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Kanonenfutter

Bin auf der Durchreise. Kehre beim Deichwirt ein. Bestelle das „All-you-can-eat“- Angebot: Gulaschsuppe bis zum Abwinken.

Löffele meine Suppe. Herzhaft, würzig. Sämig. Fleisch etwas zäh.

Das Lokal dämmrig, im Hintergrund dudelt ein Radio. Am Stammtisch in der Ecke ein Rentnertrio: einer dick wie Calmund, einer mit Glatze wie Kemmerich, einer Strickjackenträger. Alle drei mit Suppentellern vor sich. Der Dicke schiebt eine Scheibe Brot quer in den Mund, Glatze füllt konzentriert Suppe vom Teller in seinen Rachen. Und Strickjacke hält einen Vortrag:

„Das Fleisch hätte sorgfältiger ausgewählt werden müssen, findet ihr nicht? Ein ganzes Rind, sagt Jupp, hat er billig bekommen, vor vier Tagen. Davon gibt es jetzt die Suppe.“

„Wenn das mal nicht einen unnatürlichen Tod gestorben ist“, der Kommentar dazu von Glatze.

Der Dicke schweigt und isst.

Strickjacke weiter: „Sogar eine Gulaschkanone hat er extra dafür gemietet. Darin kann man ja gar nicht schmackhaft kochen. Viel zu groß. Kochkunst hat etwas mit Sensibilität zu tun, mit Feingefühl. Mit wohldosierten Prisen, nicht mit schaufelweisen Zutaten. Mit zarter Hand, die sanft das Filet zerteilt, statt mit grobem Zerhacken von altem, zähem Fleisch.“ Er gerät ins Träumen.

„Dafür haust du aber ordentlich rein, Kalle“, sagt Glatze, ohne von seinem Teller aufzusehen.

„Na ja, für den Preis kann man wohl nicht mehr erwarten“, Strickjacke fuchtelt mit seinem Löffel wie ein Lehrer mit dem Rohrstock. „Auch nach vier Tagen Kochen wird aus billigem Fleisch kein Drei-Sterne-Gulasch, aus Jupps Lokal kein Michelin-Restaurant. Sehr bedauernswert, das. Dem Alten, Jupps Onkel Kurt, dem wäre das gar nicht recht. Der ist sehr streng und anspruchsvoll mit seiner Küche.“

„Deswegen lässt Jupp den ja auch nicht mehr rein“, nuschelt der Dicke mit vollem Mund, „da fliegen jedes Mal die Fetzen, wenn Kurt in seine Küche eindringt“, sagt er. Aus seinem Mund fliegen Brocken.

„Trotzdem“, doziert Strickjacke weiter, „wird der Jupp das hier mal erben. Leider. Da kann Kurt nichts dagegen unternehmen, er hat sonst keine Verwandtschaft.“

„Halte mich da raus.“ Glatze beugt sich tiefer über seinen Teller. Im Radio läuft Meat Loaf.

Strickjacke setzt seine Ansprache fort: „Wie auch immer, von billigen Zutaten kann man nichts anderes erwarten, daraus wird nun mal kein Gourmet-Menu. Da hilft auch kein starkes Würzen.“

Weiß gar nicht, was er hat. Finde die Suppe durchaus genießbar. Werde mir einen Nachschlag bestellen.

„Meine Damen und Herren, wir unterbrechen unser Radioprogramm für eine Vermisstenmeldung der Polizei. Gesucht wird der 84-jährige Kurt Sämig. Der Vermisste ist 1,72 m groß und von hagerer Statur. Zum Zeitpunkt seines Verschwindens trug er einen grauen Anzug und schwarze Schuhe. Auffallend an Kurt Sämig sind seine langen grauen Haare. Der Vermisste wurde zuletzt vor fünf Tagen in der Nähe seines Restaurants in Tückensiel gesehen.
Zweckdienliche Hinweise zum Verbleib von Kurt Sämig nimmt jede Polizeidienststelle entgegen.“

Kratze den letzten Tropfen aus meiner Suppentasse. Führe den Löffel zum Mund.

Weiß, dass ich nie wieder Gulaschsuppe bestellen werde: An meinem Löffel hängt ein langes graues Haar.

Renate Müller
www.renas-wortwelt.de

www.verdichtet.at | Kategorie: ärgstens | Inventarnummer: 20030

 

 

 

Tod einer Radfahrerin

1)

Manuel stand in der Küche und kochte eine Tomatensuppe. Draußen schien die Wintersonne herein und er hörte an diesem Freitagnachmittag das Ö1-Mittagsjournal und dachte, dass die Welt sich nie ändern würde. Dass alles immer so bleiben würde, die Dramaturgie des Weltgeschehens wiederkehrend wäre, und die Menschen nicht schlauer würden.

Er freute sich auf seine Frau Larissa, die bald von der Arbeit zurück sein müsste. Seit Kurzem arbeitete sie als Assistentin bei einem praktischen Arzt. Sie hatte ihm oft erzählt, dass sie ihre neue Arbeit glücklich mache. Aufgrund ihrer medizinischen Ausbildung dürfe sie nicht nur die Terminvereinbarungen mit Patienten treffen, sondern stünde dem Arzt bei Untersuchungen assistierend zur Seite.
Er wunderte sich, dass sie nicht schon zu Hause war. Mittlerweile war das Mittagsjournal zu Ende und die Küchenuhr zeigte auf ein Uhr. Nachdem die Ordination am Freitag um zwölf Uhr mittags sperrte und nicht weit von ihrer Wohnung entfernt lag, war die Strecke mit dem Rad in gut fünfzehn Minuten zurückzulegen.

Je länger er auf Larissa wartete, desto mehr dachte er an das Telefonat, das er in den letzten Wochen immer wieder verdrängt hatte. Doktor Gronau, der neue Arbeitgeber von Larissa, hatte ihn angerufen, als sie bereits ein paar Tage bei ihm in der Ordination gearbeitet hatte. Der Arzt hatte etwas ausgesprochen, was Manuel nie für möglich gehalten hätte, zumindest konnte er die Zeichen in der Vergangenheit nicht deuten. Er war mit Larissa seit zwei Jahren verheiratet, aber es war für ihn schwer vorstellbar, dass hinter ihrem fröhlichen Wesen noch eine andere Seite existierte.
„Haben Sie schon mal beobachtet, dass ihre Frau heimlich weint, ist Ihnen das schon einmal aufgefallen?“, fragte ihn der Arzt, der seine Mutmaßung ohne Umschweife und ganz direkt aussprach. „Ich bin kein Seelenklempner, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass ihre Frau auch eine ziemlich depressive Seite hat, die sie ganz gut kaschieren kann“, sagte Gronau. Er sagte, er hätte ihr Weinen dann beobachtet, wenn gerade keine Patienten in der Praxis gewesen wären, sie alleine hinter dem Anmeldetresen saß, und glaubte, nicht beobachtet zu werden.

Insbesondere fiel ihm ihr trauriges Verhalten dann auf, wenn wenig los war, als bedeutete die Arbeit einen gewissen Grad an Ablenkung für sie. Manuel war überrascht, als er diese Beobachtungen geschildert bekommen hatte. Anderseits aber löste sich ein fragwürdiges Verhalten seiner Frau etwas auf, das er stets zur Seite geschoben, immer wieder verdrängt hatte. Dachte er an seine Ehe, dann kam es ihm vor, dass Larissa immer dann zu Höchstform auflief, wenn bei ihnen zu Hause ein möglichst großes Tohuwabohu vorherrschte. Je mehr Besuch bei ihnen zugegen war, sei es, dass ihre Freundinnen mit ihren Kindern lärmend bei ihnen einfielen oder Larissas Geschwister unangemeldet zu Besuch kamen, umso fröhlicher und extrovertierter wurde sie.
Sie zog sich immer nur dann zurück, oder ging ihm aus dem Weg, wenn es bei ihnen besonders ruhig geworden war. Wenn sie nur zu zweit waren, oder wenn sie an verregneten Sonntagnachmittagen nicht wussten, was sie mit sich anfangen sollten, erinnerte sich Manuel.

2)

Er hörte, wie Larissa die Eingangstüre öffnete, sich ihre Schuhe auszog und ihre Jacke auf der Kleiderablage aufhängte. Sie trat in die Küche ein und riss ihn vollends aus seinen Gedanken heraus. „Na endlich, ich warte schon die längste Zeit auf dich. Die Tomatensuppe ist schon fertig“, sagte er, und während des Sprechens begriff er, dass seine Begrüßung nicht gerade herzlich ausfiel. „Von Arbeit hast du wohl keine Ahnung“, sagte Larissa, die ihre Miene verzog. Er sagte ihr, dass es im leidtue, sie etwas forscher begrüßt zu haben, aber er habe sich eben Sorgen gemacht, wo sie denn bleiben würde. Sie erwiderte ihm, dass er sich seine Entschuldigung auf den Hut picken könne, nämlich das, was gesagt wurde, könne nicht mehr zurückgenommen werden.
Er war ob Larissas Reaktion vollkommen perplex und konnte sich nicht erklären, warum sie so gereizt war. Er fragte sich, ob in der Ordination etwas vorgefallen sei, hütete sich aber, sie darauf anzusprechen. Als ob seine vorherigen Gedanken, seine Erinnerung an das Telefonat mit Dr. Gronau etwas ausgelöst hätten. Vielleicht gab es ja telepathische Gedankenassoziationen, dachte er sich. Einer dachte was, und der andere fühlte sich unbewusst angesprochen.

„Mir ist die Lust auf deine Tomatensuppe eigentlich vergangen“, sagte Larissa, die sich von ihm abwandte und die Küche wieder Richtung Flur verließ, sich eilends Schuhe und Jacke anzog und die Eingangstüre krachend ins Schloss fallen ließ. Manuel konnte es nicht glauben, dass ihr Verhalten so aufbrausend war. Er blickte zum Küchenfenster hinaus und beobachtete sie, wie sie ihr rotes Fahrrad aus dem Radständer hob und in Richtung Bahnhof davonfuhr. Er erinnerte sich daran, dass ihr Lieblingskaffee in der Nähe des Bahnhofs war. Seitdem sie von der Großstadt in die Kleinstadt verzogen waren, waren die Wege für sie beide kurz und nachvollziehbar geworden. Sie musste nur den Bahnübergang queren, und schon würde sie zum Bahnhof mit dem kleinen Einkaufszentrum gelangen.

3)

Manuel löffelte lustlos die Tomatensuppe direkt aus dem Topf und überlegte, was er mit dem Freitagnachmittag anfangen sollte, und ob seine Frau tatsächlich depressiv sei. Der Beginn des Wochenendes hatte für ihn einen fahlen Beigeschmack, und obwohl draußen die Sonne schien, hatte er das Gefühl, dass sich ein grauer Schleier über der Stadt ausbreitete. Er wollte nicht grübelnd mit negativen Gedanken den Nachmittag zu Hause verbringen, denn das würde an der Situation, dass Larissa scheinbar eine Laus über die Leber gelaufen war, nichts ändern.
Er wollte immer schon mal in die Großstadt fahren, um wieder ein paar Runden durch die Altstadt drehen zu können. Er beschloss, das zu tun und mit dem Zug zu fahren. Vielleicht würde er ja Larissa am Bahnhof über den Weg laufen, und sie könnten sich zu einem Versöhnungskaffee zusammensetzen. Das wäre eigentlich sein Wunsch, gestand er sich ein, denn in die Stadt zu fahren, war zwar schön, aber doch nur ein fauler Kompromiss.

4)

Manuel saß im Regionalexpress, der langsam anrollte und in etwa einer dreiviertel Stunde am Ziel sein würde. Er hatte einen Fensterplatz und die Sonne schien herein. Larissa war er am Bahnhof nicht begegnet, was ihn etwas traurig stimmte. Der Zug entfernte sich mit immer schneller werdender Geschwindigkeit aus dem Bahnhofsbereich und näherte sich dem Bahnübergang, den Larissa und er von zu Hause immer nehmen mussten, wenn sie zum Bahnhof wollten. Er wollte gerade aufstehen, um sich seinen Mantel auszuziehen, als der Zug unversehens bis zum Stillstand abbremste. Er konnte sich gerade noch an der Gepäcksablage festhalten, um nicht zu Fall zu kommen.

Der Zug stand nun außerhalb des Bahnhofs, inmitten von einem Gewirr aus Weichen und Geleisen. Es vergingen einige Minuten, die Manuel endlos vorkamen. Seitens des Schaffners gab es keine Information, warum der Zug zum Stehen gekommen war. Die Fahrgäste schauten sich betreten und ratlos an und keiner wusste, wann es weitergehen würde. Er blickte nochmals aus dem Fenster, um sich zu orientieren, wo der Zug zum Stehen gekommen war. Er sah, dass die Lokomotive in etwa bei dem Bahnübergang stand. „Wir bitten um Ihr Verständnis, aber aufgrund eines Rettungseinsatzes kann der Zug derzeit seine Fahrt nicht fortsetzen“, verlautbarte der Schaffner nach einer halben Stunde über die Lautsprecheranlage. Dass aber heute auch gar nichts auf die Reihe zu bekommen ist, dachte sich Manuel, dem es immer noch an die Nieren ging, am Nachmittag im Streit mit Larissa auseinandergegangen zu sein. Draußen hörte man die Signalhörner der Einsatzfahrzeuge und die Reflexe der drehenden Blaulichter drangen in den Zug hinein. Manuel war es mittlerweile vollkommen gleichgültig, wie lange der Zug stillstehen würde, von Bedeutung war für ihn nur, sich mit Larissa so schnell wie möglich wieder auszusöhnen.

Er presste sein Gesicht an das Zugfenster, konnte jetzt die Umrisse des Bahnübergangs schemenhaft erkennen, das verstreute Stehen der Einsatzfahrzeuge, und ein demoliertes und verbeultes rotes Rad, das von einem Feuerwehrmann zur Seite gelegt wurde. Noch ehe er Larissa anrufen konnte, bekam er auf seinem Handy einen Anruf, dessen Nummer als anonym angezeigt wurde.

