Einsam

Welch eine Gnade Gottes ist doch das Alleinsein! Niemandem Rechenschaft abgeben müssen, was man den ganzen Tag über getan oder nicht getan hat! Keine dummen Fragen beantworten müssen, keine Fragen stellen müssen. Du bist einsam! Einen Dreck, entgegne ich. Das ist was anderes, füge ich hinzu. Ich bin nicht die Miss Sophie. Du verwechselt was, sage ich verärgert. Und ich kann mir meinen Himbeersaft noch alleine eingießen, brauche keinen Butler James dazu. Ich sitze nicht an einer langen Tafel und mir gegenüber ist kein Gedeck für Gespenster aufgedeckt, mit denen zu speisen ich mir heimlich vorstelle. Ich brauch tatsächlich niemanden. Außer meiner geliebten Frau. Das muss ich zugeben. Dann bist du nicht allein. Doch, wenn ich eben allein bin. Das soll ja hin und wieder vorkommen. Ich genieße es, allein zu sein. Ohne Sir Toby, ohne Admiral von Schneider, ohne Mister Pommeroy und ohne Mister Winterbottom. Aber warte, bis du alles überlebt hast und du wirklich alleine hier sitzt, sagst du. Na und?, inszenier ich mir meine Abendessen eben selbst!, antworte ich kühn. Und Weihnachten? Silvester? Was ist an deinem Geburtstag? Das macht mich nachdenklich.

The same procedure as every year, füge ich an. Eben, allein, pah! Aber ganz wohl ist mir nicht in meiner Haut. Nun, noch ist es ja nicht so weit, denke ich. Bis dahin werde ich mir schon alles zurechtlegen. Zurechtlegen, ja. Ich sage das sicherheitshalber zweimal vor mich hin, um der ganzen Angelegenheit mehr Gewicht zu verleihen. Ich weiß nicht, ob Einsamkeit eine Strafe ist. Manche behaupten das allerdings. Einsamen fehlt ganz einfach das Gefühl, von anderen beachtet zu werden. Mir ist das egal. Lügner. Halt’s Maul! Ich suche und finde meine persönliche Anerkennung und Gebrauchtwerden in mir selbst. Ja, das sieht man. Wie viele Bücher sind von dir im Umlauf? Und wehe, wenn du nicht gelobt wirst. Da möchte ich dich sehen! Ich konversiere derzeit nicht mit dir, sage ich überheblich.

Einsamkeit, die kommt nicht einfach so auf einen Schlag. Die sickert so langsam und stetig in dein Leben, und du bemerkst es gar nicht. Irgendwo bei einer Veranstaltung, einer Ausstellung meinetwegen oder vor dem Fernseher, ehe du ihn abdrehst, bevor du allein zu Bette gehst, weil niemand hier ist. Oder denk mal nach, wenn dir der Tod einen deiner Liebsten nimmt, so mir nichts dir nichts, ohne dich zu fragen. Was ist dann? Ich räuspere mich. In meinem Gehirn arbeitet es fieberhaft. Plötzlich ist das Kinderzimmer leer. Hör auf! Doch, gewöhn dich dran. Ich denke nach. Ja, aber – ja, es ist leer. Aber doch nur für ein paar Wochen, weil das Jüngelchen zum Studieren ist. Der kommt ja wieder. Ich wünsch es dir. Sag nichts, was du später bereuen wirst, entgegne ich stur. Und das andere Bubi? Das ist verheiratet. Das ist etwas anderes. Den kann ich jederzeit sehen, wenn ich will. So möge es sein. Is’ aber so, sage ich trotzig.

Prominente sollen zuweilen auch einsam sein, wer weiß? Wenn der Star am Himmel zu verblassen beginnt, könnt ja sein, nicht? Was macht man dann ohne den ganzen Rummel? Fernsehen? Auch fad. Wenn man einsam ist, soll einem das ein Warnsignal sein, sagen die einen. Ich selbst habe immer weniger oft den Wunsch, dazuzugehören. Angeber! Darauf antworte ich nicht. Bitte, eben nicht! Kann sein, dass sich mein Leben irgendwie verändert hat. Kann aber auch nicht sein. Vielleicht hat sich da draußen was geändert, dass ich es nicht mehr so sehr begehre? Oder ich leide an Mangel an Vertrauenspersonen, an Typen, an die ich mein Herz hänge und von denen ich erhoffe, erhofft habe, dass sie es umgekehrt genauso tun würden.

