Auf die Nerven

Eindringlich, warnend, mit hoher Stimme. Wenn du nicht endlich deine Rückenmuskeln trainierst, werd ich dich eines Tages pflegen und im Rollstuhl schieben müssen. Und mit jedem Tag würde ich schon krumm und krummer. Sieh dich an, wie schief du schon daherkommst, sagst du dann. Immer sagst du solche Sachen. Ich lache verunsichert. Lach nicht, sagst du jetzt, du wirst schon sehen, wie weit es mit dir noch kommen wird. Und du? Immer, wenn ich dich etwas frage, kommst du mir mit einer Gegenfrage. Das war nicht immer so. In letzter Zeit aber passiert das immer öfter. Dann sage ich, du antwortest nicht auf meine Frage. Ja, weil ich schon vorausdenke, sagst du dann. Aber woher soll ich wissen, dass du vorausdenkst, frage ich?
Brüllt. Wo ist das verdammte Handtuch schon wieder? Am Morgen habe ich doch erst ein frisches aus dem Schrank genommen. Das rote von gestern ist nass. Da hast du es, sage ich ganz ruhig. Ich rede nicht vom roten von gestern, sondern von dem, das ich heute Morgen aus dem Schrank genommen habe. Es ist nicht da.
Das gehört auch zur Krise, flüstere ich jetzt. Alles ist derzeit in der Krise. Ich, du, wir beide zusammen, die ganze Welt, doziere ich, ist in der Krise. Weinerlich. Mein Gott, jetzt übertreib nicht schon wieder, das ist ja nicht auszuhalten! Mit dir kann man einfach nicht diskutieren. Zornig. Mit mir kann man nicht diskutieren, mit dir kann man nicht diskutieren, weil du immer Recht haben willst. Ich geh jetzt den Buchs spritzen, bevor ihn die Würmer noch ganz auffressen.

Zynisch. Ja, geh nur den Buchs spritzen, jetzt, wo´s doch gleich regnen wird. Das ist sehr klug von dir, damit der Regen gleich alles wieder abwäscht, sage ich. Kämpferisch. Du immer und dein Wetterbericht. Es wird nicht regnen, glaube mir, von wo heraus soll es denn regnen? Etwa aus der kleinen Wolke über uns? Wissenschaftlich. Ich behaupte, dass es gegen Abend Regen geben wird, meine elektronische Wetterstation zeigt die Regenwolke an und das Balkendiagramm geht total nach unten. Verächtlich. Du und dein Balkendiagramm, da kann ich nur lachen. Bestimmend. Ich sage dir, dass es nicht regnen wird und ich gehe jetzt den Buchs spritzen. Vorwurfsvoll. Es ist schade um das Geld, das du dafür ausgegeben hast, wenn es der Regen ja doch gleich wieder abspült. Zurechtweisend. Spinn nicht, sagst du dann, sieh doch nach oben, keine Wolke weit und breit.

Das Thema wechselnd, so tun, als ob nichts gewesen wäre. Irgendwie hoffnungsvoll, mit deutlichen Hebungen und Senkungen. Was ist jetzt mit, frage ich. Nichts ist damit, was soll sein, antwortest du abschmetternd. Wichtig. Ich dachte, wir sehen uns die Angebote an? Herunterholend. Es ist noch zu früh, sagst du, wir warten noch ab. Drängend. Worauf willst du warten, frage ich, bis die Preise noch höher steigen als sie ohnehin schon sind? Vorwurfsvoll. Früher, sage ich, warst du nicht so anstrengend wie jetzt. Ätzend. Wie ist das gekommen? Ironisch. Früher warst du auch ganz anders als jetzt, wie ist das gekommen?
Berechnend angriffig. Das ist es, was ich meine. Siehst du, immer, wenn ich dir eine Frage stelle, stellst du auch eine, anstatt mir eine ordentliche Antwort zu geben. Mit Kalkül. Weißt du, wieso du so anders geworden bist, fragst du. Stark, innerlich aber ängstlich. Nein, ich weiß es nicht, wieso du so anders geworden bist, sage ich. Etwas milder als zuvor. Wir haben uns beide verändert, bemerkst du. Stichelnd. Aber ich sage, du bist so ganz anders geworden, seit damals, als wir uns kennengelernt haben. Einlenkend. Da waren wir jung, sagst du. Jetzt sind wir alt. Resigniert. Ja, jetzt sind wir alt, sage ich. Das ist doch kein Grund, dass man so ist, wie du bist, sage ich. Erst recht. Forte. Das ist sehr wohl ein Grund, anders zu sein, als man war, sagst du.

