Schlagwort-Archiv: think it over

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Ideenfee

Es plagt Palmström eine Idee
Nein, vielmehr bloß ihr Schatten
Als wär’s der Schatten einer Fee
Auf des Verstandes Matten

Wenn Palmström nur den Schatten hätt’
Würd die Idee nicht bocken
Mit List geht er deshalb zu Bett
Ideenfee zu locken

Ein neuer Antrieb ist’s vielleicht
Es wälzt sich Palmström tüchtig
Mit einer Drehzahl unerreicht
Doch die Idee bleibt flüchtig

Geschickt weicht sie ihm immer aus
Daneben gehen die Hände
Er fährt aus seinen Decken raus
Und auch aus seinem Hemde

Die Dusche hat sich stets bewährt
Er duscht, bis wir uns freuen
Doch die Idee, die er begehrt
Sie scheint das Nass zu scheuen

Privatgeschäft, ob groß, ob klein
Muss ihn doch inspirieren
Zwei Stunden später sieht er ein
Da lässt sich nichts diktieren

Mein Hirn, ruft er, beginnt zu glüh’n!
Nichts hilft mich abzulenken!
Bloß einmal nur um nichts bemüh’n!
Bloß einmal nur nichts denken!

Da fällt ihm ein, was er gewollt:
Oh Fee, wie soll ich’s danken?
Eine Idee wie  lautres Gold:
Ein Tag ohne Gedanken!

Drauf sperrt er sich ins Atelier
Und baut eine Kabine
Es ist, oh Palmström, ach herrje!
Eine Gedankensaugmaschine!

Bernd Remsing
http://fm4.orf.at/stories/1704846/

www.verdichtet.at | Kategorie: think it over | Inventarnummer: 20112

 

Südbahnweg

„Geht’s da zum Hotel Kärnten?“, fragte mich diese seltsame Frau am Südbahnweg in Krumpendorf am Wörthersee. Wieso seltsam? Der Tonfall, die Körperhaltung, eine eigenartige Person. „Mal nachdenken“, sagte ich. „Genau, hundertfünfzig Meter geradeaus, dann kommt links das Hotel Kärnten.“ „Bin ich noch richtig?“ fragte sie. „Ja, goldrichtig“, sagte ich.

Ein paar Tage später bemerkte ich, dass das Hotel Kärnten woanders liegt. Das ärgerte mich ein wenig, weil ich ungern falsche Auskünfte gebe.

Zirka zwei Wochen später sah ich diese Frau noch einmal am Südbahnweg, ich war gerade laufen. „Es ist noch nicht halb acht?“, fragte sie. Ich blieb stehen und sah auf mein Handy, 07:30 Uhr. Da bemerkte ich, dass sie eine Armbanduhr trug. Aber ich machte mir keine Gedanken.

Und noch ein paar Tage später sah ich sie wieder. Sie trug ein Einkaufssackerl, blieb vor einem Haus am Südbahnweg stehen und sperrte auf. Sie wohnt dort.

Ecke Schloßallee - Südbahnweg im nächtlichen Krumpendorf am Wörthersee

Ecke Schloßallee - Südbahnweg im nächtlichen Krumpendorf am Wörthersee

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: think it over | Inventarnummer: 20119

 

Steine

Hunderte Male hast du das Feld bestellt,
und nie ist auch nur eine Frucht gewachsen.
Aber dafür Steine.
Die Kiesel sind ihre Samen,
die groß werden und größer.
Im Herbst erntest du sie.
Du musst, denn das Feld ist voll von ihnen.
Und weil es sonst nichts gibt,
hast du gelernt, sie zu essen.

Drei Steine

Drei Steine

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: think it over | Inventarnummer: 20089

Gestirn

Ein Staubkorn
auf einer Million Kilometern
dünner als das All
ist der Ort
an dem er lebt

Er geht durch die Tage und durch die Jahre
und trifft niemanden und nichts
Niemals ist da ein Körper
der ihn anzieht
und seine Bahn ändert

Drei goldfarbene Kugeln

Drei goldfarbene Kugeln

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: think it over | Inventarnummer: 20037

Frühling

Morgen ist Frühlingsbeginn,
aber das ist jetzt egal.
Es gibt keine Jahreszeiten mehr,
keinen heißen Sommer, keinen nebelverhangenen Herbst,
keinen weißen Winter und erst recht keinen aufblühenden Frühling.
Es gibt nur noch das Virus, das die Seuche macht,
die Ausgangssperre, der zukünftige Mangel.
Was, bitte, soll man da mit Frühling?

