Schlagwort-Archiv: Wortglauberei

image_print

Verfluchte Tage oder It’s war, baby!

„Dieses verwünschte Jahr ist zu Ende. Doch was weiter? Vielleicht kommt etwas noch Schrecklicheres. Wahrscheinlich sogar.“
Diese Sätze schrieb Ivan Bunin am 1. Jänner 1918 in sein Tagebuch, noch in Moskau, aber bald danach floh er vor der bolschewistischen Revolution über Odessa nach Paris und kehrte nie wieder zurück.
„Verfluchte Tage“ nannte der Nobelpreisträger von 1933 seine Aufzeichnungen über Revolution und Flucht vor 100 Jahren.
„… weil eines der auffälligsten Erkennungsmerkmale einer Revolution die ungezügelte Gier nach Spiel, Verstellung, Pose, Schaubude ist. Im Menschen erwacht der Affe.“
Odessa, 12. April 1919

Als mir im März 2020 beim Abstauben der Bücherregale dieses Buch in die Hände fiel, las ich es in einer schlaflosen Nacht in einem Zug durch und bemerkte, dass ich es schon mehrere Male durchgearbeitet hatte, wie ich an den unterschiedlichen Unterstreichungen und Anmerkungen feststellen konnte. Warum nur? Weil mich Umbrüche und Weggabelungen schon immer interessiert haben, sowohl bei mir, bei Menschen als auch in der Geschichte, vor allem, wenn sie zeitlich zusammenfallen. Und nun bin ich in einem von solchen Fällen Lebenszeitzeuge; da holte ich andere Exilliteratur aus dem Russenregal: „Teffy, Champagner aus Teetassen – Meine letzten Tage in Russland“ der Schauspielerin Nadeshda Lochwitzkaja; weiters die Autobiografie von Levon Aslanowitsch Tarassow, der sich im Pariser Exil Henry Troyat nannte und mehr als einhundert historische Romane schrieb; die Biografie von Olga Knipper-Tschechowa, und die von Lew Nussimbaum alias Kurban Said alias Essad Bey, der auf seiner Flucht mit seinem Vater ebenfalls in Konstantinopel hängengeblieben ist.
Dieses Warten, dieses Hängenbleiben und das Herausfallen aus der Zeit, ich glaube, es ging ihnen allen so wie dem Panther im Jardin des Plantes – und hinter tausend Stäben keine Welt. Die russische Psychoanalytikerin Sabina Spielrein erwischte der Kriegsausbruch in ihrem langjährigen Wohnort Berlin, und obwohl sie nicht ausgewiesen wurde, kehrte sie – aus übergroßer Heimatliebe? – nach Russland zurück. Dort geriet sie zuerst in die Stalin-Falle, die ihrer Karriere ein Ende setzte und später in die SS-Falle, die ihr Leben, das ihrer zwei Töchter, des Vaters und zweier Brüder auslöschte.

Als immer mehr Politiker, angefangen von Macron bis zu Trump, vom „Krieg“ gegen das Corona-Virus zu schwafeln begannen, kamen bei mir Erinnerungen auf an die vielen Emigranten, die auf der Flucht irgendwo strandeten oder sich bei Kriegsausbruch plötzlich in Feindesland wiederfanden. Sie wurden entweder expediert oder kehrten aus Patriotismus in ihre Heimatländer zurück. Das kann man in vielen Biografien aus den Zeiten vor dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg nachlesen. Nicht wie jetzt bei der Corona-Krise holten sie ihre Regierungen in Luftflotten nach Hause, 250 000 in Deutschland, 34 000 in Österreich, sondern sie haben ihr Leben lang dieses Gestrandetsein nicht mehr vergessen und verwinden können. Immer war es ein Wendepunkt in ihren Leben.

Tschechows Witwe Olga befand sich mit der Truppe des MCHAT, dem Moskauer Künstlertheater, gerade auf Gastspiel in Odessa, als die Oktoberrevolution ausbrach.
Nach verzweifelten und „verfluchten“ Wochen, wie Ivan Bunin diese Zeit bezeichnet, gelingt es der Truppe, ein Schiff zu kapern, das sie die Donau aufwärts bis nach Wien bringt, wo es im Theater an der Wien sogar zu einer Aufführung von „Kirschgarten“ kommt, mit der berühmten Olga Knipper in der Rolle der Ranewskaja. Meine Bibliothek steht mir gerade in meinem Corona- Exil nicht zur Verfügung, um zu überprüfen, ob es nicht das „Nachtasyl“ von Gorki war.

Bunin, der die Bolschewisten verachtete, glaubte noch einige Zeit lang an die Umkehrbarkeit der Revolution und arbeitete in Odessa an einer antibolschewistischen Zeitung mit.
Geschichten vom Hängenbleiben, von Schiffbrüchen und Rettungen hatten in den letzten Wochen auch die Medien zu bieten. Ein Segler vor der türkischen Küste, der nicht anlegen darf, andere mussten von der Karibik aus den Atlantik überqueren, Touristen in Neuseeland und Peru wollten nicht gerettet werden und blieben in Wellington und Medellin.
Besonders amüsant finde ich die Episode mit Kaiser Wilhelm II., der sich trotz der drohenden Kriegsgefahr im Juli 1914 nicht von seinem alljährlichen Urlaub auf seiner Segeljacht „Kiel“ abbringen ließ und um ein Haar zur eigenen Kriegserklärung zu spät nach Hause gekommen wäre. Oskar Potiorek, Oberbefehlshaber der k. u. k Balkanstreitkräfte und Verantwortlicher für das verhängnisvolle Manöver vom 27. Juni 1914, weilte gerade zur Kur in Karlsbad, als der Krieg ausbrach und musste eiligst in einem plombierten Zug an die Front gebracht werden.