Wolfgang Dorner

www.verdichtet.at | Kategorie: ärgstens | Inventarnummer: 19048

Blumenmeer

Mindere den Schmerz,
er geht durch Knochen,
bis zum Blumenmeer
meiner Seele

Feinfühlig pflückt er sie im Feld,
Schmerz von tausend Wörtern
Wo bist du meine Liebe,
es verwelken zu viele,
Weiße,
zu einem Strauß,
suche ich weiter

Florian Pfeffer

www.verdichtet.at | Kategorie: ärgstens | Inventarnummer: 19019

Wahnsinn bei Nacht

Lampen zerbrechen,
aus Farben wird Schwarz
Täglich wandere ich
über Mitternächte hinaus
Rauschen,
oranger Himmel,
getaucht in dunkles Blau,

Jemand drückt auf das Glas,
Schall kommt durch,
Selbstgespräche,
lautes verzerrtes Gemurmel

Mein Kopf spricht zu viel,
in den Raum,
Gedanken an Herrn Fell,
Schlafe
ein

Florian Pfeffer

www.verdichtet.at | Kategorie: ärgstens | Inventarnummer: 19014

Pussy Riot – junge Revolutionärinnen in alter Tradition gegen die Autokratie

Zu viel der Zufälle. Die erste Pressekonferenz zwei Tage nach ihrer Freilassung aus dem GULag gaben die Pussy-Riot-Frauen Marija Aljochina und Nadeschda Tolokonnikowa im kleinen, privaten Sender Doschd (Regen). Doschd ist in der ehemaligen Schokoladenfabrik „Roter Oktober“ genau gegenüber der Christus-Erlöser-Kathedrale an der Moskwa angesiedelt. Dort nahmen sie am 21. Februar 2012 ein Video auf, in dem sie vor dem Altarraum in bunten Kleider und die Köpfe verhüllt mit Wollhauben einen Tanz aufführten, ursprünglich vollkommen stumm. Das Spektakel dauerte genau 41 Sekunden, bis die fünf Frauen aufgehalten und abgeführt wurden. Das Video, das kurz danach in internationalen Medien erschien und alle kennen, war um einige Bilder aus einer anderen Kirche bereichert und mit dem inkriminierten Lied unterlegt worden: „Muttergottes, Jungfrau Maria, verjage Putin, befreie uns von Putin.“

Zwei Monate fahndete der FSB nach den Frauen, nahm schließlich drei von ihnen fest und klagte sie nach Paragraph 213 wegen Verletzung der öffentlichen Ordnung und Rowdytums an. Die Staatsanwalt und die Russisch-Orthodoxe Kirche verlangten sieben Jahre, das Gericht verurteilte sie zu zwei Jahren, von denen sie 20 Monate in verschiedenen Strafkolonien verbrachten.

Der Mann hinter all dem ist Präsident Putin. Vielleicht fiel das Urteil deswegen so hart aus, weil er seine eigenen Erfahrungen mit dem Rowdytum gemacht hat? Putin stammt aus einer Leningrader Proletarierfamilie und wuchs in einer „Kommunalka“, einer Gemeinschaftswohnung, auf. Er war ein richtiger Schlägertyp und Straßenköter, der sich ständig mit Gleichaltrigen prügelte. Wegen seines amtsbekannten Rowdytums, der „Chuliganstvo“, wurde er erst verspätet bei den Pionieren aufgenommen. Und auch sein erster Aufnahmeantrag in den KGB blieb vorerst unerhört. Chuliganstvo lautete der Strafbestand, unter dem er die Aktionskünstlerinnen verurteilen ließ.

Auf ihrer Pressekonferenz kündigten Pussy Riot die Gründung einer Organisation zur Unterstützung von Strafgefangenen an, „Zona prava“, eine Zone des Rechts (Zone ist das russische Wort für die Strafkolonien, Anm. d. V.). Ihre Freilassung fällt fast genau mit dem 40. Jahrestag der Veröffentlichung von Solschenizyns „Archipel GULag“ zusammen, in dem er die Unmenschlichkeiten des sowjetischen Strafvollzug anklagt. Er ging ins amerikanische Exil und erhielt den Nobelpreis. Literarisch bedeutsamer als Solschenizyn ist der Langzeitbewohner von GULags, Warlam Schalamov, dessen Bücher über seine siebzehn Jahre in den Strafkolonien von Solowezk, Kolyma und Magadan erst nach dem Ende der Sowjetunion veröffentlicht werden. Der hochdekorierte Vater der sowjetischen Wasserstoffbombe, Andrej Sacharov, wurde, als er gegen das Sowjetsystem aufstand, mit einer schikanösen, zehnjährigen Verbannung und völliger Isolation in Gorkij (Nishnij Nowgorod) bestraft, bis ihn Gorbatschov im Triumph heimholte. Sacharov veröffentlichte etwa fünfzehn Bücher und Schriften gegen das Atomprogramm der SU und setzte sich für die Menschenrechte ein.

Keine andere Nation außer Russland hat ein eigenes Genre der Lagerliteratur hervorgebracht. Angefangen hat es 1825 mit den adeligen Jakobinern, den Dekabristen, die nach ihrer Verschwörung gegen Zar Nikolaus I., wenn nicht zum Tode, zu lebenslanger Haft und sibirischer Verbannung verurteilt wurden und darüber Erinnerungen verfassten. Dostojewski legte nach seiner vierjährigen Lagerhaft mit dem Bericht „Aus einem Totenhaus“ den Grundstein für seine Schriftstellerkarriere, und Anarchisten wie Kropotkin, Netschaew und Bakunin haben ein reiches literarisches Werk hinterlassen. Cechov reiste 1890 für dreieinhalb Monate in den Fernen Osten auf die Insel Sachalin, die der zaristischen Autokratie als Verbannungsort diente. In einem ausführlichen Reisebericht schildert er die Grauen des Strafvollzugs.

Fast unüberschaubar ist die Literatur der Frauen, die sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts der Terror-Organsiation „Narodnaja volja“ (Volkswille) anschlossen und für ihre Beteiligung an den Attentaten auf die Zaren Alexander II. und III. für Jahrzehnte in Lager verbannt wurden. Verblüffend klangen die Worte, mit denen Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Aljochina auf ihrer Pressekonferenz Russland als großes Straflager charakterisierten, frei, ruhig und gesetzt, in druckreifen Sätzen, klar wie Fanfarenstöße. Sie hätten fast gleich lautend aus den Schriften von Vera Figner oder Vera Zassulitsch stammen können, so wie sie die heutige „Nacht über Russland“ beschrieben. Zu viel der Zufälle?

Als hätten sie sich bewusst gestylt, sehen Tolokonnikowa und Aljochina ihren Vorkämpferinnen gegen die zaristische Selbstherrschaft, Figner und Zassulitsch, auch physiognomisch ähnlich. Sie waren die ersten Frauen, die öffentlich ihr Haar offen trugen, sie studierten im Ausland, waren hochgebildet, übten bürgerliche Berufe aus und waren mit Gleichgesinnten im Westen vernetzt. Mit ihrer radikalen Hingabe an die Revolution, Verachtung des Kompromisses und ihrem Opferwillen galten sie als die moralische Führung der Intelligenzija. Vera Figner war 20 Monate in der Peters-Paul-Festung in St. Petersburg in Untersuchungshaft und 20 Jahre lang, von 1884 bis 1904, unter schrecklichen Bedingungen in der Festung Schlüsselburg eingekerkert, aber sie kehrte geistig frei, stolz und ungebrochen zurück und setzte sich noch bis zu ihrem Tod 1942 für die soziale Umgestaltung Russlands ein.

