Nein danke

Im Büro 042 sitzt ein glatzköpfiger Mann hinter einem minimalistischen Schreibtisch und schaut mich verdutzt an. Alles hier ist minimalistisch: das Gebäude, die Ausstattung des Büros und sogar die Haare auf seinem Kopf.
Es geht darum, mein Handy abzugeben. Ich will es nicht mehr. Schon seit drei Monaten nicht. Nach zahlreichen Mails, Digital Calls in Warteschleifen und sogar analogen Anrufen in der Zentrale habe ich beschlossen, selbst herzufahren. Zur Außenstelle für Human Interaction.
Als ich endlich da bin, muss ich mich via Bluetooth einloggen. „Herzlich willkommen“, begrüßt mich eine fröhliche Frauenstimme und mein Auto fährt hinein.
Den Termin habe ich schon vorab reserviert, ich konnte mir sogar den menschlichen Berater auf der Website aussuchen. Herrn F.s Profil sah nett aus, also buchte ich bei ihm.

Es ist nicht leicht, das Handy loszuwerden. Früher konnten wir es ausschalten, wegwerfen, die SIM-Card vernichten oder den Akku herausschneiden. Das kann man schon seit einigen Jahren nicht mehr. Die jetzigen Handys haben Dauerbetrieb, sind unzerstörbar und immer online. Falls man es verliert, es doch irgendwie kaputt gehen sollte oder es gestohlen wird, sendet das Handy ein Notsignal zu nozamA. Binnen zwölf Stunden wird ein neues Handy vor die Tür geliefert.

Wird das Handy länger als acht Stunden nicht benützt, wird man diesbezüglich kontaktiert. Bei Nichtgebrauch von mehr als 14 Stunden bekommen Verwandte und Freunde eine Notifikation, um festzustellen, ob auch wirklich alles in Ordnung ist. Nach 24 Stunden werden Nachbarn, Geschäftsleute in der Nähe und Arbeitskollegen informiert  und nach 48 Stunden wird schließlich die Polizei alarmiert.
Security Check In, nennt sich das und ist nicht optional.
Mein Offline-Rekord betrug 134 Stunden. Dabei erhielt ich via Versand zwölf neue Handys, die ich nun zurückgeben möchte. Freunde, Familie, Kollegen und die Polizei waren ganz schön sauer auf mich. Es tut mir ja auch leid. Ich will wirklich nicht, dass das ständig passiert. Darum bin ich jetzt hier.

Herr F. sieht mich nun also verdutzt an. „Aber“, bringt er unter der minimalistischen FFP2-Maske hervor, „Aber ohne Handy ... wie wollen Sie dann kommunizieren? Wie wollen Sie Ihr Auto steuern, Einkäufe erledigen oder medizinische Versorgung in Anspruch nehmen?“
„In der Tat schwierig“, stimme ich ihm zu. „ Aber ich habe vor, mein Auto abzugeben. Ich möchte mich zurückziehen. Mein Keller ist voller Lebensmittel, ich habe eine Freundin, die mir bereitwillig Essen vorbeibringen und mich zu Arztterminen fahren wird. Seit Anfang des Jahres hat die Regierung wieder Bargeld als Zahlungsmittel erlaubt und zum Glück gibt es Haftpflicht- sowie Krankenversicherung auch ohne Handy. Das ist zwar teurer, aber ich kann mir das leisten. Zumindest für fünfzehn Jahre. Wie es dann weitergeht, kann mir selbst nozamA nicht beantworten.“

„Ah!“ Herr F. klingt fast erleichtert. „Sie fallen damit in Kategorie 809 der Menschen für  Verschwörungstheorie. Das kommt aus Ihren Daten nur sehr schwach hervor. Das passiert manchmal.“ Wie zum Beweis hält er mir sein Tablet mit meinem Foto und einer Art Mindmap vor die Nase.
Kindheit, Vorlieben, Abneigungen, Jobs, Versicherungen, Kredite, Lebensstil, Partner, Suchverlauf, Träume steht da.
„Sehen Sie!“, Herr F. tippt auf Lebensstil und scrollt mehrere Seiten an Datensätzen durch. „Hier. 13 Prozent in der Spalte für 809-Verschwörung, sollte höher sein. Human Error.“ Plötzlich wirkt er traurig. Und ich bin mir nicht sicher, wessen Fehler dafür verantwortlich war – seiner oder meiner.

Herr F. wischt die Daten beiseite und verfällt nun in einen unverbindlichen Plauderton. „Hätten wir uns denken können! Normalerweise hat nozamA ein Früherkennungssystem für Kategorie 809 im Lebensstil und ihr Verhalten in den letzten zwölf Wochen hätte uns bessere Rückschlüsse ermöglichen können.“
„Ich möchte nicht über die Kategorie 809 definiert werden“, sage ich ruhig.