Wissen diese Kriegserklärer von Macron (den ich bis dahin für ziemlich intelligent gehalten habe) bis Trump, wem die da gerade was erklären?
Krieg. Wo sind die Heere? Wo die Linien? In welchen Formationen? Mit welchen Waffen rücken sie an? Wie groß ist die jeweilige Truppenstärke? Wen haben sie gegenüber? Wie sieht der „Feind“ aus, den sie vernichtend schlagen wollen? Wie schön dagegen noch die Frontlinien in der Drei-Kaiser-Schlacht von Leipzig. Wie am Reißbrett. Oder die gedrechselte Epik des „An meine Völker“.

So unsichtbar war noch nie ein Feind seit der Pest, als man vor allem die Juden und Frauen/Hexen für die Epidemie verantwortlich machte und sie als Brunnenvergifter, als Milch- und Viehverhexer und Seuchenverbreiter und Wetterhexen verfolgte. So macht es auch Trump, wenn er – mit Augenbrille – vom chinesischen Virus oder Wuhan-Virus redet. Da man das Virus nicht zwischen die Finger kriegt, es nicht feuern und ihm nicht den Hals umdrehen kann, auch Kanonenkugeln und Grenzmauern nichts bringen, warum eigentlich nicht stellvertretend die Schuppentiere, Fledermäuse und Schlangen, die Zibethkatze und alle Hunde und wer weiß welche Tiere noch bestrafen, die auch Zwischenwirte sein könnten? Die Liste ist lang: Schleichkatzen, Marderhunde, Nerze, Frettchen für Operation Sündenbock. Besonders beliebt bei allen Verschwörungstheoretikern, Populisten, Nationalisten und Rassisten.
Aber ein Gutes hat die Corona-Krise auch: Sie zeigt überdeutlich, dass diese Leute, wenn sie in der Politik mitmischen, nichts drauf haben. Keine Lösungen, nur dumme Phrasen, vielfältiger Schwachsinn und Popanz. Wenn nicht das Gedächtnis der Menschen so kurz und lückenhaft wäre, könnten wir sie dank Corona endgültig loswerden. So ist es unwahrscheinlich, dass sich die Kurve der Dummheit schnell abflachen wird.

Mir kam einmal bei der Aufzählung all der möglichen Schuldigen die Erinnerung an das Lieblingsbuch meiner Kindheit, an Kästners „Konferenz der Tiere“ hoch, an den Löwen Alois, den Elefanten Oskar und die Giraffe Leopold: „Es geht um die Kinder!“ Die Tiere schlagen zurück. Ihr habt uns gefressen und ausgerottet, jetzt seid ihr dran!
Wahrscheinlich Corona-verseuchte, nächtliche Gehirngespinste. Wer wäre in unserer Gegenwart der erfolglose Sonderermittler Zornmüller, den die Tiere in die Flucht schlagen?
In der FAZ lese ich ein Interview mit dem Berliner Inselmakler (so was gibt’s) Farhad Vladi, der von seinem derzeit florierenden Geschäft schwärmt, und meine Buchhändlerin erzählt mir, als ich wieder ins Ladeninnere reindarf und nicht mehr durch den Türspalt die Bücher gereicht bekomme, dass ewige Ladenhüter wie Decamerone und Robinson Crusoe hoch im Kurs stünden.

So hat eine jede Krise punktuell auch ihre guten Seiten. „Always look on the bright side of life“. Wegen übergroßer Nachfrage geht Mexicos Brauereien das Corona-Bier aus, und das idyllische Dörfchen St. Corona am Wechsel schafft es sogar auf CNN mit einem Reporter-Bild vor der Ortstafel. Wie sie Wechsel wohl übersetzt haben?

Aber eines der größten Opfer in Kriegs-, Revolutions- und Corona-Zeiten ist die Sprache.
Karl Kraus lässt grüßen, hätte seine Freud gehabt und ganze Fackeln damit füllen können. In meinen Containment- und Social-Distancing-Wochen habe ich es mir zum Sport gemacht, bei den Nachrichten mitzuschreiben. Als Erstes bekamen wir english lessons: News, Topnews, Morning News, BREAKING NEWS schreit es in abscheulicher Dekoration mit dicken, alten, hässlichen Männern und dümmlichen, spärlich bekleideten, oft piefkinesisch mit piepsenden Stimmen sprechenden TV-Schnepfen in Lockenpracht. Echt sexy, trotz shutdown, lockdown, containment, social distancing, cluster, no kiss, no hug, no stop, just go and keep distance.
Oh Gott, wie sind die gebildet. Je mehr geredet, erklärt, kommentiert werden musste (Einschaltquoten!), desto mehr kommt die deutsche Sprache unter die Räder.