Haben Tolokonnikowa und Aljochina in den vier Monaten Untersuchungshaft und 20 Monaten Lager Figner und Zassulitsch studiert, oder vielleicht auch Nadeschda Krupskaja, Inessa Armand, Adriana Tyrkowa oder Alexandra Kollontai? Bei einem Arbeitstag von bis zu achtzehn Stunden in einer Näherei, Kälte, Hungerstreik und Einzelhaft eher unwahrscheinlich, sie werden diese ersten „Töchter der Revolution“ schon vorher gekannt und als Orientierungslichter benützt haben. Während des Prozesses erklärten sie, dass sie die Kunst gewählt hätten, um auf die Missstände in Putins Russland aufmerksam zu machen, so wie 140 Jahre zuvor die Narodniki an die Kraft der Bombe glaubten. Das ist der große Unterschied. Aber die Leidenschaft für große Ideen, die der Schlüssel für die Umgestaltung der Welt wären, machen die Einzigartigkeit und Kraft aus. Die Formen mögen andere geworden sein, aber wie im 19. muss auch im 21. Jahrhundert wieder die Kunst als Ersatz für Politik herhalten, nirgends sonst so tragisch relevant wie in Russland. Freiheit der Kunst, Freiheit der Wissenschaft ist im Putin-Russland noch immer ein Fremdwort. Sie geht nur so weit, wie es dem Regime nützt. Alles, was an Kritik darüber hinausgeht, wird einen Kopf kürzer gemacht.

Die Frauen von Pussy Riot versuchten nach ihrer Freilassung noch etwa ein halbes Jahr künstlerisch und politisch tätig zu sein, dann gaben sie unter dem zunehmenden Druck auf und gingen ins westliche Ausland.

Wien, 29.12.2013, 27.1.17

Veronika Seyr
www.veronikaseyr.at
http://veronikaseyr.blogspot.co.at/

www.verdichtet.at | Kategorie: ärgstens | Inventarnummer: 19010

Synagoge - Beit Ha Midrasch - Haus des Gebets

In deiner Mitte hat das Wort gewohnt
Doch lange schon ist es geflohen
Von diesem in das andre Leben
Wie hätt‘ es sich in acht Jahrzehnten
Verstecken können fern und fremd?
Von Asyl hat es bis dato nicht gehört

Geschunden und geschändet
Entfremdet
Dem Vergessen anvertraut
Gar totgeschwiegen, totgetrampelt
In leeren kalten Winkeln
Hattest du dich allzu lang verborgen
Bis dir der lange Atem ausgegangen
Und du davongeflogen bist
Entschwunden uns

Doch liebend aufgenommen
In den Himmeln
Eingeatmet und geborgen

Hier ist noch deine leere Hülle
Der tote Leib
Die kalten Mauern
Wohlig warm solarbeheizt
Die wir ehrfurchtsvoll bestaunen

Ansehnlich restauriert kündet dies Haus
Von einer Zeit
In der das Wort unter den Menschen wohnte
Wohnen wollte liebend gern
Es ist ihm nicht geglückt

Was aber kündet von der Schande
Der Entgleisung
Dem millionenfachen Mord?
Verkniffene Lippen – ein beredtes Schweigen
Stille, die zum Himmel schreit

Sulzbach-Rosenberg im Februar 2018

Claudia Kellnhofer
www.bitterlemonverwunderung.de

www.verdichtet.at | Kategorie: ärgstens | Inventarnummer: 18158

Lobio und Chatschapuri

Kaukasus in Wien

Auf meiner Straße machen in letzter Zeit immer mehr kleine Restaurants auf, die von Ausländern geführt werden, exotische Küche oder sonst eine Spezialität haben. Die Welt zieht ein unter die Lindenallee von Wieden. Eine brasilianische Tapioca, ein Allergikercafé, ein veganes Lokal, eine kroatische Mini-Eisdiele will es aufnehmen mit dem berühmten Il Giardino, ein junger Vietnamese mit den alteingesessenen Chinesen. Das Neueste ist ein georgisches Restaurant, das mich besonders anzieht. Geworkian, Sohn des Georg, nennt es sich. Im Vorbeigehen lese ich jedes Mal die Speisekarte auf den schwarzen Tafeln, aufgeschrieben mit Kreide in lateinischer Schrift, aber mit geschwungenen Buchstaben, die an die georgischen erinnern. Die Rundungen und Kringel nach oben und unten sind liebevoll ausgemalt, rot und grün, die Landesfarben. Ich finde das einladend und heimelig, weil ich mich ja viel in Georgien aufgehalten habe, in Moskau oft im Restaurant Tiflis zu Gast war und schon lange einige ausgewählte georgische Gerichte nachkoche.

Meine Gäste sind immer begeistert von meinem Lobio, einer frugalen Paste aus roten Bohnen, dem Chatschapuri, dem berühmten Käsebrot, oder dem Sazivi, einem Hühnchen in einer Sauce mit ungefähr dreißig Gewürzen, Butterbergen, Obersflüssen und Tonnen von Walnüssen. Die gefüllten Auberginen Gozinaki gelingen immer, und auch die süße Nachspeise Chinkali kommt gut an, bei denen, die dafür noch Platz haben. Viel Butter, viel Obers, Kräuter ohne Zahl und Namen und Nüsse, Nüsse und noch einmal Nüsse. Kein Gericht ohne Nüsse. Wer von Nüssen schlechte Haut oder Verdauungsprobleme bekommt, sollte vorsichtig sein. Wir hier kennen ja nur den einen oder anderen vereinzelten Nussbaum in einem Garten oder am Wegesrand. Aber wer die Nussbaumwälder auf den unteren Abhängen der Kaukasusberge gesehen hat, die Düfte, die von ihnen ausgehen, gerochen hat, die Wundermeldungen von der Wirkung ihres Schnapses oder Medizinen gehört hat, versteht die Nuss-Vorherrschaft in der georgischen Küche.
Sogar manche Weine schmecken leicht nussig. Nach ihrer Religion und ihrem Wein steht wahrscheinlich die Nuss an dritter Stelle ihrer Identität. Vielleicht gehört die Musik noch davor.

Ich höre mir die Lobeshymnen der Partygäste gerne an und denke mir: Naja, einigermaßen gut, den Rest behalte ich für mich. Nur ich weiß, dass die Gerichte ein ferner Abklatsch der georgischen sind, weil wir hier nicht die aberhundert Kräuter des Kaukasus haben. Einzig mit dem auch bei uns heimischen Koriander kann ich meinen Speisen einen fernen Anklang der georgischen Küche geben.