Herr F. wird ganz ernst. „Wir nehmen die Entscheidungsfreiheit unsrer Klientinnen und Klienten als höchstes Gut wahr! Wissen Sie, nozamA ist es schlichtweg egal, welchen Lebensstil Sie persönlich verfolgen. Diese Entscheidung liegt bei Ihnen!“
„So lange ich Daten liefere!“
„Genau!“, ruft der kleine Mann kurzerhand begeistert und nickt heftig. „Ist das nicht großartig? Jeder Mensch darf sich frei entfalten. nozamA sorgt dafür und unterstützt Sie, die besten politischen Parteien, Kredite, Versicherungen und Jobs passend zu Ihrem Lebensstil zu finden!“
„Ja“, stimme ich zu. “Und das möchte ich nicht mehr.“

Nun schweigt Herr F., senkt den Kopf und tippt etwas in sein Tablet. Dann sieht er mich wieder an, dann wieder auf sein Tablet. „Sie sind nun 47 Jahre alt und seit knapp 20 Jahren bei uns Klient. Sie haben Anspruch auf das neue Handy X002 sowie eine vergünstigte Versicherungsprämie und einen Kredit für einen neuen alseT!“
„Nein danke“, sage ich.
Nochmal tippt Herr F. „nozamA bietet Ihnen die unglaubliche Möglichkeit für eine Kur im psychologischen Reha-Zentrum Bad Feldenleon mit Viersterne-Verpflegung für vier Wochen an. nozamA übernimmt selbstverständlich die Kosten.“
Nun weiß ich nicht, ob ich beleidigt oder belustigt sein soll. Denkt nozamA wirklich, ich sei psychisch instabil geworden?
„Nein danke“, versuche ich in neutralem Ton zu sagen. „Geht aus meinen Daten eine psychische Vorerkrankung oder genetische Prädisposition hervor?“
Herr F. tippt auf Versicherungen und dann auf Krankengeschichte. Er schüttelt den Kopf. „Sie haben allerdings eine 28-prozentige Wahrscheinlichkeit, innerhalb der nächsten vier Jahre an schwerem Darmkrebs zu erkranken.“
„28“, sage ich. „Das ist nicht viel.“
„Aber auch nicht wenig“, meint Herr F. und wir schweigen uns einen Moment lang an.

Dann fällt mir ein, dass laut dem Gesetz seit neuestem ein ganz bestimmter Satz zur unwiderruflichen Auflösung des Vertrages mit nozamA führt, wenn er gegenüber einem Human Contact geäußert wird. Ich habe ihn auswendig gelernt, weil ich ihn auf dem Handy nicht aufrufen kann.

Ich räuspere mich und beginne zu sprechen: „Ich, im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, wünsche eine Vertragsauflösung mit nozamA, die einen Verzicht auf jegliche Dienstleistungen des Anbieters zur Folge hat. Da die Löschung bereits gesammelter Daten nicht möglich ist, lege ich fürs Protokoll Einspruch fest und sollte sich in Zukunft die gesetzliche Lage ändern, verlange ich rückwirkend eine endgültige Löschung aller Daten. Die Aufzeichnung sämtlicher zukünftiger Daten untersage ich hiermit auf jeden Fall!“

Herr F.  schlägt die Stirn in Falten und sein Kopf wird unter der Maske hochrot.
„Und ich möchte es gerne schriftlich auf Papier festgehalten haben!“, füge ich rasch hinzu.
nozamA hatte vor Jahren Kampagnen gegen Papier gestartet. Weil die Abholzung des Regenwaldes unserem Klima schadet, ist Papier in Verruf geraten. Auch weil Daten auf Papier für nozamA Mehraufwand bedeuten. Ich möchte das Formular trotzdem. Ich werde es einrahmen und mir übers Bett hängen.
Mein Handy, das ich die ganze Zeit über in der Hand gehalten habe, lege ich auf den Tisch.

Herr F. wirkt resigniert. Seufzend drückt er ein paar Sekunden lang auf dem Tablet herum, und der in der Wand installierte Drucker spuckt ein Formular aus. Herr F. muss eine Weile suchen, bis er den Stempel gefunden hat. Mein Handy gibt er in eine transparente Plastikbox und kennzeichnet diese mit dem digitalen Zeichen für Rohstoffverwertung.

Nun reicht er mir das gestempelte Formular. „Wissen Sie“, sagt er zum Abschied, „meinen Job gibt es nur, weil es das Gesetz so vorsieht. Human Interaction ist ein Bullshit-Job. Mein Vorgesetzter ist ein Algorithmus.“ Er zögert. „Vielleicht besuche ich Sie. Irgendwann.“
„Da würde ich mich freuen“, sage ich und bin schon zur Tür hinaus.

Nene Stark

www.verdichtet.at | Kategorie: ¿Qué será, será? | Inventarnummer: 22018

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Ein Gedanke zu „Nein danke

  1. Mag. Robert Müller

    recht gut geschrieben, flüssig, anschaulich, nachvollziehbar (leider!!!). wenn ichs geschrieben hätte wäre noch mehr scharfer chilli drin gewesen!

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