Die medialen Erklärer haben es zustande gebracht, die sehr, sehr wortreiche und variable deutsche Sprache – der Horror aller Deutsch-Lernenden – zu einem pigeon-german verkümmern zu lassen.
Bitte sehr, eine kleine Auswahl aus den sprachlichen Folterwerkzeugen, manche unfreiwillig lustig:
Man soll die Lanze nicht auf die Goldwaage legen.
Das Rennen um die Impfstoff läuft.
Corona kommt der Natur sehr zugegen.
Waren die Warnungen übergeschossen? Als Variante im Bericht gab’s noch:
Haben die Warnungen übergeschossen?
Eine Pandemie oder Hyperinflation gab es ebenfalls mit dem Wort: Zukunft.
Wir müssen die Zukunft neu ausrichten.
Die Zukunft wird neu.
Wir brauchen mehr Zukunft!
Meine Zukunft gehört mir!
Geht jetzt die Zukunft in den Ruhestand?
Wann kehrt meine Zukunft zu mir zurück?
Die Reparatur der Zukunft.
Den Enttäuschten schlägt es jetzt Hohn und Spott in die Augen.
Es hungert uns nach Haut.
Griechisch-orthodoxe Kirche verschiebt Ostern.
Afrika schottet sich von Europa ab.
Sommmersaison der Wiener Bäder fällt ins Wasser.
Die Intensivbetten gehen zur Neige.
Meine Brille (ein Pferd?) wird beschlagen.
Die Politiker sollen Zuversicht schüren.
Notre Dame (der Wiederaufbau) liegt auf Eis.
Obertilliach hegt auch das zweite Standbein Landwirtschaft.
Die K-Zeitung verrät am Ostersonntag in dicken Lettern am Titelblatt, warum „sich das Ostergeheimnis auch von schweren Zeiten nicht unterkriegen lässt“.

Unter einem mittelalterlichen Gemälde eines dornengekrönten Christus. Das nenn ich Pornographie, grenzt schon an Poesie, poetische Pornografie, überhaupt wenn man noch einmal hochschaut auf die Großbuchstaben mit AUFERSTEHUNG, die das ursprüngliche I.N.R.I. verdecken und erklären, „warum uns in diesen Zeiten unser Glaube besonders wichtig ist“. Welcher Glaube ist damit gemeint? Der des Pakistani? Des Trump an sich selbst?
Des Hofer Norbertl an die „leichte Grippe“?
Nachdem ich wahrscheinlich zum gefühlt 3000stenmal „Herausforderung“ und „herausfordernd“ gehört habe, in Zeiten wie diesen, das Hochfahren der Wirtschaft, eines Theaters oder sogar des ganzen Landes, hat mich das erste der vier Corona-Frühsyndrome erfasst – Brechdurchfall. Erst lief ich hin und her, dann stellte ich einen Kotzkübel neben meine Fernsehcouch und gesundete erst, als ich die Echtwörter für die Verschleierungs- i. e. Maskenwörter beisammenhatte. Hochfahren, das bringe ich seit circa 30 Jahren mit dem Computer in Verbindung, mit einem oder einigen wenigen Tastendrückern das Ding wieder zum Laufen zu bringen. Was für ein verblödetes Wortbild. Ein hochfahrender Mensch, ein altertümliches Wort aus Goethe, Theodor Fontane vielleicht, oder Jean Paul. Und da gibt’s noch das „zum Hochfahren bringen“, „das Hochfahren erleichtern und befördern“. Das erst bringt einen wirklich zum Hochfahren, überhaupt als unfreiwilliges Mitglied der Risikogruppe.

Probleme, verdammt viele Probleme, Schwierigkeiten an allen Ecken und Enden, koste es, was es wolle, niemand wird zurückgelassen. Warum reden sie nicht Klartext, es ist alles viel schlimmer, als es darzustellen ist. Und am Ende kriegen, wie in der Finanzkrise, wieder die Großen das ganz große Geld. Alles echte, tiefe Scheiße, in der wir alle bis über die Ohren sitzen, die keine Insel besitzen, keine atlantiktaugliche Jacht oder ein Landhaus in der Toskana. Russische Millionäre wollen sich im Permafrost von Sibirien einfrieren lassen, berichtet neuerdings die Ex-Außenministerin, die im Dirndl knicksende Karin K., auf dem ganz neutralen, objektiven TV-Sender RT. Das Tauen des Permafrosts samt Methan kommt früher, als ihr erstes Gehalt eintrifft. In welches Höllental uns der Kapitalismus hineingeritten hat. Ich kann nicht garantieren, ob ich beim nächsten Mal nicht einen Schreikrampf kriege und alle Blumentöpfe aus dem Fenster werfe. Das ist die eigentliche Qual der Quarantäne. Der Tsunami an schiefem und fauligem Wortmüll.