Wenn Geworkian auch noch die Weine aus Kachetien servierte, müsste das eine Dependance des Himmelreichs auf Erden sein. Obwohl die ausgehängte Speisetafel einladend wirkt, spüre ich eine eigenartige Scheu, das Lokal zu betreten. Ich fühle mich angezogen, trotzdem fürchte ich mich davor, die Schwelle zu übertreten. So luge ich nur durch die Fensterscheibe oder schaue dem Treiben im kleinen Schanigarten unter den Linden zu.
In der winzig kleinen, offenen Küche werkt ein älterer Mann mit graumeliertem Knebelbart und einer hohen, weißen Mütze. Ausgeprägtes Profil, ein Kaukasier, stellt mein schneller Blick fest. Aber warum eigentlich? Kann nicht ein Grieche, Türke, Italiener, Bulgare oder Mazedonier genauso aussehen? Ist mein Blick rassistisch? Hat man nicht in unseliger Zeit von einer „kaukasischen Rasse“ gesprochen?

Der Koch hebt den Blick vom Tisch auf und schaut mich direkt an, offen und klar, aber nicht einladend. Nicht das geringste Anzeichen von Lächeln, nicht in den Mundwinkeln, nicht in den Augen. Sie sind wimpernlos und starr, er scheint nichts zu sehen, irgendwie abwesend und entrückt. Serviert werden die Gerichte in vielen appetitlichen Schüsseln und Schälchen mit den typisch georgischen Blumengirlanden in Rot und Grün von einer jungen Kellnerin, die ihre natürliche Schönheit auf dem Laufsteg oder vor der Kamera zur Geltung bringen könnte. Vielleicht kommt sie von dort und verdient hier nur ihr Taschengeld. Warum gehe ich nicht hinein? Ich habe doch keine Illusion, dass mein Lobio, Chatschapuri und Sazivi auch nur annähernd so schmecken wie im Kaukasus.

Dann will es einmal der Zufall, dass ein Freund mich zum Essen einlädt, und er schlägt eben dieses Lokal vor, weil er in einer Programmzeitung davon gelesen hat. Ausgezeichnet, sensationell, überschwänglich schreibt der Restaurantkritiker, ein absolutes MUST, echt, typisch Kaukasisch. Blödmann, wie kann der denn wissen, was echt und typisch ist? Ich mache noch einen schwachen Versuch, meinen Freund auf den neuen Brasilianer gegenüber umzulenken. Hör auf, wenn etwas brasilianisch heißt, kann es nicht gut sein, denn dort gibt es hundert Küchen. Er hat Jahre in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern gelebt, also werde ich ihm glauben und mich zum Georgier schleppen lassen. Dazu muss ich noch erklären, dass mein Freund früher Koch war und sich für alle Küchen der Welt interessiert.

Ein prachtvoller Maitag, die Linden haben zu blühen begonnen und hüllen die Straße in eine süße Duftwolke. Wie durch ein Wunder kann sie sich gegen die Autoabgase durchsetzen, und die Luft weht in Honigwellen durch die Straße.

Wir lassen uns im Schanigarten unter einem zitronengelben Sonnenschirm mit der lieblichen georgischen Girlandenschrift nieder, und ich erkläre meinem Freund die ihm unbekannten Gerichte. Wir stellen einen Querschnitt durch die kaukasische Küche zusammen und bekommen von der Schönheit ein Dutzend Schälchen auf den Tisch gesetzt. Mein Freund will Bier, es gibt nur heimisches, ich bestelle einen Zinandali, den georgischen Weißwein, den ich dort gern getrunken habe. Angeblich Iossif Wissarionowitsch Dschugaschwilis Lieblingsweißer. Bei uns würde man ihn Gewürzwein nennen, aber er ist von der Natur angereichert durch die vielen Blumen und Kräuter der kaukasischen Erde. Die Georgier rühmen sich ja, dass sie die Erfinder des Weines sind, vor 7000 Jahren, lange vor den Griechen und Römern.

Wahrscheinlich ist es diese spontane Bestellung eines Zinandali, die den Koch auf mich aufmerksam macht. Er verlässt seinen Arbeitsplatz, stellt sich in den Türrahmen und lässt den Blick schweifen, als würde er die Straße rauf- und runterschauen. Ich bemerke aber, dass er mich im Visier hat. Hat er mich wiedererkannt als die seltsame Passantin, die schon oft bei ihm stehen geblieben ist und reingeglotzt hat? Er lässt sich nichts anmerken, sein Blick ist wie immer offen und leer, und so kann ich nur weiterrätseln.
Da mein Freund auch Fotograf ist und nie ohne seinen Rucksack voll mit Kameras auf die Straße geht, bleibt es nicht lange aus, bis er die Schönheit fragt, ob er sie fotografieren darf. Sie schenkt ihm ein strahlendes Lächeln wie die aufgehende Sonne am Kazbek. Sie scheint nicht scheu zu sein und sich ihres blendenden Aussehens bewusst. Sie posiert nicht, sondern arbeitet weiter, geht aus und ein, serviert und räumt ab, bringt Gläser und Schälchen, kassiert, wischt die Tische ab und richtet die Sonnenschirme aus.

Mein Freund ist absolut glücklich, weil er am liebsten Menschen bei ihren natürlichen Tätigkeiten fotografiert, also keine Porträts oder Posen. Man müsste sie eigentlich filmen, denke ich laut, ob man denn die Anmut ihrer Bewegungen in Fotos wiedergeben kann. Na, wart nur, das ist eben die Kunst des Fotografierens, genau das in einem Bild einzufangen. Er hat recht, ich kenne viele Fotos von ihm, die tanzende, kämpfende oder religiösen Ritualen nachgehende Menschen darstellen. Habe einige gerahmt und bei mir aufgehängt.

Als der Koch wieder in die Tür tritt, fragt mein Freund mit Gesten auch ihn um die Fotografiererlaubnis. Der schüttelt leicht, aber bestimmt den Kopf und verschwindet wieder in der Küche.
Oje, fragt mein Freund erschrocken, hab ich was falsch gemacht?
Nein, er dürfte etwas eigen sein, und erzähle ihm von meinen früheren Beobachtungen.
Als wir fast schon aufbrechen wollen, kommt der Wirt mit einem Tablett heraus, auf dem drei Gläser und eine Flasche mit rotem Kindzmarauli stehen. Er hat Schürze und Kochmütze abgelegt und setzt sich ohne Einladung zu uns. Obwohl sein Gesicht in seiner Faltenlosigkeit jung wirkt, hat er schlohweißes Haar, gewellt und hinten zu einem Zopf gebunden. Ein Gespenst.

Darf ich Sie zu einem Glas einladen?
Aber gerne, ich bin überrascht, mein Freund begeistert. Er liebt es, Zufallsbekanntschaften zu machen.
Der Wirt öffnet die Flasche, gießt die drei Gläser voll mit rubinrotem Gefunkel und wendet sich unmittelbar an mich:
Entschuldigung, kann es sein, dass ich Sie schon einmal gesehen habe, früher?
Ja natürlich, ich wohne nebenan und komme oft bei Ihnen vorbei.
Nein, das meine ich nicht, früher, viel früher.
Sein Deutsch hat einen Akzent, ist aber ansonsten nahezu perfekt.
Wie denn, Sie haben doch erst vor einem Jahr hier aufgemacht.
Langes Schweigen mit gesenktem Kopf.
Waren Sie einmal im Kaukasus?
Ja, oft, hauptsächlich in Georgien, aber auch in Armenien, in Jerewan und Umgebung, am Sewansee und …
Ich merke, wie der Mann aufgeregt wird und schwer zu atmen beginnt.
Vielleicht auch in Leninakan? Er haucht es mehr, als dass er den Namen ausspricht.
Ja, auch in Leninakan, im Jänner 1989, kurz nach dem Erdbeben. Ich war beim ORF und …

Jetzt springt der Mann so heftig auf, dass der Stuhl umfällt, und er flüchtet in der Küche.
Oh Gott, was hat ihn so verärgert?
Die aufmerksame Kellnerin eilt herbei und legt den Finger auf die Lippen.
Bitte, nicht davon reden, bitte!
Aber, aber, stottere ich, er hat mich doch selbst danach gefragt …
Ja, aber Le-ni-na-kan nicht aussprechen, das verträgt er nicht.
Soll ich denn leugnen, dass ich als Jounalistin nach dem Erdbeben vom 7. Dezember 1988 mit einer Hilfslieferung mitgeflogen bin und davon berichtet habe.