Verordnend. Und koste jetzt diesen Shake. Abwehrend. Aber ich will jetzt nicht, sage ich, ich habe mir eben ein Bier aufgemacht. Insistierend. Probier ihn, er schmeckt nach Himbeere, den musst du probieren. Wegwerfend. Kann schon sein, aber ich will nicht, sage ich. Attackierend. Hier, du hältst mir das Glas hin. Protestierend. Nein, sage ich, jetzt will ich verdammt noch mal nicht. Begründend im Crescendo. Um diese Zeit bin ich schon beim Bier. Sforzato auf „will“. Ich will deinen blöden Shake jetzt nicht kosten, verstehst du mich nicht? Klein beigebend. Gut. Für eine Weile ist Funkstille. Zwei Minuten hinterm Mond. Kaum, dass sie vergangen sind, eine neue Szene: süßlich. Siehst du dir am Abend den Film mit mir an?
Gelangweilt. Ich weiß nicht, sage ich. Prüfend. Aber da, die Decke! Ich frage mich, ob du das absichtlich machst. Finger auf  die Stirn. Wo ist hier die Logik, fragst du. Schulmeisterlich. Wie oft habe ich dir gesagt, die Fransen gehören nach vorne. Nach vorne, hörst du mich?  Stumm. Ich schaue nur kurz um die Ecke ins Wohnzimmer. Du legst die Decke, ein blassviolettes, klassisches englisches Plaid, welches ich neulich über einen Versandhauskatalog bestellt hatte, um dir eine Freude zu machen, jetzt so auf die Couch, dass die Fransen vorne zu liegen kommen. Brummig. Auch gut. Giftig. Das machst du absichtlich, oder bist du so dumm, sagst du.
Ich ziehe mich in die Küche zurück und denke ganz fest daran, nicht zu reagieren. Ich bitte mich inständig, den Mund halten zu können, sonst wird alles nur noch schlimmer. Am besten gar nichts sagen. Stillhalten. Schweigend. Es wird vorübergehen. Alles – wird vorübergehen, kommt mir in den Sinn.

Bald wird es zwanzig Uhr fünfzehn sein. Dann beginnt der Fernsehabend. Du siehst dir doch den Film mit mir an, oder?, fragst du. Ich weiß nicht, antworte ich. Das hätte ich jetzt nicht sagen sollen. Es war taktisch unklug. Inzwischen hat die Waschmaschine zu schleudern begonnen und ist dabei derart laut geworden, dass ich sie mit beiden Händen festhalte, um die Vibrationen, die die Küche, die Regale und Schränke ins Schwanken bringen, etwas zu besänftigen. Sechs Minuten dauert der Spuk. Endlich ebbt er ab. Meine Hände zittern, weil ich das Gerät so intensiv vorm Davonfliegen bewahrt habe.
Also, was ist jetzt mit dem Film, fragst du. Ich habe es schon einmal gesagt, ich weiß es nicht. Vielleicht schaue ich noch in meine Mails. Immer gibst du so viel Geld aus für deine Filme, sagt du jetzt. Dann spielen sie einmal einen gescheiten, und du willst ihn nicht sehen. Bitte, sage ich mit Nachdruck! Im Vorzimmer fallen deine Walkingsticks um. Ich hebe sie unwillig auf und lehne sie an die Garderobe. Ach ja, das hätte ich beinahe vergessen, sagst du, ich gehe noch mit den beiden walken, du weißt schon. Mit welchen beiden, frage ich, als ob ich nicht wüsste, wen sie meinte. Na mit den beiden eben, sagst du. Mit der Dicken, sage ich. Auch. Und? Was dagegen? Ich? Mir ist das wurscht, ob du deine Freizeit mit deinen zentnerschweren Weibern verbringst, ehrlich. Zum Filmbeginn bin ich wieder da, sagst du und öffnest die Tür, weil du gehen willst. Küss mich wenigstens, fordere ich dich auf und dann drückst du mir einen flüchtigen Schmetterling auf meine welken Lippen. So ist dieses Leben, sage ich mir, so, und nicht anders.

