August

Das kühle Wasser umschließt dich, rückt dir an die Haut. Es bedrängt deinen Körper, der sonderbar schwächelt und wenig Widerstand entgegensetzt. Der Wasserdruck presst dir den Bauch in die Flanken, du lässt es ohne Gegenwehr zu. Dein Gesicht wird zu einer Grimasse verformt, während du dich unter Wasser mit halbherzigen Tempi fortbewegst.

Die Tage werden schon wieder kürzer, hat deine Frau gestern zu dir gesagt und dass der August genutzt werden sollte. Ein Ausflug ins Waldbad, bevor der Urlaub vorbei ist und die Büroarbeit wieder die Tage bestimmt. Ohne viele Worte liegt ihr nun nebeneinander im Schatten auf euren Liegen. Du starrst in dein Buch und die Augen kommen nicht vom Fleck. Denn immer denkst du an Peter, deinen besten Freund und Kollegen aus der Bank. Und an die Sache mit den Hedgefonds, die ihm zuerst den Job und euch beiden dann vieles andere gekostet hat, schlussendlich.

Der Geruch von trockenem Gras wird von dem nach Sonnenöl übertroffen. Wie jedes Jahr ist die Hitze fast übergangslos da gewesen. Sonne in ihrer ganzen Stärke und im Überfluss. In der Jugend nahmst du die Sommer so hin, sie kamen und gingen. Später hast du sie bewusster erlebt und jetzt schließlich fragst du dich, wie viele dir noch bleiben. Selbst im allerbesten Fall wird deren Anzahl überschaubar sein.
So wie du den deinen, hat die Natur im August ihren Zenit überschritten, das Laub hängt dunkelgrün und satt in den Bäumen, ist morgens schon mit Tau bedeckt, dem gleichgültigen Vorzeichen des Herbstes.
Das Buch legst du beiseite. Der See verheißt Linderung, wie er jetzt so ruhig im Schatten der Bäume daliegt. Das Wasser wird deine Aufmerksamkeit zerstreuen, auf Körperliches fokussieren. Deine Haut wird lauter fühlen als dein Kopf denken kann, dein Herz wird heftig klopfen, und es wird nicht wegen Peter sein.

Wie fragil dir der August erscheint. Kein anderer Monat trägt so wie dieser plakativ sein eigenes Ende vor sich her. Obwohl die Luft flirrt und die Sonne sticht, liegt die Endlichkeit des Sommers schon vorprogrammiert da, denkst du, als du über die spitzen Steinchen ins Wasser steigst und dich von ersteren quälen und von letzterem forttragen lässt.
Dein Körper wird durch den Kältereiz schlagartig munter. Das schnelle Schwimmen zum Floß in der Mitte des Waldsees bringt die erhoffte Erlösung. Du gerätst ordentlich aus der Puste, hast lange nicht gesportelt, und es gelingt dir erst im zweiten Versuch, dich aufs Floß hinaufzuziehen. Dort liegt ein Mädchen, das kurz den Kopf hebt und auf dein Hallo nickend reagiert. An ihrer Körperhaltung erkennst du ihr Desinteresse, an ihrer Figur deine deutliche Überlegenheit an Jahren, an ihrem Bikini, den silberfarben lackierten Zehennägeln und den langen fahlblonden Locken, dass ein Smalltalk wohl für beide unergiebig verlaufen würde. Du legst dich auf die heißen Holzplanken, die deiner Haut unmittelbar und energisch die Nässe entziehen. Diesem Gefühl willst du nachspüren, es konservieren für kühlere Zeiten, für schlechtere Tage.
Beständiges Kinderlachen im Hintergrund.

Ob du deinen Weg zurück ans Ufer mit einem Sprung kopfvoran starten sollst? Du traust es dir zu. Also ein Köpfler. Deine Haut erschrickt über die Kälte, dein Herz zeigt sich solidarisch und hämmert schwer.
Du willst es nicht und doch denkst du an Peter. Jetzt bei ihm zu sein, sei es nur, mit ihm im Gastgarten zu sitzen, bei einem Bier und über die neue Chefin herzuziehen, dafür würdest du vieles geben. Diese Vorstellung zieht dich mit großer Macht hinunter. Und genau dort willst du jetzt so lange wie möglich bleiben. Unter Wasser.
Den Fischen werden deine Tränen nichts bedeuten. Atmen hältst du noch immer nicht für nötig. Die Bilder im Kopf werden blasser, je weniger Sauerstoff du zuführst. Peter. Und jetzt spürst du dich ganz in seiner Nähe, wissend, dass dieser Moment gleich wieder vorbei sein wird.

Als du schließlich im hüfthohen Wasser nahe dem Ufer lauthals nach Luft ringst, springen dir ein paar Badegäste entgegen und helfen dir an Land. Du setzt dich auf den Steg und wehrst jegliche Hilfe ab.
Jetzt weißt du, dass man nie genug bekommen kann vom Sommer. Die Sonne verschwindet kurz hinter einer Wolkenbank und macht überdeutlich klar, dass du auch nie genug bekommen wirst. Überfülle mit Ablaufdatum.
Deine Frau eilt mit besorgter Miene herbei, setzt sich zu dir und trocknet dich mit dem gelben Handtuch ab. Wieso sie deine Tränen zuerst abwischt, ja diese überhaupt bemerkt, wo doch alles an dir nass ist, fragst du dich und sie.

Michaela Swoboda

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary | Inventarnummer: 14061

image_print

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert