Schlagwort-Archiv: verliebt verlobt verboten

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Mülltrennung

Ralf steht auf dem Steg am See. Er sieht den Hund von dem Mann, der die Yacht des Clubs pflegt. Der Hund geht auf und ab, macht hier und dort hin, riecht an dem Busch, dem Baum, er hat kein Ziel, ist nie im Stress. So wünscht sich auch Ralf zu sein.
Ralf träumt vom Meer und von dem Boot, das er baut. So lang schon baut er an dem Boot, nur der Mast fehlt noch, dann geht die Fahrt los. Das Boot ist sein Traum, seit er ein Kind war. Nur er weiß von dem Traum, kein Mensch sonst. Kein Mensch weiß von dem Boot, auch Liz nicht, grad Liz nicht. Liz, die Frau, die er liebt, Liz, sie soll nicht mit auf das Boot, weil er ganz für sich sein will auf dem Schiff, das er sich so wünscht und für das er so viel gibt. Doch er weiß nicht, wie er ihr das klar macht. Drum denkt er nach, stets von vorn, doch das führt zu nichts. Wie so oft schon dreht er sich nur im Kreis und weiß den Weg nicht raus.

Er kehrt um und läuft nach Haus. Dort setzt er sich an den Tisch und tut gar nichts, blickt nur vor sich hin. Bald wird sie da sein. Ralf fühlt sich nicht wohl, er will ihr nicht weh tun, doch er weiß, so sehr, wie sie ihn liebt, wird ihr Schmerz groß sein. Doch er ist nicht froh, so wie er mit ihr hier lebt. Er will weg, er fühlt, er ist nicht der Mann, der im Paar sein kann, er will für sich sein. Ralf schwamm stets nur mit dem Strom, war nie ein Mann, der für sich selbst sorgt, meist legt Liz Weg und Ziel fest. Doch jetzt muss Schluss sein, er will nicht mehr faul und sie soll nicht mehr der Boss sein. Er will nicht mehr tun, was sie will, er will der Mann sein, der denkt und lenkt.
Er schluckt und denkt: Sie joggt noch, ich wart nur, bis sie kommt, dann fällt mir schon was ein.

Dann kommt Liz, schwitzt vom Lauf durch den Wald. Sie schnauft, schaut sich um und fragt:  „Was tust du?“ Sagt er: „Na, nix.“ Sie merkt, es stimmt was nicht mit ihm, doch sie lacht und meint: „Das ist nicht viel!“
Ralf gibt ihr Recht und fragt: „Was denkst du, was soll ich denn tun?“ Liz grinst und schlägt vor: „Wie wär’s mit dem Müll?“
Er starrt sie an und mault: „Nein. Ich geh nicht raus und bring den Müll weg, mach es doch selbst.“
Da wird Liz bös und dreht sich zu ihm um. „Nie machst du was, nie hilfst du mit, meist mach ich es selbst. Mal kannst doch du was tun, meinst du nicht auch?“, sagt sie und schaut ihn an mit dem Blick, den er so hasst. Der Blick, den sie hat, wenn sie was von ihm will, das er nicht will. Mal ist es der Müll, kann auch sein, dass sie Schmuck will oder Sex, so oft will sie was von ihm, was er nicht kann oder nicht will. Wenn sie es nicht kriegt, dann weint sie und geht ins Bett, ist still und stumm und bockt. Er hasst das, doch er weiß auch, dass sie ihn liebt, nur nervt sie ihn halt oft.
Da fällt es ihm auf, das kann der Trick sein, jetzt find ich den Weg fort von ihr.

Ralf rennt raus in den Flur, nimmt den Sack mit dem Müll und wirft ihn durch den Raum. Dort, wo Liz steht, platzt der Sack auf. Sie ruft: „Was soll das jetzt, bist du irr?“
„Nimm den Müll, da hast du ihn. Nie mehr bring ich den Müll raus für dich!“ Ralf brüllt jetzt, brüllt sie an voll Zorn, doch nicht auf sie hat er Wut, auf sich hat er Wut, weil er so lang nichts tat, so lang blieb, wo er doch längst schon so gern so weit weg wär.
„Mach es selbst, ich mach es nicht, nie mehr. Ich hab es satt, stets willst du was, ich mag nicht mehr. Von nun an trägst du den Müll selbst raus. Ich geh jetzt und lass dich hier. Ich geh fort von dir. Dann muss ich nichts mehr tun für dich und du hast Ruh’ vor mir und dass ich nie was tu für dich und für uns. Ich lass dich in Ruh’ und du lässt mich in Ruh’, das ist doch gut für uns, für dich und mich. Ich pack gleich ein, viel hab ich nicht, das meins ist, da reicht ein Sack für mein Hab und Gut.“