Im Hintergrund läuft der Fernseher dezent, aber laut genug, dass ich alles verstehe, was gelabert wird. Der schwarze Politheini hat also gestanden, mit den blauen Kumpanen ein linkes Ding gedreht zu haben, wovon die roten, die grünen und die orangen Mitesser angeblich keine Ahnung gehabt hätten. Und diese Arschlöcher wählen wir immer wieder, blöd, wie das Volk eben ist. Dann beschließen die, dass wir noch länger arbeiten müssten als bisher, und nehmen uns über die Steuer auch noch das letzte Geld weg. Ich könnt jeden Einzelnen von ihnen in den fetten Arsch treten, diesem verlogenen Pack!

Bevor du vom Walken zurückkommst, werfe ich das Backrohr an. Heute gibt es Moussaka. Ich hab mich mächtig angestrengt, dass alles so wird, wie´s zu sein hat. Schließlich wollen wir uns auf Zakynthos einstimmen. Die Auberginen nicht zu sehr im Öl, die Kartoffelscheiben ebenfalls nicht zu fett. Das Faschierte gut gewürzt, mit frischen Kräutern und Knoblauch, versteht sich. Koch nicht schon wieder, sagst du dann immer, wie soll ich sonst abnehmen? Du musst es ja nicht essen, sage ich dann. Du musst es ja nicht essen!, äffst du mich nach. Wenn es aber so gut ist? Dann koch ich eben nicht mehr so gut, werfe ich ein und freue mich insgeheim schon darauf, die Bechamelsoße mit Kartoffelpüree aufzupeppen. Den Tipp dazu habe ich einem verschwiegenen Griechen nach und nach aus der Nase gezogen. Ist doch nicht normal, dass die verdammte Soße so steif ist ohne irgendeine zusätzliche Masse. Man kann doch nicht zwei Liter Bechamelsoße anrühren, die sich zu guter Letzt ohnehin bloß zwischen den Kartoffeln und den Auberginen verkriecht. Obenauf kommt geriebener Parmesan, und dann noch eine Schicht pürierter Tomaten. Und nun, ab ins Rohr. Der Ofen macht mächtig Hitze in der ohnehin sommerlich erwärmten Küche.
Ein zweites Bier muss her. Bin gespannt, wen von den verschwitzten Stockwanderinnen du heute mit herauf auf einen Drink nimmst? Könnten doch unten in der Pizzeria im Haus einen nehmen, nicht? Sei nicht so unfreundlich, sagst du, ich hör schon genau, wie du das sagst. Also gut, immer herauf mit ihnen. Die Fenster hab ich schon einmal weit geöffnet. Nicht zum Aushalten! Ist ja schließlich keine Umkleidekabine hier!
Und überhaupt, frage ich, wo sind meine Jausenbehälter? Woher soll ich das wissen, keifst du. Pass selber auf sie auf, sagst du. Aber ich weiß, dass du sie oft als Butterdosen oder sonst irgendwie benutzt, wenn wir aufs Land fahren. Dann landen sie dort im Kühlschrank und finden nie mehr den Weg hierher zurück. Das stimmt nicht, fauchst du jetzt giftig. Das war vielleicht einmal der Fall. Wahrscheinlich hast du sie selbst irgendwo verräumt und wie üblich vergessen, wo du sie hingetan hast. Ich weiß immer, wo meine Sachen sind, sage ich. Ich bin nämlich ein ordentlicher Mensch, im Gegensatz zu dir, ätze ich. Da wirst du aber erst recht wild. Was kümmern mich deine blöden Jausendosen, brüllst du mich an.
Ich liebe dich, sage ich. Aber das nützt mir nichts. Als wäre ich in ein Hornissennest getappt. Die Dosen sind dort, wo sie immer sind, schreist du mich an. Entweder dort unterm Fenster im Kübel oder in der Dreh-Ecke bei den Töpfen. Sind sie aber nicht, sage ich bewusst ganz ruhig. Aber es nützt mir nichts. Dort sind sie aber nicht, wage ich einzuwerfen. Das war wieder ein Fehler. Dann drehst du den Kübel um. Marmeladegläser kommen zum Vorschein, Plastikschüsseln und Blechdosen. Sag ich ja, dass sie nicht dort drinnen sind, flüstere ich. Dann sind sie eben in der Dreh-Ecke, verdammt, plärrst du, und beginnst gleichzeitig Töpfe und Deckel aus dem Eckschrank zu räumen. Allein, die Jausendosen sind nicht darunter. Hab ich ja gesagt, wage ich festzustellen.