Freunde! Was sind eigentlich Freunde? Ich habe sie im Dutzend während meines langen Lebens verbraucht. Sie sind mir abhandengekommen. Keine Ahnung in den meisten Fällen, wie es dazu kommen konnte. Auf einmal waren sie weg. Hab ich mich zu wenig um sie gekümmert? Sie zu wenig bewundert? Ihren Kommentaren zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt? Dem einen, der stundenlang über dies und das so völlig belanglos dozieren konnte, wenn genügend Publikum vorhanden war? Auf den könnte es zutreffen. Irgendwann habe ich es aufgegeben, durch ein paar kümmerliche gut und klug gemeinte Zwischenrufe die Zuhörer auf mich aufmerksam zu machen. Vergebens. Es war todsicher sein Publikum.
Man kann nie genug neue Freunde haben, sagen manche, vor allem deshalb, weil einen die alten auf die Dauer nicht mehr genügend bewundern würden. Auf den trifft diese Feststellung sicher zu. Wie ich es auch dreh und wende, im Laufe der Jahre sind sie mir alle irgendwie auf den Sack gegangen, mit ihren Ängsten, Nöten, mit ihrem ewigen Geprahle von irgendwelchen Neuanschaffungen und dem andauernd mies schaugespielten Postitiv-Sein, wenn ich verdammt nochmal negativ sein wollte, eben weil es eine beschissene Welt ist und eben deswegen, weil es keinen Sinn macht, sie schönreden zu wollen. Sie, diese Welt, ist eben wie sie ist, ohne Tatütata daran herumlobzuhudeln, das hab ich schon gefressen. Du alter Pessimist! Ruhe auf den billigen Plätzen. Mach die Zeitung auf, dann kapierst du, was ich meine.

Freunde! Pah! Das sind Menschen, sage ich, die dich nur dann einladen, wenn du von Nutzen bist für sie. Nicht unbedingt gleich materiell, aber potenziell, wenn sie einen Witzeerzähler brauchen, eine Lachnummer, einen billigen Star, der nix kostet, aber der seinen Beitrag für die Allgemeinheit leistet. Freunde, das sind solche, die dich nie von selbst anrufen würden, die dir aber vorwerfen, dass du sie nicht anrufst, wenn du sie eben anrufst. Freunde, das sind solche, die alles, was du machst, als selbstverständlich hinnehmen, denn selber würden sie ja noch viel tollere Sachen anstellen, das kannst du dir gleich hinter die Ohren schreiben.

Freunde sind welche, die dich klassifizieren, beurteilen, die dich genau kennen, die sofort wissen, wo deine Stärken liegen, vor allem aber deine Schwächen, die kennen sie genau. Solche sind das, die dir ins Gesicht sagen, was du besser kannst, denn die wissen das genauer als du selbst. Freunde sind solche, die schon bei Kleinigkeiten umfallen, wenn’s mal ein wenig schärfer hergeht. Selbst vertragen sie keine Kritik, aber kritisieren ständig an dir herum. Du musst eine Therapie machen, du musst dies und jenes tun, damit du … Das kennen wir ja zur Genüge. Aber selbst setzen sie keinen Schritt zur eigenen Veränderung ihrer Göttlichkeit. Eben deshalb.

Alleinsein, ach, das hat was! Befreiend! Läuternd! Wohltuend! Hoffentlich kommt heute niemand, ist ein alter Stehsatz von mir. Auf den bist du auch noch stolz, was? Geht dich nichts an! Kommt noch jemand? Nein? Dann kann ich ja ungestört in Unterhosen rumlaufen, super! So hab ich das gemeint. Der Gürtel spannt ja ohnehin bloß um die Leibesmitte. Und auf niemanden Rücksicht nehmen müssen! Ist das nicht überirdisch? Du bist emotional verflacht, sagen die! Dass ich nicht lache! Ein emotionaler Flachwurzler, der leicht umfällt. Unsinn! Pessimisten sind schon einmal anfällig für Einsamkeit.
Ich würde mich zu wenig mitteilen, sagen die. Zum Totlachen! Besonders, wenn es um tiefere Gefühle geht. So ein Schwachsinn! Wenn einer solche Persönlichkeitsstrukturen wie du aufweist, hat er Probleme mit Kontakten. So ein Schmarrn! Früher, da war ich ein ausgekochter Partytiger, das kannst du mir glauben. Da hat es kein Weibsstück gegeben, das vor mir sicher war. Sicher, ja, früher! Wir reden aber vom Jetzt. Jetzt! Jetzt! Darf ich nicht in Würde alt werden? Irgendwann ist der Zenit eben erreicht. Und dann geht’s bergab. Jetzt geht’s eben bergab. Und darum will ich auch meine wohlverdiente Ruhe haben.