Er dreht sich um und geht raus durch den Flur in das Bad und schließt die Tür. Sie starrt ihm nach und glaubt nicht, was er sagt. Das kann doch nicht sein, so geht das nicht, das tut man doch nicht, so kalt und knapp geht er doch nicht weg von ihr. Sie klappt den Mund auf und zu, doch fällt ihr nichts ein. Sie weiß, sie sagt nichts, sie sagt nie was, stets hält sie den Mund, klagt nie und macht viel nur mit sich selbst aus. Oft tut sie, was er will, folgt ihm, statt zu tun, was sie selbst will.  Doch hier geht das nicht, sie weiß, sie muss was tun, so dass er bei ihr bleibt, weil sie ihn doch so liebt und er sie doch auch, das weiß sie ganz fest. Nur, sie steht ganz starr, hat Angst, dass er geht, dass er meint, was er sagt. Kein Glied rührt sie vor Schreck, kriegt nur ganz schwer Luft. Dann hebt sie den Arm, greift nach der Tür, hält sie fest, hält sich dran fest, so dass sie nicht fällt vor Schmerz, den sie hat im Bauch, im Kopf und im Herz.

Er kommt aus dem Bad mit dem Sack, in dem er das hat, was sein ist. Er sieht sie an, sagt nichts. Sie will ein Wort nur von ihm, doch sein Blick ist so hart, dass sie sich nicht traut, sie fragt nicht, sie sagt nichts, ruft ihm nicht zu, wie sehr sie ihn liebt, dass sie nur ihn will, stets nur ihn. Und jetzt will er weg von ihr, wie hart und streng er sein kann. Das kennt sie von ihm, das ist nicht neu für sie, so war er oft im Streit. Schon so oft, er ist kalt und schroff, sie bleibt stumm und weint. So auch jetzt.
Sie tritt an die Wand, hält sich an der Tür fest, blickt ihn an und nickt: „Dann geh, ich halt dich nicht, wenn du weg willst von mir. Du weißt, wie lieb ich dich hab. Mein Herz schlägt wie deins, wir sind eins, du und ich.“
Er sieht sie nicht an, als sie spricht. Er weiß, dass er ihr weh tut und er ist ganz platt, wie sehr es auch ihn schmerzt.
Liz sagt: „Wenn du frei sein willst, kann ich nichts tun. Ich lass dich los, ich wünsch dir viel Glück, was du auch tun willst. Ich bleib hier und ich bin stets hier. Wenn du mich willst, dann such mich hier.“
Sie dreht sich um, geht jetzt auch ins Bad, schließt die Tür. Sie hört nicht, wie er geht.

Er geht aus dem Haus, durch den Hof zum Tor, dann den Weg, der zur Stadt führt. Er blickt sich nicht um, sieht nur nach vorn. Doch im Herz, da sieht er nur sie, Liz, wie sie an der Tür steht. Er merkt nicht, dass er weint.

Renate Müller
www.renas-wortwelt.de

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 20091

Große junge Liebe

Gestern fuhr ich mit meinem Auto durch Lendorf. Da lief ein Mädchen vor mir richtig schnell über die Straße. „Ist alles in Ordnung mit ihr?“, fragte ich mich. Ein paar Sekunden später sah ich, wie ein Bursche und sie sich eng umschlungen hielten.

Sie hatte ihn gesehen und lief los, auf ihn zu, bis seine Arme sie auffingen, und ihre Arme ihn umfassten. Wahrscheinlich drehten sie sich dann, weil die kinetische Energie so hoch war. Nachdem das meiste davon abgebaut war, hielten sie einander am Fleck stehend fest.

Das ist große junge Liebe.

