NIENTE!

Annäherung an eine narrative Analyse des konstruktiven Nihilismus der zeitgenössischen österreichischen Musikformation „WANDA“ als Versuch einer Hommage

Ich bin kein abgefahrener Musikjournalist und Ihr seid keine kleinen Kinder mehr. Also nennen wir die Dinge gleich beim Namen: NIENTE!
Es ist wahrscheinlich etwas Wahres dran, daß ich mir eine Konzertkarte für Wanda im September 2018 in Klagenfurt, gleichsam das Omega des Österreichteils ihrer Nichts-Tournee, im Internet bestellt hatte. Hatte ich mir doch bereits eine Karte für das Stadthallenkonzert im April gekauft gehabt, war ich doch wieder in der Obersteiermark gemütlich daheim picken geblieben und hatte ich dann schweren Herzens die Karte doch wieder verkauft.
War ich doch beim Gratiskonzert am Donauinselfest bereits fest schreibend im wesentlich kühleren also im Sommer angenehmeren Dänemark verplant gewesen. War mir also nur mehr diese eine winzige Chance geblieben. War es doch noch in der Zeit Prä-„Ciao Baby“ gewesen, also im unerträglichen wandalistischen Vakuum. „Alles zahlt sich aus. So viel Schmerz und so viel Sehnsucht zahlt sich aus.“ Von dieser Erleuchtung aus dem neuen Album konnte ich damals also noch nicht einmal antizipatorisch geträumt haben.

Doch blättern wir zurück. Genauer gesagt dreieinhalb Jahre. Was? So lange gibt es Wanda schon? Ja, so lange. Mindestens. Was sich wie eine Leitentscheidung des EuGH anhört (So lange I), ist echte Realität geworden.
Du weißt es, wenn Du Dir ehrlich bist, genau – so schnell findest Du nicht einen besseren Clown (eine der Selbstbezeichnungen von M.M.W.)!

Ich weiß es noch und ich weiß es noch, als ob es heute gewesen wäre. Ich war mit einem Spezi auf der Leipziger Buchmesse, die überdies viel lässiger, weil kleiner und familiärer war als das anonyme Frankfurter Fabrikshallengefühl. Auf der Heimfahrt traf ich im Zug irgendeinen Abgrund oder wie auch immer, eventuell hatte mich das Buchmessenvirus erwischt (Buchfluch). Ich lag mit nicht unhohem Fieber „daheim“ in Wien darnieder und drehte im Delirium das Radio auf. Was geschah? (Ja, es war zufällig 88,6, weil ich hohes Fieber hatte und zu schwach war, um weiterzudrehen 😉 )

Ich hörte eine glasklare Ansage, begleitet von symphoniehaft-quasiorchestralen Anfangstakten, einer Hymne gleich:
„Ich kann sicher nicht mit meiner Cousine schlafen, obwohl ich gerne würde, aber ich trau mich nicht!“ (Geht oder ging es uns nicht allen insgeheim ein bißchen so? Spricht uns diese Stimme nicht direkt aus dem Herzen? Wollten wir nicht irgendwann einmal mit allem oder allen irgendwie ein bißchen schlafen oder so? Von den Nachbarn bis zum Hydranten bei der Bushaltestelle? Aber man traut sich nicht. Was würde dann die Nachbarin sagen … z. B.)
„Tante Ceccarelli hat einmal in Bologna Amore gehabt! … Wenn man dich fragt, wohin du gehst, sag nach Bologna. Wenn man dich fragt, wofür du stehst, sag für Amore … Amore!“

Was für ein Lied. Fieber hin, Schwindel her, ich war elektrisiert. Steil aufgeregt! Was für eine Band! Ich wußte nicht, wie mir geschah, damals im März anno domini 2015. Ich hatte keine Ahnung. NIENTE! Waren das die jungen Hosen? Waren das die frühen Ärzte? Ja, ich brauchte einen Arzt, und da kam er, und was für einer kam da durch den Äther daher – Marco Michael Wanda heilte mich. Ein Wanda-Heiler!!! Wie Rasputin beim Zarewitsch half mir AMORE zur Genesung. Kein Schmäh, echt jetzt. Ich war ein Spätberufener, andere hörten FM4 und waren daher schon längst Jüngerinnen oder Jünger des Herrn. Hörten das Evangelium nach Marco, also euangélion, die gute Nachricht, des Herrn. Wanda. Das da heißt: Liebe Deine Nächste, oder irgendwer anderer tut’s statt Dir! Und das ist in diesem Fall die Cousine. Habt keine Angst! Non abbiate pauro! (© Johannes Paul II.) Traut‘s Euch nur.

