Die Krise 3 - Der Deal

Wer den Ort kannte, Zwicklingsau oder Hintertupfing, das blieb sich gleich, Kaffs wie diese gleichen einander wie ein Ei dem anderen, mochte unschwer feststellen, wie sich in den letzten Jahren eine zunehmende Rechtslastigkeit und Ausländerfeindlichkeit zu etablieren begonnen hatte. Man zeigte sich ängstlich gegenüber den wenigen muslimischen Gemeindearbeitern und gewissen unberechenbaren Einflüssen von außen.
In der Kommunalpolitik transformierten notwendige Entscheidungen oftmals zugunsten schwammiger Unentschlossenheit. Im Zweifel saß man Probleme eben aus.
Gesetzmäßigkeiten einer Soap-Opera hielten Einzug in viele Bereiche des politischen und alltäglichen Lebens. Die Grundhaltung blieb ernst. Seltene Scherze galten mitunter als rettender Ausbruch allgemeiner Bedrücktheit, häufig bemühtes geistiges Relikt aus dem Reich des Unbewussten.
Man versuchte damit, Konflikte zu verkleinern und lächerlich zu machen, um sie mit Hilfe der Zeit aus dem Gedächtnis bewusster Wahrnehmung zu drängen. Nicht zuletzt erzeugten sie nebenher einen gewissen Lustgewinn. Auf diese Weise konnte man sich auch leichter über seine eigene dunkle Vergangenheit hinwegsetzen. Man wurde dadurch sozusagen unverletzlich, in gewisser Weise auch für einen Augenblick zum Gewinner, wenn man auch sonst eine Niete war. Und wenn dann gelacht wurde, widerfuhr einem eine Art Seelentrost, über den man für einen Moment lang die Tatsache vergessen konnte, in was für einer beschissenen kleinen Welt man eigentlich lebte.

Vor allem aber durfte man hier eines nicht, nämlich leidenschaftlich und mit Hirn politisieren. Diese Tatsache war Rembert Mirando bekannt, ebenso wie ihm auch bewusst war, dass seine berufliche Doppelaktion dem Neid der Bürgerinnen und Bürger in diesem kleinen Ort ausreichend Nahrung geben würde. Aber er würde sich nicht darum kümmern, hatte er beschlossen, obwohl der Gemeinderat der Meinung war, dass Doppeleinkommen, egal welcher Art, in Krisenzeiten für den sozialen Frieden des Ortes längerfristig nicht zuträglich sein würden. Aber was für den Bürgermeister recht und billig war, schließlich saß dieser in zahllosen Aufsichtsräten und hatte mehr als vier Einkommen, sollte es doch immerhin auch für ihn sein, denn er hatte ja bloß zwei.

Ein Gespräch Rembert Mirandos mit dem Bürgermeister war relativ glimpflich, wenn auch nicht ohne dessen gewohnte Cholerik verlaufen. Wie weit er mit Escortin sei, wollte dieser wissen und wann man mit dem Geld rechnen könne? Mirando musste die ganze Zeit über an Anica Escortin denken und daran, was letzte Nacht zwischen ihr und ihm passiert war. Das stärkte ihm den Rücken, indem er den Bürgermeister zunächst ein wenig zappeln ließ, ehe er ihm eine Antwort auf seine Frage gab, dass es eben noch ein wenig Diplomatie erfordern würde, bis es so weit wäre, die Sache aber kurz vor dem Abschluss stünde.

