Schlagwort-Archiv: Von Mücke zu Elefant

Berliner Löwin vs. Berliner Bär

 gewidmet jenem im Juli 2023 in Berlin gesichteten, unbekannten Tier

Zornig fragt mich der Berliner Bär:
„Löwe, wo kommst du denn her?
Hier ist nur Platz für einen Star –
also bitte mach dich rar.“

„Gevatter Bär“, erwidre ich
„demokratisch ist das nich’.
Außerdem sorg ich für Quoten
von Mumbai bis zu den Lofoten.

Die ganze Welt spricht über mich
ich weiß, das kränkt dich fürchterlich.
Deshalb erzählst du ganz gemein,
ich sei nur ein wildes Schwein.

Doch bevor du wirst verrückt,
kehr ich zu deiner Frage zurück.
Woher ich komm in ganzer Pracht?
Ich wurde einfach – ausgedacht.“

Bernd Watzka
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www.verdichtet.at | Kategorie: Von Mücke zu Elefant | Inventarnummer: 24191

Schmetterling

Ich jage das Glück schon mein ganzes Leben,
manchmal war ich ihm nah,
doch erreicht habe ich es nie.

Und nach 37 Jahren und 229 Tagen sitze ich tatenlos da,
ich denke an nichts, an überhaupt nichts,
und plötzlich setzt sich das Glück ganz sanft auf meinen linken Handrücken.

Der kleine weiß-braun-schwarze Schmetterling nimmt Kontakt zur kleinen weiß-braunen Schnecke im Juli 2021 auf

Der kleine weiß-braun-schwarze Schmetterling nimmt Kontakt zur kleinen weiß-braunen Schnecke im Juli 2021 auf

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: Von Mücke zu Elefant | Inventarnummer: 25028

Tiger

Erstaunlich, wie schnell manchmal alles geht. Erst vorgestern habe ich auf die Anzeige „Villenhaushalt sucht Kindermädchen, Erfahrung erwünscht, zwei bis drei Abende pro Woche, tierlieb, gute Bezahlung“ reagiert, und schon lausche ich den Anweisungen der Inserenten, Herrn und Frau Panthera, die im Begriff sind, auszugehen. Etwas überheblich sind die beiden, zwar freundlich, aber reserviert. Die Achtjährige, auf die ich aufzupassen habe, hat diese Haltung übernommen, hat mir vorhin kühl die Hand gereicht, mir prüfend in die Augen gesehen und ernst gelächelt. Sie hat sich brav von ihren Eltern verabschiedet und ist in ihrem Zimmer verschwunden.

„Sie brauchen das Abendessen für Desiree nur aufzuwärmen. Auch für Sie ist reichlich da“, sagt Herr Panthera. Er verstaut bedächtig sein Smartphone und sein Portemonnaie in den Innentaschen seines Sakkos. „Bitte kein Fernsehen. Es gibt genügend interessante Spiele und Bücher.“
„Desiree wird Ihnen alles zeigen. Um neun Uhr wird sie schlafen gehen. Unsere Tochter ist sehr selbstständig“, sagt Frau Panthera. Sie zieht sich eine gestreifte Jacke an, betrachtet sich im goldumrahmten Vorraumspiegel.
„Eines jedoch“, räuspert sich Herr Panthera, schon einen Schlüsselbund in der Hand. „Eines jedoch bitten wir Sie, ohne Wenn und Aber und ohne es zu hinterfragen, zu respektieren. Uns ist vor einigen Wochen eine Katze zugelaufen. Desiree jedoch sieht in dem Tier einen Tiger. Spielen Sie einfach mit, auch wenn Ihnen das lächerlich erscheinen mag. Tun Sie so, als ob es tatsächlich ein Tiger wäre, dann wird dieser Abend für Sie problemlos verlaufen.“

Gegen Mitternacht würden sie zurück sein, sagen sie noch, wünschen mir einen angenehmen Abend, und dann beobachte ich auch schon erleichtert durch das Fenster, wie die beiden durch den gepflegten Vorgarten schreiten, in ihren grauen Jaguar steigen und wegfahren. Tief ausatmend finde ich, dass ich mir nun wirklich ein Getränk verdient habe, entdecke auch sogleich die unfassbar reichhaltige Hausbar im Wohnzimmer. Ich genehmige mir ein Glas Wodka.
Desiree kommt aus ihrem Zimmer, geht, ohne mich anzusehen, an mir vorbei in die Küche, und mit einem großen, rohen Fleischstück in ihren Händen wieder zurück.
Ich muss lachen. „Das ist wohl für dein Tigerkätzchen“, sage ich.
Das Mädchen antwortet nicht, würdigt mich keines Blickes, verschwindet wieder in ihrem Zimmer.