Sterne im 1. Stock, und die Rettung fährt mit Blaulicht vorbei

Sterne im 1. Stock, und die Rettung fährt mit Blaulicht vorbei

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: think it over | Inventarnummer: 20036

Unordnung

In meinem Kopf herrscht Unordnung. Die Gedanken entwickeln sich und schießen in verschiedene Richtungen. Manche brechen ab, dann ist es, als ob eine Feuerwerksrakete zu Boden plumpst – pubb. Andere entwickeln sich weiter, verzweigen sich oft, diese teilen sich wieder auf, wie ein Baum mit Ästen und Zweigen, viele Bäume mit noch mehr Ästen und sehr vielen Zweigen. Ich kann die meisten Gedanken nicht festhalten, sie prallen an die Innenseite meines Schädels und pupp, fallen zu Boden. Explodieren meine Gedanken, ist es ein farbenprächtiges Spektakel, wäre mein sichtbares Spektrum weiter, würde ich noch viele Farben mehr sehen. Puff, puff, puff in den Farben des Regenbogens und in vielen tausend Schattierungen dazwischen. Es ist eine schöne Unordnung. Nur wenn ich traurig bin, gleicht der Himmel in meinem Kopf dem einer Nacht. Und wenn ich träume, sehe ich die Farben vertauscht. Dann ist meine Liebe grün, und meine Hoffnung ist rot.

Lichterwand bevölkert

Lichterwand bevölkert

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: think it over | Inventarnummer: 19144

Herbstkind

Im wunderschönen Herbst
bin ich geboren
fühlte mich in dieser Zeit
niemals verloren

Diese Farben
Nuancen von Gelb und Rot, satt
Den Waldweg säumt jetzt
Blatt um Blatt

Es raschelt, riecht erdig
um mich herum
spüre Melancholie, ganz zart
macht mich stumm

Windstille
nur Mückenschwärme sind zu hören
Spinnwebenfäden
verfangen sich im Haar, sie stören

Wärmende Sonne
auf meinem Gesicht
vorm Haus die Linde
die zu mir spricht

Sanft reckt sie
ihre Zweige empor
Erinnerungen erscheinen
vom Jahr davor

Sehe ihn, den Ahornbaum
vorm Krankenzimmer
in unseren Gesichtern
schwindende Hoffnungsschimmer

Gefühle kommen hoch
etwas verschwommen
diese Zeit macht mich
nun so benommen

Pferdegewieher, Hundegebell
reißen mich aus den Träumen
zarte Windspiele ertönen
die den Holzbalken säumen

Vermisse dich so sehr
spüre den Schmerz
ein Herbstkind war ich
mit Leib und Herz

Ein Jahr zog ins Land
das Vergängliche ist gekommen,
Herbst! Wieso hast du mir
den Vater genommen?

Manuela Murauer
waldgefluesteronline.com

www.verdichtet.at | Kategorie: think it over | Inventarnummer: 19138

Ihr wundersamen Wunder

Ihr wundersamen Wunder,
seid euch dessen gewiss,
dass nicht oft etwas Scheinendes wahr ist.

Blaue Sonne, rote Stunde.
Habt denn nicht gehört ihr,
was in aller Munde?

Dass im Märchenland es gebrannt,
lichterloh,
die ganze Nacht.
Bis alles gelegen in Schutt und Asche.

Wo wart ihr da?
Habt ihr euch versteckt?
Oder ging eure Reise
tausend Lichtjahre weit weg?

Hochhaus im Bau in Wien, nachts, mit falschen Farben

Hochhaus im Bau in Wien, nachts, mit falschen Farben

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: think it over | Inventarnummer: 19103

 

Freeze

Plötzlich machte die Sonne schlapp. Sie stürzte auf die Erde und schlug in ihr ein. Ihre Aktivität ließ sehr stark nach. Nach einer Woche war sie ausgebrannt. Sie lag wie in Ball in einem Krater von sechs Metern Durchmesser, ihrer ursprünglichen Größe – am Himmel hatte sie ja kleiner ausgesehen.

Die Menschen behalfen sich mit künstlichem Licht, was aber natürlich unzureichend war, die Erde war zu einem dunklen Planeten geworden.

Das weit größere Problem jedoch war das Heizen, es war nun astronomisch kalt, neue Heizkörper wurden aufgestellt und mit allen verfügbaren Brennstoffen befeuert. Doch die erzeugte Wärme war ungenügend.

Die Population sank rapide, die weniger gewordenen Menschen hatten nun wohl mehr Heizkörper zur Verfügung, aber auch das verzögerte das Sterben nur. Weniger als ein Jahr nach dem Einschlag der Sonne war der letzte Mensch nicht mehr am Leben.

Wer bin ich, der das hier schrieb? Ich bin ein Roboter und Chronist.

Der Sonnenuntergang an der Alten Donau

Der Sonnenuntergang an der Alten Donau

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: think it over | Inventarnummer: 19077