Traum & Trugschluss

Wachträume, egal ob zur Tages- oder Nachtzeit, böten alle Möglichkeit, doch die Fantasie muss sich begnügen, muss haushalten mit dem Vorrätigen an Kreativität und Zeit. Die Verantwortlichkeit, das Beschwerliche und das Banale des Alltags schmälern die Träume und setzen dem Variantenreichtum Grenzen.
Emil behalf sich dennoch mit seiner Vorstellungskraft; und das über viele Jahre. Über ebendiese Jahre, in die er jetzt gekommen war. Fraglos hatte das Leben ihn mit seinem zügigen Ablauf überrumpelt.
Er hatte dem Alltäglichen das Sehnen hintangestellt, hatte begehrt und entbehrt. Und erkannt, Fantasie ist bei aller Vielfalt vor allem eines: subjektiv. Es fehlt die zweite Dimension, die Erwiderung, das Bilaterale. Einzig die Vorstellung zu bemühen, ist der verzweifelte Versuch, zum Begehren eheadäquat Stellung zu nehmen, sich zum Verlangen in anständiger Weise zu verhalten. Doch die Haut bleibt einsam.

Er hätte sich beizeiten umsehen sollen und hatte nicht.
Die optischen Veränderungen des Älterwerdens sind nicht verhandelbar. Doch mehr als das bereitete es Emil Sorge, dass niemand seiner Freunde ihn mehr erkennen würde, wenn sein Inneres zur Ansicht stünde. Ein Mensch in seinem Alter sollte längst in Balance sein, doch da waren massive Dissonanzen. Die Koordinaten des Lebens waren in Schieflage geraten und verweigerten sich einer Neukalibrierung. Obwohl er das nie von sich erwartet hätte und keinesfalls billigen konnte, verspürte Emil den dringenden Wunsch, die Regeln zu brechen.

Und dann sah er eines Tages diesem befremdlich agierenden Mann zu, wie er mit Entschlossenheit die Telefonnummer aus der Internetwerbung wählte und zaudernd seine Wünsche bekanntgab. Dieser Mann war er selbst und er ruderte aus freien Stücken im Dunkeln aufs offene Meer hinaus. Emil fühlte sich dabei verletzlich und nackt, gleichzeitig klar und stark.
Man könnte sagen, diesem Mann sei schlichtweg langweilig. Die häuslichen geschlechtlichen Verrichtungen wären spannungslos und absehbar geworden. Und das Brodelnde müsse sich Luft schaffen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Emil suchte echte Nähe.
Wäre die exekutierte Körperlichkeit nur eine gekaufte, wäre der Betrug zwar nicht trivial, aber immerhin einigermaßen gewissenskompatibel.

24/7, das war ihm nach dem Telefonat noch im Gedächtnis. Und dass er sich auf Diskretion verlassen würde können. Bezahlt würde erst danach und direkt an die Agentur.
Der Tagtraum, den Emil gegen Bares umgesetzt sehen wollte, begann in einer Bar. Er hatte eine Frau hinbestellt, Mariella, 39, gut zehn Jahre jünger als er selbst. Sie sollte ihn ansprechen und in Folge alles richtig machen.
Emils Erwartungshaltung wurde von Almut gebrochen. Falls sie in irgendeiner Weise enttäuscht war, dann war ihr das nicht anzumerken. Sie strahlte ihn unmittelbar nach seinem Betreten der Bar an. Und doch entsprach die Bestellte so gar nicht den vereinbarten Kriterien. Ihre Haare waren entgegen seinen Wünschen kurz geschnitten, ihr Anmachspruch abgegriffen, wenngleich pfiffig und spontan vorgebracht. Sie trug auch kein Kleid und hochhackige Schuhe, sondern Jeans. Sie war einfach nicht Mariella. Sich nach ebendieser zu erkundigen, erschien Emil unpassend. Er stand zur Disposition, warum nicht ebenso für eine Almut.