„Verzogener Fratz“, sage ich leise und amüsiert, mache es mir auf dem weißen, weichen Sofa bequem, schalte den riesigen Fernseher ein.
Nach einer Weile sitzt Desiree plötzlich neben mir.
„Na, schläft dein Tiger nun nach der Fütterung?“, frage ich.
Sie nickt.
„Darf ich deine Raubkatze mal sehen?“
Sie steht auf, öffnet eine Schublade, nimmt ein Foto heraus und reicht es mir. Darauf thront sie, Desiree, strahlend, lächelnd, auf dem weißen Sofa, auf dem ich soeben sitze – ihre rechte Hand ruht liebevoll auf dem riesigen Kopf eines entspannt zu ihren Füßen liegenden, ausgewachsenen Tigers.
„Sehr gut gemachte Fotomontage“, lobe ich.

In diesem Moment höre ich aus Desirees Zimmer lautes, bedrohliches Fauchen. Ich zucke zusammen.
„Tiger träumt nur“, sagt Desiree. „Du brauchst keine Angst zu haben.“
„Ich fürchte mich nicht vor CDs mit Tiergeräuschen“, sage ich und spüre Ärger in mir hochsteigen. „Genug jetzt!“ Gereizt knalle ich das Foto auf den Couchtisch. „Ich habe Hunger. Komm, du Tigermädchen, essen wir etwas.“
Wir schweigen beide, während ich das bereitgestellte Gulasch aufwärme, Brot aufschneide und Desiree den Tisch deckt. Das Essen schmeckt gut. Ich trinke teuren Rotwein, betrachte das stille, schmale Mädchen mir gegenüber.
„Ist das nicht Tierquälerei, einen Tiger im Haus zu halten?“, frage ich provozierend.
Desiree nimmt einen Schluck Wasser, zupft an ihren langen, blonden Zöpfen, schaut an mir vorbei aus dem Fenster.

Als ich keine Antwort mehr erwarte und schon eine scharfe Frage nachschießen will, sagt sie laut und deutlich:
„Erstens: Das ist kein gewöhnlicher Tiger. Zweitens: Ich halte ihn nicht gefangen, er kann gehen, wann immer er will. Fast jede Nacht ist er draußen im Wald hinter unserem Haus und kommt am Morgen wieder. Er ruht sich bei mir aus. Denn drittens: Er ist sehr  gerne bei mir.“
Wut steigt in mir auf. Wie kann ein kleines Kind derartig arrogant und verlogen sein, frage ich mich. Ich trinke den Wein aus, stehe auf, wende Desiree den Rücken zu, spüle den Teller ab und sage:
„Na, du hast ja eine blühende Fantasie. Aber mich interessiert deine ausgedachte Geschichte überhaupt nicht. Hör also bitte auf mit diesen dummen Lügen!“

Ich drehe mich zu Desiree, die jedoch lautlos verschwunden ist.
„Verrücktes Kind!“, schimpfe ich in die leere Küche, schenke mir nochmals großzügig Wein ein, stapfe damit ins Wohnzimmer.
„Eines jedoch …“, äffe ich die Ansprache ihres Vaters nach. „Eines jedoch bitten wir Sie … Respektieren Sie … Tun Sie einfach so, als ob …“
Ich lasse mich wieder auf die weiße Couch vor den Fernseher fallen, rufe laut:
„Ganz sicher nicht, Familie Größenwahn, nicht mit mir!“, und verschütte beim Hinstellen des Glases ein wenig Wein auf das Foto mit Desiree und dem Tiger. Ich zerknülle es und stopfe es in meine Hosentasche.