Besonders hübsche Ausreißer liefern die Corona-Maulhelden Trump, Lukashenko und Bolsonaro. Der erste rät mit Plexiglasbrille vor den Augen, Desinfektionsmittel einzunehmen und Haarbleichmittel zu injizieren (vielleicht spricht er aus eigener Erfahrung und macht das ja schon länger?); Luka empfiehlt Wodkatrinken, Feldpflügen und Fußballspielen. Bolsonaro meint, dass er als ehemaliger Militärathlet vom Virus nichts spüren würde, außerdem sei sein zweiter Vorname Messias (mit dem ersten hat’s aber kein gutes Ende genommen). B. leugnet, dass die Todesfälle etwas mit Corona zu tun hätten. Womit denn? Mit gepanschtem Schnaps? Erdogan wiederum singt ein Loblied auf den Raki. Also wieder eine Kriegserklärung: Raki gegen Wodka. „Behaltet euren Virus“ (ihr im kapitalistischen, imperialistischen, dekadenten Westen) schreit der kleine, dumme Luka unter seiner wagenradgroßen Militärmütze im vollbesetzten Fußballstadion von Minsk hervor, der in seinem früheren Leben nie Militär war, sondern Friedhofsverwalter. Idiotie kennt keine Grenzen, Nationen oder Religionen, wie mir ein aus Pakistan stammender Taxifahrer in der Waaggasse bewies, der sich am 13. April, einen Tag vor der Pflicht, weigerte, eine Maske aufzusetzen. Er braucht sie nicht, Allah schützt die Muslime. Ich bin nicht bei ihm eingestiegen, weil ich offenbar den falschen Glauben habe und trotz Corona nicht konvertieren werde.

Sogar die coolen Briten haben sich an der Kriegsrhetorik vergriffen, von Boris Johnson bis zur Queen haben sie zumindest an den Krieg erinnert mit dem very charming „Keep calm and carry on“, als es galt, einen sehr bösen, mächtigen und sichtbaren Feind zu besiegen.
Und Peng! Dann hat’s ausgerechnet Johnson und Prince Charles erwischt, der unsichtbare Feind hat hinterhältig zugeschlagen. „Prince Charles coronatet, finally“, titelte die Sun. Bösebös. Orban führt die Riege der Unmenschen an: Er schafft gleich das ganze Parlament ab, regiert per Dekret und lässt Kritiker von der Polizei abführen.
Wenn aus Brüssel wieder einmal eine halbwarme Mahnung kommt, lacht er sich eins, weil er weiß, dass Ungarn nicht aus der EU geworfen werden kann. Vielleicht sollte man ihn doch einmal mit der finanziellen Zange anfassen.
Was uns die Touristiker so gerne verkauften, die Bilder von der trauten Einsamkeit am Strand von Mont Saint Michel im Sonnenuntergang, in Hallstatt, vor dem Tadsch Mahal oder am Times Square – nun sind sie plötzlich Wirklichkeit geworden und für sie zum Albtraum. Denn die Touristiker leben auf Teufel komm raus nicht von der individuellen Einsamkeit, sondern von den Massen. Und schon fangen sie wieder an zu hyperventilieren und schwafeln von Luftbrücken an die kroatischen, griechischen und ballermännerischen Strände. Mit und ohne Gutscheine, mit und ohne Mittelplätze. Luftbrücken? Wie die Rosinenbomber, die Berlin halfen zu überleben, als Stalin es zu erwürgen drohte.

Fast demütig buhlt die Touristikministerin um österreichische Touristen, die lieben Landsleute – wenn die Piefkes ausbleiben, ohne deren Geld gar nichts geht –, doch in Österreich Urlaub zu machen. Die Heimat ist doch auch schön, nicht nur die Malediven, der Strand von Antalya und Luxor. Die unübersehbaren Reihen von Flugzeugen am Boden sprechen ihre eigene Sprache und strafen die munteren Lockangebote Lügen.
Wien macht das großartig, zuerst die Taxigutscheine für Risikogrüppler, jetzt bekommt jede Familie Gastrogutscheine. Es sind schließlich nicht nur Corona- sondern auch Vorwahlzeiten.
Neben dem realen, aber unsichtbaren Virus meine ich auch eine Seuche der Geistesverwirrung wahrzunehmen. Man kann auch political incorrect Schwachsinn sagen. In der Kindheit sangen wir gerne einen Reim: „Schwachsinn, oh Schwachsinn, du mein Vergnügen. Schwachsinn, Schwachsinn, du meine Lust!“ und lachten und brüllten dabei, bis wir heiser waren.
Angesichts der zunehmenden Anti-Corona -Demonstrationen habe ich mich schon gefragt, ob bei denen, die andere „Covidioten“ nennen, neben Bronchien und Lungen nicht auch ein höher liegendes Organ angegriffen ist. Haben die alle Trumps Treatments ein- und seine Taktik angenommen?
Und dazu Umarmen und Händeschütteln, was das Zeug hält.

Der schlimmste Angriff aller Zeiten, schlimmer als Pearl Harbour und 9/11 zusammen, nuschelt der Idiot im Weißen Haus. Aber die Botschaft ist klar: It’s war, baby.
Was ist drin für mich? Zum Teufel mit allen anderen. Egoismus und Feinddenken können auch eine Pandemie sein, konstatiert der immerkluge Ex-Präsident Obama.
Nachgelesen habe ich das in den letzten Wochen wieder einmal in Manzonis Großroman „Die Verlobten“, der die Pestzeiten in der Lombardei (!) vor etwa 400 Jahren so gut wie kein anderer beschreibt. Natürlich auch Decamerone in der Toskana.
Also: It’s war, baby!
Der neueste Gesundheitsschrei, habe ich gerade gelesen: eine Kurkuma-Kur mit Goji-Beeren.
Oje, ob das gut geht? Das eine kommt aus Persien, das andere aus China.
Zusammen mit Allah, Wodka/Raki und Bleichmittel. Alles Gute!