Ich geh jetzt, ich hab genug von deinen blöden Dosen, sagst du, nimmst deine blöden Stöcke und verschwindest durch die Eingangstür, hinaus auf den Flur, durch das Treppenhaus, raus auf die Straße. Knall, die Haustüre fliegt ins Schloss. Super, sage ich halblaut und öffne das Backrohr, um nach dem Moussaka zu sehen. Der Fernseher ist noch an, obwohl niemand mehr im Zimmer ist. Mache ihm den Garaus und kehre mit einer Dubliners CD in die Küche zurück. Von der Straße her knattert Mopedlärm penetrant an meine empfindlichen Ohren. Meine Fantasie arbeitet an einer Art Robin Hood, der mit Pfeil und Bogen Störenfriede auf Zweirädern erlegt, die sich dann am Ende der Straße zu einem Biker-friedhof ablagern. Während ich an der Bechamelsoße arbeite, mache ich im Geist Reime mit Politiker- und mehr oder weniger Prominentennamen. Das klingt so:
Putin Pröll Milosevic
Voves Niessl Schüssel
Platter Schmied Berlakovich
Stöger Fekter Küssel.
Nun gebe ich das vorbereitete Kartoffelpüree zum Bechamel dazu und vermische alles innig. Hervorragend! Was für eine Konsistenz! Langsam verteile ich den Brei auf die Kartoffeln und Auberginen.
Wallner Häupl Pühringer
Dörfler Doris Bures
Strache Karl Hörbiger
Kruse Bores Duris.
Obendrauf noch Tomatenmark und Parmesan. Dann ab in die Röhre.
Mikl Leitner Spindelegger
Petzner Mock und Faymann
Reich-Ranicki Schwarzenegger
Darabos und Paymann.

Und dann, während ich zwischendurch das Geschirr wasche, trittst du ganz plötzlich wieder in Erscheinung und vereinnahmst mich, völlig, sodass mir die Tränen kommen und ich höre ein Lied, das Banjo-Barnie (The Dubliners) immer gesungen hat, mit seiner rauen Stimme, ganz langsam, sodass es unter die Haut geht und ich muss daran denken, dass nichts auf dieser Welt ewig hält. Auch unsere Beziehung nicht:

I wish I had someone to love me,
Someone to call me his own,
Someone to sleep with me nightly,
I weary of sleeping alone.

Meet me tonight in the moonlight,
Meet me tonight all alone,
I have a sad story to tell you
I'm telling it under the moon.

I wish I had someone to love me,
Someone to call me his own,
Someone to sleep with me nightly,
I weary of sleeping alone.

Tonight is our last night together,
Nearest and dearest must part,
The love that has bound us together
Is shredded and torn apart.

I wish I had someone to love me,
Someone to call me his own,
Someone to sleep with me nightly,
I weary of sleeping alone.

I wish I had ships on the ocean
Lined with silver and gold
Follow the ship that he sails in
A lad of 19 years-old.

I wish I had someone to love me,
Someone to call me his own,
Someone to sleep with me nightly,
I weary of sleeping alone

I wish I had wings of a swallow,
Fly out over the sea
Fly to the arms of my true love
And bring him home safely to me.

I wish I had someone to love me,
Someone to call me his own,
Someone to sleep with me nightly,
I weary of sleeping alone.

So, und nach diesem Song bin ich völlig durch, in Tränen aufgelöst, hinüber. Her mit dem Bier! Das wäre ja gelacht. Also, so geht das nicht. Ich muss sie anrufen. Schatz, ich liebe dich. Und wenn ich dich beleidigt habe, dann tut es mir aufrichtig leid. Du ahnst nicht, wie sehr ich dich brauche. Du mich auch? Ist das nicht wunderschön? Ich liebe dich! Komm bald! Bussi. Uff!

Norbert Johannes Prenner

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 15032

 

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