Auch ich habe das nie vergessen, diese vollkommen zerstörte Stadt, alle Dörfer in einem weiten Umkreis komplett entvölkert und dem Erdboden gleichgemacht, unvorstellbare 25 000 Tote. Jeder fünfte Einwohner.
Die Österreicher hatten Geld gesammelt und mehrere Flugzeugladungen mit Fertigteilhäusern mitgebracht. Rasch wurde ein Modellhaus aufgebaut und eine Tafel darangehängt – Mozartstraße, so soll sie heißen, und in dem Österreich-Dorf werden noch eine Schubert-, Haydn-, Beethoven- und Mahlerstraße folgen. Was ich jemals gedreht habe, vergesse ich nie wieder.
Ein Kinderchor sang für die Gäste ein Lied aus der Zauberflöte, das der drei Knaben. Sie zitterten und hatten blaue Lippen. Es war Jänner, und die Stadt liegt auf 1600 Metern, rundherum verschneite Drei- und Viertausender.
Ein kleines Mädchen überreichte mir einen Blumenstrauß in Plastikfolie. Wo haben sie denn den her in dieser Wüstenei?

Reden wurden gehalten, auf einem schnell gesäuberten, vollkommen leeren Platz, früher einmal der Hauptplatz von Leninakan, flüchtig eingeebnet, an den Rändern die Berge von Ruinen, an einigen Stellen von Planen spärlich verdeckt, überragt von der zerstörten Erlöserkirche. In der strahlenden Wintersonne sieht alles besonders grausig und gespenstisch aus. Ich erinnere mich, wie es mich geschüttelt hat, nicht nur vor Kälte.
Als ich mich von den hiesigen und heimischen Honoratioren absetzen konnte, schlich ich mich hinter eine der Stoffbahnen.
Ich hatte den aberwitzigen Plan, eine Handvoll Erde aufzusammeln und sie für Arnak nach Wien mitzunehmen. Der Mann meiner Freundin J. war Armenier aus der ägyptischen Diaspora, hatte aber nie einen Fuß ins Land seiner Vorfahren gesetzt. Ich wollte eine Vase kaufen und sie anfüllen. Dabei wusste ich, dass das ein Sakrileg war. Kein Mensch durfte auch nur ein Krümel von armenischem Land entfernen, im Gegenteil, jeder Besucher sollte ein Säckchen Erde mitbringen, um es zu vermehren.

In armenischen Häusern werden die Schuhsohlen abgebürstet, der Staub und die Krumen aufgesammelt und ausgestreut.
Ich hatte mich niedergehockt, um schnell etwas Erde zusammenzukratzen, da stand plötzlich ein kleiner Junge vor mir und schaute mich mit großen Augen an. Er war vielleicht zehn Jahre alt, hatte aber schlohweisses Haar, das einen Greis aus ihm machte, ein Gespenst in Bubengestalt. Ich hatte meine Manteltasche schon mit Erde angefüllt und lief unter seinen stummen Blicken schnell wieder zu meinem Team zurück.
Die Bilder standen wieder vor mir, als sei es gestern gewesen. Ich kann nichts machen, mein Hirn ist so gebaut. Schnell stürze ich das Glas Kindzmarauli hinunter und will meinen Freund aus dem Lokal ziehen.

Da kommt der Wirt zurück und entschuldigt sich.
Ich brauchte ein Glas Wasser, heiß heute.
Ich sehe aber, dass er nicht nur Wasser getrunken, sondern sein Gesicht, Hals und Nacken bewässert hat.
Er setzt sich wieder zu uns, gießt noch eine Runde ein und beginnt stockend zu erzählen.
Er hat ins Russische gewechselt.
Ich war drei Tage und drei Nächte verschüttet, in unserem Haus in Leninakan.
Man hatte schon aufgehört zu suchen. Alles war so zerstört, dass man keine Überlebenden mehr unter den Trümmern vermutete. Aber ich wurde doch noch gerettet, unser Hund hat mich erschnüffelt. In dieser Zeit sind meine Haare weiß geworden und ich konnte nicht mehr sprechen.
Meine ganze Familie ist umgekommen, zwei Schwestern, die Eltern und Großeltern. Ich kam zu den anderen Großeltern nach Tbilisi, dort bin ich aufgewachsen und habe den Schulabschluss gemacht. Zuerst haben sie mich zu einem Schuster gesteckt, da muss man nicht sprechen.

Nach zwei Jahren bin ich ausgewandert, zuerst nach Deutschland, und dann hab ich mir ganz Europa angeschaut. Ich hab nicht Koch gelernt, aber mir alles von meiner Großmutter abgeschaut. Kochen kann man wie Schustern, auch ohne zu sprechen. Jetzt bin ich schon zehn Jahre in Österreich, in Wien, hab immer irgendwo gekocht, das ist mein erstes eigenes Lokal, im Freihausviertel, um die Ecke der Mozartbrunnen und das Papagenohaus. Das ist mir wichtig. Ja, und die Linden, die auch. Wie in Tbilisi.
Er senkt den Blick zu Boden und fährt sich über die Augen.
Und die deutsche Sprache, Sie sind ja perfekt!
Neinnein, wehrt er ab, wieder auf Deutsch.
Wissen Sie, ich habe viele Jahre immer nur zugehört. Wenn man selbst nicht spricht, kann man alles besser speichern.

Noch einmal geht er zurück ins Lokal und kommt mit einer Flasche Ararat Nr. 7 zurück.
Der beste Cognac der Welt, den müssen Sie probieren.
Die bauchige Flasche mit den sieben Medaillen der Pariser Weltausstellung von 1913.
Oh, Gott, und das am frühen Nachmittag!
Widerspruch ist zwecklos, der kaukasischen Gastfreundschaft kann man nicht entrinnen.
Mein Freund, ein Kenner und Genießer, ist im siebten Himmel.

Einmal hab ich im Theater an der Wien die Zauberflöte angehört, und bei der Arie mit den drei Knaben habe ich plötzlich mitzusingen angefangen. Die Leute rundherum haben mich angestarrt und pschschtt gezischt, aber das war mir wurscht, ich habe geweint. Da war der Bann gebrochen, eine Erlösung, seither kann ich wieder sprechen. Das Einzige, was mir von Leninakan geblieben ist, ich kann meine Augen nicht mehr schließen.