Nachsatz: Was ich hier mit meinem Corona-Tagebuch betreibe, ist Paläontologie, Urzeitforschung, vielleicht auch Archäologie.
Denn was gestern geschehen ist, entzieht sich uns schon heute, geht ein ins Geschichtliche, in eine Vorzeit. Das Vorgestern ist schon blasse Vorgeschichte, die vergangenen Wochen sind schon Mythologie.
„Ich muss mir auf der Spur bleiben. Ich merke es sogar schon im Jetzt, dieses Verrieseln, das Murmeln der Nornen und Schamanen, unaufhaltsam und unerbittlich.
Dass etwas gewesen ist, davon zeugt einzig, was sich davon erzählen lässt. Alles Gewesene ist gewesen wie die Saurier. Es war einmal.“ Gregor von Rezzori in „Mir auf der Spur“

13.5. 20
(Zufall? Am 13. Mai 1914 wurde Gregor von Rezzori in Czernowitz geboren.)

Veronika Seyr
www.veronikaseyr.at
http://veronikaseyr.blogspot.co.at/

www.verdichtet.at | Kategorie: Wortglauberei | Inventarnummer: 20090

Lass die Luft raus

Lange Zeit habe ich mir überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, dass man die Luft irgendwo rauslassen muss. Die Luft sieht man ja nicht und wenn sie weg ist, fällt es gar nicht auf. So dachte ich.
Ich glaube, zum ersten Mal bemerkte ich das Fehlen von Luft im Radlschlauch. Es ist ganz übel, weil man ja nicht mehr weiterfahren kann. Wenn man keine Pumpe zur Hand hat, muss man schieben und das ist ganz schön lästig.
Nach solchen Erfahrungen fing ich an, darüber zu räsonieren, wie es sich mit entwichener Luft verhält. Sie muss wohl oder übel erneut in das dafür vorgesehene Behältnis reingeblasen, -gepumpt oder -gepresst werden.

Ich erinnere mich, dass am Lebensende meiner Mutter einmal im Rollstuhlreifen die Luft ausgegangen war. Wir saßen bei Sonnenschein im Garten des Altenheims. Alles war gut: Die Blumen blühten, die Blätter raschelten ein wenig in der flirrenden Sommerhitze und die Vögel zwitscherten. Nur der Reifen war platt, weil sich die Luft still und heimlich aus dem Staub gemacht hatte. Es war beschwerlich, meine alte Mutter in den Schatten zu schieben. Die Sonne hat sie da schon nicht mehr leiden mögen.
Da ist ein netter junger Mann mit einer Luftpumpe gekommen und hat den laschen Reifen aufgepumpt. Wir waren glücklich und dankten überschwänglich. Meine Mutter suchte nach ihrem Portemonnaie, weil sie dem Zivildienstleistenden ein Geldstück geben wollte. Der aber sagte: „Die Luft kostet nichts.“

Dieser Satz ist mir geblieben. Die Luft kostet nichts, aber man ist froh, wenn man sie hat. Auffallen tut einem die Luft nur, wenn sie es geschafft hat, da, wo sie eingesperrt gewesen war, auszukommen. Und die Luft ist erfinderisch, sie verfügt über Mittel und Wege, ihrem Bedürfnis nach Grenzenlosigkeit Genüge zu tun. Sie liebt die Freiheit wie alles Lebendige und lässt sich nicht gern festbinden.

Der Luftballon ist so ein Gefängnis für die Luft. Wahrscheinlich kommt es nicht von ungefähr, dass von diesem Spielzeug für die Kinder eine solche Faszination ausgeht. Man muss den unscheinbaren Gummisack aufblasen, die Luft aus dem Körper rauspressen und in den Ballon hinein. Das geht schwer und besonders am Anfang erfordert es viel Kraft. Der Blaser muss sich total anstrengen und bekommt einen roten Kopf, bis das Teil endlich bereit ist, die fremde Luft in sich hineinzulassen. Dann bläst man energisch drauflos und freut sich, dass der Luftballon groß und größer wird.
Man will ihn so prall wie irgend möglich und es erfordert ein hohes Maß an Bescheidenheit und auch an Feingefühl, den kritischen Punkt nicht zu übersehen. Die Luft kann nämlich ihren Freiheitsdrang nicht verleugnen. Sie lässt sich nicht zusammenquetschen, bis sie nicht mehr kann. Irgendwann wird es ihr zu blöd, sie macht von der ihr innewohnenden Explosionskraft Gebrauch und lässt den Ballon platzen. Das gibt einen lauten Knall und dem Blaser fliegen die schlappen Gummifetzen um die Ohren. – So ist das, wenn einem das notwendige Einfühlungsvermögen fehlt.

Natürlich kann man sich den Luftdruck, die Pneumatik, für alle möglichen Maschinen zunutze machen. Sie erleichtert uns das Leben. Pneuma ist das griechische Wort für Hauch und Wind. In der abendländischen Religionsgeschichte spielt es eine große Rolle und füllt ganze Regalwände in Bibliotheken. Man spricht es durch die Nase. So spürt man, dass es etwas mit dem Atmen zu tun haben muss. Nach der ersten Silbe wird die Luftzufuhr gestoppt, und wäre hier das Wort zu Ende, müsste man sterben. Gott sei Dank ist man gezwungen, um die zweite Silbe sprechen zu können, wieder Luft zu holen, und wird so vor einem jähen Ende bewahrt. Das Zusammenspiel von Aus- und Einatmen wird einem bei diesem Wort bewusst.