Der Rest ist Geschichte. Ich genas, fuhr durch die Lande und las aus meinem eigenen Evangelium, der Hin-Richtung. Und Marco und die Seinen taten das Ihre. Und ich wurde Teil einer Wanda-Bewegung, wandate in jener Zeit vom Spiritus Marco geheilt umher. Die ganze Platte wimmelte nur so von geistreichen Texten voller Liebe. Demut. Leidenschaft. Heißt Leiden und es lässt sich nicht vermeiden, dass die Wunde klafft. San Marco. Schließlich wurde ihm zu Ehren in Venedig ein Platz benannt. Eros und Thanatos. („…wenn du sagst, dass man davon sterben kann … genaaaauso wie die Flaschen von gestern …“) Mein insgeheimes Lieblingslied auf Amore ist jedoch „Denn niemand weiß, dass es uns überhaupt gegeben hat, Baby.“ Es ist wahr. So wahr.

Den Anfang des Liedes hab ich bis heute akustisch nie verstanden, und damit bin ich beileibe sicher nicht der Einzige, denn sogar am Booklet der CD steht da nur Kauderwelsch. Es is wuaascht. Weil: „Ich hab Zeit. Wir hab‘n sovüüü Zeit, Babe!!! Weil niemand weiß, dass es uns überhaupt gegeben hat.“ Ob S. Eminenz Marco damit Uns also Uns alle oder Uns also Uns zwei also Ihn und Sein Babe meint, bleibt dahingestellt und der Hermeneutik der Nachwelt anheimgestellt. Es is wuaascht. Der Refrain kracht in einer wehleidig-schmerzerfüllt paranormal hypermaskulinen Schmalzgewalt dahin, daß selbst eine zarte Natur wie ich darin seine revolverheldenhaft-latinlovermäßigen Nuancen freizulegen vermag. Schade nur, ja schade, daß dieses Goldstück bei den Wanderkonzerten gleichsam „mai“, also italienisch „nie“, gebracht wird.

Doch blättern wir weiter … Oktober 2015. Irgendein aufgeblasener Plattenhaberer mit nagelneuer Lederjacke, die ihm seine Mama geschenkt hatte und die er eine Woche zuvor gegen sein übliches Polyestersakko getauscht hatte, macht sich bei mir wichtig, er würde für sich eine Backstagekarte für das heute stattfindende Wandakonzert in der Arena haben. Aha. Da haben wir auch schon gleich das Problem. Die falschen Fans der richtigen Bands. So wie schon Nirvana sich ihre Fans nicht aussuchen konnten („he doesn‘t know, what it means …“ (in Bloom), doch der Vergleich kommt noch) müssen auch Wanda ihre Rechnungen zahlen und sich auch freuen, wenn Leute ihre Konzerte besuchen, die man sonst lieber nicht so gerne treffen würde.
Ich aber roch Lunte und fuhr hin, zückte mein Buch, schwafelte was von FM4 und kam auch schon gratis hinein. : ) Was ich erlebte, gehörte zum Besten, was ich bisher konzertant erlebt hatte. Ich hatte – sparsam wie ich bin – die CD immer noch nicht gekauft und daher ein paar Ersthörerlebnisse … „Ans, zwaa, drei, vier … Es ist so schön bei dir … … Bei dir, bei dir und bei dir …“, und er zeigte dabei auf die Ragazze mitten in der Masse!!! Ja, die Jünger um Don Marco und er selbst wußten um ihre Wirkung und darum, das Publikum zu beglücken.