Ob er sich nicht vorstellen könne, dass es pressierte, fragte ihn der Bürgermeister. Schließlich ginge es derzeit um jeden Cent und vor allen Dingen auch um seine Karriere, Remberts Karriere, fügte er hinzu, wenn dieser jemals Mandatar werden wolle. Niemand in der Gemeinde könne einsehen, warum man noch mehr Schulden machen solle, um eine Krise zu bekämpfen. Man müsse die Bautätigkeit ankurbeln, und zwar jetzt, wo die Auftragsvergabe erleichtert werde und die Grenzen für die freie Vergabe von Bau- und Infrastrukturaufträgen angehoben würden.
Und man müsse die Arbeitslosen endlich aus den Wirtshäusern und Deutschkursen holen. Und schließlich müsse man den einzigen Autohändler im Ort unterstützen. Daher bräuchte die Partei schließlich einen Haufen Geld, um das alles umzusetzen. Und das würde ohne einen Zuschuss so nicht gehen. Und dafür wäre Escortin eben unentbehrlich.
Rembert hob den Kopf. Den Autohändler?, fragte er. Natürlich, oder ob er wolle, dass der Betrieb zusperren solle? Rembert schüttelte den Kopf. Er, der Ortschef, könne schließlich nichts dafür, dass niemand ein neues Auto kaufe. Man könne es in Zeiten wie diesen auch niemandem übel nehmen, sein sauer verdientes Geld in ein Auto zu stecken, nicht wahr? Das sah auch Rembert ein. Er fürchte, dass niemand so recht wisse, was derzeit die richtige Wirtschaftspolitik sei, sagte dieser. Ein selten kluger Satz. Da habe er auch wieder Recht, bestätigte der Bürgermeister.

Aber wenn man schon den Autohändler unterstütze, warum nicht auch den einzigen Metzger, dem jetzt das Aus drohe, wo doch im Ort erst vor Kurzem drei Supermärkte eröffnet hatten, die so zentral lagen, dass sie von allen Bewohnern zu Fuß in der gleichen kurzen Zeit zu erreichen waren.
Und Rembert dachte an die entzückende Tochter des Metzgers, die ihn immer so freundlich bediente, auch wenn er bloß rasch nach einer Wurstsemmel verlangt hatte. Erfreuen würde man sich an ihrem Anblick wohl noch dürfen, nicht mehr. Schließlich war er verheiratet und seine Gattin im Ort wohlangesehen, nicht nur als Pädagogin. Aber die Tochter des Metzgers legte ihm auch immer, wenn er darum gebeten hatte, gerne einen Kranz Blutwurst zurück, wenn frisch geschlachtet worden war. Und dieses Privileg hatte nicht ein jeder.
Und wenn er ihr einen Witz erzählte, meist einen unanständigen, dann lachte sie ganz besonders laut und das gefiel Rembert Mirando sehr und hob sein Selbstwertgefühl. Vielleicht konnte er ja eines Tages doch noch geheim bei ihr landen? Wer konnte es wissen? Es würde ja niemand erfahren. Wenn er schon zwei Jobs hätte, warum nicht auch zwei Frauen? Alle VIPs lebten so, dachte Mirando insgeheim.

Wenn er den Metzger unterstützte, schwächte er die Fleischhändler in den Supermärkten, entgegnete der Bürgermeister heftig, wobei er im Gesicht rot anlief, als er an die hohen Schmiergelder dachte, die er damals von den Eigentümern erhalten hatte, um die geeigneten Gemeindegründe für die Flächenwidmung zu organisieren.

Dass der Autohändler im Ort bliebe, hätte Symbolcharakter, sagte er dann. An dem Zustand, wie schlecht oder gut es diesem ginge, könne die Bevölkerung die Gesundheit der heimischen Wirtschaft ablesen und würde weniger hysterisch reagieren, wenn schon der eine oder andere zusperren müsse, was ja auch bereits der Fall war. Es bliebe ihnen gar nichts anderes übrig, als so wie bisher weiterzuwursteln, das sei ihm doch klar, sagte er, und sah Mirando prüfend an. Selbstverständlich, bestätigte dieser, konnte er doch nicht anderer Meinung sein als sein Dienstgeber.

Und was er ihm schon längst sagen wollte, ganz nebenbei, dass Frauen, in der Wirtschaft oder gar Politik, zu schade wären für so einen Job. Der Bürgermeister grinste, als er das sagte. Und Mirando solle sich das merken. Führungspositionen wären ganz einfach nicht für Frauen geschaffen. Im Übrigen würde er ihm verzeihen, dass er damals Fräulein Mileva so vehement für sein eigenes Büro begehrt hatte. Der wahre Grund, warum er sich anfangs so sehr gegen diese Veränderung im Gemeindeamt ausgesprochen hatte, sei der gewesen, dass er sie gerne für sich selbst beansprucht hätte, ihres Äußeren wegen, betonte er und grinste.
Niemand würde das besser verstehen als er, meinte Mirando rasch, und er dachte an die stets leicht geöffneten Schenkel Charlotte Milevas unter ihrem Schreibtisch, obwohl man wegen ihrer stärkeren Oberschenkel eben sonst nichts zu sehen bekam. Nicht einmal die Farbe ihrer Höschen hatte er bisher erkennen können.

