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Fieberphantasien im Pullmann-Abteil

Meinem ein bisschen versnobten damaligen Begleiter, einem jungakademischen Psychologen, kam es gerade recht, einer reiseunerfahrenen jungen Frau wie mir zu zeigen, wie man Reiseabenteuern souverän begegnet. Handtellergroße Kakerlaken auf dem Klobrett, doppelt zur Unterschrift vorgelegte Kreditkartenbelege und der Mietwagen, dessen Pneu die Luft nur bis zum nächsten Stadtviertel halten konnte, fallen unter die Rubrik touristische Kümmernisse allgemeinüblicher Natur und damit bei nervenstarken westeuropäischen Touristen nicht weiter ins Gewicht.

Auf die kolportierte Überlegenheit des Mannes vertrauend, konkret auf die meines damaligen Freundes, ließ ich mich also vom Kauf dieses Zugtickets nach Mexiko City überzeugen.
Mein Psychologe, der übrigens verbal und nonverbal eine beginnende Magen-Darm-Verstimmung ankündigte, erklärte mir, dass wir ein so genanntes Pullman-Abteil gebucht hätten; er wusste oder erfand gut, welche bedeutenden Menschen in diesem komfortablen Abteil bereits gereist seien. Der Charme des 19. Jahrhunderts war nicht nur optisch präsent, nein, den ein Jahrhundert lang benützten Polsterbänken haftete auch ein ganz besonderer Geruch an. Drei Stunden sollte laut Fahrplan die Fahrt in die Hauptstadt dauern.
Auf halber Strecke – wir hatten gerade unseren Reiseproviant verzehrt – ging plötzlich gar nichts mehr; der Zug blieb ruckartig auf freier Strecke stehen. Meine Frage an den mexikanischen Schaffner nach der Ursache unseres abrupten Stopps wurde mystisch lächelnd mit Schulterzucken quittiert. Wir befanden uns mitten auf freiem Acker, links und rechts nur trockene braune Erde, keine Siedlungen, keine Menschen, keine Straßen.

Die zuvor noch leichten Anzeichen einer Magen-Darm-Verstimmung meines Begleiters wichen ausgeprägten Beschwerden. Natürlich waren wir vage darauf vorbereitet, dass auch uns Montezumas Rache ereilen würde, aber ausgerechnet jetzt und hier? Die Toiletten aus dem vorigen Jahrhundert verloren schnell ihren viel gepriesenen Charme. Zu den eruptiven Emissionen meines Freundes gesellte sich innerhalb der nächsten beiden Stunden sehr hohes Fieber – unser unfreiwilliger Aufenthalt zog sich hin.
Unsere Getränkevorräte waren erschöpft, es war extrem heiß und stickig in unserem Abteil, auch durch Öffnen der Fenster und Türen kam kein lindernder Luftzug zustande; mein Freund transpirierte und ich aus Angst um ihn nicht minder, denn er lag mittlerweile mit hochrotem Gesicht auf dem Bett und konnte ganz entgegen seine Natur keinen zusammenhängenden Satz mehr sprechen. Er hatte Durst, wir hatten Durst; das Wasser aus der Leitung war gerade gut genug für einen Umschlag auf seine fiebrige Stirn.

Der Schaffner spazierte mit dem Zugführer rauchend und wild gestikulierend außen am Zug entlang und nichts deutete auf eine baldige Weiterfahrt hin. Meine Frage nach Getränken verneinte er bedauernd; und nein, ein Arzt sei nicht im Zug. Immerhin war genug Klopapier vorrätig. Ein launiger Mitreisender im Nachbarabteil bot mir statt Wasser zur Beseitigung unserer „bad vibrations“ Kokain, auf das ich dankend verzichtete.
Zwischen erotischen Fieberphantasien, zu deren Realisierung mein deaktivierter Geliebter – Montezuma sei’s gedankt – zu schwach war und geräuschvollen Aufenthalten im Pullman-Klo verging die Zeit dann doch irgendwie kurzweilig bis zur Weiterfahrt.
Nach neunstündiger „Fahrt“ erreichten wir die mitternächtliche Hauptstadt. Ich war in diesen Stunden von der unbedarften zur routinierten Reisenden gealtert, nahm meinen Rucksack auf den Rücken, seinen auf die rechte Schulter, mit der linken stützte ich meinen kranken Freund, brüllte mit Nachdruck erfolgreich nach einem Taxi, korrigierte spanisch stotternd dessen Fahrtroute, und wir erreichten mit halbtägiger Verspätung unser Hotel, wo mit Arzt, Salzkeksen und Bier mein Liebster nach einigen Tagen voll wiederhergestellt war.