Der Baum mit vielen Herzen

Der Baum mit vielen Herzen

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 20085

Zwischen zwei Gefühlen

In den vergangenen Stunden hatte Charlotte den Heizungskeller porentief gereinigt, ihren Hund gebürstet, alle Möbel im Wohnzimmer umgestellt, den Hund gebürstet, ihren Kleiderschrank aus- und wieder eingeräumt, ihren Hund gebürstet, ihre Bücher alphabetisch geordnet, den Hund gebürstet – und 17-mal angefangen, einen Brief an ihren Mann zu schreiben.
Jetzt versteckte sich Dackel Hermann hinter dem Sofa und Charlotte saß verschwitzt und staubig an ihrem Schreibtisch und wusste nicht weiter. Sie las, was sie bisher geschrieben hatte.
„Es gibt einen anderen Mann, den ich traf vor einigen Monaten. Du kennst ihn nicht. Aber ich fühle, ich muss zu ihm. Es tut dir weh und es tut auch mir weh. Ich liebe ihn, obwohl ich dir gehöre.“ Hier hielt sie inne und starrte vor sich.
Wie sollte sie Sebastian klarmachen, was in ihr vorging? Wie sollte er sie verstehen, wo sie sich doch selbst nicht verstand?

Sie las weiter, was sie geschrieben hatte: „Er gibt mir etwas, von dem ich nicht wusste, dass ich es suche. Ich habe bei dir in all den Jahren nie etwas vermisst und doch spüre ich, dass etwas fehlte. Du bist das Wichtigste in meinem Leben und alles, was zwischen uns gewesen ist, bleibt wahr und richtig. Er weiß, dass ich nicht frei bin und dass ich es nicht sein möchte. Und doch zieht es mich zu ihm.“
Das klang so schwülstig, so kitschig. Wie sollte sie die richtigen Worte finden, ihre Gefühle beschreiben, ohne ihm furchtbar weh zu tun?
Charlotte stand wieder auf, ging zum Fenster und starrte blicklos hinaus. Sie kaute an der Nagelhaut ihres Zeigefingers, zog und zupfte mit den Zähnen, bis es blutete.
Durch das Fenster drang das Tirilieren eines Vogels, es klang wie: „Entscheide dich, entscheide dich …“

Lukas würde sie mit einem roten Teppich empfangen, er wartete auf sie. Sie fühlte die Wärme seiner Hände auf ihrer Haut, das Kitzeln seiner Finger, die über ihre Wirbelsäule strichen. Sie roch den Duft nach Tieren und Desinfektionsmitteln, der sie umwehte, wenn er ihr seine Jacke umhängte, sobald er glaubte, ihr wäre kalt. Seine Stimme war wie ein Kaschmirpullover und seine Umarmung schien ihr wie ein magischer Mantel, der alles Böse von ihr abwendete.
Charlotte spürte einen Kloß im Hals und schluckte. Sebastian verlassen? Sie liebte ihn doch, sich ein Leben ohne Sebastian vorzustellen, gelang ihr nicht. Es war ihr unendlich schwergefallen, ihn in den letzten Wochen anzulügen. Nicht nur deshalb hatte sie sich vorgenommen, eine Entscheidung zu treffen, jetzt, solange er auf Klassenfahrt war. Sie hatte geplant, ihm danach den Brief zu geben, aber heute Abend würde Sebastian nach Hause kommen und der Brief war nicht fertig und sie zu keinem Entschluss gekommen.

Charlotte ging zum Schreibtisch und blickte auf den angefangenen Brief. Was sie hier aufgeschrieben hatte, würde Sebastians Welt zerstören.
Sebastian, der nie etwas forderte, sie nie bedrängte. Er war da, wenn sie Halt brauchte und ließ ihr Luft, wenn sie nach Freiraum verlangte. Sebastian, der ihr, sollte sie je einen Mord begehen, unaufgefordert ein Alibi geben würde, überzeugt, dass sie stichhaltige Gründe für ihre Tat gehabt hätte.
Charlotte blinzelte. Lukas dagegen, dachte sie, würde bedingungslos den Mord für sie begehen.
Charlotte schluckte und drehte das Blatt in den Händen. Sie liebte beide Männer und doch musste sie sich für einen entscheiden.