Ein anspruchsvolles Einleitungsgespräch hatte er bei der Agentur vorgeschlagen, etwa über Kultur. Das was jetzt von Almut kam, war anderen Inhalts, aber nicht minder unterhaltsam. Ganz bestimmt wusste sie, dass ihre kleine nervositätsbedingte verbale Unbeholfenheit ungemein anziehend wirkte. Sie alberten herum über die Kennenlernkultur in virtuell dominierten Zeiten wie diesen. Und dass es doch auch so ginge, ganz traditionell an der Bar. Ha!
Sie erzählte von ihrem Beruf als Ausstellungskuratorin eines städtischen Kunsthauses. Ihren Nebenjob sprach sie nicht an. Als er kurz auf seine Ehe zu sprechen kam, da schien es Emil, als zucke es bedauernd um ihren Mund und als würde ihre Körperhaltung etwas distanzierter. Sie selbst sei Single, gab sie an. Aber rasch war die vorherige Nähe wiederhergestellt.

Falls sie kein Vergnügen an ihrer lukrativen Nebentätigkeit hatte, dann verstellte sie sich gut. Die Frau gab sich unentwegt interessiert. Vermutlich wurde ihr eingetrichtert, nicht laut von sich selbst reden zu machen, sondern alle Aufmerksamkeit auf den Kunden zu richten. Alkohol und der nervöse Elektropop erzeugten ein Flirren in Emils Kopf. Er spürte sich schweben und fühlte sich am äußersten Limit taumelig. Genau so hatte er sich das gewünscht, ganz genauso.
Emils Knie berührte ihres, als er seinen Barhocker ein wenig drehte, und er spürte Almuts Gegendruck, der von einem tiefen Blick begleitet wurde. Sie legte ihre Hand auf seinen Unterarm und räusperte sich, um etwas zu sagen. Doch sie schluckte nur und es blieb beim Subtext. Der Bann war gebrochen, das wussten beide. Ein vorsichtiges Peut-être gravitierender Körper. Damit hatte er nicht gerechnet. Nicht damit, dass ihre Blicke zärtlich sein würden, nicht nur verführerisch. Nicht damit, dass sie sich für die Konversation davor so viel Zeit nehmen würde. Nicht damit, dass sie ihre Wohnung anbot und kein Hotel vorschlug.
Auch nicht damit, dass sie später ein solches Verlangen zeigen würde, ihn zu küssen und sich recht zielstrebig mit ihrer Zunge in seinem Mund einfand. Emil war sicher, dass dies in so ausgeprägter Intimität in dem Metier nicht üblich war. Und doch gefiel es ihm, und er konnte ihre Liebkosungen genießen. Es ließ ihn vergessen, dass es ein Spiel war.
Er dachte, er hätte ihre Rhythmuskompetenz und überhaupt das umfassende Repertoire als Liebhaberin gebucht, aber überraschenderweise liebte sie ihn mit einer ambivalenten ungestümen Innigkeit und Hingabe, die ihn rührte und der er sich emotional nicht entziehen konnte. Ihre Zuneigung war nicht unerwünscht und anscheinend eine Draufgabe, denn er hatte sie nicht bestellt.

Als Almut eingeschlafen war, ging Emil nach Hause. Er verbrachte den Rest der Nacht mehr oder weniger schlaflos. Einmal schreckte er hoch, denn er wusste plötzlich, da hatten sich zwei, wenngleich nicht gesucht, so doch gefunden. Ein wohlwollender Zufall hatte diese Mariella unter anderen verwechselbar gemacht und ihm Almut beschert.

Lieber Emil,
unsere bezaubernde Mariella nimmt Ihnen gewiss nicht übel, dass Sie das gestrige Tête-à-tête mit ihr platzen ließen. Sie war pünktlich am vereinbarten Ort, hat aber höflicherweise von einer Kontaktaufnahme Abstand genommen, da Sie bereits in ein Gespräch mit einer Dame vertieft waren.
Wir erlauben uns, Ihnen hiermit das vereinbarte Honorar in Rechnung zu stellen, auch wenn Sie die Dienste Mariellas nicht in Anspruch genommen haben (gemäß Absatz 7 der geltenden Geschäftsbedingungen).
Mariella würde sich natürlich über eine zweite Gelegenheit freuen. Sehr gerne bieten wir Ihnen aber auch an, unser Gesamtportfolio nochmals zu begutachten, Ihre Login-Daten sind noch bis zum Monatsende gültig.
Mit besten Grüßen
Agentur Escort 24/7

Michaela Swoboda

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 15088

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