Augen auf bei der Partnerwahl!

So hätte der Tag sich nicht entwickeln sollen. Denke ich und versuche, meinen Körper zur Seite zu drehen. Der Schmerz im Bein stellt sich augenblicklich ein und meine Gedanken auf den Kopf. Also drehe ich nur letzteren und da sind sie wieder, die beiden Kugeln im Gras, meinen Augen ein Fokus, meinen Gedanken ein Anker.
Der skulpturale Effekt der roten Kugeln im Grün ist ein unerwarteter. Die gänzlich neue Perspektive macht’s. Auf Augenhöhe mit Käfer und Konsorten. Der Hund winselt mich besorgt an und holt mich aus meinen filigranen Überlegungen in die Realität. Ich höre mich lachen.

Da komme ich vom Flohmarkt heim, in der schweren Handtasche meine Errungenschaften, ein Schnäppchen: neun glanzlackierte Kugeln aus Holz, etwa sechs Zentimeter im Durchmesser. Rote und elfenbeinfarbene, auch eine gelbliche. Ohne Ziffern darauf, also keine Billardkugeln. Wozu sie einmal gedient haben, würde eine Recherche erst noch ergeben.
Die offensichtlich alten, aber unbeschädigten Kugeln würden meine Sammlung ergänzen und sich im wahrsten Sinn des Wortes glänzend einordnen in die bisher zusammengetragenen. In meine ausgesuchte Kollektion bestehend aus gedrechselten, unterschiedlich großen Holzkugeln, manche satt mit Öl versiegelt, andere lackiert und aufgrund ihres Alters mit feinen Sprüngen versehen. Und da sind außerdem drei alte metallene Pétanque-Kugeln und mehrere deutlich größere, braune und schwarze, Boccia-Kugeln aus Holz, deren Lack über die Jahre spröde geworden ist.
Die zwei neuen Kugeln in wunderschönem sattem Kirschrot habe ich jetzt fest im – von meinem verdrehten Bein abgewandten – Blick. Daneben liegt in einiger Distanz eine einzelne gelbe. Runde Skulpturen. Ganz automatisch muss ich an eine „Familienaufstellung“ denken, deren Sinnhaftigkeit sich mir noch nie erschlossen hat. Die Kugeln stellvertretend für Personen, und aus ihrer Anordnung die Beziehung zueinander erkennbar. Lachhaft, ja schon, aber das lenkt mich von meiner Notlage ab.

Ich komme also nach Hause, schließe die Haustür auf und lasse sie weit offen stehen. Gleich darauf öffne ich im Wohnzimmer die Balkontür zum Garten, um die warme Luft so optimal durchziehen und in den Wohnbereich strömen zu lassen. Ich trage die Einkäufe vom Auto ins Haus, bin abgelenkt vom Hund, der mich stürmisch begrüßt und merke deshalb nicht sofort, dass mir eine junge Frau von der Straße ins Haus folgt und plötzlich im Wohnzimmer vor mir steht. Ich habe sie nie zuvor gesehen. Sie ist hübsch, sehr schlank, etwa im Alter meiner Tochter. Blond. Und sehr aufgeregt ist sie, rote Flecken tanzen auf ihrem Hals, als sie so dasteht mit leicht verzweifeltem Blick. Ich weiche instinktiv zurück auf die Terrasse in Richtung Garten. Sie folgt mir und bleibt in der offenen Balkontür stehen. Einen Koffer hat sie neben sich abgestellt.

Da sind also diese gelbliche und hier die zwei rotglänzenden Kugeln zwischen den Grashalmen, den zu langen. Das Mähen hat mein Mann vor seiner Dienstreise nicht mehr erledigen können oder wollen, wie auch immer. Jetzt liegt‘s wohl an mir und doch auch wieder nicht, denn ich bin eindeutig außer Gefecht gesetzt. Beim nochmaligen Versuch mich aufzurichten, ist die schmerzhafte Erkenntnis deutlich. Dabei ist mir genau jetzt danach, alles kurz und klein zu mähen!
Was soll ich viel sagen, eine persönliche Katastrophe, die das Leben für viele bereithält, nicht weiter erwähnenswert; ein überraschend rasantes Finale einer beliebigen Ehe. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Jedenfalls für niemand anderen von Interesse.
Die junge Frau weiß, was sie will. Mir nämlich endlich sagen, dass sie meinen Mann liebt, und er sie auch, seit vielen Monaten. Dass sie diese würdelose Situation aber nicht mehr länger ertragen wird. In ähnlichen Worten. In vielen Worten. Mit einer Dativ-Akkusativ-Unschärfe, die ich ansonsten keinesfalls billige. Diese und ihre eingeübte, kunstvoll kultivierte Aufgebrachtheit rühren mich dennoch. Irgendwie.

Meine Lage könnte schlechter sein, es ist sommerlich warm, ein unverletzter Körper könnte zufrieden sein, auf der trockenen Wiese zu liegen, unter dem heute so besonders hohen Himmel, unter den pittoresken Haufenwolken. Irgendwie müsste ich nur an mein Handy gelangen. Die drei Stufen von der Terrasse in den Garten waren mir zum Verhängnis geworden. Ich war auf dem Rücken zu liegen gekommen und unter meinem verdrehten Bein auf Höhe des Knies meine Handtasche. Ein paar der Kugeln waren herausgerollt. Wenn ich mich erst einmal an den Schmerz gewöhnt hätte, dann wäre es bestimmt möglich, mit dem intakten Fuß die Tasche zu angeln und das Handy zu erwischen. Falls mir das wider Erwarten doch nicht gelänge, so würden mich meine Nachbarn hören, das alles war also kein Beinbruch. Oder eben doch einer. Andererseits nichts weiter als ein solcher. Lassen wir die Kirche im Dorf. Solche Dramolette passieren allerorts tagtäglich. Manchmal ist man eben unter den Hauptdarstellern. Komprimierte Ahnungslosigkeit in Person, ja, durchaus auch mit Gipsfuß.

Das seien die Sachen meines Mannes, sie wolle ihn nicht mehr sehen, meint das blonde Klischee einer Geliebten und schiebt schwungvoll den Koffer in meine Richtung, dreht sich um und läuft aus dem Haus. Sie ruft mehr sich selbst als mir noch zu: Augen auf bei der Partnerwahl! Genau in diesem Moment fällt mir endlich etwas ein, das zu sagen irgendeinen Sinn ergäbe, doch meine Stimme bleibt weg. Jetzt im Nachhinein gesehen wäre es ohnehin nur Unnötiges gewesen. Und zittrige Knie habe ich anscheinend, denn als der Hund vor dem auf ihn zurollenden Koffer zurückweicht und mich einen Schritt zur Seite drängt, gerate ich in Schieflage und falle. Über die drei Stufen auf die Wiese mit den zu langen Grashalmen.
Die beiden roten Kugeln im Gras. Und die andere gelbe. Bin ich nun die dritte Person oder noch Teil des Paares? Ungerecht, aber die Chronologie rechtfertigt keinen Anspruch. Die Kugeln halten ihrer zugedachten Rolle in der Dramaturgie nicht lange stand. Und meine Würde nicht der Qual. Nicht auszuhalten, dieser Schmerz im Bein. Dieser Aufruhr im Kopf. Mit einer atemlosen, kläglichen Unbeherrschtheit, die ich nicht von mir erwartet hätte, rufe ich nach den Nachbarn.

Michaela Swoboda

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 14049

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