It’s pretty nice, my dear!

Barfuß ist sie ins Haus geschneit und hat mit ihren fliegenden Schritten eine frische Brise mitgebracht. Tina aus dem Hause Eisenknappl von und zu Arresting, wo auch immer das genau liegen mag. Eine Perle in der niederbayrischen Landschaft bist du. Oh Arresting, deine Namensbestandteile „a Rest“ und das furchteinflößende „Arrest“ haben damit gar nichts zu tun. Traumhafte Erinnerungen birgst du. Freilaufende Meerschweinchenscharen, die freiwillig im Areal bleiben, bis sie der Jagdleidenschaft des Fuchses allesamt zum Opfer fallen. Leben und Tod liegen nicht nur dort nahe beieinander.

Oma zieht im Leiterwagerl das Frühstück zum Baumhaus, wo die Kinder, stets auf Abenteuersuche, die Nacht verbracht haben. Ein anderes Mal schleicht sie zu nachtschlafender Zeit mit ihnen aus dem Haus, um das Silvesterfeuerwerk anzuschauen.
Schwimmen lernt man im Amazonas, der dort Donau heißt. Angeblich züchtet der Papa sogenannte Indianerbananen, vermutlich die Einzigen dieser Gattung fernab ihrer südlichen Heimat. All das wächst in Arresting heran und gedeiht, auch Tina.
Jetzt kommt sie aber mit einer Flasche Radler in der Hand, die sofort in den Kühlschrank muss, dann fliegt sie dem Liebsten in die Arme. Elegant dreht sie mit geschickten Fingern, deren Nägel vornehm lackiert sind, Zigaretten. Das hauchdünne Papier befeuchtet sie mit der Zungenspitze. Zwischen Tinas Fingern reißt es nicht. Und ich verstehe zum ersten Mal, warum in Osteuropa die Zigaretten Papirossy heißen.

Ein anderes Mal hat Tina Zucchini, Gelbe Rüben und Tomaten dabei. Der Kürbis baumelt zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand. Alles aus den Paradiesgärten von Arresting.
Früher, als die Oma noch gelebt hat, gab’s am Freitag immer Rohrnudeln und die Oma hat die Verserl, die sie zu Kindertagen einmal gelernt hat, nicht mehr aus dem Kopf gebracht. „Adolf Hitler liebt die Kinder. … Wir schenken ihm Blumen.“ Später haben aber die amerikanischen Soldaten der Oma eine Zigarette gegeben. Oh, war das aufregend! Und jetzt dreht Tina die Papirossy zwischen ihren zarten Fingern. Die Zeit ist ein Fluss, in dem sich die Generationen tummeln.

Unter den Füßen muss Tina den Boden spüren, selbst wenn der Boden Beton, Holz oder Teer ist. Der Kontakt zur Muttererde ist ganz wichtig, wie auch immer sie beschaffen sein mag. Tina ist nicht zimperlich oder möchte es nicht sein.  So ist das.
Ins leere, bauchige Marmeladenglas pflanzt sie ein zartes blutrotes Röschen, das von einer anderen Welt kündet, die auch irgendwo da sein muss. Schade, dass wir die Tür zu dieser Welt nicht finden können. Das ganze Leben lang suchen wir nach dem Schlüssel.
Rot wie Blut sind Tinas Lippen und schwarz wie Ebenholz ist ihr Haar.

Während gelbe Zucchini, Ochsenherz-Tomaten und rote Kartoffel heranwachsen, flirrt die Sommerhitze über Blumen, Rosen und Bäumen. In diesem Jahr ist der Sommer groß wie kaum zuvor. Die ersten Feigen färben sich lila. Im Tonelefanten reifen vereinzelt winzige süße Erdbeeren. Im nächsten Jahr werden sie üppig wachsen, wie auf Tinas T-Shirt und von den Lippen wird der rote, süße Saft tropfen, wenn sie die Früchte mit den Fingern in den Mund schiebt.

Aber bis dahin muss noch der Winter überstanden werden. Die Feigen reifen bis in den Herbst hinein und wen Gott liebt, den lässt er davon kosten. Die Erdäpfel müssen wir ausgraben. Sie retten uns.