Im Hebräischen heißt ruach Luft. Während man dieses Wort spricht, schiebt sich am gerollten r der Luftstrom vorbei aus der Mundöffnung, und das ch verschließt den Rachen. Sofort verspürt man das heftige Bedürfnis, wieder einzuatmen. Das Sprechen des Wortes ruach verlangt von einem, allen Atem, den man zur Verfügung hat, aus der Lunge rauszupressen. Man erfährt die Leere und weiß, dass man sich verausgabt hat. Man muss sofort wieder Luft holen, sonst wird einem schwindelig. Ruach ist ein Zauberwort. Es meint auch den Lebensatem, den Gott Adam eingehaucht hat.
Die aus Erde geformte leblose Hülle hat sich in einen Menschen verwandelt, in dessen Adern sauerstoffhaltiges Blut fließt. Ruach ist eines der verschlüsselten Wörter für Gott, dessen Gegenwart in jedem Luftzug genauso wie im Wind spürbar ist. Die mittelalterlichen Buchmaler haben diesen Gedanken gerne ganz dezent im Wehen eines Kleidungsstücks angedeutet.
In der Schule machen wahrscheinlich immer noch die Lehrer den Versuch mit der brennenden Kerze unter dem Glassturz. Nach wenigen Sekunden geht die Flamme aus, weil der Sauerstoff verbraucht ist und das Feuer keine Nahrung mehr aus der leblosen Luft ziehen kann. Man sieht es der Luft nicht an, ob sie tot ist, aber das eingesperrte Feuer merkt es gleich.

Das alles fällt mir zur Luft ein. Dabei geht es immer darum, sie irgendwo reinzublasen bzw. sie einzusagen. Der Spruch, der mich aber seit vielen Jahren beschäftigt, lautet: Lass die Luft raus!
Je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr wurde mir bewusst, dass Ein- und Ausatmen zusammengehören. Eine Binsenweisheit, könnte man sagen, aber bekanntlich sind die einfachsten Dinge die schwersten. Atmen ist der Grundrhythmus jeglichen Lebens. Das vergessen wir häufig, wenn wir uns den Rhythmus von technischen oder elektronischen Geräten diktieren lassen.
Äußere Einflüsse wie einerseits die Verliebtheit oder andererseits der Kontakt mit Zwiderwurzen bewirken, dass unsere Atemfrequenz schneller oder noch schneller und sogar rasend wird. Manchmal ringen wir aber auch nach Luft.
Musikinstrumente bringen die Luft zum Vibrieren, wodurch Töne und Wohlklänge entstehen, die sich wiederum auf unser Befinden auswirken und unweigerlich auch unsere Atmung beeinflussen.

Zur Luftzirkulation im Körper ließe sich auch noch eine Menge sagen, soweit ich sie begriffen habe. Die Luft sucht sich alle möglichen unkonventionellen Wege, um an die schwesterliche Luft im Außen zu kommen und sich austauschen zu können.
Mir geht es aber jetzt vor allem darum, der Tiefe jenes denkwürdigen Satzes nachzuspüren, der vom Rauslassen der Luft spricht. Es ist nicht so einfach, dem banal klingenden Spruch auf den Grund zu gehen. Dazu muss ich noch etwas weiter ausholen.
Aus dem Hinduismus kenne ich Statuen vom tanzenden Shiva, der mit seinen Händen eine kleine Trommel schlägt. Es heißt, dass diese Gottheit so den Rhythmus der Welt vorgibt, nach dem alles Leben sich regt. Hört Shiva auf zu trommeln und zu tanzen, kommt die Welt zum Stillstand und wir mit ihr. – Zuerst erstarrt die Luft, es gibt kein Ein- und Ausatmen mehr, der Rhythmus kommt zum Erliegen und mit ihm jegliche Bewegung. Aus ist es mit dem anmutigen Tanz, dem grazilen Einherschreiten, aber natürlich auch mit dem Daher- watscheln und -trampeln und allem anderen. – Eine friedliche Vorstellung vom Ende der Welt, wie ich finde. Shiva hat es in der Hand. Er hält die Luft an, schlägt ein letztes Mal seine Trommel, und seine tanzenden Füße verharren für immer in Bewegung. Shiva hält die Luft an, es heißt nicht, dass er die Luft rauslässt. Er kann also jederzeit wieder anfangen zu atmen, und damit begännen auch erneut der Trommelrhythmus und das Tanzen und das bewegte Leben der Menschen und Tiere und Pflanzen. Das Rad des Lebens drehte sich weiter.

Jetzt bin ich dem Satz schon recht nahe gekommen. „Lass die Luft raus!“ ist etwas anderes, als die Luft anzuhalten. Ich habe es mit einer eindeutigen Aufforderung zu tun, mit einem hörbaren Ausrufezeichen. Wo soll ich die Luft rauslassen? Aus mir? Mich nicht so aufblähen, mich zurücknehmen, mich beruhigen? Auf den Boden der Tatsachen zurückkommen? Überflüssigen Dampf ablassen? Das könnte gemeint sein. Dampf ist aber etwas anderes als Luft. Es ist nicht so einfach, wie es scheint.
Der Satz ist mit einer bestimmten Geste verbunden, die ich bisher noch nicht angesprochen habe. Es handelt sich um eine erhobene Hand, wobei nach meiner Beobachtung vornehmlich die linke dafür hergenommen wird. Die Finger umklammern eine leere Bierflasche, die dem Angesprochenen in Kombination mit dem Spruch entgegengehalten wird. Lass doch mal die Luft raus! – Ratlos blickte ich auf die Flasche, als ich zum ersten Mal damit konfrontiert wurde, und hatte keine Ahnung.

