Fluten

I)
Auf den strudelbraunen Massen
schaukeln Dächer, schaukeln gräber-
füllend Särge und Gesichter
werden sichtbar:
Längsverzerrte, blindgespiegelt,
steh‘n sie da im zielerstrebend,
selbstbewegten Räubernass.

Doch der Abbilder Besitzer
achten nicht der Wasserzeichnung,
sondern richten ihre Blicke
auf den sie verlassend Fluchtpunkt
ihres einst´gen Hab und Guts.

Eternitbewehrter Giebel,
der einst treu geschützt ihr Haupt,
kreiselt nun vertraulich spielend
mit dem haltlos Element.
Fleischbewahrend Tiefkühlschränke
tümpeln träge auf und nieder,
um das rote Ziegelschiff.
Tümpeln ab und wieder auf -
Bausteinhauses Daches Wiegen
wird noch lustig imitiert
von gleichroten, von gleichspitzen
Gartenzwerge-Zipfelmützen.

Und die Blicke werden trüber,
denn mit des Verlusts Entfernung,
steigt durch böser Trauer Gärung
die Träne unverdient gestrafter Bürger.

Vollgesogen bis zum Rand
mit verborg‘ner Flüssigkeit,
aufzunehmen, aufzusaugen
angeboren und gebaut,
bieten diesem neuen Drang
die Augen keinen Halt.
Getrieben von dem inn´ren Druck,
steigt so auf weißem Apfelgrund
ungeahntes Tränennass
bis zum rosa Liderbund.

Und fällt
(von der Höhe in die Tiefe),
fällt als Nachschub großer Massen
auf der Trauergäste Boden.
Vollgesogen bis zum Rand
eben grad Gewähr noch bietend
einem wankend Bürgerstand.
Satt bis an die Grashalmspitzen
kann der Grund den Trauerregen
nicht mehr halten,
der verblieb‘ne Trockeninsel
jetzt zum Überlaufen bringt.

Von der Tiefe in die Höhe
bricht´s heraus und strömt es über,
über festversproch‘ne Gründe,
über kleinkarierte Zäune,
über neuerworb‘ne Wägen,
über Straße, die zur Firma,
die, versunken, nichts mehr führt,
nicht mehr führt.

So gemehrt in ihrer sturen
bodenwendend Wasserkraft,
dreht die Flut die Gräber um -
frischentleerte Särge bringend,
seinen neuen, seinen stummen,
sehr betrübten Trauergästen.

II)
Auf den braunen Wassermassen
schaukeln Dächer, schaukeln Zwerge,
schaukeln nunmehr zwecklos volle,
magenlose Tiefkühlschränke.
Und ertrunkene Gesichter
werden sichtbar, werden weiter:
In ihrer Augen staunend Ringe
tauchen Bilder lang vertraute,
längst verdaute wieder auf:
Bauch nach oben,
neunzig Zoll unter Wasser,
langsam treibend,
wird des Wassers
Oberfläche unten spiegelnd,
wird zum flüssig-starren Schirm
tief bewegter Projektionen.

Und sein Ton macht
stumm-betroffen,
dumm-besoffen,
formt erst Glucksen,
formt dann Murmeln,
wird schon hörbar
ist jetzt Wörter
ist lange längst Beschwörungsformel.
Denn Notprogramm,
sorgsam verwahrt in der Keller gruftig Kühle,
wird aufgetaut und angerührt.
wird von Neuem aufgeführt.

Wird aufgeführt zum Jubiläum
vernichtender Naturgewalten,
die planlos blind und ganz verrucht
das rein und schuldlos Volk der Alpen
wieder einmal heimgesucht:

Aufbaurede wird geschwungen
als die weithin sichtbar Fahne
selbstvergess‘ner Einigung
geschwenkt von Vätern, Töchtern, Söhnen.
Hatten zwar die Kinder viele –
diese Farbe kennen alle:
Es strömen Alt und Jung herbei
den unversichert Obdachlosen,
durch Hilf und Helf zur Seit‘ zu steh‘n,
regen rührend ihre Glieder,
spenden ihre Taschengelder,
für sie ist Hilfswerk Ehrensache.
Und getragen und ergriffen
von der Hilfsbereitschaft Welle
scheut sich keiner mehr zu singen
das Lied notwendiger Selbst-Beschränkung,
der aufgehob‘nen Gegensätze,
der aufgeschob‘nen Steuersätze,
der Arbeitslosen Einsatzkräfte.

Sie werden alles neu errichten.
Fertighausreih‘n soll´n entsteh’n,
Plastik-Hausgott-Plastiken
werden feist den Zaun beseh‘n.

Die Straße wird zur Firma führen
und bald fahr´n wieder neue Wägen
durch aller braven Glieder Rühren
auf Extra-Reifen gegen Regen.

Es stranden wohlig grunzend Leiber
aufgeschwemmt im trocknen Brei
und wieder nach der großen Flut
ist Österreich von Neuem frei.

Bernd Remsing
http://fm4.orf.at/stories/1704846/

www.verdichtet.at | Kategorie: ärgstens | Inventarnummer: 15132

 

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