Damit schien das Gespräch zwischen Mirando und dem Bürgermeister beendet. Bevor dieser jedoch gehen wollte, fragte ihn der Ortschef plötzlich, ob er auch zu denen gehörte, die sich gegen eine Adaptierung des alten Gutshofes für die Sozialfälle des Ortes aussprechen werde? Gegen das Projekt gäbe es ja bereits massiven Widerstand seitens der Bevölkerung.

Mirando überlegte eine Weile. Bei so einer Frage hieß es vorsichtig sein, weil man nie wissen konnte, auf welcher Seite man sich befand, wenn man einmal seine Meinung gesagt hatte. Daher richtete er eine Gegenfrage an den Bürgermeister, ob dieser glaube, was sinnvoller sei, nämlich die ortsbekannten Alkoholiker jede Nacht aufsammeln zu lassen, oder sie sozusagen in sicherem Gewahrsam zu wissen? Und dafür wäre der Gutshof nicht nur wegen seiner strategischen Lage, er befand sich gegenüber der hiesigen Polizeistation, sondern auch wegen der geeigneten Bausubstanz ein echt großartiger Wurf. Der Bürgermeister hustete vernehmlich, gab sich aber mit einem kurzen Nicken zufrieden, ohne weitere Worte darüber zu verlieren.

In der Stadt hätten sie ganz andere Probleme, nutzte Mirando rasch die Gelegenheit, sich beim Bürgermeister Respekt für sein Wissen zu verschaffen. Was wären die paar Trunkenbolde und Inzüchtler hier schon gegen die Radler-Rowdys, die rücksichtslosen Autofahrer und Fußgänger, die stets ohne links und rechts zu schauen, plötzlich die Fahrbahnen unsicher machten? Gott sei Dank habe man hier keine U-Bahn und damit auch nicht die ganze Beschwerdeflut wegen des verbotenen Verzehrs stinkender Kebabs oder Pizzas und ständigem Handygequatsche im Personenverkehr. Und die Horden undisziplinierter Jugendlicher, die obendrein noch dazu die Füße auf den Sitzbänken hätten! So weit wäre man hier noch lange nicht und im Übrigen würde es hier nie so weit kommen.
Der Bürgermeister aber sagte nur, ja ja ja und das wäre alles für heute. Rembert hatte verstanden und verabschiedete sich.

An einem dieser zahllosen grauen Morgen, welche sich seit vergangenem Oktober beharrlich weigerten, um keinen Preis auch nur einem einzigen, wenn auch bloß zwielichtigen Sonnentag zu weichen, machte sich Rembert Mirando daran, einen unaufschiebbaren Termin mit Denis Escortin in dessen unaufhörlich florierendem Imperium wahrzunehmen. Mirando fürchtete diesen Tag, seit ihn der Bürgermeister eigens für ihn erfunden zu haben schien.
Vor allem aber fürchtete er, mit seinem Angebot bei Escortin abzublitzen, trotz seiner positiven Andeutungen damals bei der Vernissage. Und dies wäre sein eigenes politisches Ende gewesen. Jedoch so leicht gab er sich nicht geschlagen. Hatte ihm nicht dessen Gattin Anica nach einer Nacht voller Freudenspenden auf den Kopf zugesagt, sie werde die Sache mit ihrem Hasen schon für ihn einfädeln?
Schließlich hatten sie seine treuherzigen Blicke nicht kalt gelassen, als er ihrem blaugrünen Stahlblick begegnet war und ihr zartrosa Lippenstift silbern glänzende Spuren auf seinen Wangen hinterlassen hatte, wie sie Schnecken zu machen pflegten, wenn sie über die Gräser glitten.
Anica Escortin, eine Frau, die Männer um den Finger wickeln konnte wie ihren Seidenschal, oder wie Spinnen, die geschickt mit ihrem Faden zu hantieren vermochten, freilich in der Absicht, irgendwann auch zu töten. Und ihr Gatte bemerkte nichts. Vielleicht wollte er auch gar nichts bemerken, weil er klüger war als andere dachten?