Das Histörchen mit den erotischen Fieberphantasien diente übrigens noch eine Zeitlang der spektakulären Erbauung unseres Bekanntenkreises, bis mein Freund – ganz Psychologe – das einfach meiner Phantasie zuschrieb. Letzteres stand aber nicht wirklich in ursächlichem Zusammenhang zu unserer bald darauf erfolgten Trennung.

Michaela Swoboda

Text veröffentlicht in:  Der Spiegel

www.verdichtet.at | Kategorie: hin & weg | Inventarnummer: 13012

 

 

Ah & Oh!

Der Zug war voll und ganz knapp erwischten wir noch zwei Sitzplätze. Uns gegenüber so ein smarter Thirtysomething. Ein Anzugträger mit stylischer Hornbrille, iPad und iPod. Er telefonierte, warf uns beiden Mädchen einen knappen grüßenden Blick zu.

Kathrin und ich wollten unsere Seminararbeit über das Kartellrecht in der EU vorbereiten und starteten beflissen unsere Notebooks. Mussten aber notgedrungen unserem Gegenüber beim Telefonieren zuhören.

„Ja, ja, genau, Sie sagen es, ein lifestyliges Wohnaccessoire. Wie der Radiowecker, exakt. So sehen es unsere Kunden. Kann durchaus am Kaminsims stehen und als moderne Skulptur durchgehen. D‘accord, für den Swiss Design Award sind alle 39 Produkte unseres Portfolios nominiert worden und 8 davon haben eine Auszeichnung erhalten. Kein Geld, aber unser globales Ansehen ist gestärkt. Es bescheinigt uns höchste Designkompetenz. Die puristische Linienführung hat die Juroren überzeugt. In der Kategorie „Outdoor, Sport und Hobby” konnten wir reüssieren, besonders die herausragenden Detaillösungen wurden lobend erwähnt.“

Er sprach einigermaßen laut und für sein Umfeld deutlich vernehmbar. Kathrin warf mir einen genervten Blick zu und flüsterte: „Mann, muss der wichtig sein!“ Endlich beendete er sein Telefonat.
Gerade als wir uns auf unsere Arbeiten konzentrierten, ging es wieder los. „Herr Leitner, das ist schön. Gerne, ich freue mich auf Ihre Bestellung. Würden Sie uns die Daten per eMail schicken? Ja, in allen aktuellen Trendfarben, eiscremefarben bis verchromt. Und – nicht zu vergessen – alle multifunktional. Danke, ja, das finde ich auch, richtig cooles Design. Ha! D’accord! Unbedingt! Für sie und für ihn. Ähem, Ringe. Sie verstehen?“

Ich beugte mich ein wenig nach vorne, um auf die Unterlagen unseres Gegenübers blicken zu können. Eine Hochglanzbroschüre, irgendein lila- und weißfarbenes Kunststoffprodukt war darauf zu erkennen, etwa in Form und Größe einer Computer Mouse. Die Webadresse war auch zu sehen und ich tippte in meinen Browser www.ah-toys.com ein, riss die Augen auf und ließ Kathrin an meiner Entdeckung teilhaben. Das nächste Telefonat ließ nicht lange auf sich warten.

„Frau Bergmann, hallo. Ja bitte, die Presseaussendung. D‘accord, schreiben Sie doch einfach „Die einzigartige Formensprache der Kollektion schreibt Geschichte.“ Und „Revolution im gesamten Lifestyle-Sektor“. Klotzen statt Kleckern. Ja, sehr gut, schreiben Sie „hoch entwickelte Designkultur“.

