Erste Hilfe

An einem Sommerabend beim Heurigen: Die meisten Tische sind besetzt, die Gäste genießen ihr Glas Wein mit einem kleinen Imbiss und plaudern in kleinen Gruppen. Es sind wohl etliche Einheimische hier, die Mehrzahl stellen Besucher aus Wien.

An einem Tisch wird die Unterhaltung eines älteren Paares lauter, die Frau steigert sich in einen hysterischen Anfall und kippt – eine Ohnmacht markierend – gekonnt und ohne Verletzungsgefahr hintenüber von der Bank ins Gras.
Der Alois, ein 50-jähriger Maurer mit guten 100 kg und Walrossbart, stürmt vom Nebentisch hin, reißt die Bluse auf, fünf Drücker Hand über Hand am Brustbein, dann Mund-zu-Mund-Beatmung. Mit einem Pressluftstoß aus blasmusikgestähltem Brustkorb füllt er ihre Lunge bis zum Platzen – diese großzügige Luftspende entringt sich der Frau umgehend in einem schrillen Schrei: „Sind Sie wahnsinnig!“ Sie rappelt sich hoch und keift weiter: „Mich so zu überfallen – um Gottes willen, ich bin halb nackt, meine Bluse … und pfui Teufel, wie Sie aus dem Mund stinken! Haben Sie einen toten Hund gefressen?“
Darauf Lois, gemütlich: „Na, nur a Quargelbrot mit Zwiefel.“
Sie, wieder in Hysterie fallend: „Nein, das halt ich nicht aus, das halt ich nicht aus, oh Gott, mir wird schlecht!“
Lois, väterlich ermahnend: „Sö, Frau, wenn S’ wieder umfallen, mach ich weiter!“

Diese gut gemeinte Drohung bewirkt blitzartig: 100%ige Rekonvaleszenz. Sie schreit mit rotem Gesicht: „Nein, wirklich net, Rudi! Ruuudi! Wir gehen! Sofort!“ und läuft beim Gartentor hinaus.
Der Gatte Rudi: „Na, i muaß no zahln. Mitzi, zwei Gspritzte, zwei Brot und a Flaschl Guatn für den Herrn da – so, stimmt schon.“ Er winkt dem Lois zu, grinst und geht seiner Frau nach.

Der Weinhauer zum Alois: „Guat g’macht, Loisl, aber hast so grob sein müssen?“ Der Lois, gestelzt aus den Verhaltensregeln der freiwilligen Feuerwehr zitierend: „Bei Abwehr ernsthafter Gefahr im Verzug sind Kollateralschäden zweitrangig.“ Er setzt sich wieder und trinkt zufrieden lachend seinen G’spritzten aus.
Aber die ungestüme Kraftnatur des Alois hat in der Frau auch anderen Eindruck hinterlassen, wie sie einer Freundin anderntags mitteilte: „Also wie das Trumm Mannsbild mit seine Riesenpratzen über mir war – also da war mir ganz anders.“

Der Rudi besucht nun zwecks Muskelaufbau (die Midlife-Crisis hat auch ihr Gutes) einen Fitnessklub; und bei späteren Heurigenbesuchen bestellte er jedes Mal ein Quargelbrot, weil: „Sicher ist sicher, wennst am End’ wieder einmal einen Anfall kriegst.“

Sie hat nie wieder einen gekriegt!

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary| Inventarnummer: 22007

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