„Verdammt“, Dackel Hermann zuckte vor Schreck und stieß sich die Schnauze an der Sofaecke. „Verdammt“, noch einmal fluchte Charlotte und mit einer heftigen Bewegung wischte sie alles vom Schreibtisch. „Komm, Hermann“, rief sie, schnappte sich Handy und Schlüsselbund und verließ das Haus durch die Tür zur Garage. Dort setzte sie Hermann in den Korb am Lenker, schob ihr Fahrrad nach draußen, stieg auf und fuhr los.
Immer schneller, immer fester trat sie in die Pedale. Der Wind zerrte an ihren Haaren. Hermanns Ohren flatterten. Ihre Finger umklammerten den Lenker.
Sie wollte sich zwingen, das rational zu entscheiden, obwohl sie eher der der Typ für spontane Bauchentscheidungen war.

Charlotte wusste, in der Agentur war sie bei den Kollegen gefürchtet für ihre plötzlichen Ideen, mit denen sie die anderen in den Strategiesitzungen oft überrollte – vorsichtiges, taktisches Abwägen war nicht ihr Stil.
Doch jetzt fühlte sie sich eher wie eine Maus, die sich nicht entscheiden konnte, welche Käseecke sie fressen sollte, als wie der Tsunami, mit dem Sebastian sie so oft verglich.
Mittlerweile hatte sie die Mühle im Wald erreicht. Charlotte hob Hermann aus dem Fahrradkorb und ließ ihn laufen, während sie ihr Fahrrad vor dem geschlossenen Café ankettete. Sie ging zum Mühlenbach und setzte sich mit dem Rücken zum Weg auf die Felsbrocken, die quer im Wasser lagen.
Auf der anderen Seite des Baches hatte sich ein Luftballon mit der Schnur im Gestrüpp verfangen und torkelte im Wind.

Tja, wäre sie eine Französin, dann wäre das natürlich etwas anderes. Dann würde sie ihre Louis-Vuitton-Handtasche schlenkernd auf hohen Prada-Absätzen über die Champs-Elysée stöckeln, auf dem Weg zu ihrem aufregenden Liebhaber, nachdem sie gerade mit ihrem Ehemann eine heiße Liebesnacht verbracht hätte. Eine Französin würde nicht zwischen den beiden Männern wählen, sie würde eine solche Ménage à trois wahrscheinlich vollauf genießen – und ihren Freundinnen gegenüber damit prahlen.
Charlotte meinte, Sebastian lachen zu hören, als sie dies dachte. Sie liebte sein Lachen, in das sie eintauchen konnte wie in einen glitzernden Sonnenstrahl, sein Lachen, das nie völlig aus seinen Augen verschwand.

Charlotte knabberte an ihrem Fingernagel und beobachtete den Ballon, der an seiner Schnur auf und ab hüpfte.
Ihre Mutter hatte Knöpfe abgezählt, wenn sie sich nicht entscheiden konnte.
Als Teenager hatte Charlotte mit ihren Freundinnen Blütenblätter abgezupft: „Er liebt mich, er liebt mich nicht …“ Ein Orakel.
Ein Orakel? Ein Orakel!
Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie laut gesprochen hatte. Hermann kam angerannt und legte sich hechelnd neben sie.
Ihr Handy pfiff. Als sie es aus der Tasche zog und sah, dass eine SMS eingegangen war, fiel es ihr ein. Sie hatte eine Verabredung vergessen, eine Verabredung mit Lukas. Das war ihr noch nie passiert. Mit keiner Windung ihres Hirns hatte sie daran gedacht, dass sie ihm versprochen hatte, ihn heute Nachmittag in der Galerie zu treffen. „Wo bist du“, schrieb er, „ich warte auf dich. Ist dir etwas passiert?“ Sie stellte sich vor, wie er durch die Ausstellung wanderte auf der Suche nach ihr, wie immer um sie besorgt, nie verärgert. Charlotte schaltete ihr Telefon stumm und steckte es zurück in die Hosentasche, ohne zu antworten.

