Archiv des Autors: Redaktion verdichtet.at

Sesselgedichte: Josef Frank: Sessel für „Haus & Garten“, 1925

Franks Sessel, völlig unverziert,
sieht aus, als ob er meditiert.
Selbst einen Namen trägt er nicht,
das störte nur sein Gleichgewicht.

Er trägt nur Menschen, keine Namen,
doch können wir den Namen ahnen,
und so nannte ihn ein Kind:
„Bambusrohr im Wind“.

Grafik: Jannis Edelsbacher

Grafik: Jannis Edelsbacher

Bernd Remsing
http://fm4.orf.at/stories/1704846/

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www.verdichtet.at | Kategorie: möbliert | Inventarnummer: 24097

Sesselgedichte: Adolf Loos: Hotelsessel, um 1924

Ein Sessel ist ja ein Gestell
und man wirft, grad im Hotel,
Hose, Hemd und Überkleider
auf ihn drauf – sie knittern leider.

Loos hat das genau erfasst:
„Modern ist, was dem Menschen passt.
Und will er keine Schränke mehr,
müssen Kleider-Sessel her!“

Doch keinen der Hotelbetreiber
kümmerten die Knitterkleider.
Und so steh’n bis heute dumm
ihre Schränke leer herum.

Grafik: Jannis Edelsbacher

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Bernd Remsing
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www.verdichtet.at | Kategorie: möbliert | Inventarnummer: 24096

Sesselgedichte: Dagobert Peche: Sessel mit überhöhter Rückenlehne, 1912/14

De Stijl strebte in Niederland
die Welt abstrakt zu setzen.
Bauhaus dann am Stadtesrand
traut Stahl noch und Gesetzen.

Nur Wien gab sich ganz dekorativ
und mit betonter Freche
errichtete dies Goldmassiv
Dagobert Peche.

Grafik: Jannis Edelsbacher

Grafik: Jannis Edelsbacher

Bernd Remsing
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www.verdichtet.at | Kategorie: möbliert | Inventarnummer: 24095

Sesselgedichte: Cottillion

Ob Ballsaal oder Kursalon,
man wartet auf des Cottilion
vergoldetem Gedrechsel
bis zum Partnerwechsel.

Dann jagt den Kaiser man davon –
der Cottillion behält Facon:
Jetzt trägt er eben zeitgemäß
unbetiteltes Gesäß.

Grafik: Jannis Edelsbacher

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Bernd Remsing
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www.verdichtet.at | Kategorie: möbliert | Inventarnummer: 24094

Sesselgedichte: Adolf Loos: Dreibeinhocker, um 1900

So saßen die Kulturtitanen,
Altägypter, eure Ahnen:
Dreibeinig wider die Natur
war’n wir Zeichen der Kultur.

Als dann die schlechten Zeiten kamen,
die Dreibeinhocker ganz verkamen,
Melkschemel bloß,
rettete uns Adolf Loos!

Grafik: Jannis Edelsbacher

Grafik: Jannis Edelsbacher

Bernd Remsing
http://fm4.orf.at/stories/1704846/

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www.verdichtet.at | Kategorie: möbliert | Inventarnummer: 24093

mare di notte

mare di notte im april wie schnee
in deiner stimme
wenn du mir erzählst
wasser gekrustet an kleidern
deren stoff zu dünn: bergfeld rotgeworfen
sonne späte strahlen

habe das meer im ohr
wenn du sprichst:
wir beide im schieferhaus
in dunstigem morgen

tausalz der bäume
an unseren händen:
tannenzapfengeruch und geistermuränen
diese tage

Lorena Pircher

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 24091

salz, schorf

stirn an tannenschulter und
verlassen ich: als dein gesicht vor mir schwebend:
ein tropfen blut in milch / du entfernt
von mir: ich erkenne
deinen namen nicht mehr: lebe vom klang
der du geworden und
mit trennung bemäntelt
deine zähne als du
und ich: hier geblieben verweilt um zu leben

vom regen der den sommer aufweckt
vom moos das borke ansetzt
auf meinem sein:
salz / schorf / rohe haut
male unser wiedersehen auf meine hand:
zwei regenwürmer mit fünf lehmroten
klumpenden herzen