Wer im Herbst geboren ist, braucht ein warmes Herz. Tina stammt aus dem Geschlecht der Eisenknappl. Der Name erzählt von einem mittelalterlichen Rittergeschlecht, vielleicht geadelt aufgrund besonderer Tapferkeit während der Kreuzzüge auf dem Weg ins Heilige Land. Ein Knappe zieht seinem Ritter Tag für Tag die schwere Eisenrüstung an und aus. Der Eisenknappe! Er schrubbt seinem Herrn geduldig die Rostflecken von der Haut.
Ja, bestimmt ist es so gewesen. Und für die treuen Dienste hat der Knappe den fruchtbaren Landstrich an der Donau zum Lehen bekommen. Seit Jahrhunderten wachsen dort die Eisenknappls auf inmitten der Wiesen und Felder, auf denen alles gedeiht, sogar die Indianerbanane neben den Roten Rahnern, ihrem Ahnherrn zur Ehre.

Wer auf seine Tradition zurückblickt, hat es schwer, sei es eine reale oder eine fiktive. Immer lastet etwas auf den Schultern, etwas unbestimmt Großes und in den Jahresringen der Erinnerung ist das Fernweh eingewachsen, das mit Expandern an der Heimat hängt. Ein Weh, das in den Äther fleht  und nach den Sternen greift, im Morgendunst mit einer Papirossa dem Sehnen Ausdruck verleiht. Auch die Indianerbananen künden vom Fernweh, und mit den Feigen kommt das Paradies nach Hause.

Wenn sich der Schnee mit seinen weichen Flocken niederlassen wird, bildet er eine schützende kalte Decke, die alles unter sich bedeckt und vor dem Erfrieren bewahrt. Für ein paar Monate findet alles seinen Frieden und kann dem Frühling entgegendämmern. Ich weiß nicht, ob Tina, die jung und stark ist, Ruhe braucht, ob sie die Ruhe aushalten kann. Bestimmt fliegen ihre Schritte über die Schneedecke, ohne die Kälte zu spüren. Ich glaube, die roten Lippen und das ebenholzfarbene Haar werden im Winter erst recht von jener unbestimmten Sehnsucht künden.
Alles in ihr drängt nach Leben, nach Erwachen. Doch das kommt immer unverhofft. Plötzlich, wenn man es am wenigsten erwartet, merkt man, dass die Tür, für die man lange vergebens den Schlüssel gesucht hat, schon immer offenstand.
Tinchen ist die Rose, die hervorwächst aus dem rostigen Eisen des knappen Stammbaums. Das „l“ braucht sie nicht.

So steckt die Verletzlichkeit in allen Dingen, und wie sollen wir es uns abgewöhnen, sie verbergen zu wollen. Unverhofft taucht da einer auf, der dich an der Hand nimmt und dich führt und sich gleichzeitig bereitwillig führen lässt. Du musst es nur zulassen. Aber die einfachsten Dinge sind bekanntlich die schwersten.

Tinchen  Eisenknappl, dein Gesicht ist vom schwarzen Haar gerahmt. Du kostest Erdbeeren und liebst Zitroneneis. Im Rauch der Papierrosen blickst du hinter die Zeit und liest die geheimen Zeichen vom Faden, der die Welt im Innersten zusammenhält.
Ein Engel hält dich an der Hand und geleitet dich, damit du nicht strauchelst oder gar fällst und stürzt. Jener Engel an deiner Seite lässt dich auch schweben und deswegen sind deine Fußtritte mit der Schwerelosigkeit der Schneeflocke vergleichbar. Barfuß schneist du herein und verbreitest überall im Zimmer Rosenduft.

Das wird ein Fest werden, wenn wir gemeinsam mit der Zwergziege, der Graugans und dem Wadlbeißer im Schatten des Feigenbaums Radler trinken!

Für Tina zum Geburtstag am 8. September 2019

Claudia Kellnhofer
www.bitterlemonverwunderung.de

www.verdichtet.at | Kategorie: fest feiern | Inventarnummer: 19140

 

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