Ein Windstoß zerrte an dem Ballon und blies ihn flach über das Wasser, ohne ihn vom Busch zu befreien.
Ein Orakel. Sollte sie eine Margeritenblüte abzupfen: ein Blütenblatt für Sebastian, ein Blatt für Lukas, das nächste für Sebastian …? Sie könnte auch eine Münze werfen, Kopf für Lukas, Zahl für Sebastian. Oder Hermann das Orakel sein lassen: Hebt er beim Pinkeln das rechte Bein, bleibt sie bei Sebastian, hebt er das linke ...
Alles nicht das Richtige, Charlotte stöhnte, Hermann blickte sie an, seufzte tröstend und … pinkelte. Dabei senkte er sein Hinterteil und alle Pfoten blieben fest auf der Erde. Charlotte prustete und zupfte Hermann am Ohr.

Da hörte sie, wie sich auf dem Weg hinter ihr Schritte näherten. Hermann legte den Kopf schief und lauschte ihr interessiert, als sie ihm zuflüsterte:
„Jetzt oder nie, Hermann. Wenn das ein Mann ist, der da kommt, bleib ich bei Sebastian, ist es eine Frau, gehe ich zu Lukas.“ Hermann sah ihr in die Augen und schien zu fragen: „Und wenn es ein Paar ist?“ Dann lerne ich Französisch, dachte sie.
Hermann lugte um sie herum. Charlotte starrte ihn an, holte tief Luft, hielt den Atem an.
Und da wusste sie es, in diesem Moment wusste sie, was sie tun würde.
Charlotte stieß den Atem aus, stand auf, nahm Hermann auf den Arm und ging, ohne sich umzusehen, den Weg zurück, den sie gekommen war.
Auf der anderen Seite des Baches löste sich der Ballon und flog über dem Wasser davon.

Renate Müller
www.renas-wortwelt.de

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 20080

Scherben

In den Scherben verblasst dein Spiegelbild
Der Klebstoff ist mir ausgegangen
Meine Beine sind schwer geworden
Nichts bewegt mich, um neuen zu holen
Wer sammelt dein Gesicht auf
Ich habe kein Wasser mehr
Du vertrocknest im Gedanken
wie meine Augen

Eine verwelkte Blume
in meiner Wüste
Leer

Florian Pfeffer

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 20073

Das Taschentuch, das fällt

Wohl ist sie eine Verführerin.
Sie die Venus, und du die Fliege,
die Falle liegt dazwischen.
Wie sie sich auf deinen Schoß setzte ganz plötzlich.
Spüre ich Gegendruck?, wollte sie da wissen.
Ihr selbstgestrickter Poncho der hundert Farben,
und raus schauten ihre interessierten Augen,
ihr Mund, der klingend lachte.
Ihre Hand, die deine suchte, aber das nicht zugab.
Wenn ich mich verstecke, suchst du mich dann?,
fragte sie nicht, aber ließ es dich wissen.
Ja, mein Schatz, das tue ich, stundenlang, jahrelang.

Die bunte Weihnachtsbeleuchtung im Baum Weihnachtsbeleuchtung im Baum

Die bunte Weihnachtsbeleuchtung im Baum

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 20020

zweisam

Zuerst Liebe machen
und dann einander umschlingen,
sich aneinander klammern
wie bei einem Bombenangriff,
wo jede Sekunde die letzte sein kann,
und so einschlafen.
Vielleicht sich im Schlaf lösen,
aber eng beieinanderbleiben.

So ist es am Anfang.
Dann entfernt man sich weiter vom andren,
bis man sich außer Sichtweite befindet
und am Ende angelangt ist.

Es kann auch glücklich weitergehen,
aber das ist selten.

LOVE mit Herz

LOVE mit Herz

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 20008

In Grün bist du am schönsten

Wir zwei sitzen da
reden
Für einen Moment blicke ich in ein Gesicht
ohne Makel
ein Satz an Wörtern verstummt

Ich falle fast vom Stuhl
verstehe nicht ganz, was vor sich geht
jedes Detail an dir
von der Pore an verschmilzt zu einem Gemälde

Draußen ist es Nacht
schwarze Löcher schließen sich
für den Moment

Tagsüber blitzt dein Antlitz auf
ich trage etwas in meinem Gedächnis mit
eine Ration an biologischer Kunst