Rembert parkte seinen Kleinwagen neben Escortins schwarzer, überdimensionaler Limousine. Allein die Höhe der Reifen dieses Wagens reichte ihm bis über die Knie. Als er ausgestiegen war, fühlte er sich plötzlich genauso klein und unwichtig wie sein eigenes Fahrzeug. Die Knie begannen ihm zu zittern, die Kehle trocknete aus, die Krawatte würgte ihn, die neuen Schuhe, die er nur zu besonderen Anlässen trug, drückten wie verrückt.
Aber man konnte nichts ändern und das verfluchte Schicksal musste seinen verdammten Lauf nehmen. Unsicher stieg er die Treppen zum Eingang der Luxusvilla empor. Dort fasste er sich für einen Moment lang, um kurz und heftig durchzuatmen, ehe er den messingenen Knopf der Klingel betätigte. Nicht zu lang, aber auch nicht zu kurz. Zu lang wäre schlecht, weil dies Penetranz signalisieren könnte.
Escortin neigte zu cholerischen Gefühlsausbrüchen, ähnlich wie der Bürgermeister. Und beide hatten dieselben blutroten Köpfe. Zu kurz wäre ebenso schlecht, weil sich dahinter zu viel Respekt verbergen könnte. Also galt es, eine Art Mitteldruck zu finden. Bei einer unbekannten Klingel gar nicht so leicht. Mirando war ja gelernter Musiker. Jedes Klavier reagierte anders. Warum nicht auch jede Klingel?
Der Türöffner schnarrte. Doch Escortin selbst öffnete ihm nicht. Die Türe ging von ganz alleine auf. Kein gutes Zeichen, dachte Mirando. Er trat ein und sah sich vorsichtig um. Er möge doch weiterkommen, donnerte Escortin plötzlich von irgendeinem Zimmer heraus. Mirando nahm seinen ganzen Mut zusammen. Da erschien der Hausherr höchstpersönlich im Türrahmen eines kleinen Seitenraumes. Was für eine Erscheinung! Der Mann musste gut und gern geschätzte einhundertfünzig Kilo wiegen, durchfuhr es Mirando. Es gab eine Brückenwaage im Ort, durchfuhr es ihn, auf der man die Stiere wog, ehe sie…

Da wäre er also, meinte Mirando und reichte Escortin die Hand.
Ja ja ja, es wäre schon gut und hier herein möchte er kommen und sich setzen. Mirando folgte wie ein Hund dem Herrn. Platz, sagte Escortin. Oder hatte Rembert das „Bitte-nehmen-Sie“ überhört? Es ging alles so schnell. Überbreite Ledergarnitur. An den Wänden geschmacklose nichtssagende Ölgemälde unbekannter Meister.
Wasser oder was anderes, fragte Escortin. Gar nichts, danke. Mirando hatte seine kleine schwarze Aktenmappe geöffnet. Der übertriebene Schwung seiner Bewegung, der Entschlossenheit mimen sollte, war zu heftig ausgefallen, sodass die darin befindlichen vorbereiteten Papiere herausgerutscht waren und nun verstreut vor Escortins Schreibtisch lagen. Dieser verzog bloß den Mund, sagte aber nichts.
Mirando sank auf beide Knie. In dieser Stellung las er die Blätter rasch auf, während Escortin kopfschüttelnd auf ihn herabblickte und Mirando von unten zu ihm hoch.
Alles war bloß eine Frage der Fallhöhe, wie immer im Leben.

