Erdäpfel

Woran denkt man, was assoziiert man unwillkürlich beim Wort Erdäpfel? Auf diese Frage bekommt man wohl viele, sehr unterschiedliche Antworten. Denn jeder Mensch hat seine eigenen Erfahrungen und Geschmackserlebnisse mit dieser Knolle, bis in die frühe Kindheit reichen diese Erinnerungen. Eine alte Bäuerin denkt vielleicht zuerst an die ehemals schwere Arbeit beim Ernten und das damit verbundene Kreuzweh, die herbstliche Kälte am Acker und den Geruch der Erde. Ein Kind ruft vielleicht begeistert „Pommes“, ein Gourmet denkt an die butterweichen „Heurigen“ Anfang Juni und die daraus hervorgegangenen Petersilienkartoffel als Beilage zum Spargel, ich weiß nicht, ob ich den Kartoffelpuffern oder den Waldviertler Knödeln (jeweils zur Hälfte rohe und gekochte Erdäpfel im Teig) meiner Kindheit den Vortritt lassen soll, und eine heutige Mehrkind-Mutter ist beim Zwetschkenknödel-Machen froh, dass es nun preiswerten Fertig-Kartoffelteig im Packerl gibt.

Meine Großmutter mütterlicherseits, geb. 1884 im Waldviertel, die immerhin zwei Weltkriege überlebte, hatte in der wirtschaftlichen Not ihrer Zeit von Kind an gelernt, mit Kartoffeln als immer verfügbarem Nahrungsmittel zu leben und aus dieser nahrhaften Knolle die verschiedensten schmackhaften Gerichte zu bereiten.

Diese Erdäpfelküche hat auch meine Mutter, geb. 1910, in den schlechten Zeiten bis in die 50er-Jahre sehr geschätzt und bis ins hohe Alter weiter kultiviert. Die billigste Ausführung waren die „eingebrannten Erdäpfel“, später fallweise mit Dille verfeinert, dann die vielfältigen Teige aus Kartoffeln und etwas Mehl für Nudeln, Strudel, Knödel und Krapfen. Das in der Nachkriegszeit sehr verbreitete süße „Erdäpfelbrot“ war ein beliebtes und preiswertes Gebäck (mit wenig Fett, Zucker und Eiern) zur Kaffeejause oder zum Sonntagsfrühstück.

Da waren die im Volkslied „Als Böhmen noch bei Österreich war“ apostrophierten „Skubanky“ oder wienerisch „Stubanken“, ein eher fester Brei aus Erdäpfeln und Mehl, mit Mohn oder bröseligem Topfen und Zucker bestreut und braune Butter darüber geträufelt, da gab es die bei uns Kindern beliebten Kartoffelpuffer (tschechisch „bramborak“), welche meine sparsame Großmutter immer als „Dieb im Schmalzhäfen“ bezeichnete, weil Fett in der Nachkriegszeit Mangelware war. Meine Mutter fand den Ausweg, diese auch „Reiberdatschi“ oder „Platzki“ genannten Fladen im viel billigeren Rindstalg herauszubacken – nur durfte dieses Fett nicht kalt werden.

Den „Waldviertler Grießsterz“ (aus Erdäpfeln und Grieß) und den „Erdäpfelbraten“ (je 1/3 kg Geselchtes, kalter Braten und gekochtes Rindfleisch, mit je 1 kg rohen und gekochten Erdäpfeln, ¾ kg Zwiebel und Gewürzen) kennen wohl nur mehr wenige …

Im Haushalt des Autors gilt noch der Brauch: Wer die (heißen) Erdäpfel schält, darf sich einen abzweigen, durchschneiden und die beiden Hälften gesalzen mit je einer Scheibe Butter sofort „von der Hand in den Mund“ essen. Es gibt nichts Besseres!!!

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: Lesebissen | Inventarnummer: 20122

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