Aus dem Kinderzimmer dringen gedämpft Geräusche. Ich drehe den Fernseher lauter. Doch Desirees Lachen und eine Art freudiges Winseln lassen sich nicht übertönen. Ich trinke mein Glas aus, stehe auf, lege mein Ohr an die Tür. Es hört sich an, als würden nun in dem Zimmer Möbel geschoben. Wieder lacht Desiree hell auf.
Ich klopfe, und sage, bemüht, meine Stimme nett und klar klingen zu lassen:
„Desiree, es ist Schlafenszeit! Ich komme jetzt rein zum Gute-Nacht-Sagen.“
„Nein! Bitte nicht!“, ruft Desiree.
„Aber warum denn nicht?“, frage ich, so freundlich wie nur möglich, und fühle mich dabei seltsamerweise wie der böse Wolf aus einem Märchen.
Stille. Dann Desirees deutliche Stimme: „Tiger mag dich nicht.“

Ich muss gegen meinen Willen kichern, drücke die Türklinke nieder, kann aber nicht öffnen, spüre Widerstand. Ich schaue durch das Schlüsselloch. Es scheint kein Schlüssel zu stecken, offensichtlich hat Desiree ein Möbelstück vor die Tür geschoben.
‚Mit mir nicht, du Biest‘, denke ich, ‚mich sperrt niemand aus.‘ Wie mich dieses Kind mitsamt seiner Tigergeschichte aufregt, mich immer wütender macht! Um mich zu beruhigen, genehmige ich mir noch ein Gläschen Wodka von der Hausbar. Dann klopfe ich wieder an die Kinderzimmertür und sage ruhig und bestimmt:
„So, Desiree, Schluss jetzt mit dem Theater. Mach bitte die Tür auf. Ich möchte nachsehen, ob alles in Ordnung ist bei dir und deinem Tigerkätzchen.“
Keine Antwort.

Ich drücke wieder die Türklinke nieder, stemme mich mit aller Kraft gegen die Tür, schaffe es tatsächlich, das davorgestellte Möbelstück wegzuschieben. Die Tür ist offen.
„Na bitte“, sage ich zufrieden, betrete das Kinderzimmer.
Es passiert blitzschnell.
„Nicht, Tiger!“, höre ich Desiree schreien. Aus einer Ecke des Raumes springt ein grollendes, pelziges, mächtiges Etwas gegen mich, ein weißes Raubtiergebiss blitzt dicht vor meinem Gesicht auf, und schon schmettert ein wuchtiger Prankenschlag auf meinen Kopf. Dann ist alles dunkel und still.

Claudia Dvoracek-Iby

www.verdichtet.at | Kategorie: Von Mücke zu Elefant | Inventarnummer: 24185

Pinguine

Pinguine sind ja putzige Tiere. Um sie besser zu erforschen, wurden in einer Kolonie von Kaiserpinguinen mit Kameras versehene Roboter-Pinguine eingeschmuggelt. Die echten Pinguine akzeptierten sie als Artgenossen. Die Roboter-Pinguine konnten weder schwimmen noch mit den echten Pinguinen kommunizieren. Die Pinguine dachten wohl, die Roboter-Pinguine seien beschränkt, aber Kollegen waren sie trotzdem.

Das kleine Pinguinplüschtier auf dem Asphalt

Das kleine Pinguinplüschtier auf dem Asphalt

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: Von Mücke zu Elefant | Inventarnummer: 25017

Bär

Valentin geht im Wald spazieren. Er sieht ein Braunbärenjunges, das ein Stück Holz hochwirft und es fängt, oder es zu fangen versucht, da es ihm oft entgleitet. Er setzt sich vor den Bären.

Valentin: Hallo Bär, ich heiße Valentin, und wie heißt du?

Bär: Wie ich heiße? Weiß ich nicht.

Valentin: Gut, dann nenne ich dich Bär.

Bär: Klingt gut, schön kurz, das kann ich mir merken: Bär.

Valentin: Bist du alleine?

Bär: Ja, ganz alleine. Ich streife herum, meistens in der Nacht, und reiße oft Tiere, um nicht zu verhungern. Wenn ich Glück habe, finde ich einen Bienenstock.

Valentin: Das muss hart sein.