habe deinen namen vergessen 
lebe vom klang
der du geworden bist

Lorena Pircher

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 24092

max, der Bauherr – Auf Rosen gebettet

Aus der Wiener Häuslbauer-Serie

max, der Bauherr, hatte wieder einmal kein Geld. Das war an sich der Normalzustand, denn gegen Ende der Rohbauphase geht allen Häuslbauern das Geld aus und der langjährige finanzielle Seiltanz ohne Netz beginnt. Tatsächlich hatte sich max bereits dermaßen an das geldlose Leben gewöhnt, dass ihm komisch zumute war, wenn er einmal mehr als einen Hunderter in der Tasche hatte. Aber diesmal war es ernst, denn übermorgen war Hochzeitstag und da wollte seine Elli ein bisschen verwöhnt werden – ein verständlicher Wunsch, wenn jeder Euro sofort in Zement, Dachziegel, Baustahlgitter etc. investiert wurde. Es soll schließlich auch ein Leben vor dem Tod geben, mit ein wenig Luxus wie Tanzen gehen, Theater, Restaurants, schöne Sachen zum Anziehen und so. Aber woher nehmen? max hatte gerade den Dachdecker ausbezahlt und das bedeutete monatelange finanzielle Dürre, bis wieder ein paar Euro nachwuchsen.

Anfangs war es ja noch lustig gewesen, seine Leute dergestalt zum Essen auszuführen, dass ein Baustoffhändler oder Möbelhaus beim Sommerabverkauf ein halbes Grillhendl mit einem Krügel Bier um fünf Euro feilbot. Einmal hatte der Computerlieferant von maxens Arbeitgeber eine Produktpräsentation mit spanischem Ambiente veranstaltet und so kam Elli in den Genuss einer Paella mit Flamenco-Tanzdarbietung, ein anderes Mal bekam max eine Einladung zu einer „Together-Party“ vor einer beruflichen Fachmesse und schwindelte seine Gattin mit dem Namensschild einer Kollegin in das Nobelhotel ein, was einen lustigen und luxuriösen Abend ergab. Mit der Zeit bekam max eine phänomenale Spürnase für alles, wo es in schönem Rahmen etwas Feines zu schnabulieren gab – Hausmessen großer Firmen, Jubiläumsfeiern, Vernissagen und so weiter. Aber das alles verflacht irgendwann einmal, ewig kann man sich nicht durchschwindeln.

Und dieses Mal war totale Ebbe; max hockte abends auf seiner Rohbau-Schwelle und seufzte vernehmlich. Sein Schräg-vis-à-vis-Nachbar Karl kam mit dem Hund vorbei und setzte sich verständnisvoll schweigend dazu. Er war mit seinem Haus schon fast fertig, weil er einen wohlhabenden Schwiegervater hatte. Und zwischen den paar Häuslbauern in der Umgebung war eine unglaublich gute Gemeinschaft entstanden, die weit über das Nachbarliche hinausging. Man kannte und vertraute einander, besprach seine Sorgen, half sich gegenseitig aus und hatte dieselben Interessen, unabhängig von Alter, Beruf und sozialem Status. „Thema eins oder zwei?“, fragte Karl mitfühlend (Thema eins war das Geld, Thema zwei waren die Frauen). „Kombiniert“, war die leise Antwort von max, „wir haben übermorgen Hochzeitstag.“ Der Nachbar pfiff leise durch die Zähne und dachte dann laut: „Übermorgen ist Sonntag, und du bist pleite, stimmt’s?“ max drehte in einer hilflosen Geste die Handflächen nach oben: „Wird auch vorbeigehen, mir wird schon was einfallen“, sagte er wenig überzeugend, „reden wir von was anderem, was macht ihr morgen?“ „Ich fange morgen mit dem Garten vor dem Haus an, um sieben Uhr früh kommt die Erde, und um acht der Gärtner, aber Helfer hab ich wieder keinen, weil mir der versoffene Kerl abgesagt hat“, ärgerte sich der Nachbar, „ich weiß noch nicht, wo ich da schnell wen bekommen kann!“

Aber dann hellte sich sein Gesicht auf und er sah max erwartungsvoll an: „Kannst du mir nicht helfen? Hättest du Zeit?“ max zuckte gleichmütig die Achseln: „Die Baustelle aufräumen wollte ich, das kostet nichts. Aber das kann ich immer noch. Ja, komm ich halt um achte zu dir.“ Der Nachbar strahlte: „Da ist mir viel geholfen. Aber ich möchte dir was geben dafür, der Hausarbeiter von meiner Firma hätte mich auch 15 Euro pro Stunde gekostet, ich will mich ja nicht bereichern!“ „Kommt nicht in Frage, Karl, wir haben uns immer umsonst ausgeholfen“, lehnte max kategorisch ab. Aber der Nachbar ließ nicht locker: „Schau, wenn ich es zusammenrechne, hast du mir schon öfter geholfen als ich dir. Und außerdem, den ausgeborgten Zement für meine Außenstiege bin ich dir auch noch schuldig, den muss ich aber zahlen, weil ich kaufe ja keinen mehr, das sind zusammen zwei Hunderter, in Ordnung? Kannst gleich deiner Elli eine Freude machen, ja? Beim Häuslbauen sind unsere Frauen eh selten auf Rosen gebettet!“ Er hielt max die Hand hin und dieser schlug erleichtert ein: „Also gut, wegen der Elli, ausnahmsweise!“