Für Liat

Florian Pfeffer

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 19115

Jene Liebe

Sandra und ich waren gerade dabei, die letzten Gläser des Tages aus dem Geschirrspüler zu räumen, als sich die Lokaltüre erneut öffnete, ein Mann mittleren Alters eintrat und sich erkundigte, ob es möglich wäre, noch einen Kaffee zu bekommen. Da es bis zur Sperrstunde noch eine Viertelstunde hin war, bedeutete ich ihm, Platz zu nehmen. „Was darf ich Ihnen bringen?“, obwohl es das Ende eines 14-Stunden-Tages war, hielt sich meine Müdigkeit in Grenzen; vielleicht hatte ich sie einfach schon übertaucht. „Einen großen Braunen bitte“, auf merkwürdige Weise erschien mir sein Lächeln vertraut, als ich ihn ansah, während ich seine Bestellung aufnahm. „Sie haben bis zwei Uhr geöffnet, wenn ich richtig gelesen habe?“, er blickte auf seine Uhr. „Ja“, ich nickte, „aber Sie müssen sich nicht hetzen. Ich bin noch nicht fertig hier!“ „Ich hoffe, Ihr Vorgesetzter weiß Ihre Einsatzbereitschaft zu schätzen!“, sagte er, während er seine Jacke über seinen Stuhl hängte. „Ich denke schon, dass ich meinen Einsatz in meinem Lokal noch schätze“, erwiderte ich. „Das haben Sie sehr gut hinbekommen“, er nickte anerkennend.
„Stört es Sie, wenn ich die Musik wechsle? Um diese Uhrzeit stört sich niemand mehr an Bon Jovi; fürs Alltagsgeschäft taugt er hier leider nicht so wirklich.“ „Nein, absolut nicht“, er schüttelte den Kopf, „ich mag Bon Jovi. Bist du Corinna? Corinna Berger?“ Die Erwähnung meines Mädchennamens ließ mich überrascht aufhorchen. Ich hatte ihn seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr gehört. „Mittlerweile Karakaban, ich bin verheiratet“, ich sah ihn überrascht an, „kennen wir uns?“ „Harald“, sagte er leise, „Harald Stein!“ Vor mir saß meine Jugendliebe! Und Bon Jovis Never say Goodbye war unser Lied. „Dreiundzwanzig Jahre“, flüsterte er und umarmte mich, „du bist wunderschön! War das Leben gut zu dir?“ „Ja“, ich lächelte erfreut, „wie geht es dir?“ „Gut, gut, ja“, er lächelte verlegen. Einige Augenblicke standen wir voreinander, ohne zu wissen, was wir sagen sollten.

Sechs Jahre sind eine gute Zeit für eine erste Beziehung. Wir hatten uns bei einer ehrenamtlichen Tätigkeit in einem Altersheim kennen gelernt, da wir beide schon immer sozial engagiert gewesen waren. Schon beim ersten Treffen hatten wir uns ohne viele Worte verstanden. Es fühlte sich natürlich an, wenn wir zusammen waren. Bis wir an einem Freitagabend, bei der Party eines gemeinsamen Freundes, Tom, Arm in Arm einschliefen und uns am nächsten Morgen nach dem Aufwachen einfach küssten, als wären wir schon eine ganze Weile zusammen. Da wir beide Morgenmenschen waren, waren wir früh im Gästezimmer, das Tom uns reserviert hatte, eingeschlafen. „Na ihr beiden, wieso grinst ihr so?“, fragte Tom, als er in die Küche kam, um sich ein Glas Wasser zu holen, ehe er ins Bett ging, weil gerade erst, um sieben Uhr morgens, die letzten Gäste gegangen waren. In jenem Moment verriet mich die Röte, die mir immer ins Gesicht stieg, wenn ich bei etwas ertappt worden war. Tom begann zu lachen. „Corinna, Kleines, ich kenne dich lang genug, du kannst nichts verstecken. Wir haben schon Wetten drauf abgeschlossen, wann es endlich passiert, dass ihr zusammenfindet!“ „Ich hoffe, du hast gut gewettet!“, erwiderte Harald trocken und küsste mich auf die Stirn.

