Der Butler 3

Halt! Kennen Sie bereits Teil 1 und Teil 2? Hier folgt der letzte Teil dieser Geschichte.

Ich habe jetzt einen Butler!

Zwei Tage später arbeitete ich wieder fleißig mit Richard und James an meinem Landhaus, immer nur von 8:00 Uhr bis 16:00, dann musste Richard zum Tee nach Hause, während aus James und mir wieder Butler und Gentleman wurden. Abends stellte James mich bei den umliegenden Häusern als neuen Nachbarn vor. Die Reaktionen reichten vom reservierten Handshake an der Tür bis zum Promilletest im Haus. Die liebenswürdige ältere Witwe Ivory-Smith lud uns sogar für nächsten Tag zum Tee ein. Es war ein sonniger September-Nachmittag, den wir in ihrem schönen Garten angenehm verplauderten. Mein Butler blieb mehr im Hintergrund, während ich ihr viel von Wien erzählte, was umso leichter ging, als diese kultivierte Lady auch rostiges Deutsch sprach – ihr Gatte war nämlich Berliner gewesen. James bewunderte insbesondere ihre phantastisch duftenden Rosen. Es mache ihr schon zunehmend Mühe, all diese Blumenpracht allein zu betreuen, seufzte sie, aber der Garten sei neben der Aquarell-Malerei eben ihr Lebensinhalt. Zu meiner „house-warming party“ in ein paar Wochen würde sie gerne kommen, sagte sie beim Abschied. Mein Butler war am Heimweg auffallend still und nachdenklich.

„No dinner today, James, after all these sandwiches and scones“, informierte ich meinen Butler am Abend, aber ich würde gerne mit ihm auf ein Bier in ein gutes Pub gehen, ob er mir eines zeigen möchte. Er nickte erfreut, aber wir sollten uns zuvor noch umziehen – so auf gepflegte Freizeit eben. Also führte ich meine nagelneue braune Lederjacke zu Jeans aus, während James in mausgrauem Tweed-Sakko und schwarzer Bügelfalte seriös unterwegs war. Das Pub war mit Mahagoni-Täfelung und viel Messing recht ansprechend, das Bier – na ja, englisch halt, und die Frau an der Theke hatte Freude an ihrem Beruf. Beim Tischgespräch erfuhr James, dass ich glücklich geschieden sei, und er fragte mich, ob mir die Blumenbilder von Mrs. Ivory-Smith im Salon auch so gut gefallen hätten. Er hätte ja berufsbedingt die meiste Zeit seines Lebens im Haus verbracht, aber so ein Garten wäre wohl ein schönes Hobby. Dann versandete das Gespräch – zwischen einem Butler und seinem Chef waren Vertraulichkeiten wohl nicht am Platz.

Nach einer Woche waren die „schmutzigen“ Arbeiten wie Fußboden rausreißen, Verputz abklopfen und Kacheln entfernen erledigt und die Handwerker konnten kommen. Richard kannte noch etliche ältere Professionisten, die steuerfrei verputzten, tischlerten, malten und Fliesen legten; James erneuerte die elektrischen Leitungen, während der örtliche Installateur eine moderne Gastherme einbaute. Nur der offene Kamin machte Schwierigkeiten – der Rauchfangkehrer wollte den kompletten Rauchabzug erneuert wissen. Weshalb ich die Feueröffnung zumauern ließ und einen großen Kaminofen davorstellte. In unglaublichen vier Wochen war der Großteil erledigt.