Wien, Pfingstsonntag, 20. Mai 2018

Veronika Seyr
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www.verdichtet.at | Kategorie: ärgstens | Inventarnummer: 18152

Über ein Verbrechen, das keines war, und die Willkür, die beständig ist

Eines Morgens, eines Tages, eines Jahres wurde Frau A., als sie gerade auf dem Weg in die Bäckerei war, in der man sie beschäftigte, von zwei Herren mit Hut links und rechts an den Armen gepackt und in ein nahestehendes Auto geführt. Ohne Angabe von Gründen wurde Frau A. von zwei Herren mit Hut aus der Stadt gefahren. Ihr weiteres Schicksal wird sich nun im Folgenden entscheiden.

Eine nackte Glühbirne. Ein Tisch. Zwei Stühle. Sonst nichts.
Keine Tür.
Doch. Irgendwo ist eine Tür. Hinter mir. Bestimmt. Ich bin durch sie hineingegangen und dann habe ich mich auf den Stuhl gesetzt. Sodass ich die Tür nicht sehen kann. Ich würde mich umdrehen. Sie wäre da. Aber mich jetzt zu bewegen. Undenkbar. Zu lange war ich regungslos. Sie würden es merken. Und dann würde es beginnen.
Ganz schnell. Um sicherzugehen. Hinter mir ist eine Tür. Ich bin nicht schon immer hier.
Mit einer raschen Bewegung dreht sie sich um. Tatsächlich. Eine Tür. Beruhigt wendet sie sich wieder ihrem Gegenüber zu. Ein hagerer Mann. Vermutlich etwas über fünfzig Jahre alt. Brauner Anzug. Runde Brille. Glatze. Das ist gerade in Mode.

Ob sie wisse, warum sie denn hier sei, möchte er wissen. Die Tiefe seiner Stimme irritiert sie.
Unmöglich kann dieser Herr ein solches Organ besitzen. Sie bleibt still. Er solle noch etwas sagen. Gebannt starrt sie auf seinen Mund. Doch anstatt eines Wortes spuckt er neben sich auf den Boden. Ohne den Blick von ihr abzuwenden, greift er in die Innentasche seines Sakkos und holt ein ledernes, schwarzes Zigarettenetui hervor. Sie fixierend, öffnet er es, nimmt eine Zigarette der Marke Makedon heraus und steckt sie sich zwischen die Lippen.
Ob sie auch eine möchte, will er wissen, während er in seiner Hosentasche nach Zündern kramt.
Diese Stimme. In Wahrheit spricht nicht er. Jemand anders spricht durch ihn. Er führt nur aus, was man ihm aufgetragen hat. Das ist sein Beruf.
„Danke ich rauche nicht.“ Das war gelogen. Warum? Es wäre ja nichts dabei. Mit diesem Herrn eine Zigarette rauchen. Ganz einfach. Rauchen verbindet. Egal. Später werde ich alleine rauchen.

Mit diesem Herrn verbindet mich nichts. Das soll er ruhig wissen.
Er zündet die Zigarette an. Bläst Frau A. den Rauch ins Gesicht. Schnippt das noch brennende Streichholz in die Ecke. Es geht noch in der Luft aus. Er schlägt ein Bein über das andere. Dreht ihr die Seite zu.
Überlegt einen Moment. Er sagt, gegen die blassgraue Wand blickend, sie solle sich nicht dumm stellen. Je schneller sie mit ihm reden würde, desto schneller könne sie nach Hause gehen. Er würde ihr noch einmal dieselbe Frage wie zu Beginn des Gesprächs stellen: Warum?

Er äschert auf den Boden. Wendet sein strenges Gesicht ihr zu. Erwartungsvoll und zugleich desinteressiert sieht er sie an. Sie bleibt ruhig. Denkt nach. Sie beginnt zu schwitzen. Sie spürt, wie sich auf ihrer Stirn hunderte kleine Schweißtröpfchen bilden. Kalter Schweiß. Sie braucht Wasser. Und sie muss atmen. Wie ist es möglich, dass dieser Mensch keinen Durst zu empfinden scheint? Und auch kein Problem mit der abgestandenen, bereits mehrere Male wiederverwerteten Luft hat? Absurd. Absurd ist die Sache. Wie lange sitzen wir schon hier?
Fünf, sechs Stunden? Bestimmt. Aber hier ist doch eine Tür. Ich habe es überprüft. Ich kann gehen.
Ganz einfach. Aufstehen. Tür öffnen. Hinaus. Atmen. Es gibt keinen Grund für mich, hier zu sein.

Mit ihm. Dessen glatte Stirn kein Ende zu nehmen scheint. Ob sein kahler Schädel eine Frisur darstellt? Oder ist es ein genetisch bedingtes Manko? Wie es doch allzu oft bei Männern seines Alters vorkommt. Es wirkt nicht so, als würde etwas nachwachsen. An den Seiten ein bisschen. Ein paar Härchen scheinen sich einen Weg durch die käsig-weiße Kopfhaut bahnen zu wollen. Wer weiß, wie lange wir hier noch sitzen. Vielleicht beantwortet sich meine Frage von selbst. Wie er mich ansieht. Als würde ich jeden Augenblick.
Na gut, Frau A., sagt er, keine Antwort ist auch eine Antwort. Sie kennen das Gesetz, Frau A, meint er, so nehme er zumindest an. Da werde noch einiges auf sie zukommen. Es sei besser für sie, würde sie kooperieren. Dann sei es schneller vorbei. Aber so ginge es auch. Ihm sei es gleich.

Sobald er aus dieser Tür gehe, sei seine Arbeit getan. Er habe versucht, ihr zu helfen. Ob ihr das klar sei? Nicht jeder bekomme die Möglichkeit für ein Verhör. Also?
Er zieht an der Kette, die an seiner Brusttasche befestigt ist und holt eine goldene Taschenuhr hervor. Klappt sie auf. Bläst Rauch darauf. Schließt sie. Wirft sie zurück in die Tasche. Denkt einen Moment nach. Dann hebt er die Augenbrauen und verzieht den Mund. Der Mann nimmt noch einen letzten Zug und dämpft die Zigarette schließlich auf der Tischplatte aus. Halb geraucht. Eine Weile bleibt er noch sitzen. Bis er endlich aufsteht. Um hinauszugehen, wie sie erhofft. Während er um den Tisch herumgeht, holt er nochmals die Taschenuhr heraus. Wiegt sie in seiner Hand. Macht sie auf. Er bleibt neben der Frau stehen. Schaut auf sie herab. Sagt: „Die kennst du doch?“

Er lächelt. Sie blickt starr geradeaus. Presst die Zähne zusammen. Die Lippen, ein schmaler Strich.
Der Sekundenzeiger tickt neben ihrem Ohr. Er dreht in aller Ruhe am Aufzugsrad. Beobachtet sie.
Klappt die Uhr zu. Steckt sie zurück.
Sie könne gehen, sobald sie ihren Mantel fertiggemacht habe, bemerkt er teilnahmslos.
Der Mann geht langsam zur Tür und verlässt lautlos den Raum. Eine Brise weht herein. Es riecht nach frischer Erde, Lehm, Tod.