An jenem Samstag hatten wir ausnahmsweise nichts vor, so konnten wir den Tag gemeinsam verbringen und alles auf uns wirken lassen. Wir unternahmen eine Radtour und ließen uns irgendwann mit dem unterwegs besorgten Proviant bei einem kleinen See nieder. Während wir aßen, las Harald mir einige seiner Lieblingsgedichte vor, auch einige, die er selbst verfasst hatte. Ich konnte mich im Klang seiner Stimme verlieren, die den Wortbildern Leben einhauchte. Ich empfand Klopstocks Gefühle aus dem Gedicht Wiedersehen nach, sah den Mond aus Claudius‘ Abendlied vor mir aufgehen, seinen Nebel vor mir aufsteigen und durchlebte Brentanos Liebesnacht im Haine.

Irgendwann lagen wir einfach nur im Schatten, mein Kopf auf seiner Brust, sein Arm um mich gelegt. Mein Herz schlug bis zum Hals, als er sich plötzlich zur Seite drehte und mich lang küsste. „Keine Sorge, meine Kleine, alles hat Zeit, das ist kein Wettbewerb“, er drückte mich fest an sich.

Im Laufe der Zeit entwickelten wir unsere Rituale. Unsere Sonntag verbrachten wir entweder gemeinsam, bei seiner oder meiner Familie oder alleine, wenn wir das Gefühl hatten, Ruhe zu brauchen. Freitag war der Abend, den wir mit Freunden verbrachten, nicht unbedingt zusammen. An zwei bis drei Nachmittagen waren wir gemeinsam ehrenamtlich unterwegs und die Samstage gehörten nur uns. Zumindest Teile unserer Sommer verbrachten wir immer gemeinsam im Ausland, weil wir so viel wie möglich von der Welt sehen wollten. Unsere Radtour durch Litauen, im Sommer nach meinem achtzehnten Geburtstag, war eines unserer intensivsten Erlebnisse, weil es vor allem ihn neue Seiten an mir sehen ließ. Vielleicht war das unser Geheimnis: genug Gemeinsamkeiten, aber auch genug Gespür für die nötige Distanz.

Als wir zu studieren begannen, zog es uns beide von Salzburg nach Wien. Und unser Ende kam so schleichend, dass wir es nicht gleich realisierten. Leise begann die Sprachlosigkeit zwischen uns, weniger Zeit für uns, mehr Zeit, um auszubrechen und sich auszutoben. Immer häufiger verbrachten wir immer mehr Zeit getrennt, mit anderen Menschen und Interessen und damit, Neues zu erleben, das zu teilen uns nicht mehr wirklich gelang. Neben Studium, einem Studentenjob und neuen Freundschaften blieb nicht mehr viel Raum für uns, weil alles Neue, durch das wir uns entwickelten und veränderten, uns voneinander entfremdete. Nach einem Jahr hatten wir außer einigen Bekannten nichts mehr gemeinsam. Wenn ich mich zurückerinnere, sehe ich uns weinend auf der Couch sitzen. Es war eine lange Nacht, in der wir uns zum ersten Mal betrogen hatten. Und das auf derselben Feier, auf die wir geraten waren, weil wir zufällig Bekannte des Gastgebers kannten ...

/Corinna, du weißt, dass ich dich liebe, oder? /Ja ich weiß. Ich dich doch auch. Und wann haben wir uns verloren? /Ich weiß es nicht; ich hätte nie gedacht, dass so etwas ausgerechnet uns passieren würde. Ich habe immer gedacht, dass uns so etwas nicht passieren könnte. /Ja ich auch, für mich waren wir etwas, das einfach zusammengehört, ein Paar wie ein Paar alte Hausschuhe. Aber vielleicht war das unser größter Fehler.