Escortin wurde ungeduldig. Man solle endlich zur Sache kommen, meinte er. Der Bürgermeister beabsichtige, die Bautätigkeit anzuregen. Das sollte er wirklich tun, grinste Escortin, indem er ihm das Grundstück oben auf der Wasserwiese überlassen möge. Über die Auftragsvergabe für die Bebauung desselben brauche er sich dann keine Sorge mehr zu machen, dafür würde er selbst sorgen, lachte Escortin verschleimt und kehlig.
Eine Zigarre wurde fällig. Der Qualm, den Escortin beim Anzünden verursachte, ließ Mirando für Escortin beinahe unsichtbar werden. Jedoch genau diese Botschaft sollte Rembert übermitteln. Also zückte er eines der Papiere und hob es siegessicher empor, damit fächelnd, nicht zuletzt auch, um die Rauchwolke vor ihm etwas zu lichten.
Er solle ihm das Papier zeigen, befahl Escortin. Rembert reichte es artig über den Tisch. Escortin nahm es entgegen und glotzte durch seine Lesebrille, die wie ein verirrtes Insekt auf dessen Nasenspitze saß, starr auf den Text. Er atmete schwer, während er ebenso damit beschäftigt war, den sich ständig bildenden Rauch aus seinem Mund loszuwerden, in dem die Zigarre wie ein Fremdkörper steckte. Beinahe wie eine Art Bombe, mit einer unsichtbaren Zündschnur versehen, die gloste, umschlossen von seinen zerklüfteten groben Lippen und Gefahr im Verzug signalisierte. Wenn er an ihr zog, klappten die Wangen wie automatisch nach innen und wölbten sich danach wieder zu ihrem Normalzustand auf. Immer ein und aus, wie die Kontraktionen einer Seegurke auf dem Meeresgrund.
Schön schön, grunzte Escortin schließlich. Geben Sie mir die anderen Sachen! Was ist mit dem Geld? Wohin soll ich überweisen?, fragte er etwas mürrisch.
Rembert Mirando erhob sich affenartig aus seinem Folterstuhl und fuhr mit seinem Zeigefinger auf das kleinere Blatt, auf dem die Kontonummer der Gemeindekasse angegeben war. Auf dieses Konto möge er die geschätzte Summe von … äh, Rembert räusperte sich, er wagte den Betrag nicht auszusprechen, überweisen, wenn es Recht wäre.

Es wäre schon gut, und der Betrag würde heute noch überwiesen, erwiderte der zentnerschwere Unternehmer und setzte seine Unterschrift kratzend unter die bezeichnete Stelle, auf die Remberts zittriger spitzer Finger gewiesen hatte, der schon ganz rot war vom Druck, den er damit auf das Blatt Papier am Schreibtisch ausgeübt hatte. Doch noch ehe Escortin zu schreiben begonnen hatte, nahm er ihn rasch von dort weg, um nur ja nicht im Wege zu sein auf der wunderbaren Reise zu seinem eigenen fulminanten Sieg.
Das wäre ja ganz einfach gegangen, atmete Mirando erleichtert auf und nahm das nun unterzeichnete Versprechen, der Partei eine außerordentliche Zuwendung in der Höhe von huntertfünfzigtausend Euro zu gewähren, rasch an sich, welches er sogleich in seine Aktentasche schob, in der Angst, Escortin könnte es sich doch noch anders überlegen.

So, junger Freund, das hätten wir erledigt, rieb sich Escortin die fetten Hände. Ob sonst noch was wäre? Aber es war nichts und Rembert Mirando bedankte sich im Namen der Gemeinde für die überaus gütige Geste und das Wohlwollen, welches Escortin nun der Partei wie auch der Gemeinde entgegengebracht hätte.
Eine Lüge! Jene merkwürdige Form der Höflichkeit des ewigen Auf und Ab zwischen dem, was man sagen muss und eigentlich nicht sagen darf.
Mirando dachte, wie froh er sei, dass der alte Sack das Geld herausgerückt hatte und dass er endlich verschwinden konnte, denn jetzt stünde seiner eigenen Karriere als politischer Mandatar nichts mehr im Wege.
Der Bürgermeister würde ihn upgraden müssen, Fräulein Mileva dürfte nicht mehr sein Zimmer betreten, ohne vorher anzuklopfen, und wenn man ihn sprechen wollte, gäbe es eine genaue Reihung derjenigen, die vorgelassen werden wollten.
Und er würde sie warten lassen. Und wie er sie alle würde warten lassen! Alle. Dieses Gefühl kostete er jetzt schon aus. Rembert Mirando träumte im Wachen, dass sich von nun an sein ganzes Leben komplett verändern würde.

