Das Sonntagsgeschirr

Sonntag! Das ist der wöchentlicher Höhepunkt und sollte auch so empfunden und gelebt werden! Endlich Sonntag! Länger schlafen, am schöner gedeckten Tisch ein genießerisch langsames, reichhaltigeres Frühstück, anschließend die Sonntagszeitung durchblättern und über die aktuellen Themen plaudern. So sollte der Erholungs- und Familientag beginnen.

Es war knapp nach der Silberhochzeit, als Max mit seiner Elli im Rahmen einer ländlichen Feier auch den dortigen Flohmarkt besuchte. Nicht, dass sie etwas gebraucht, ja auch nur in irgendwie interessiert gewesen wären; man schlendert halt so durch und wundert sich, was es alles gibt, das man wirklich nicht braucht.

Bis Elli einen spitzen Schrei tat, zwei Standeln weiter vorne: „Jö, Max! Schau her, sowas g’fallert mir schon lang!“ Der Gerufene schlenderte zu ihr und fand sich an einem Tapezierertisch mit Glas und Porzellan. „Was wär denn das? Wir sind doch eh komplett versorgt und haben kaum Platz mehr“ – so Max verwundert. Aber die Elli zeigte auf ein Kaffeeservice mit bunter Bauernmalerei; „Lilienporzellan“ stand unten drauf, und „Alpenflora“. Ja zugegeben, es sah gut aus. Max zog ratlos die Schultern hoch, worauf Elli erklärte: „Wir haben doch kein g’scheites Sonntagsgeschirr – ich mein, es muss ja nicht alle Tage das Gleiche sein, net? Im Sommer, wenn wir Besuch haben, schaut sowas viel schöner aus. Max, das möchte ich haben, frag einmal was das kost’!“

Max suchte die Verkäuferin, eine hiesige Heurigenwirtin, und erfuhr neben dem mäßigen Preis auch, dass das zugehörige Speiseservice noch originalverpackt im Haus wäre. Es habe vor Jahren zur Aussteuer einer Nichte gehört, die es aber nicht in die Schweiz mitgenommen habe. Max bekam das Kaffeegeschirr und die Adresse der Wirtin, er wolle das Speiseservice am folgenden Tag als Überraschungsgeschenk für seine Frau abholen. Die Wirtin lachte: „Mach ma!“

Der nächste Sonntag kam, und Elli hatte den Tisch mit den neuen Kaffeetassen und einem dazu passenden Blumenstrauß gedeckt. Es sah wirklich gut aus, einladend und irgendwie fröhlich. Da bekam man gleich gute Laune, wenn man sich an den Tisch setzte. Und dann kriegte Elli fast einen Herzinfarkt vor Freude, als Max noch das Speiseservice auspackte. „Unser Sonntagsgeschirr!“, sagten Max und Elli gleichzeitig, mit Stolz und Freude.

Ja, und so blieb es auch, ungebrochen bis heute, jeden Sonntag des Jahres. In guten und weniger guten Zeiten, bei Sorgen und Krankheit, wenn sie allein waren oder angenehmen Besuch hatten: Das Sonntagsgeschirr hob die Stimmung und gab dem Tag eine freundliche Note. Gibt es einen schöneren Start in den Morgen? „Und wenn wir einmal ins Altersheim kommen, dann nehmen wir uns zwei Tassen mit, für den Sonntag“, sagte Elli. „Nimm lieber drei mit, und die Zuckerdose“, meinte Max.

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: fest feiern | Inventarnummer: 23091

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