Seltsam nur, dass James nun öfter um ein paar Stunden Auszeit ersuchte, er hätte privat einiges zu erledigen. Anfangs war es mir wohl angenehm, fallweise ohne strenge Aufsicht zu sein. Dann traf ich im Supermarkt Mrs. Ivory-Smith, die mir herzlich für die Überlassung meines Butlers dankte – es wäre ihr eine große Hilfe gewesen, dass er ihr im Garten einige schwere Arbeiten abgenommen hätte. Ich schluckte meine Überraschung – also so ein Pharisäer – hinunter und lud die freundliche Nachbarin für übernächsten Tag zum Tee ein. Es wäre noch nicht alles fertig, aber ich bräuchte für meinen kleinen Garten ihre fachliche Beratung. Sie sagte gerne zu. James war die drohende Enttarnung wohl anzumerken, aber er meinte nur zögernd, dass mein Salon noch nicht besuchstauglich sei. Es fehle an Porzellan, Tischtüchern und sonst noch allerlei, auch die Möbel seien nicht vom Feinsten. In der Bezirkshauptstadt, Penzance, bekamen wir alles für gehobene Tischkultur, aber leider keinen geeigneten Tisch mit Stühlen. Der sogenannte „Antik-Shop“ war ein schlauer Altwarenhändler nach dem Motto: „Kaufe wertloses altes Gerümpel, verkaufe wertvolle Antiquitäten“. Aus dieser Misere rettete uns Sarah, die erfahren hatte, dass eine wohlhabende alte Dame in der Nachbarschaft verstorben war und nun deren Haushalt aufgelöst würde – vielleicht wäre da etwas dabei? Noch am selben Abend durften wir zur Besichtigung kommen, und der schöne alte Auszugtisch mit acht Stühlen war billig zu haben. Als Draufgabe erhielt ich von den Erben eine dazu passende reparaturbedürftige Bodenstanduhr und drei schwarze Kerzenleuchter.

Der nächste Tag war stressig: Zunächst mussten alle „besuchsrelevanten“ Räume entstaubt, geputzt und geschmückt werden, dann war auch die Menüfrage zu klären. Die „Tee-Zeremonie“ würde James in seine bewährten Hände nehmen, anstelle der ortsüblichen „scones“ buk ich einen Gugelhupf mit einem ordentlichen Schuss Jamaikarum und kaufte noch ein paar Zitronentörtchen des örtlichen Bäckers. Die geschenkten Kerzenleuchter erwiesen sich als uraltes Silber, das zu putzen James den ganzen Nachmittag kostete. Aber der stilgerecht gedeckte Tisch abends war umwerfend schön. Bei einem festlichen Dinner feierte ich mit Richard und Sarah die fast vollendete Renovierung meines Landhauses. Insbesondere das warme Flammenbild im Schwedenofen gab dem Salon eine behaglich-vornehme Note.

Auch James war zufrieden, als er mir spätabends seine „Ausflüge“ zu Mrs. Ivory-Smith beichtete. Als Ausgleich zu meinem scherzhaft-mahnend erhobenen Zeigefinger zählte er meine „lässlichen“ Benimm-Sünden beim Dinner auf, aber für die kurze Zeit hätte ich erhebliche Fortschritte gemacht. Und ja, er freue sich schon auf den morgigen Besuch der Nachbarin, nun wäre endlich wieder Leben im Haus.

Nächsten Morgen räumte ich mit James den Werkzeugschuppen auf, reinigte und ölte die brauchbaren Geräte und fuhr den Müll weg. Zum Lunch zauberte ich einen Kaiserschmarrn mit Zwetschkenröster. Meinem mitschreibenden Butler erklärte ich, das sei das Lieblingsessen unseres alten Kaisers gewesen. Was er mit drei Rufzeichen im Heft vermerkte. Nach der Siesta rüsteten wir uns für den Besuch. Trotz der frühen Stunde brannte ein kleines Feuer im Kaminofen, Sarah hatte einen großen Blumenstrauß für die Tafel vorbeigebracht, und nach der Dusche kratzte ich alle Erde aus den Fingernägeln und wurde zum Gentleman. Um James brauchte ich mir wohl keine Sorgen zu machen, nur dass er heute dezent nach teurem Aftershave duftete. Oh, oh, die Nachbarin war ihm wohl nicht egal!

Und sie wurde begrüßt wie ein Ehrengast. „Very lovely, how wunderschön“, lobte sie zweisprachig den frisch renovierten Salon, das wäre ja ein traumhafter Festsaal geworden. Bei geöffneter Terrassentür saßen wir wie in einem Wintergarten und freuten uns ganz einfach an der guten Jause und der angenehmen Gesellschaft, mit James als „Mitarbeiter“ gleichberechtigt bei Tisch. Erst nach einer guten Stunde standen wir im Garten herum und beratschlagten die Neugestaltung. James holte Schreibzeug, zeichnete einen kleinen Plan mit Meterangaben und notierte zu den Standorten die Pflanzen und deren Behandlung. Was stehenblieb, wurde mit Hakerl, die neuen Gewächse mit Kreuzerl versehen, die umzugrabenden Flächen schraffiert. Mrs. Ivory-Smith gab uns noch die Adresse des nächsten Gartenmarktes und bedankte sich herzlich für den schönen Nachmittag; ja, und das Rezept für diesen marvellous „Gugupf?“ – das Wort blieb ihr zwischen den Lippen stecken – also dieses Rezept wolle sie unbedingt ausprobieren. Sie würde uns auch gerne beim Einpflanzen helfen, wenn es so weit wäre, thank you, good evening. War da ein Zwinkern im Auge der Nachbarin beim Handshake mit James?