So ist das mit den Handwerkersprüchen. Inzwischen ist dieser Satz in unserer Familie zum geflügelten Wort geworden und wird nicht mehr nur vom Papa gebraucht, wenn ihm jemand eine zweite Bierflasche bringen soll. Jeder Eingeweihte möchte gern den anderen auf diese Art und Weise zu seinem Bediensteten machen.

28.02.2020

Claudia Kellnhofer
www.bitterlemonverwunderung.de

www.verdichtet.at | Kategorie: Wortglauberei |Inventarnummer: 20081

Mikro

Ich kenne eine, bei der ist alles Mikro. Es ist wichtig zu wissen, dass es sich um eine Frau handelt, die sich so ausdrückt.

Sie spricht
vom Mikrowadlbeißer
und von den Mikroerdbeeren,
vom Mikroofen, den man nicht mit der Mikrowelle verwechseln sollte, und von der Mikroschere,
vom Mikroauto und vom Mikroflaschl,
vom Mikroholzlöffel, den sie allerdings, weil er gar so mikro ist, beim Abspülen gern abbricht,
von der Mikropizza und vom Mikroreis aus Indien,
vom Mikromaoam, das man auch in der Fastenzeit ruhigen Gewissens schnabulieren darf, vom Mikrofrühstücksei und vom Mikroradler,
vom Mikroschlauchboot und vom Mikrofisch im Aquarium, der leider an einer seltsamen Krankheit gestorben ist,
von den Mikrobananen, die man auch Indianerbananen nennen kann, und von den Mikrofrühlingsblumen,
vom Mikrozündholz und von der Mikropinzette,
vom Mikrogeldtascherl und von den Mikrolockenwicklern,
vom Mikrorausch und vom Mikrohunger,
vom Mikrowochenendtrip und vom Mikrogehalt,
von der Mikroarbeit und vom Mikrokatarrh,
vom Mikrobikini und von den Mikrokatzen,
von einem Mikroproblem und mit unverhohlenem Bedauern vom Mikrobartwuchs mancher Männer.

Angesichts eines Glatzkopfs kann sie aber nicht umhin, den Haarausfall Makro zu nennen.

Dann spricht sie leidenschaftlich
von den Mikroziegen und von einer letzten Mikrozigarette auf dem Balkon,
von einem Mikro-Tiny-Haus, das sich wunderbar fürs Zigeunerleben eignet, und von einer Mikrosekunde, in der alles entschieden ist,
von einem Mikroknödel und einer Mikrosporteinheit, die man sich gleich sparen kann,
von der Mikroorganisation und der Mikrobelastung,
von einer Mikroparty und dem Mikrowurstradl,
vom Mikrofeuer im Kanonenofen, das gleich auszugehen droht, und von der Mikroüberschwemmung, die schon lang vergessen ist.
...

Und ich frage mich, was ist das für ein Mensch, der alles in sich und um sich herum so mikro sieht.
Ist das ein stiller Protest gegen den allgegenwärtigen Trend der Global Player?
Drückt sich darin eine bescheidene Sehnsucht nach überschaubaren Szenarien aus?
Ist es eine notwendige Reduktion auf lebbare Verhältnisse, um im Meer der überbordenden Giganten nicht zu zerschellen?

Wenn man sich nach Liliput sehnt, fängt man an, im Inneren zu wachsen und eine ungewohnte Perspektive einzunehmen. Man kann sich wahrscheinlich auch gut in die kindliche Seele hineinversetzen und sich darin wohlfühlen? Gibt es etwas Besseres als Mikro?

Von einem Mikrochip hat sie noch nie gesprochen und auch nicht von einem Mikroskop. Es gibt nichts, das auf Mikrodatenträgern gespeichert, geschweige denn bis in die kleinste Faser hinein ausspioniert werden müsste. Wenn man es nicht mit dem bloßen Auge erkennt, hat es das Recht, unbehelligt zu bleiben und sich die Scham zu bewahren.

Ihre Kaffeetasse ist aber alles andere als Mikro, sie ist Makromakro, ein Humpen, und auch ihre Schuhe sind nicht Mikro, sie lebt auf großem Fuß.

Wenn sie Mikrooliven kauft, liebt sie die Fünf-Liter-Dose aus dem Großmarkt. Ihre Liebe ist Mega, glaube ich, und hin und wieder ist auch das Mittagessen mega.

Sie gibt es nicht zu, aber sie mag es, wenn man an ihren Namen ein -chen anhängt.

Sie und all die Anderen, die leicht zu übersehen sind, verdienen einen Makroapplaus.

Februar 2020

Claudia Kellnhofer
www.bitterlemonverwunderung.de

www.verdichtet.at | Kategorie: Wortglauberei |Inventarnummer: 20065

 

 

 

 

 

 

Die Heilung

Nachdem er den Papst getroffen
und sie sich umarmt hatten,
war er geheilt
von Raffgier und Missgunst und Zorn.
Er hätte in jenem Moment sterben können,
und sein Leben wäre ein erfülltes gewesen.