Da wurde um „Schnaps“ gebettelt! Und wie! San Marco bodysurfte über die Köpfe hinweg, gleich hinüber zur Budl, krallte sich eine Bottle und soff sie halb leer. Sicher. Certo. Da mag auch nur Wasser drinnen gewesen sein. Aber konnte der Evangelist Marco Wasser in Schnaps verwandeln? Und übers Menschenmeer surfen? War ich Zeuge eines Wanders geworden? Egal. A-M-O-R-E!! Wie ein Vogelkundler frohlockte er zwischendurch immer wieder… A-A-A … Und alle taten es ihm gleich, wie damals im Kindergarten … A-a-a! … Und alle preßten, so wie damals. Nur da war kein Töpfchen! Da war nur: A-A-M-O-OOO-R-E. Und das nicht zu knapp. AMORE, ein neuer Urschrei, ein neues Mantra, ein neues Echo in den Hüften der Stadt! (Ups, das war jetzt ein bißchen Falco, der aber auch ein bißchen Pate stand für das Ganze als vormals gewesener junger Römer.)

Eingehüllt wurde das Ganze mit sehr vielen bunten und sich abwechselnden Lichtern, als ob die schönen Töne noch nicht genug gewesen wären. No! NIENTE. Nach dem Gig wurden noch bei einer Budl Platten und Devotionalien verkauft, so wie es sich bei anderen religiösen Stätten wie in Mariazell oder Assisi eben auch gehört, und ich wurde eines der Bandmitglieder himself ansichtig – Nein, nicht sua Eccellenza San Marco, das wäre Eminenza zu profan gewesen. Baciamano! Er schickte seinen quasianonymen Apostel namens Schlagzeuger, der dort vielerlei feilbot. Ich ging auf ihn zu, sagte zu ihm: Bist Du nicht auch von Wanda, und anders als damals Petrus stand er zu seinem Herrn: Ja, ich bin es. Gut, die Umstände waren auch wesentlich anders als damals … Und Marco ist auch kein Messias und auch nicht der Sohn Gottes, Verurteilung exklusive. Obwohl er manchmal ein bißchen so tut.

Denn, mich hat er letzten Mai dazu gebracht, nach Bologna zu pilgern. Denn wenn ich eh schon in Innsbruck bin, fahr ich doch gleich zum ersten Mal nach Trient weiter, bella, und geb mir dann gleich noch als Premiere Verona, bellissima, und als bombastische Krönung von allem, la Bomba: BOLOGNA!!! La Grassa. Ja, es war genauso, wie es im Hohelied des Marco gefühlt wird. Die Türme, die Graffiti-Mauern, die Arkadenbögen, die frischen Orangen, der Spirit von ewiger Jugend und Freiheit! Pfeif drauf und beiß in die Spaghetti! Ein Pärchen tanzte des Abends zum Kofferradiosound Charleston in einem Arkadenhof.

Und ich, ja ich pilgerte zu Tante Ceccarelli, die in Bologna AMORE gemacht hat. Ja, es gibt sie. Das Bethlehem des Austropop, die Grabeskirche des guten Lebensgefühls, die Geburtsstätte der Hymne von Freiheit und (unerfüllter) Liebe. Ein Fleisch, Wurst- und Käseladen in einer Seitengasse neben dem gigantomanischen Hauptplatz. Si, certo, der Marco komme immer mit seinen Eltern hierher, meinte die Tante, und viele Fans seien schon hergepilgert. Mannaggia! Verdammt! Ich habe es endgültig geschafft, dachte ich mir beim Foto mit Tante C., die mir noch ein Sackerl Kekse schenkte! Ich war im absoluten Wanda-Olymp gelandet, assolutamente. Wenn auch sonst (was weh tut!) kein Schwanz in Italien Wanda wirklich kannte, weil sie – che merda!!! – in tedesco singen. Amadeus schau oba!