Als er bei seinem Wagen angelangt war und ihn kurz betrachtete, kam ihm dieser eigentlich gar nicht mehr so klein vor. Den Kopf in den Nacken geworfen setzte er sich ans Steuer. Er wandte seinen Blick nach rechts, zum Seitenfenster, wo das gesamte Sichtfeld aus dem linken Vorderrad von Escortins Limousine bestand. Mirando startete rasch und fuhr den Kiesweg hinab.

Die Parteispende Denis Escortins hatte zur Folge, dass sich die Spirale um die Aktivitäten zur Erschließung eines neu umzuwidmenden Grundstückes an einer Stelle, die für Normalsterbliche weder zu erwerben noch zur Erlangung der Baugenehmigung möglich gewesen wäre, zu drehen begann. Ablehnende Gutachten verschwanden in Schubladen, aus denen sie nie mehr auftauchten. Interventionen von Strom- und Gasgesellschaften wurden so hingebogen, dass man darauf verwiesen hatte, in näherer Zukunft dort ohnehin eine gemeinnützige Genossenschaftssiedlung errichten zu wollen, um so die weit außerhalb des Ortes anzulegenden Zuleitungen zu rechtfertigen.
Der Bürgermeister höchstpersönlich ordnete an, verfügte, machte denjenigen, die Einwände vorbrachten, Versprechungen, die er am Ende nicht hielt und beauftragte Mirando, obwohl jener bloß in der Kulturabteilung saß, mit der Aufgabe, sich über die Fortschritte um die Erschließung von Escortins neuem Grundstück zu erkundigen und ihn auf dem Laufenden zu halten. Mirando wuchs zu ungeahnter Größe. Jetzt könnte er auch seiner Gattin einmal Paroli bieten, die immer so wichtigtat und in gewissem Sinne auch wichtiger war als er.

Rembert Mirando war in seinem Element. Er hatte sich neu eingekleidet. Selbstverständlich hielt er Schwarz für die Repräsentation seiner Position angemessen. So uniformiert stolzierte er aufrechten Ganges, nicht zu hastig, mit entsprechender Würde durch den Ort und die Menge der KirchenbankreserviererInnen bemerkte allesamt, dass er nun etwas darstellen mochte und grüßte ihn von da an ehrfürchtiger als vorher.
Man fand bald heraus, dass man über ihn, wo er doch so gute Beziehungen zum Bürgermeister hatte, einiges erreichen konnte, was so nicht erreichbar gewesen wäre. Etwa die Genehmigung eines illegalen Zubaus, oder die Zulassung eines Brunnens für die WC-Spülung, um der hohen Wasserrechnung zu entgehen.
Und immer brachte man etwas mit, wenn man zu Mirando kam. Außer dem üblichen Sekt oder teureren Rotwein auch Rabattscheine verschiedener Betriebe oder Supermärkte, Eintrittskarten und manchmal auch Bares. Rembert Mirando ließ alles unauffällig in eine Schublade seines Schreibtisches gleiten, die versperrbar war. Schließlich konnte man nicht wissen, wer hier hereinkam, wenn er nicht da war, abgesehen vom Reinigungspersonal, welches von einer Firma in der Stadt gestellt wurde und ausschließlich aus Südost-Migrantinnen bestand.
Alles in allem Vorgänge, die überall gang und gäbe waren und zu denen auch anderswo geschwiegen und denen so der Anschein des Selbstverständlichen und der Respektabilität verliehen wurde, was zur Folge hatte, dass das Sensorium zur Wahrnehmung derartiger getarnter Gegengeschäfte nicht gerade sensibilisiert, sondern eher abgenutzt wurde. Die wenigen Prominenten im Ort, allen voran Denis Escortin samt Gattin, waren ohnehin nie um die eine oder andere Intervention verlegen, wenn es aufgrund einer Verkehrsstrafe oder eines sonstigen Delikts galt, einen Erlass oder eine Herabsetzung ihrer Strafe zu bewirken, obwohl man über die kleine finanzielle Einbuße sicherlich erhaben gewesen wäre. Es war ganz einfach die reine Lust am Prominentsein, die sie dazu bewog, Einspruch zu erheben, um sich damit noch deutlicher vom Pöbel abzuheben, der Sanktionen widerspruchslos hinnehmen musste.