Der gute Mann war laut www.ah-toys.com der Chefdesigner einer Firma, die sich der Herstellung von Erotik-Toys widmete. Mit großen Augen und wachsendem Interesse klickten wir uns durch das Angebot. Es gab Rings, Lay-Ons, Bullets, Rabbits und Exemplare aus Glas zu erwerben, manche sogar „remote controlled“. Gefertigt wurde meist aus Silikon, bleifrei und abgerundet für die bequeme Handhabung. Wir erfuhren, dass die feste Oberfläche maximale Vibration überträgt und die Bedientasten leicht zu erreichen und darüber hinaus beleuchtet seien. Das USB-Ladekabel war inkludiert, was uns recht nebensächlich erschien angesichts der weiteren Beschreibungen: Für die Dusche geeignet. Kraftvoller Motor. 7 Programme. Flüsterleise.

Der nächste Anrufer erwies sich als kritisch: „Was sagen Sie da, den unterkühlten Sex-Appeal eines Smartphones? So würde ich das nicht sehen. Die Produkte sehen zugegeben sehr clean aus, sehr minimalistisch, aber doch auch chic. Ein Lifestyle-Accessoire für den anspruchsvollen, designorientierten Menschen. Die Produkte bieten zudem maximalen Gestaltungsspielraum. D‘accord, made in Switzerland. State of the Art, High-End-Design. Ja, ich melde mich nächste Woche bei Ihnen.“

Kathrin und ich betrachteten fasziniert die puristisch, nur auf das Produkt reduzierten, computeranimierten Videos. Allerhöchster Anspruch an Ästhetik und Leistung. Attraktive Preise. Hohe Funktionalität. Ergonomische und intuitive Handhabung. Produktgarantie für 15 Jahre. Gesundheitlich unbedenkliche Materialien garantieren allerhöchste Qualität und eine gefahrlose Benutzung.

Unser Gegenüber erklärte jemandem, der es wissen wollte, am Telefon: „Einer aktuellen Studie zufolge gibt es weltweit 108 Millionen Nutzerinnen, pro Jahr werden  50 bis 60 Millionen Stück verkauft. Das Marktvolumen für das Jahr 2020 wird auf einen jährlichen Umsatz von mindestens 15 Milliarden US-Dollar geschätzt. Wir haben uns bereits 16 eigene Patente weltweit gesichert.“

Beim nächsten Anruf senkte der Herr Chefdesigner deutlich die Stimme: „Ja, Mutti, salü. Ich sitze im Zug und habe gleich eine Geschäftsbesprechung via Skype. Ich habe nur ganz kurz Zeit. Was meinst du denn damit? Meine Erzeugnisse irritieren dich? Sie verkaufen sich wie warme Semmeln. Es gibt einfach Menschen, die in allen Lebensbereichen Design und Perfektion suchen. Manche kaufen das ganze Sortiment. Ja, so wie andere Frauen Handtaschen sammeln. Oder Manolos.
Muttchen, so hör doch auf, es sind innovative Produkte in außergewöhnlichem Design, und sie sind für jedermann erschwinglich. Krisensicher? Natürlich, die Nachfrage steigt ständig, es gibt Zahlen, dass solche Produkte neben Schokolade und Antidepressiva zu den wenigen Gütern gehörten, die während der Weltwirtschaftskrise steigende Absatzzahlen zu verzeichnen hatten. Umso mehr jetzt!
Mutti, diese Artikel gehören einfach zum alltäglichen Leben und zur Steigerung und Erhaltung des eigenen Wohlbefindens dazu. Wie bitte, das wirst du mich doch nicht ernstlich fragen, Mutter! Ich muss jetzt gleich aufhören.“
Er flüsterte mittlerweile beinahe und über seinem Mund waren kleine Schweißtröpfchen sichtbar. „Mutti, Mutti, nein, das will ich jetzt nicht hören und wissen. Wir haben einen Online-Shop, bitte nutze ihn. Ja, sicher steht da „für alle Personen von 18 bis 80 Jahren“. Klar, also auch für Tante Hilde. Das steht dir frei, aber bitte über den Shop! Du, ich muss jetzt, salü!“

Er seufzte erleichtert auf und riskierte einen Blick auf uns. Kathrin und ich grinsten den armen Mann recht ungeniert an, und er zog daraufhin kurz die Augenbrauen hoch und sich anschließend mit seinem Mobilbüro in den Speisewagen zurück. Aufs Kartellrecht konnten wir uns danach nicht mehr konzentrieren.

Michaela Swoboda

www.verdichtet.at | Kategorie: hin & weg | Inventarnummer: 13003