Das lockere Pfeif-drauf-Gefühl, der Genuß an allem, das Zu-spät-Kommen und Zu-früh-Trinken (Kaffee, was sonst), ich stolperte tags drauf gleich vom Caféhaus in die Sonntagsmesse, denn bei so viel Wandalismus muß ein bißchen italienischer Urkatholizismus schon sein. Denn, und nun blättern wir nach vor zum eigentlichen Sinn des Textes, nämlich zum Konzert in Klagenfurt, er tut schon auch ein bißchen so als ob: Ja, Signore Marco umgibt sich mit der Aura des Religiösen. In einem Interview nannte er sich einmal Priester, Clown und Sänger der Erfolgsband Wanda. Und ja, er tut ein bisserl schamanisch.

Damals, in Klagenfurt, als ich in Villach wohnen mußte, weil wegen der Messe alles ausgebucht war, auf einem Wiesengelände neben dem Stadion, ein elendslanger Busweg vom Zentrum, und ein Pärchen, Kärntner und Italienerin (Achtung: AMORE!), was wohl u. a. der nahen Staatsgrenze zum gelobten Land geschuldet ist, das Pärchen, mich wegen meiner Einsamkeit ein wenig adoptierend für die geschätzten eineinhalb Konzertstunden, es gab Bier aus AMORE-Bechern, aber keine Gepäckkontrolle – NIENTE! Weshalb mein Schweizerjausenwurschtmesser auch wirklich wurscht war im Rucksack, es gab dafür aber Nieselregen und gratis Kronenzeitungs-(oder doch Ö3?)Pelerinen, ja, der Rock‘n‘Roll mußte schon viel aushalten und jede/r/s kann nun für sich selber entscheiden, wie das nun gemeint ist.

Meine wandakritische Mutter, die Herrn Marco despektierlich immer einen am Asphalt herumtanzenden Ringelwurm nannte, meinte im Vorfeld, daß etwas Regen einem echten Ringelwurmfan nichts ausmache! Ja, er war es, der Herr der Würmer.

Da war eine Vorband, die, wäre ich jetzt gemein, als Tocotronic-Epigonen vor Jahren durchgegangen wären, und, da ich jetzt nicht gemein bin, heutzutage durchaus als Tocotronic-Epigonen durchgegangen wären. Und dann kam, weil es ja doch Saisonende war und die Leute bei Laune gehalten werden mußten, gleich als Erstes BOLOGNA! Ein Kracher. Und mein Begleitpärchen, Er in der städtischen Verwaltung, Sie in einem technischen Büro, umklammerten sich und schrien sich die Seele aus dem Leibe. So wie ich mich umklammerte und mir die Seele aus dem Leibe schrie. Denn das waren wir uns, waren wir einander, waren wir Wanda schuldig, denn das hatten wir uns auch vorher schon gegenseitig versprochen: Daß wir uns die Seele aus dem Leibe schreien würden. Olle, olle miteinanda sing‘ ma heite fia de Wanda.

Daß mich kurz vor dem Konzert eine kurz hinter mir stehende, nennen wir sie neutral junge Dame, anpöbelte, ich solle mich bitte schleichen, weil ich ihr die Sicht verstellen würde, tat dem ganzen keinen Abbruch. Als ich meinte, ich (1,86 m) könne mich wegen ihr (ca. 1,66 m) nicht kleiner machen, ließ sie in ausgereiftem Kärntner Slang ein „ich sei ein festes Oaschloch“ auf mich los. Als sie sich dann an mir vorbeidrängte und mir weitere menschenzerstörende Blicke zuwarf, mußte ich ihr unbedingt als Frotzelei einen Kußmund schicken und – ganz im Zeichen von AMORE – ein Herzerl mit den Fingern bedeuten. Sie zischte mit zusammengekniffenen Augen nur zurück, ich solle sie gefälligst in Ruhe lassen usw. Mein Kärntner Adoptivbekannter meinte dazu nur, daß das aber gar nicht AMORE sei.