Nach einer arbeitsreichen Woche war das meiste geschafft – der Garten prunkte mit Fertigrasen, einigen blühenden Sträuchern (ich hatte große Containerpflanzen gekauft) sowie einem jungen Marillenbaum und etlichen dürren Besen, die erst im Frühjahr ihre Pracht entfalten. Es war ja schon Ende Oktober. Die angekündigte „house-warming party“ war nur ein Teilerfolg, weil lediglich zwei Ehepaare den Brauch kannten und Essbares beisteuerten, eine Nachbarfamilie brachten nur Chips und Soletti sowie ihre brüllenden Kleinkinder mit, und ein verspätetes uraltes Paar in schwarzer und silberner Abendkleidung drehte beim Anblick der sich am Tor übergebenden beiden Jungen geschockt um. Aber nach deren Abgang wurde es gemütlich. James servierte für die Damen den örtlichen „Strongbow-Cider“, für die Herren meinen mitgebrachten schweren Blaufränkisch. Richard hatte seine Gitarre dabei, der dicke Vis-à-vis-Nachbar eine rauchige Baritonstimme und zum Abschied sangen wir alle die inoffizielle Hymne von Cornwall, das Lied von Sir Trelawny:

And shall Trelawny live? – And shall Trelawny die?
Here’s twenty thousand Cornish men – Will know the reason why!

Dann verabschiedeten sich die Nachbarn. Es war inzwischen dunkel geworden, weshalb ich James ersuchte, Mrs. Ivory-Smith nach Hause zu begleiten. Was sie sich gerne gefallen ließ und mich einen „real gentleman“ nannte, den kennenzulernen sie sich sehr gefreut hätte. Na Gott sei Dank, dann war ja meine Ausbildung beendet. Dafür war mein Butler schon ein bisserl nachlässig, er ließ mich noch eine gute Stunde warten, obwohl die Nachbarin nur 100 Meter entfernt wohnte. Sie hätten sich so angeregt über die Gartenbetreuung unterhalten, entschuldigte er sein Ausbleiben, während er verdächtig rasch den Salon aufräumte. Na dann „good evening, James“, der Blaufränkisch entfaltete bereits seine Schwerkraft.

Übernächsten Tag musste ich zurück nach Wien. Die Fotos vom Cottage und Garten kamen gut an, mein Chef buchte sofort für 23. bis 31. Dezember, wodurch er noch die Betreuung meines Butlers genoss. Er habe sich da, erzählte er später, wie ein englischer Lord gefühlt, und seine Frau habe umgehend ihre Garderobe darauf abgestimmt. Auch ein sehr teurer langer Kaminrock aus schwarzem Samt sei ein Muss gewesen, seufzte er.

Nun ist das alles schon Vergangenheit, ich habe mein Cottage zwei Jahre später mit schwerem Profit verkauft. Butler James hat nach einem Jahr Mrs. Ivory-Smith geheiratet (als Brautführer durfte ich sie in einem Traum aus Silber und Blau zum Altar führen), und nun lebe ich hochzufrieden mit der Sekretärin des Maklers im Landhaus ihrer verstorbenen Tante am Bisamberg. Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut, und ich denke gerne an diese verrückte Zeit zurück, denn: Ich hatte einen Butler!

PS: Und gelegentlich erinnert mich mein Schatzerl ein bisserl gekränkt, dass ich sie damals nie zum Dinner eingeladen hätte – sie wäre auch gerne einmal im Leben von einem Butler bedient worden. Vielleicht spielt James ja noch ein einziges Mal diese Rolle, wenn er uns mit Gattin im Sommer besucht.

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: Lesebissen | Inventarnummer: 21036

(Auf Wunsch des Autors wurde bei diesem Text auf manche Lektoratskorrektur verzichtet
und der Text großteils im Original belassen.)

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