Fräulein Mileva, Mirandos Sekretärin, hatte von nun an noch mehr zu tun als bisher und war darüber gar nicht glücklich. Ja, sie überlegte sogar manchmal, ob sie nicht um Teilzeit ansuchen oder gar den Job wechseln sollte. Mirando arbeitete nur noch selten in seinem Büro und delegierte so ziemlich alles an seine Sekretärin. Er war nicht erreichbar, kam und ging wann er wollte, und wenn er da war, erzählte er wie immer unanständige frauenfeindliche Witze, zu denen er meistens selber am lautesten lachte. Die Kolleginnen und Kollegen tuschelten über ihn, dass er sich in unbeobachteten Momenten angeblich seine Witze selbst erzählte und danach lauthals darüber lachte.

Als ihn der Abgeordnete Meier einmal auf die aktuelle Krise angesprochen hatte, soll Mirando gesagt haben, es sei alles halb so schlimm. Gewiss, man spräche so gemeinhin von einer solchen, jedoch deute alles darauf hin, dass man vor einer großen Herausforderung stünde und diese nutzen müsse. Er, Rembert Mirando, sehe darin überdies seine persönliche große Chance als politischer Mandatar kommen und begrüße die Krise, vor der man nicht verharren solle wie das Kaninchen vor der Schlange. Man müsse nach vorne sehen, betonte er, und dürfe sich nicht an ihrem üblen Beigeschmack stoßen, den sie mitunter zu haben schien, so, als ob einem die Hände gebunden wären. Das wäre glatter Defätismus.
Am Wirtschaftshorizont könne man bereits Anzeichen erkennen, dass es bald wieder aufwärts ginge. Bis dahin würde man der heimischen Wirtschaft unter die Arme greifen, und dabei grinste er bis zu den Ohren, weil er an Escortin dachte und daran, dass er die Sache mit dessen Grundstück auch ein wenig für sich werde nützen können, auch wenn er noch nicht genau wusste, wie. Und nach einer kleinen Pause, die er dem Abgeordneten gönnte, der bereits tief bereut hatte, Mirando jemals eine Frage gestellt zu haben, fuhr er fort, dass man nicht sinnlose Strukturen unterstützen würde, sondern punktgenaue Strategien einsetzen werde. Zack! Das hatte gesessen.

Der Abgeordnete Meier sei in Eile. Eine Frage wolle er trotzdem noch beantwortet wissen, nämlich die, ob man weiter Schulden machen werde, wo doch strenger Sparkurs angesagt sei? Ja, man werde sehr wohl Schulden machen müssen, sagte Mirando. Das machten die Privaten ja auch. Und überdies würde die Wirtschaft sonst den Bach hinuntergehen. Jedoch unterstütze man nicht nach dem Zufallsprinzip, sondern nur dort, wo es sich lohnen, wo es nachhaltig sein würde, wenn er wisse, was er meine. Und Rembert lachte abermals, so ganz für sich.
Der Abgeordnete nickte bloß. Sie sehen also keine Krise, alles im Griff? Rembert baute sich vor Meier auf. Der Abgeordnete sagte nichts. Was denn mit den Arbeitslosen geschehe?, fragte er nach einer Nachdenkpause. Er hätte von einem Sozialprojekt gehört hier im Ort.
Keine Sorge, sie ermöglichten auch das Unmögliche, antwortete Mirando flink. Sie investierten in alle Bereiche gleichzeitig, müsse er wissen, Arbeitsplätze, Wirtschaft, Infrastruktur. Davon könne man anderswo nur träumen. Der Abgeordnete schien beeindruckt. Mirando dachte an den Taktstock. Wieder einmal schwang er ihn hoch über den Köpfen der staunenden Zuhörer, Fräulein Milevas und dem des Abgeordneten Meier. Ob der Finanzchef da mitspielte, wollte Meier wissen? Das verstünde sich von selbst, erwiderte Mirando selbstbewusst, schließlich sei es ja nicht dessen eigenes Geld, und er lachte zynisch, als er dies gesagt hatte.

Norbert Johannes Prenner

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 15053

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