Womit wir wieder beim Problem von vorhin gelandet sind – Bands können sich ihre (zum Teil abartigen und widerwärtigen Fans) keineswegs aussuchen, weil sie von ihnen kommerziell abhängig sind. Und ein Gutteil dieser Leute, eine regelrechte Meute, versteht weder die Inhalte noch die Ursprünge der Musik, die sie gerade in beliebiger Manier nachgrölen. Gut möglich, daß, als S. E. M. M. Wanda zwischen zwei Songs meinte, es sei gut, Menschen wie uns zu sehen, in Zeiten wie diesen, die derart beschissen sind, einige viele am Schotterplatz nicht daran gedacht haben könnten, was Seine Geiligkeit uns damit sagen wollte, oh Herr. Gut möglich, daß sie kurz darauf zum Konzert eines Barden mit Sonnenbrillenpomade, kurzen Sängerknabenhosen (nein, nicht Angus Young) und einer Steißbein-(Bühnen-)Haltung gepilgert waren, um dessen Gedankenwelt zu bejubeln. Anything goes, in jede (Geschmacks-)Richtung.

Spätestens nach diesen Momenten muß einem klar sein, daß Wanda mittlerweile voll im Mainstream gelandet sind. Die Konzertbesucher sind „Normalos“, der Programmablauf ist vorhersehbar, wenn da nicht das explosive Charisma des Säulenheiligen der heimischen Musikunterwelt und die Unverwechselbarkeit, diese signifikante Genialität seiner Musik und seiner Texte wäre, die die meisten dort eh sicher nicht nicht verstanden haben, das unterstelle ich hiermit, dann wäre es ein Konzert gewesen, wie man es halt dann und wann irgendwo besucht.
Plus einer gewissen Wehmut meinerseits, weil etwa folgende Lieder von „Bussi“ beim Konzert nicht gebracht werden: „Nimm sie, wenn du glaubst, dass du‘s brauchst … besser so, also dass sie sich verrennt … … und weil ich in Bologna bin, hat ein neues Spielzeug seinen Reiz und alles and‘re keinen Sinn“ sowie „Andi und die spanischen Frauen“ - „du red’st, du red’st von spanischen Frauen, ja würd’st dich einmal nach Spanien trauen, … aber ich leb so viel wie du in einem Jahr an einem Tag … Andi, du brauchst an Schmäh …“.

Ersteres brachte Wanda in Nähe eines Anklanges eines unbestimmten Verdachtes der Frauenfeindlichkeit, was aber von Seiner Weisheit Marco Wanda umgehendst, erfolgreichst und schärfstens dementiert wurde, also kann da keine Spur von Frauenfeindlichkeit vorhanden sein, so der kritische und unabhängige und objektive und renommierte und anerkannte Wanda-Experte Prof. Michael M. Fitzthum einmal in einem Interview zur Causa. Allora. Nulla - Diesmal gab’s jedenfalls keine Chance, etwas von diesen Lilien der heimischen Sangeskunst zu hören.

Ganz zu schweigen von meinen Lieblingshits: „Bleib wo du warst!“ („Ich sauf keinen Schnaps, ich sauf einen Pistolenlauf, Babe, komm nicht zu spät nach Haus!“) und meinem absoluten Favourite „Sterne“: „Wo du auch warst, komm wieder heim, lass uns zu zweit unglücklich sein … … Da sind Sterne … Es brennt ein Licht in weiter Ferne … Da sind Stääärne … Stääärne … Stääärnnnäää-häää da sind Stärnäää!! Stärnäää! Dadudadududaaaa …“, die leider auch nicht gebracht wurden. In Letzterem wird der sogenannte Wanda-Vokal eeäää wieder aufs Allerschärfste strapaziert!

