Ein bisher unentdecktes Fragment einer untersagten Predigt aus dem Melker Stift, dem Kaplan Andreas Corvinus (1684(?) -1749) zugeschrieben
Übers.: Bernd Remsing
…(s)agt man doch: „Fleißig wie die Bienen“, aber: Stehet denn die Biene früh auf, concret: Wann verlasset sie dann ihre Schlafstätt? Nachdem die Biene aber denen Insekten angehöret und noch nie die kühle Morgenstunde von solchen aufgesucht wurde, bedarf sie der Wärme. Sie brauchet der Wärme, ist dahero Langschläfer. Dem Winter ist sie zu rein gar nichts zu gebrauchen, sondern nähret und stärket klüglich sich für die Tempora, wo‘s ihrer Kräfte bedarf. Und wie wertvoll und kostbar ist ihr Honig – er hat sogar die Kraft, Krankheiten zu besiegen (it est: Keuchhusten, Haarwurzelkatarrh, Schlagfluss, Gicht etc.) und hilft dem Menschen selbst gar gegen die Pestilenz! Was Teureres könnte es geben auf dieser Welt? Und doch geben sie ihr flüssig Gold dem Menschen hin ohne unverschämte Forderung, nur ein wenig Platz wollen sie für sich, in Form von Kästen und Körben. Welch gottgefällig bescheiden Anspruch!
Hingegen die Hühner! Welch ziellos unruhig Treiben! Noch schlummert die Sonne hinter dem Donaufluss, da springet diese Hellenbrut verstört von ihren Stangen, ohne Zweck und Vorhaben, nur rein der Unrast wegen. Merket: Wenn denn frühes Aufstehen Fleiß sein soll, dann müsst es folglich heißen: Fleißig wie die Hühner – man sagt ja doch aber: „wie die Bienen!“ Nein! Nein zum Huhn und tausendmal nein! Es stolpert und torkelt den ganzen Tag ziel- und planlos durch Raum und Zeit, machet beständig und in lästiger Weise auf sich aufmerksam, laufet gefährdend zwischen den Füßen argloser Leut herum. Zwar zahlt‘s schuldigen Tribut mit Eiern, doch hat man jemals gehört, dass es aus ihm Heilmittel wie der Bienen Honig gewonnen? So wenig, wie du ein Nagel in den Brunnenstrahl schlägst! Du sagst, nicht wenige Melker schmiern sich Hühnerdreck in die Haar, meinend dessen Wachstum zu fördern, ist dies Thun aber mehr als nur ein Zeichen lästerlichen Aberglaubens, sondern wird nachweislich das Hirn davon geschrumpfet bis auf die Größe einer Erdnuss oder Rosine, bis sie selber gackern wie das Federvieh! Ganz wie Adagia 2, 4 lehret: Piscis primum a capite foetet! Aber nicht nur dero piscis, sondern wie viel mehr die Gacker–Gallinae, die unser Herr nicht im Zeichen getragen, verstinken dem den Kopf, der sich mit ihrem Kot bestreichet! Du fragst: Reuet dero Hühner wenigstens ihr Unverstand? Nichts dergleichen! So wenig wie dass sich der Mensch auf den caput sehn kann, ahnet die Beschränktheit ihre Enge oder schlimmer noch treibt‘s auch noch groß und siehet sich als Erbe und Statthalter dieser GOttbedürftig Welt! Ganz wies denn auch heißet in der heiligen Vulgata, Psalm 42,8 Abyssus abyssum invocat! Nein, Schutz fordert er, der lärmend Geistvernichter, der gefiedert Beelzebub und gar Schirm noch gegen die zahllosen Gefahren, die seiner ungeschickten Art drohn! So hilflos sind dero Hühner worden durch die schändlich und folglich schädlich Frühaufsteherei, dass sie sogar das Fliegen verlernt haben – welchs doch ureigen Vogelpflicht darstellet! Bedarf‘s denn noch eines einzigen Beweises mehr, dass die Schlafkürzung ein sichren Weg darstellt, analogum die göttlich Gabe des Gedankenflugs sündhaft zu vernichten? Wird dem Tiere selbst darob nichts Args geschehn, aber den Kindern Adams droht Gericht und Höllenfeuer schon ob geringster Sodomie und ist dies nur Vergehen des Corpus, wie arg erst die Straf bei Sünd am Geiste, der GOtt doch weit näher stehet? Jetzto wirst du denken: Wohin führte aber die schrecklich Frühaufsteherei gar noch? Zu nichts Wenigerm als dies Beispiel dir zeiget: Das itzo noch nützlich und gottgefällig Tagwerk der Hühner, nämblich, dass sie uns ihre Eier legen, wird sicherlich bald auch noch ihr Geisteskraft übersteigen, das Einzige, was sie dann noch treiben, ist ihr gar zu arg und ziellos Gelärm.
(...) Hühner sind bald ihres Wirkens in der Welt verlustig gangen und wissens wohl. Doch versuchen s‘ diesen Mangel, statt durch Buß und Einkehr, etwa durch täglich hart Üben des Langschlafs, durch desto wilder Geschrei und Rastlosigkeit wettzumachen, was sie in wahrhaft GOttloser Verblendung für das Zeichen verdienstvollen Tuns halten. Infolge all dessen werden sie vom Menschen, der nach biblischem Gebote sucht, die Tierwelt zu nutzen, nur in der Weise geschätzt, dass er ihre Nachkommen frisst. Ja, merket es wohl und besinnet euch gründlich: Treibt‘s nicht auch ihr allzu gern nach dero Hühner Art? Musst ich etwas nicht gestern ächzend aus dem Kissen fahrn, als ich mir grad den Kopf gar frömmlich schwer getrunken, aufgeschreckt von hellisch Marktgelärm und euren vermaledeiten Fuhrwerkfahrn auf und ab und hin und her, wie eben begleitet noch durch den ohrenbetäubend Lärm des sinnlosen Gackerviechs? Merket: So beschaffen sind diese Geschöpf, dass selbst deren Brut gefressen wird, noch bevor diese aus dem Ei gebrochen! Und selbst das ist noch nicht gnug Straf für beständig Schlafverkürzen, werden sie doch am Ende noch selbst verzehret (It est: Brathuhn, Suppenhuhn, Huhn mit Citrusfrucht, Birngespicktes Huhn, welches sehr wohlbekömmlich – etc.)! Dem Huhne bleibet dahero nur das klägliche Geschrei und Gezappel vor dem Fallbeil...
(...) Wie viel glücklicher aber die lobsam langschläferisch Biene! Drohte jenen der Mensch mit dem Beile, wäre er nicht lange dieses Vorhabens glücklich! (…)
Bernd Remsing
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www.verdichtet.at | Kategorie: anno | Inventarnummer: 16019