Bald danach zog er aus der gemeinsamen WG aus, nachdem er eine Wohnung und einen Nachmieter gefunden hatte. Gintaras, ein Masterstudent aus Vilnius, meiner Geburtsstadt. Nach dem Studium zog ich für zwei Jahre nach Vilnius, ehe ich eine Stelle als Reservierungsleiterin im Istanbul Marriott Hotel Asia bekam. Die Stelle war auf zwei Jahre befristet, so konnte ich mich mit sechsundzwanzig noch immer umorientieren, sollte mir die Hotellerie nicht mehr zusagen. Doch war ich danach noch weitere drei Jahre geblieben, hatte allerdings die Abteilung gewechselt: Food and Beverage, also Verpflegung, und war sogar Restaurantleiterin geworden.
In Istanbul lernte ich meinen Mann Alican kennen. Auch er war in Wien aufgewachsen und nach der Ausbildung nach Istanbul gekommen. Wieder fing es ohne viel Aufregung an. Wir trafen uns häufig zum Essen, er zeigte mir Istanbul. Genau wie ich liebte er Städte bei Nacht. Wir sprachen viel über Vorstellungen, Glauben und Lebensentwürfe. Auch Alican wollte sich einmal selbstständig machen und fand Gefallen an meiner Idee von einem kleinen Café. Sein Heiratsantrag war keine Überraschung für mich. Harald hätte meine Träume wohl auch nie geteilt. Er wollte immer nur schreiben, das aktuelle Geschehen einfangen. Dafür hatte er, seit wir nach Wien gezogen waren, alles hintangestellt. Für meine Träume und Wünsche hatte er bald kein Ohr mehr gehabt.

Unsere Hochzeit fand im kleinen Rahmen in Istanbul statt. Wir beide, unsere Eltern und unsere engsten Freunde. Nach der Hochzeit zogen Alican und ich bald wieder nach Wien. Wir hatten genug gespart und fanden schon nach kurzer Suche das perfekte Lokal in der Innenstadt. Ein Lokal mit vielen großen Fenstern und hohen Wänden für die Bücherregale. Jeden Abend von sechs bis zehn Uhr kam Vladan, unser kroatischer Pianospieler.

Harald und ich saßen uns an diesem Abend lange schweigend gegenüber. Es war fast auf den Tag genau dreiundzwanzig Jahre her, dass wir uns zuletzt gesehen hatten. Es gab so viel zu erzählen und keinen passenden Einstieg. Schließlich erzählte er mir von seinen Jahren in Amerika, von seiner Frau und seinem Leben. Gegen seinen Wunsch war er kinderlos geblieben; den Grund dafür verriet er mir nicht. Ich nehme an, es ist ein zu persönlicher Grund. Alican holte mich um halb drei ab – wie jeden Freitag. Alles war sauber, die Tageseinnahmen waren abgerechnet und im Safe. Er wusste von Harald und dass es ihn vor ihm in meinem Leben gegeben hatte. Harald und ich haben uns seit jenem Abend nicht mehr gesehen. Das ist vielleicht auch gut so; zwischen einstigen Liebenden wird zu leicht Staub aufgewirbelt.

Cornelia Hell

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten| Inventarnummer: 19104

Wider und Für Lieben

Das Wider

Sitzen und warten
Ist es das wirklich wert?
Ich weiß es nicht.

Tränen und Angst
Mag dich dein Gegenüber?
Denke unsicher nach - komme zu keinem Schluss.

Wut und Streit
Ist es nicht schwer
Manchmal etwas kompromissbereit zu sein?
Ich weiß es nicht - ich habe es noch nicht versucht.

Trennung auf Zeit
Um über sich selbst klar zu werden
Ist das nicht der Anfang vom Ende
Zweier Partner?
Ich bin mir nicht sicher.

So viel Emotion
Lohnt sich das wirklich
Ein Leben lang?
Ich tappe im Dunkeln.

 

Das Für

Kommen und gehen
Vertrauen
Nähe und Ferne zugleich.
Ein Grund zu lieben?
Kommt nahe.

Begehren und aufeinander zugehen
Trotzdem sich nicht aufgeben müssen.
Ein Grund zu lieben?
Ich glaube schon.

Zeit geben
Seine Bedürfnisse spüren
Aufblühen.
Ein Grund zu lieben?
Ich bin fast sicher.

Einheit und Zweiheit nicht im Widerspruch
Gegensätze mit und ohne Widerspruch zugleich.
Ein Grund zu lieben?
Ich bin ziemlich sicher.

Vielleicht kein Schutz vor dem Fall
Aber das Netz unter dem Trapez
Das auffängt
Falls es zum Fall kommt.
Ein Grund zu lieben?
Ich bin sicher!

Zusammen sein
Zärtlich und ehrlich
Zwei Persönlichkeiten
Die nicht vollends verschmelzen müssen
Auch bei größter Nähe.
Ein Grund zu lieben?
Ich bin überzeugt!

Cornelia Hell

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten| Inventarnummer: 19096