Bär: Ist es auch. Ich weiß nicht, ob es für die anderen Bären auch so ist. Ich treffe nur ganz selten einen. Weißt du, Valentin, ich komme mir irgendwie vor wie ein Neandertaler. Weil es zu wenige von ihnen gab, starben sie aus.

Valentin: Traurig muss das für dich sein, Bär.

Bär: Ja, ich versuche das Beste daraus zu machen.

Valentin: Als Neandertaler mit Fell.

Bär:  Ja genau.

 Jetzt lachen beide.

Das Haus in der Bärengasse 1 in Klagenfurt mit dem aufgemalten wütenden Braunbären

Das Haus in der Bärengasse 1 in Klagenfurt mit dem aufgemalten wütenden Braunbären

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: Von Mücke zu Elefant | Inventarnummer: 25019

Hund Joschi

Hund Joschi ist der Boss im Gasthaus. Joschi ist ein Dackel und schaut lustig aus seinen Knopfaugen. Er ist Passivraucher. Im Gasthaus wird der Trunksucht gefrönt. Immer wenn jemand das Gasthaus betritt, geht Joschi durch die erste Tür. Durch die zweite schafft er es nicht. Die Leute hier sind nett zu ihm. Joschi will wahrscheinlich nur hinaus, weil er einen Haufen machen muss.

Der zehn Jahre alte Dackel

Der zehn Jahre alte Dackel

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: Von Mücke zu Elefant | Inventarnummer: 24168

Vögel

Aha, das ist also die Erde, überlegt einer der beiden Außerirdischen nach der Landung. Schon so viel habe ich über sie gelesen, und jetzt sind wir wirklich hier, denkt der andere. Sie verstecken ihr Raumschiff unter Zweigen. Dann verwandeln sie sich in Katzen und laufen herum. im Dorf begegnen sie Menschen, die gehen. Interessant, denkt der erste Außerirdische, das sind also die berühmten Menschen. Der zweite beobachtet Vögel. „Du Knorrrxxx“, sagt er als sprechende Katze zu seinem Kollegen, „schau mal, da in der Luft, das müssen die Wesen sein, die man „Vögel“ nennt.“ „Ja, Fliiimmm“, sagt der andere Außerirdische, „sie können fliegen, sie unterhalten sich mittels Lauten, die sie formen. Keine Frage, das ist die am höchsten entwickelte Spezies auf diesem Planeten. Sollten wir mit Erdlingen verhandeln, dann mit diesen Vögeln.“

Die Blaumeise und das Vogelhaus

Die Blaumeise und das Vogelhaus

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: Von Mücke zu Elefant | Inventarnummer: 24150

Problembär

Ich bin der Problembär.
Nur weil ich manchmal Schafe fresse!
Ich brauche ja auch etwas zum Leben.
Ja, und gelegentlich mache ich auch Bienennester kaputt.
Um an den Honig zu kommen zu kommen, der mir so gut schmeckt.
Es gibt halt keinen Supermarkt, in dem ich einkaufen könnte.
Ich habe ja auch kein Geld.
Die Jäger wollen mich jetzt abschießen.
Ich hoffe, ich kann immer rechtzeitig davonlaufen.

Der Jensen-Bär auf dem Armaturenbrett

Der Jensen-Bär auf dem Armaturenbrett

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: Von Mücke zu Elefant | Inventarnummer: 24141

Amselmännchen Elmar

Ich bin ein stolzes Amselmädchen. Es hat gerade aufgehört zu regnen. Ich bin auf der Suche nach Insekten. Da sehe ich eine Kollegin in ihrem Nest sitzen. Wie eine Königin thront sie darin. Und nun, wer kommt dahergeflogen? Ist das nicht mein Elmar? Er hat Baumaterial mitgebracht. Dieser Kerl, zuhause wird er etwas erleben! Andererseits, gelber Schabel und schwarzes Gefieder. Die Burschen sehen doch alle gleich aus. Wahrscheinlich irre ich mich. Und wenn nicht?, nagt es an mir.

Das Amselmädchen am Ufer des Lendkanals am 12. Juli 2023

Das Amselmädchen am Ufer des Lendkanals am 12. Juli 2023

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: Von Mücke zu Elefant | Inventarnummer: 24122