Da hilft auch Selbstreflexion nicht

Ein Verriss von Olga Flors aktuellem feministisch sein wollenden Roman Klartraum.

„Du, sagt sie, ich bin zurückgetreten von dieser Liebe!, doch sie glaubt sich selbst schon lang nicht mehr.“ – Was sich Protagonistin P gegen Ende von Olga Flors Neuling Klartraum eingesteht, hat die Erzählerin, die mit der Hauptfigur verschmilzt, an diesem Punkt der Geschichte bereits gefühlte hundert Male sich und ihrem Publikum eingestanden. Es liegt die Vermutung nahe, dass in diesem Werk bewusst Aggression gegen ebenjene Frauenfigur geschürt wird, deren Selbstmitleid und scheinbar aufgeklärt-feministische Selbstbetrachtung sich 281 Seiten lang im Kreis drehen.

Liebe, Selbsthass, Trennung und so

Die Geschichte der ansonsten namenlosen Protagonistin P und ihres Antagonisten A ist so banal, wie es nur vorstellbar ist: Die beiden haben eine leidenschaftliche Affäre auf Kosten anderer oder eine durch Außenumstände eingeschränkte Liebesbeziehung neben ihren jeweiligen lieblos gewordenen eheartigen Beziehungen – je nach erzähltem Zeitpunkt und psychischer Verfassung der höchst beteiligten Interpretin. Beide haben Kinder, die sie als Rechtfertigung für das Verbleiben in der Ehe vorschieben, und sie sind sich zumindest oberflächlich einig, dass nicht mehr aus dieser Beziehung werden kann, die aus Zweifeln genauso besteht wie aus heftiger Verliebtheit und abgrundtiefer Leidenschaft. Der Kampf zwischen Vernunft und Gefühl wird immer weiter, immer wieder, einzeln und gemeinsam, ausgetragen – ohne zufriedenstellende Lösung. Die Protagonistin hasst sich dafür, dass sie, wie sie sich selbst eingesteht, undankbar ihrem verständnisvollen Ehepartner gegenüber ist und sich nicht willentlich von A entlieben kann, aber sie schafft immer aufs Neue die Selbstrechtfertigung durch Romantisierung. Nicht hauptsächlich der Betrug an den ‚Anderen‘ macht ihr zu schaffen, sondern ihre eigene Unterwerfung unter A in der gefühlten Hauptbeziehung, schließlich ist dieser nicht nur emotional unnahbar, sondern auch noch am Finanzmarkt tätig. Nach mehreren Krisen kommt es schließlich zum Bruch, nachdem A beschließt, dass er P nicht geben kann, was sie zu brauchen angibt: nur ein bisschen Verlässlichkeit und offene Kommunikation – Sicherheit in der Unsicherheit. Zum Trennungsmoment an einer Vierfachkreuzung wandern Ps Gedanken so wieder-holend und schleifenartig zurück, dass die hartnäckige Leserin die Verzweiflung und Ausweglosigkeit der Frauenfigur am Leseerlebnis authentisch miterleben kann.

Kitsch im Denken und Schreiben

P, die schon der (Eigen-)Bezeichnung nach symbolisch für alle Frauen in einer ähnlichen Lebenssituation stehen muss, schreibt nun Abschiedsbriefe und Abschiedsnachrichten, macht sich Abschiedsgedanken. Inhalt und Form sind nicht voneinander zu trennen, wenn P zur Feder oder in die Tasten greift und „ich“ und „sie“ und Höflichkeitsformen und Anreden des Lesepublikums aufeinanderprasseln. Episodisch und sprunghaft tröstet diese durchaus mutige und psychologisch realistische Komposition fast über die inhaltlichen Schwierigkeiten und den oft kitschigen Gedankenstil hinweg, der (immerhin passend, da P zumindest teilweise auch als Erzählerin vermutet werden kann) auch als Schreibstil die ganze Erzählung flutet – aber eben nur fast.

Es kann vermutet werden, dass die Flachheit des Erzählten beabsichtigt ist, zumal sich selbst die Hauptfigur der Klischees ihres Lebens bewusst ist. Überhaupt ist dieser Frau so einiges klar: die Heuchelei ihres Handelns, die symbolische Unterwerfung unter ihren Partner, die Aussichtslosigkeit ihrer Gedanken, deren mangelndes Fortschreiten, ihre unterlegene Ratio. Es ist ein Hadern mit ‚weiblichen‘ Schwächen, mit der gefühlten Unmöglichkeit der Vereinbarung von anerzogenen Geschlechterrollen mit feministischen Selbstansprüchen. Leider bestätigt die Erzählung selbst im Hadern ebenjene Stereotype, da jede Möglichkeit des Triumphs des Verstandes in diesem ungleichen Kampf bei der Frauenfigur bereits aufgehoben ist, sobald sie zum wiederholten Mal angedacht wird, und indem Antagonist A selbst in seiner verletzlichsten Phase noch kalt und berechnend erscheinen muss.

Weil die Erzählinstanz, sofern sie überhaupt von P unterschieden werden kann, sich in der erlebten Rede dauerhaft wohlfühlt, übernimmt sie auch die Denkweise der pseudo-emanzipierten Protagonistin und greift gerne zu allzu kitschigen Formulierungen, die – wie bei P – als authentischer präsentiert werden als die sich selbst zeitweise sehr gekünstelt auferlegte Rationalität: „[…] sie ist mit sich selbst beschäftigt und mit der Frage, warum die Liebe in ihrer pursten Form (keine Forderungen, keine Sicherheiten, keine Assets, nur Nähe und Öffnung) so weh tun muss, und vor allem: warum ihr?“

Metafiktion ist nicht immer die Lösung

Wie Figur und Erzählerin ist auch die Geschichte mit sich selbst beschäftigt: Die mittlerweile im Literaturbetrieb Mainstream gewordene Selbstreflexivität – also die Anregung zum Nachdenken über den Text bzw. das literarische Schreiben selbst – greift der Roman bereitwillig auf, was im Fall der eigentümlichen Erzählhaltung durchaus gelingt, wenn die Leser_innen gezwungen werden, die Klammerung an eine gesicherte Erzählinstanz aufzugeben. Bei der intendierten Spiegelung der Leseerwartungen auf der inhaltlichen Ebene sieht das anders aus, weil der wohl auch auf struktureller Ebene gemachte Versuch, Klischees durch ihre Hervorholung gerade nicht zu bedienen, scheitert. Gesteht man zu, dass eine gekünstelte Nebenhandlung sowie fehl am Platz wirkende Einschübe zum Weltgeschehen die typischen Elemente von Romanen ironisieren, ist spätestens die in einem bemühten Exkurs auf die Spitze getriebene Ökonomisierung des Schreibens zu viel des Guten. Die kritisierte Ökonomie scheint letztlich aufseiten der Vernunft zu stehen – eine weitere Sympathielenkung zugunsten der Emotion in diesem davon schon inhaltlich überladenen Werk.

Klartraum. Jung und Jung, Herbst 2017, 281 Seiten

Emil Eva Rosina
Erstveröffentlichung in ZEITGENOSSIN, Ausgabe 03/18

www.verdichtet.at | Kategorie: about | Inventarnummer: 19088

 

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