Verdächtige Überstunden

Max war ein fleißiger Mann und hatte dazu auch allen Grund: Als Alleinverdiener (die Gattin war mit dem Baby in Karenz) musste er für die ansehnliche Miete der neuen, größeren Wohnung und den Kredit für die Einrichtung aufkommen. Gott sei Dank war in der Firma – er arbeitete in einem großen Rechenzentrum – viel los und es fielen oft Überstunden an. Seit einem Jahr war er für den großen Einzelblatt-Laserdrucker verantwortlich, der pro Sekunde zwei Seiten DIN-A4 ausspuckte und somit technisch anspruchsvoll war. Die überschüssige Druckkapazität konnte Max am Markt frei verkaufen, wovon große Werbefirmen gerne Gebrauch machten.

Heute war endlich das Papier für einen dringenden Großauftrag angeliefert worden, und Max schlug verzweifelt die Hände zusammen: Nicht nur dass die Papierbögen einen Zentimeter zu lang waren, sie hatten vorgabewidrig auch noch eine glatte, glänzende Oberfläche – ein Papier also, das der Drucker in den vorgegebenen Sekunden-Bruchteilen nicht einziehen konnte, weil die schmale Gummirolle immer wieder „ausrutschte“ und daher die automatische Meldung „Papierstau“ mit Stillstand der Maschine auslöste. Die Überlänge wiederum bewirkte, dass der bedruckte Papierbogen am Ablagekorb anstieß und nicht sofort glatt hinunterfiel, was ebenfalls Papierstau verursachte.

Aber wie auch immer – der dringende Auftrag musste gedruckt werden, egal wie, denn der Kunde war eine namhafte Werbeagentur. Diese Aufgabe zu bewältigen, würde gute Nachrede, ein (wenn auch schuldloses) Versagen aber Ärger bringen. Also was tun? Der Techniker der Herstellerfirma entfernte zwecks breiteren Durchlasses ein Leitblech aus der Maschine, und Max programmierte den Drucker um, sodass die fertigen Blätter nicht in den Ablagekorb, sondern aus dem Probedruck-Schlitz herausfielen. Gut, die Überlänge war zu handeln, aber was tun mit dem rutschenden Einzug?

Womit könnte man wohl die weiche Einzugsrolle überziehen, damit das glatte Papier transportiert würde? Ein Test mit dem genoppten Überzug eines Tischtennisschlägers (vom Aufenthaltsraum) fiel negativ aus, das Gewebe war zu hart. Es müsste ein sehr schmiegsames, gummiartiges Material sein – wo bekam man sowas in der Eile her? Ein älterer Kollege hatte die Idee: „Warum nicht ein Kondom? Das wäre elastisch genug!“ Max sauste schon in die nächste Drogerie und besorgte zwei Sorten, einmal „naturfeucht“ und einmal „Reizpräservativ mit Noppen“. Was soll’s, der Zweck heiligt wohl das Mittel.

Das Kondom mit Relief ließ sich schlecht überziehen und schied somit aus, die „naturfeuchte“ Alternative zog wohl zufriedenstellend die glatten Blätter ein, aber nach ein paar Sekunden war das Material erstens trocken und zweitens von der Rolle „gewuzelt“. Wieder nichts, also was nun? Schade, die „naturfeuchte“ Schutzhülle war anfangs so vielversprechend. Halt, wäre das die Lösung – „naturfeucht“??? Max schnitt den Überzug herunter und hielt einen feuchten Lappen von oben an die Gummi-Einzugsrolle, der Kollege startete die Maschine und der Drucker lief wie ein Uhrwerk! Max stellte einen Wassernapf und zwei Lappen bereit, damit der Feuchtigkeitsspender immer blitzartig gewechselt werden konnte, der Kollege am Ausgabefach ließ die gedruckten Blätter in eine davorgehaltene große Schachtel fallen, und mit dieser „händischen“ Zusatzleistung war um zwei Uhr früh der Auftrag abgearbeitet.

Müde und steif von dieser stundenlangen verrenkten Körperhaltung kam Max mit dem Taxi nach Hause, zog Schuhe und Rock aus und schenkte sich in der Küche ein Glas Bier ein – das brauchte er jetzt. Es war drei Uhr früh, Frau und Kind schliefen schon lange. Aber als er gerade das Küchenlicht abdrehen wollte, um ins Schlafzimmer zu gehen, fiel ihm die ausgebeulte Außentasche seines Sakkos auf. Um Gottes willen, da waren ja noch die zwei angebrochenen Kondomschachteln drin! Also wenn morgens die Frau wie gewohnt zuerst aufgestanden und den Kaffee hingestellt hätte, wäre ihr das sicher aufgefallen, und sie wäre der Sache auf den Grund gegangen! Am Telefon spätabends zu erzählen, dass ein dringender Auftrag Überstunden erfordert hätte, und dann mit diesen „Beweisstücken“ – zwei aufgerissene Kondompackungen, einmal sogar „Reizpräservativ mit Noppen“ – um drei Uhr nach Hause zu kommen!!! Also das hätte auch die naivste Ehegattin nicht geglaubt. Rasch nahm er die verräterischen Packungen heraus und warf sie durch das Küchenfenster in die Büsche vor dem Haus.

Vier Stunden später hörte er beim Frühstück am offenen Fenster die unter ihm wohnende Hausbesorgerin schimpfen, welcher „Schweinigel“ da seine unappetitlichen Hilfsmittel weggeworfen hätte. Und der Chef der Werbeagentur bedankte sich vormittags bei der Abholung des Auftrags persönlich mit einem generösen „Schmattes“ bei Max, weil er den heiklen Auftrag pünktlich geschafft hatte. Ja, es ist eben nicht immer alles so, wie es scheint.

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary| Inventarnummer: 22011

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