Du machst es dir leicht. Hast du eine Ahnung! Viele Einsame sind auf der Suche und finden gleichsam Einsame. Danke, das fehlte mir noch. Einsam bin ich selber genug. Muss ich nicht noch auch im Doppelpack zelebrieren. Es gäbe Warnsignale, sagt man. Wer nicht darauf reagiert, fällt der chronischen Einsamkeit in die Hände. Ich bitte um eine solche! Angeber! Warte nur, bis du von einem anderen physisch abhängig bist, damit du dein Futter kriegst oder aufs Töpfchen gehen kannst. Stille.

Jetzt sachste nix mehr, gelle? Brummig. Muss ja nicht so weit kommen. Hähähä, es wird aber so weit kommen, verlass dich drauf. Da gibt’s Statistiken. Sterb ich eher vorher aus Trotz! So siehst du aus, genauso. Positiv denken ist angesagt. Positiv denken! Bei den Nachrichten? Schalte sie einfach nicht ein. Das geht nicht. Der Mensch muss wissen, was da draußen passiert. Das darf man nicht verdrängen. Dann ist dir nicht zu helfen. Die Scheiße da draußen dringt in dein Bewusstsein und macht mit dir, was sie will. Schon möglich. Dann ist es nur die Bestätigung dafür, dass es eben doch eine Scheißwelt ist. Dir ist nicht zu helfen! Eben, drum lass mich in Ruh! Gehörst du auch zu denen, die glauben, dass sie nichts ändern können? Sicher! Versuch’s mal als freiwilliger Helfer in einem Tierheim. Meine Einsamkeit ist ein ernsthaftes Thema, du solltest darüber keine Witze machen, ja? Du meinst als Vorstufe zum Altenheim? Ich brauch keine neuen Kontakte. Ich bin froh, dass ich die alten los bin.

Ein Unheilbarer! Du fürchtest die Zurückweisungen, richtig? Welche Zurückweisungen bitte? Na, bei neuen Kontakten. Ich sage dir doch, dass ich keine neuen Kontakte suche. Genau wie Miss Sophie! Ihr seid euch ähnlich, echt. Das ist eine Beleidigung. Ich bin keine neunzigjährige alte Jungfer. Das nicht, nein. Aber du solltest deine Perspektive ändern. Inwiefern? Nun, Miss Sophie hat immerhin ihren Butler James, mit dem könnte sie doch besser feiern als mit den vier nicht vorhandenen Freunden am Tisch? Ich habe aber keinen Butler James, mit wem sollte ich denn also saufen? Tja, das ist natürlich ein Problem, das seh ich ein. Trotz allem, Einsamkeit macht sonderbar. Und Sonderbare werden irgendwann entmündigt. Sind wir doch schon längst. Wie? Na, entmündigt. Wir sind ohnehin schon fast entmündigt. Schau dich um, Autos, die alleine fahren, Kühlschränke und Herdplatten machen sich bemerkbar, wenn wir ihnen zu wenig Aufmerksamkeit schenken oder unnötig ihre (oder meine?) Energie verschwenden.

Die ganze Technik will uns insgeheim, was heißt insgeheim, die will uns bevormunden, besachwaltern will die uns, als ob wir bereits alle Idioten wären! Das sind – irgendwie Methoden, die uns umerziehen wollen. Erst waren wir froh, dass wir das Autofahren erlernt haben, und selbständig entscheiden konnten, was wir damit anfangen. Jetzt sprechen die Dinger bereits mit uns, sagen uns, warum wir wo ranfahren sollen, zum Ausrasten meinetwegen. Ständig beobachtet uns irgend so ein Mikrochip, ob wir auch das Richtige für ihn tun würden. Das ist doch krank? Kann ich die Karre nicht mehr allein lenken, ohne dass sich ein ferngesteuertes Männchen einmischt? Wen geht’s was an, wenn ich müde bin, verflucht? Andauernd will uns das Handy weismachen, was wir dringend benötigen. Der Zenit ist erreicht. Das Imperium schlägt zurück! Die Geister, die wir riefen, werden wir nicht mehr los! Irgendjemand ist da immer, der alles besser weiß, was für uns richtig ist.