Meinen Mantel. Fertig. Das habe ich vergessen. Wo ist denn? Die Nadel? Gerade hatte ich sie doch noch. Da. Wozu? Was bedeutet das überhaupt? Nichts. In Wahrheit. Zu jeder Zeit sichtbar soll es sein. Das Symbol, wie sie es nennen. Immer tragen. Fein. Immer tragen, sagen sie. Wer war der Herr überhaupt? Hat er seinen Namen genannt? Wohl kaum. Seine Arbeit mit mir ist ja zu Ende. Ich werde ihm nicht mehr begegnen. Was es nun mit seinen nicht vorhandenen Haaren auf sich hat, werde ich jetzt wahrscheinlich auch nicht erfahren. Schade.
Von irgendwo klingt Musik. Ein bekannter Schlager.
Sie kennt den Titel trotzdem nicht. Auch die Sängerin ist ihr unbekannt. Sie dreht sich um. Die Tür ist verschlossen. Wenn sie fertig ist, kann sie gehen. So hat er es ihr gesagt. Sie widmet sich wieder dem Aufnäher. Sie macht es gründlich. Wenn sie ihn schon tragen muss, dann soll es wenigstens ordentlich aussehen. Von draußen ist etwas zu hören. Geräusche. Laute, die sie nicht zuordnen kann. Sie werden von der beschwingten Melodie und dem kräftigen Gesang gut übertönt.

Eine nackte Glühbirne. Ein Tisch. Zwei Stühle. Eine Tür. Sie ist fertig. Steht auf. Schafft es kaum.
Zieht ihren Mantel an. Nicht so tragisch. Es wird gut werden. Am Ende. Doch bevor sie aus der Tür geht, möchte sie einen Blick durch das Schlüsselloch werfen. Was sie erwarten wird. Draußen. Sie kneift ein Auge zu und drückt das andere gegen die kleine Öffnung. Mittlerweile ist es finster geworden. Das einzige Licht scheint von den tausenden Sternen zu kommen, die den Himmel bedecken. Sie strahlen auf tausende Sterne, die hier am Boden wandeln. Machen ihnen Licht. Wo keines mehr ist. Sie richtet sich auf. Atmet tief durch. Öffnet die Tür. Und geht zu ihnen.

Frau A.s Schicksal war nun, obwohl es doch von Anfang an feststand, offiziell besiegelt. Von hier an verliert sich ihre Spur.

 

Anna Bartl

www.verdichtet.at | Kategorie: ärgstens | Inventarnummer: 18139

Nimmst mir mein Leben

Die durchdringende Aggressivität deiner Natur,
lauernd schon im ersten Händedruck.
Da hilft weder Gift noch Kur.
Manchmal glaube ich nur,
sogar dein Atem an meiner Wange,
kostet mich mein Leben.

Ich fing mir den Virus ein,
bin ihm so leicht erlegen.
War so anfällig, so schwach.
fieberte dir entgegen.
Ich habe mir schon viele wie dich eingefangen.

Doch keiner war so persistierend.
So heimisch in mir,
So Zell-irritierend,
So hoch ansteckend
wie Du.

Nives Farrier
aus: Nach Dir.
(TwentySix Verlag, 2018)

www.verdichtet.at | Kategorie: ärgstens | Inventarnummer: 18107

 

 

Pauli, Petko

Die Bauarbeiter stiegen vom eingerüsteten Glockenturm und setzten sich auf ein paar Holzkisten. Links über ihnen hing ein riesiges Banner von der Hauswand herab. Is there Beauty after Alleppo?
Wastl packte sein Pausenbrot aus und biss hinein. „Woher bist du, aus Serbien, eh?“ Eine halbe Essiggurke fiel zu Boden.
Jagoš zog an seiner Zigarette. „Kroatien.“

Der Kollege neben ihnen faltete die Bildzeitung auf und vertiefte sich in den Anblick eines halbnackten Fotomodels. Jagoš Blick schweifte durch das gusseiserne Tor. Der riesige Rasenmäher vor der Kirchenruine erinnerte ihn an sein Heimatdorf, er war oft Trecker gefahren und hatte Mutter bei der Ernte geholfen. Jagoš betrachtete die von Büchern überquellenden  Regale hinter den Fenstern des Rückgebäudes. Kurz vor Kriegsausbruch war er zum Studieren nach Zagreb gegangen, er hätte Ingenieur werden sollen, wie Onkel Zlatko. Doch nach ein paar Semestern hatte Jagoš abgebrochen und war nach Deutschland geflohen. Damals wollte er nur noch weg von dem Chaos. Drei Tage davor war sein kleiner Bruder ums Leben gekommen.

„Ma-ma!“ Ein Junge lief über den Platz und heulte.
Wastl schmatzte. „Der Dumme hat sich beim Taubenjagen verlaufen.“ Er schraubte eine Thermoskanne auf und schenkte sich Kaffee ein.
„Komm mal her“, sagte Jagoš. „Suchst du deine Mama?“
Der Junge nickte und ging zögernd auf ihn zu, seine Augen waren vom Weinen rot und an einem Nasenloch hing Rotz.
„Wie heißt du denn?“
„Pauli.“ Er zog die Nase hoch.

Petko war ungefähr in Paulis Alter gewesen, als er nach den Schüssen im Straßengraben gelegen hatte, ganz still, mit seinem Gesichtchen im Dreck. Mutter hatte es ihm weinend am Telefon erzählt, doch ihm war, als hätte er es selbst gesehen, eine unauslöschliche Erinnerung.

Paulis Hose hatte Grasflecken. „Weißt du, wo meine Mama ist?“
„Ich weiß alles“, scherzte Jagoš und raffte sich hoch. „Sollen wir sie suchen gehen?“
Er streckte Pauli die Hand hin. Die Finger des Jungen fühlten sich kalt und klebrig an, als hätte er Eis gegessen. Sie gingen quer über den Parkplatz. Als sie um die Ecke bogen, kam ihnen hastig ein Paar entgegen.
„Da bist du!“, rief der Mann. „Wenn du das noch einmal machst, dann –“
Pauli blieb abrupt stehen; sein kleiner Körper versteifte sich.
„Warum regen Sie sich so auf?“, sagte Jagoš. „Sie haben ihn ja wieder.“

„Warum bist du schon wieder weggelaufen?“, fragte die Frau; der Junge sah ihr auffallend ähnlich. Sie zupfte ein Taschentuch aus einem Päckchen und putze ihm die Nase. Ihre Zähne waren ein klein wenig schief und auf ihrer Wange hatte sie ein winziges Muttermal. Sie lächelte Jagoš an. Wie lange war es her, dass ihn eine Frau so angelächelt hatte. Er wusste es nicht. Nur, dass er mit ihr und dem Jungen bis ans Ende der Welt hätte gehen wollen. Stattdessen machte er sich von der kleinen Hand los, die seine Finger nach wie vor umklammert hielt, und steckte sich noch eine Zigarette an.

„Sag auf Wiedersehen zu dem netten Mann.“
„Tschüss“, sagte Pauli und winkte. Pauli, Petko.
Jagoš nickte ihm zu und wischte sich eine Träne aus dem Auge.

Angela Kreuz

www.verdichtet.at | Kategorie: ärgstens | Inventarnummer: 18010