Der Fremde

Die Bar ist nicht gut besucht, nur ein Pärchen sitzt stumm vor den Gläsern, deren Rest sie problemlos mit einem halben Schluck leeren könnten. Sie warten damit, schließlich ist der Abend lang und die Geldbörse dünn. Der Kellner wird sie nicht fragen, ob sie noch ein weiteres Bier haben wollen, solange im Glas noch etwas drin ist, sich noch irgendein Bläschen an die Oberfläche schwindelt.

Nein, es ist zu früh für eine neuerlich Bestellung, sie haben das schon vor dem Eingang ausführlich diskutiert: Wenn sie zusammenlegen, reicht es für fünf Krügel für sie und sieben für ihn. Das ist etwa die Menge, die sie zum Einschlafen brauchen, zu Monatsbeginn ist das Verhältnis 8:12.
Der Kalender da hinten über dem brummenden Kühlschrank behauptet, dass heute Mittwoch ist, Mittwoch der 24. September. Da hat wohl wer vergessen, den Mittwoch, den Donnerstag und den Freitag abzureißen, denn das stimmt nicht ganz, die beiden haben kurz gekichert, wie sie das gesehen haben, wissen sie doch, dass heute bereits Samstag ist, der 27., es also nur mehr drei Tage dauert, bis die Renten am Konto landen. Auch das haben sie sich schon vor der Tür ausgerechnet, schon um die heutige Ration und deren Einteilung zu berechnen.

Der Kellner, er ist nicht von hier aber trotzdem nett, kommt von irgendwo aus dem Süden – aus Serbien, Albanien oder dem Kosovo, oder noch weiter südlich, Griechenland, Türkei, Tunesien, oder vielleicht mehr aus dem Osten, Tschechien, Ungarn, Ukraine ... ist ja aber auch scheißegal, in ein paar Wochen wird wieder wer anderer da sein, und auch wieder nach ein paar Wochen weiterflüchten, nach England, nach Schweden, nach Amerika.

Adam und Eva sind sehr liberal: Es ist ihnen egal, woher der Typ kommt, sie wollen nur nicht angesprochen werden, der soll weiter und zum wiederholten Mal die Gläser polieren, auch wenn sie trotzdem nicht sauber werden wollen, sie aber in Ruhe lassen. Die beiden tauschen diese Gedanken völlig ungeniert aus – sollte sie der Mann verstehen, wäre es ihnen auch egal, schließlich soll er froh sein, was zu tun zu haben, und immerhin ist hierzulande immer noch der Kunde König. Und die Kundin Königin, wie Eva kurz lächelnd feststellt.

Ahmed poliert weiter Gläser, die schon lange keine Flüssigkeit oder ein sauberes Tuch gespürt haben, aus dem Hintergrund tönt Musik mit deutschen Texten, in denen es um verlorene Liebe und Mütter geht, um den Juchaza, der auf hohen Bergen automatisch, quasi wie von selbst, der Brust entspringt und so ins tiefe Tal tönt, wo es dann alle hören, um die inbrünstige Liebe zum Heimatort mit Seitenhieben auf die beiden Täler daneben, denen – etwas verklausuliert – die Pest an den Hals gewünscht wird.

Die Lautsprecher sind aber schon ziemlich desolat, nur wirkliche Kenner könnten aus dem akustischen Brei heraushören, dass es sich dabei um österreichische Folklore handelt. Adam und Eva vermuten jedenfalls, dass es sich dabei um arabische Lieder mit ketzerischem Inhalt handelt, mit dem dieser Moslem, oder was immer er ist, sie übers Unterbewusstsein zum Tschihad oder irgendeinem anderen heiligen Krieg hypnotisieren will. Sie sind auch deshalb etwas angespannt, lange sitzen Adam und Eva vor ihren Gläsern, blicken immer auf die große Uhr hinterm Tresen, auf der die Zeit korrekt abgebildet zu sein scheint: Zehn Minuten vor neun, also noch zehn Minuten bis zur nächsten Bestellung – sie haben sich ausgemacht, um neun Uhr den nächsten halben Liter reinzuleeren, die anderen dann im Halbstunden-Takt: So kommen sie noch vor eins nach Hause, wo sie dann übereinander herfallen werden.

Dabei: Adam will schon seit längerer Zeit gar nicht mehr so sehr über Eva herfallen, macht es eigentlich nur ihr zuliebe, würde am liebsten gleich so richtig schlafen. Eva geht es nicht anders: Sie spielt nur mit, um Adam den Gefallen zu tun, eigentlich würde auch sie lieber nur einfach schlafen. Gut, von Zeit zu Zeit will sie es ja auch, an den christlichen Sonn- und Feiertagen beispielsweise. Der exakt gleiche Gedanke schleicht zeitgleich durch Adams Kopf. Obwohl sie sich so viele Sachen ganz genau ausmachen – das haben sich noch nicht ausgemacht, dieser Abend im Pub sollte ihnen aber die Gelegenheit geben, dieses Thema endlich einmal anzusprechen, Adam hat sich das für heute vorgenommen, Eva auch.

Beide wollen damit die paar Minuten bis neun noch warten, mit einem frischen Bier lässt es sich besser reden. Gleichzeitig holen sie sich zur Überbrückung ihr Handy, Eva aus der Handtasche, Adam aus der Jean, beide tun, als würden sie daraus wichtige Erkenntnisse gewinnen, sind glücklich, ein paar Minuten nichts sagen zu müssen. Der Kellner poliert ein nächstes Glas, die Boxen leeren neuen Brei drüber, Eintagsfliegen hauchen freiwillig vorzeitig ihr Leben aus, dabei hätten sie sich dafür noch ein paar Stunden Zeit lassen können.

Christoph Stantejsky

www.verdichtet.at | Kategorie: süffig |Inventarnummer: 16126

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