und spürte ihren Kopf auf meiner Brust, wodurch mein Herz übernatürlich laut und schneller als sonst zu schlagen begann. Es machte sich fast ein bisschen schlechtes Gewissen bei mir breit, weil ich mir vorstellte, wie laut es für sie sein musste, wenn sie doch genau mit dem Kopf auf der Brust lag. Fast ein wenig entschuldigend streichelte ich über ihre süßen weichen Wangen und spürte mit der anderen Hand, mit der ich sie umarmte, wie ihr Herz genauso laut und schnell zu schlagen begann wie meines. Da war es dann überhaupt vorbei mit jeglichen Herzschlagbeeinflussungsversuchen. Ich schloss die Augen und merkte, wie das Glück vom Bauch in den Kopf stieg und stellte mir vor, wie wohl die kommenden Tage und Wochen aussehen würden, wie wundervoll schön alles sein würde und ob es überhaupt noch etwas gäbe, das unsere momentane Situation noch perfekter machen könnte.

Bei mir zu Hause angekommen, ergab sich das letzte Puzzleteil zur absoluten Perfektion. Kaum hatte ich die Tür geschlossen, zog Petra mit beiden Händen meinen Kopf zu ihrem und küsste mich mit einer derartigen Leidenschaft, dass mir praktisch nichts anderes übrig blieb, als sie von ihrem eng anliegenden Top (ich weiß jetzt nicht, ob das der richtige Fachbegriff dafür ist, aber ich meine diese eben eng anliegenden Leibchen mit den Spaghettiträgern) zu befreien. Zwei Sekunden dürfte ich das Top zu lang gehalten haben, schon nahm sie es mir bestimmt aus der Hand und warf es mit einer lässigen Bewegung aus dem Handgelenk quer durch meine Wohnung. Ungeduldig riss sie mir die Kleider vom Leib, fast ein bisschen grob. Kaum wollte ich zu ihrem kurzen Faltenröckchen greifen, hatte sie es auch schon ausgezogen, ihre Arme um meinen Hals gelegt, mich so zum Bett geführt, sich nach hinten fallen lassen und ihre Beine um meine Hüfte geschlossen…

Am nächsten Morgen (15:40) wachte ich auf und spürte gleich einmal leichte muskelkaterähnliche Schmerzen auf der Oberschenkelinnenseite. Ich schaute mich verschlafen um und sah Petra vollkommen angezogen auf einem Sessel vor dem Bett sitzen. Kein „Guten Morgen“ sondern ein vorwurfsvolles „Du hast ja überhaupt nix daheim.“ bekam ich zu hören. „Is aba eh wuascht… Ich muss sowieso gleich gehen… Ich treff mich nämlich mim Bernhard… der is sooooooooooo süß.“
Ich setzte mich auf und zog die Augenbrauen hoch: „Was für ein Bernhard?“
Petra setzte einen Blick auf wie eine Mutter, die ihr Kind an das Lernen für die Schule erinnert: „Das hab ich dir doch eh erzählt… Ich glaub, mit dem könnt‘s wirklich was werden… Ich bin schon total aufgeregt.“
Ärger stieg in mir hoch: „Und was is mit letzter Nacht?“
Mit einem Gesichtsausdruck, wie wenn ich gerade behauptet hätte, dass eins plus eins drei sei, sagte sie: „Ja, wir war‘n betrunken… kann ja amal passiern… du ich muss jetzt wirklich gehen… also tschüss… wir sehn uns.“

Ich hörte die Tür klacken und fühlte mich, wie wenn jemand meine Eingeweide in eine Schrottpresse getan, anschließend angezündet und darauf herumgetreten hätte. Alle Gedanken, die mir in dem Moment durch den Kopf gingen, stießen aneinander, wie Autos bei einem Auffahrunfall auf der Autobahn.

Lukas Lachnit
Kurzgeschichten: fiktiv, enorm, abnorm | Fleischlabel ©2013

www.verdichtet.at | Kategorie: Vorhang auf für den Nachwuchs| Inventarnummer: 15066

 

 

 

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