Metallskulptur zu Allerheiligen in der Nacht

Metallskulptur zu Allerheiligen in der Nacht

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: Wortglauberei | Inventarnummer: 20059

Aufgeschnappt oder: Wie Werbung wirkt

Drei Frauen im Gasthaus, am Nebentisch ins Gespräch vertieft. Eine der drei möchte schließlich die Kontaktdaten ihrer Freundin korrekt ins Handy eintippen. Mittendrunter stutzt sie und fragt:
"Wie schreibt man denn Schacklien?"
Jacqueline antwortet: "Mit Jö."

Carmen Rosina

www.verdichtet.at | Kategorie: Wortglauberei | Inventarnummer: 20028

 

Generalisierung

Vergangenheit,
eines Tages,
Mein Mund war verschlossen
Wörter versteckten sich
hängen geblieben im Nichts
Sekunden,
Fragen werden nicht beantwortet
Salven abgefeuert
von Schwärze geblendet
Muskeln gehorchen nicht
Kontrolle wurde verschenkt
Hände schlagen ins Leere
durchgeschüttelt liege ich da
müde
Nach den Spike-Wave-Komplexen,
aus dem Delta
meiner Theta-Träume
bin ich ganz bei dir

Florian Pfeffer

www.verdichtet.at | Kategorie: Wortglauberei | Inventarnummer: 19122

Abgerissene Worte

Komische Sprache,
meine Blicke,
Deine Augen sahen es in meinen,
Nacht umgab mich,
Gedanken verlor der Körper,
Verwirrt spreche ich zu viel,
Zwischen,
mein Lieblingswort,
kein klares Wasser gefunden
Du meine Liebe,
eingeschlossen in Gedanken,
ein eigenes Leben,
blind verlieren,
doch deine ausstrahlende Wärme,
umhüllt mich,
Ich habe vergessen dich zu fragen,
wer du eigentlich warst

Florian Pfeffer

www.verdichtet.at | Kategorie: Wortglauberei | Inventarnummer: 19118

Hin und Her

Ich wünsche mir eine Schaukel in meinem Garten, ein schlichtes Holzbrett an Seilen.

Eine Schaukel ist ein Hängesitz, mit dem man hin- und herschaukeln kann. Das Schwungholen erfolgt durch Streck- und Beugebewegungen mit den Armen und Beinen oder durch Abstoßen von einem festen Punkt.

Man lacht über meinen Wunsch und missbilligt das Schaukeln als Kinderkram. Ich weiß, es braucht theoretische Rechtfertigung. In aller Knappheit, unter Nichterwähnung der zahllosen esoterisch anmutenden Argumente: Das Hin und Her kann auch Erwachsenen Freude bereiten, das Schwingen wirkt sich wohltuend auf das Gleichgewicht im Innenohr aus und auf das der Seele, Stress wird abgebaut.

Die schaukelnde Person erreicht maximale Geschwindigkeit im tiefsten Punkt der Bahn; am Scheitelpunkt ist ihre Geschwindigkeit dagegen null.

Man fragt, ob ich mich nicht mit Verschaukeln begnügen könnte, also jemanden verschaukeln, ihn irreführen.

Beim Aufrichten muss dabei Arbeit gegen die Gravitation und die Zentrifugalkraft geleistet werden. Letzteres bewirkt eine Energiezufuhr, die zu einer Erhöhung der Geschwindigkeit am tiefsten Punkt führt und damit die Pendelbewegung antreibt.

Prokulus spricht mir aus der Seele:

Reich mir die
Hand durch die Zeit.
Nimm mich
auf Deine Schaukel.
So entgehe ich
allem.
...

Der Heilige Prokulus, Screenshot Wikipedia

Der Heilige Prokulus, Screenshot Wikipedia

Ich würde einfach gerne manchmal ein wenig meiner Zeit verschaukeln; nicht immer braucht es Erdung.

Quellen:
Wikipedia: Schaukel
Wikipedia: St. Prokulus (Naturns), Foto
Michael E. Sallinger: Proculus auf der Schaukel in: Der Schlern, 86(2012), H.1, S.73

Michaela Swoboda

www.verdichtet.at | Kategorie: Wortglauberei | Inventarnummer: 19100

Sohn Marius

„Mama, da ist ein Brief vom Finanzamt“, sagt Sohn Marius. Er hat gerade die Post geholt. „Mach ihn auf“, sagt die Mutter, „und lies vor.“ Sohn Marius reißt das Kuvert auf. Er liest das Schreiben vorerst leise. „Mama, das ist ganz seltsam“, sagt er, „da steht: Sie haben zu Unrecht für zweiundzwanzig Jahre und zwei Monate Familienbeihilfe für Ihren Sohn Marius Peternell bezogen, da dieser nicht existiert. Wir bitten Sie“, Sohn Marius nennt einen enormen Betrag „auf“, er nennt das Konto, „zurückzuzahlen.“

„Was bedeutet das, Mama?“, will er fragen, aber bevor er den Satz zu Ende gesprochen hat, löste sich Sohn Marius auf, und das Schreiben fiel zu Boden.

Angebissener Zebra-Donut

Angebissener Zebra-Donut

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: Wortglauberei | Inventarnummer: 19097