Ist das nicht brandgefährlich? Die machen uns an, die Dinger. Die pushen uns irgendwohin, keiner weiß wohin. Ist das die neue Moral? Ändern die unsere Gewohnheiten? Machen sie die zu den ihren? Versuch mal, dich nicht anzuschnallen, wie lange hältst du das nervige Gepiepse durch? Für deine Sicherheit – für deine Sicherheit! Ja, zum Henker, mach ich ja, aber auf meine Weise. Muss ja nicht gleich die Revolution ausbrechen, wenn ich ‘ne Minute mal nicht am „Schlauf“ baumle, nicht? Wir sollen alle brave Mitmenschen werden, die gesund essen, ordentlich Pipi gehen und alle Risiken vermeiden, die kostspielig werden, wenn’s nicht geklappt hat. Is’ auch fad, oder? Na gut, alle halten sich ja nicht an diese Ordnung.

Es gibt ja genug Junkies, Säufer, Sportler, Bergsteiger zum Beispiel oder andere Typen, Polizisten etwa, die tagtäglich ihr Leben riskieren, der eine auf diese Weise der andere eben auf ‘ne andere. Werd nicht politisch! Meinst du, da ist ein Plan dahinter? Naja, könnt ja sein. Ich sehe den entmündigten Konsumenten auf seinem ferngesteuerten Weg ins Leben. Die andere Seite bedeutet, irgendjemand sieht uns als Vollhirnis, die man ganz einfach leiten und lenken muss, weil wir unsere täglichen Risiken gar nicht oder nur unzureichend erkennen. Also, wenn ich denke, dass mich irgendein Gerät bevormundet, dann find ich das schon bedenklich, oder? Schließlich erzwingen die hernach irgendwelche Taten von uns, oder? Mittlerweile implantieren sie uns die Richtung, die wir nehmen sollen.
So weit sind wir schon! Manche finden das modern. Echt? Ich pfeif drauf, ehrlich! Dem Typen vor mir darf ich nicht mal in die Nähe kommen, wenn der mich nervt und nicht weitertut. Da kriegst du rasch ein Problem mit den Warninstanzen in deiner „Mühle“. Nicht einmal ein wenig Angst darf man dem Vordermann (der Vorderfrau) mehr machen. So weit kommt’s noch! So weit ist es schon! Vielmehr, ja. Springt nicht an, die Mistkarre, wenn sie spitzkriegt, dass du ein Bier intus hast. Bieg rechts ab, o Gott, du bist zu schnell, steig auf die Bremse, die Tür ist nicht zu, zu wenig Abstand, leg eine Pause ein, falscher Gang. Kann nicht sein, ist ja ein Automatic. Was soll denn das?

Und? Immer noch einsam? Dein Kühlschrank steht offen, pfeifpfeif! Ja ja, ich weiß, das Hühnchen wird hin! Der Stromverbrauch, vergiss das bloß nicht! Ist ja meine Stromrechnung. Wie bringe ich das Gerät zum Schweigen, lässt in mir Mordlust hochsteigen. Ich kann ohne das piepsende Mistding nicht mehr selbständig einparken, sagt mein Nachbar. Die Kerle bauen einfach alles ein, was ihnen gerade in den Kram passt. Innovativ ist das, sagen sie. Damit stehlen sie sich aus der sozialen Verantwortung, uns uns selbst zu überlassen. Die versuchen, unsere Gehirne auszuschalten, sag ich dir! Das sind Eingriffe in unsere geistige Intimsphäre. Das alles deckt das sogenannte Bedürfnis nach Freiheit. Freiheit? Stell ich mir anders vor. Wollen die mir letztendlich auch noch das Lenkrad aus der Hand nehmen? Das letzte bisschen Entscheidungsfreiheit wollen die mir nehmen, wie? Und gaukeln mir vor, wir bequem, wie verantwortungsvoll das alles sein soll.
Sie übernehmen gerne die Verantwortung für mein Fortkommen, wirklich! Dass ich nicht lache! Irgendwann werden sie uns das Selbstfahren komplett verbieten. Das war’s dann. Bubenträume (Mädchenträume nicht?) müssen umgeträumt werden. Ferrari ade, Jeep offroad aus, Ende. Matchboxmodell am Küchentisch und selbst Brumm-brummgeräusche dazu machen. Geh, mach mir keine Angst. Meinen SUV hab ich erst seit fünf Jahren. Lenkrad abgeben ist wie Löffel abgeben. Pessimist! Viel Vergnügen dabei! Sieh das wenigstens als Vorteil der Umwelt gegenüber, sich von uns verantwortungslosen Umweltsündern erholen zu können. Was jetzt? Ist doch schön. Alles so belebt. Immer noch einsam? Ach, lass mich in Ruhe!

Norbert Johannes Prenner

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary | Inventarnummer: 17132

 

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