Max pfiff den ganzen Samstag vergnügt vor sich hin, der Hochzeitstag war gerettet. Abends besorgte er zwei Theaterkarten und bestellte für nachher einen Tisch im bewährten Restaurant. Aber irgendein „Highlight“ sollte es noch geben, etwas Extravagantes, Überraschendes. „Nicht auf Rosen gebettet“, hatte Karl, der Nachbar, gesagt. Es war Mitte Juni, überall blühten Rosen. Und Elli liebte Rosen, besonders die stark duftenden, wie sie die Schwester vom Karl am Zaun vom Nachbargrundstück stehen hatte, einen Riesenstrauch voll erblühter Rosen. max sprach mit Karl, dieser mit seiner Schwester, und alles war paletti.

Nach dem sonntäglichen Mittagessen fuhr max unter einem Vorwand zur freundlichen Nachbarin und pflückte büschelweise die lose überquellenden Rosenblätter in eine mitgebrachte große Keksdose. Als er diese aber im Auto noch einmal öffnete, um daran zu schnuppern kletterten einige kleine schwarze Käfer heraus! Max erschrak – das hätte noch gefehlt. Er gedachte nämlich Ellis Bettseite vor dem Theaterbesuch heimlich mit den Rosenblättern zu bestreuen, sie einmal im Leben echt auf Rosen zu betten, und wenn da die Käfer herumgekrabbelt wären – entsetzlich. Also leerte er die Dose auf den Nebensitz und füllte nun die Blüten kontrolliert wieder zurück, dabei die ehemaligen Bewohner von den Blättern pustend. Dann den Deckel zu und nach Hause.

Es ging alles gut, er konnte ungesehen sein Vorhaben ausführen. Sie genossen die Boulevardkomödie und anschließend ein lecker-leichtes Abendessen – Elli war selig. Und als sie vor dem Duschen ihr Nachthemd holen wollte, versprach max, es nachzubringen. Als die Angetraute nach der Wäsche rief, kam max ohne diese ins Bad und sagte mit dem gewissen Lächeln: „Wer braucht denn ein Nachthemd?“ Dann hob er – seine Kreuzschmerzen nicht achtend – sein nacktes Weib hoch und trug mit der Bemerkung: „Ich hab dir ja versprochen, dich auf Händen zu tragen“ die nunmehr großäugig Erwartungsvolle ins Schlafzimmer:

Der ganze Raum war erfüllt vom berauschenden Duft der überall verstreuten Rosenblätter. Elli kriegte fast einen Herzinfarkt vor Freude und schrie ekstatisch auf: „Jö, das gibt’s ja nicht, ach max, das hab ich mir immer schon gewünscht!“ Nun konnte max seine Last nicht mehr halten und ließ die hüllenlose Angetraute auf die Rosen gleiten. Aber der Effekt war unerwartet: Ellis erschrockenem Mund entfuhr ein eiskalter Aufschrei „Huhhuhuhuuu“ und sie sprang gänsehäutig wieder auf. Entschuldigend und verschämt erklärte sie dann: „Weißt, es war auf einmal so kalt auf der Haut nach der warmen Dusche, aber du hast mir so auch eine Riesenfreude gemacht. Das war der schönste Hochzeitstag seit Jahren! Und die Rosen heb ich in einem Glasl auf solang ich leb!“

Am nächsten Morgen, als Elli ins Auto stieg, krochen einige kleine schwarze Käfer über ihren Rock. Erschrocken und zornig hüpfte sie wieder heraus, kehrte die Krabbeltiere von Kleidung und Sitz und keifte max gehörig an: „Wo hast denn das Viechzeug her, direkt genier’n müssert man sich, wenn da wer mitfahrt!“ Und sie konnte nicht verstehen, warum max brüllend lachte, bis ihm die Tränen kamen – was denn daran so lustig sei?

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: fest feiern | Inventarnummer: 24090