ALARM!! Das ist WANDALISMUS! Assolutamente. Ja, Wanda haben’s auch mit dem Mythos der Strizzis, der mafiösen Machos, der anarchistisch-zotigen Wilden, ich möchte gar nicht sagen, Bösen. Schnaps, Pistolen, Sex und ein bißchen italienisches Liebesgefühl, das ist das Rezept, mit dem Oberstrizzi Marco Arcangelo Michele Marchese di San Wanda unsere Seelen knackt. Unwiderruflich! Mit Texten besser als aus dem Bilderbuch! Wanda jonglieren mit Klischees und sind dabei selbst das allergrößte Klischee. Der akademisch gelernte Sprachkünstler ist da völlig unrasiert pointiert am Werk. Ja, man hat das Gefühl, dieser Mann trieft nur so vor Schweiß und Testosteron und Lebensinhalt, wenn er das, was er hoffentlich so meint, wie er es singt, ins Mikro hineinplärrt und röhrt, daß einem Hören und Segen vergehen.

Seine Mitstreiter, die meist etwas im (Bühnen-)Hintergrund stehen, verstehen das. „Laß den Thomas los, weil er versteht’s.“ Wenn er dezibelstark wie ein Jumbojet nach vorne plärrt: „Auseinander geh’n tut weh.“ Und uns damit allen aus der Seele brüllt. (Ich brauchte Ohropax plus Gehörkapseln.) M. M. Wanda und also die gleichnamige Band gehen bis ans (wohlkalkulierte) Limit und eine Schnapsnase weit darüber hinaus, wenn Signore Marco uns, also der Masse unter Ihm, mitteilt, daß sie, also the Gang, noch in derselben Nacht nach Dresden zum nächsten Gig weiterfahren werden. „Weiter, weiter!“ Keine Zeit zum Ausrauchen, das nenne ich Rock’n’Roll am/von der laufenden Band, da wird sich nichts geschenkt, höchstens eingeschenkt. Tourneealltag, München-Berlin-Wien, was so klingt wie der Häuserkauf beim DKT, ist hier die Roadshow am Puls der Fans, denn das Eisen will geschmiedet werden, und es wird gleich wieder eine neue CD geben, so frohlockt Er uns entgegen, denn die Herzen und also auch die Kasse wollen gefüllt werden wie die pulsierend-roten Paprikas in Sicilia. Das brennende Herz Marcos. Schnell noch eine ausgedrückt.

Und, dann, plötzlich, gibt uns Mr. AMORE; Sign. Marco Michael WANDA, wieder genau das, was wir brauchen. Er schmettert, nein, er winselt es geradewegs inbrünstigst-verklärt mit leidverzerrtem Antlitz wie das wilde Alphatier des Alpenrock mitten in die bouncende Masse hinein, er singt es zu allen und meint doch nur die Frauen: „Gib … Gib … Gib … Gib mir AMORE Babe … Bleib genau, wie du bist! Gib mir AMORE, Babe … Bleib genau, wie du bist!!“ Damit schenkt er uns allen selbstkritikgepeinigten Menschen und vor allem den medienvorbildleidgeprüften Damen der Schöpfung für ein paar Konzertmomente lang das Gefühl, zu existieren, zu sein und endlich zu genügen, sich selbst, Ihm, uns allen, dem Universum oder dem lieben Gott, eine psychologisch-psychedelische Du-bist-okay-ich bin-okay-Situation stellt sich ein, es ist alles gut, so wie es ist, da spielt eine hochsensible psychsoziale Intelligenz hinein, da ist Marco Mr. Wonder ganz Prediger, Therapeut, Seelenmasseur, Massenhypnotiseur … Er schenkt uns das neue NLP der absoluten Selbst- und Nächstenliebe.

Cazzo! Marco, sei grandissimo! Und das alles zur Ohrwurmwucht dieser Songs! Eine österreichische, sich periodisch zu Sein und Zeit mit etwas Kopf und ein bißchen Gefühl dahinventilierende Kolumnistin äußerte sich einmal zum Phänomen Wanda sinngemäß dahingehend, daß Herr Marco Michael Wanda „Satan“ sei und er sich auf paranormale Weise mit seinen Ohrwürmern Zugang zu unseren Seelen verschaffte. Ich glaube das absolute Gegenteil. S. E. Herr Marco Michael von Wanda ist ein Gesandter des Himmels, den der Heilige Stuhl bei uns eingeschleust hat. Ein verd®eckter Agent Roms gewissermaßen, der nicht nur ein Fremdenverkehrsbotschafter von Vatikan-Umgebung, sondern gleichsam ein apostolischer Konsul der absoluten und reinen göttlichen Liebe ist. Ja, wir haben es hier mit einem Erzbischof in Zivil zu tun, die abgefuckte Lederjacke und die halbangesudelten, sich auflösenden Leinenhosen sind nur eine Reminiszenz an den Immaterialismus eines Johannes des Täufers oder eines Franz von Assisi.

Da Marco Wanda nicht Gott sein kann, muß er also ein Gesandter Gottes sein. Er selbst sprach auch während des Konzertes davon, daß er so froh sei, daß der Pfarrer Wein verwende und nicht Wasser. Ein absolutes Indiz für seine göttliche Mission. Und was noch dafür spricht, ist seine quasi-vatikanische Diskretion: Er und seine Jünger tau(ch)ten gleichsam aus dem Nichts auf, und während man von irgendwelchen Semipromis sogar die Marke des Frühstücksaufstriches in der Gratiszeitung oder im Netz liest oder auf Wichtipedia jeden erdenklichen Quargel herausgoogeln kann, stößt man bei Wanda auf ein Vakuum – NIENTE!

Marco Michael Wanda wurde nicht geboren, er hat also keinen Anfang und kein Ende, er hat keine Freundin, er fährt nicht auf Urlaub, er lebt keine wilden Exzesse (Kurt Cobain oder Marcos erklärte Vorbilder Jim Morrison und Falco lassen grüßen, obwohl unser Geiland in Klagen-Furt am Ende selbst zur Fender greift und die Anfangsakkorde von „Smells like Teen Spirit“ auf uns nach Rock-Erlösung hungernde Seelen herniederprasseln läßt. Ist er’s oder ist er’s nicht? Die Reinkarnation des Kurt D. C. als die austriakische Fleischwerdung des amerikanischen Grungegenies? Hier tippe ich eindeutig auf NIENTE!, denn Seine Lässigkeit K. Cobain himself sträubte sich tatsächlich in jeder Faser gegen den Mainstream und demolierte als Unterpfand dessen auch fast jedesmal erfolgreichst die Bühne samt Kameras und am Ende sich selbst. Also eindeutig: Nulla! und er ist, obwohl er ja nie geboren wurde, definitiv schon älter als 27, also auch kein potentielles Mitglied des Club 27 mehr.
Da Marco Michele di Vanda daher auch nicht mehr wirklich menschlicher Natur ist und seine Bandmitglieder ebenso wenig, könnte also doch wieder eine (zumindest halb-)göttliche Provenienz in Betracht gezogen werden.
Zweifel daran? NIENTE! Tanti auguri è grazie per tutto, BUSSI, WANDA!!!

P.S.: Am Tag nach dem Konzert fuhr ich – wohin sonst – nach Italien. Altösterreich. Trieste. Auch eine Premiere. È la testa piena di Wanda.

Ad personam: Serenissimo Elmar Mayer-Baldasseroni, dessen Roman „Die Hinrichtung“ als FM4-„Buch des Jahres“ tituliert wurde und der dann und wann das Land, urbi et orbi und also v. a. sich selbst mit seinen Texten segnet, befand sich im Frühling 2019 auf Einladung der österreichischen Gesellschaft für Literatur in der kontemplativen, vorösterlichen Stille des Latiums, um am Landsitz der Familie Colonna u.a. über die Lautstärke von Marco „Che“ Gue Wanda, dem bärtigen Rebellen der musikalischen Ontologie der Nichtigkeit allen Seins jen- und diesseits der Alpen sowie dessen Zugang zu Eros, Thanatos und Pathos eremitisch-meditativ zu kontemplieren.

Elmar Mayer-Baldasseroni
https://elmarmayerbaldasseroni.wordpress.com/

www.verdichtet.at | Kategorie: about | Inventarnummer: 19099

(Auf Wunsch des Autors wurde bei diesem Text auf manche Lektoratskorrektur verzichtet und der Text großteils im Original belassen.)

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