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Feuilleton

Gemütlichkeit am falschen Platz (Buxtehuder Bote/Feuilleton, Samstag, 14. März 2015)

Die heißersehnte Premiere des Dschungelbuchs in der Konrad-Adenauer-Grundschule brachte gestern vor allem eines: Kopfschütteln und maßlose Enttäuschung. Hohe Erwartungen waren in die zugegeben mutige Produktion investiert worden, doch zurück blieb lediglich ein schaler Nachgeschmack.

Dabei hatte es vielversprechend begonnen: In einer Einleitung waren sämtliche Hauptdarsteller auf der Bühne zu sehen und umrissen zu Beethovens Mondscheinsonate pantomimisch und tänzerisch ihre Funktionen im Stück – ein reizvoller Gedanke der Spielleiterin, der durchaus auf mehr hoffen ließ.

Doch schon mit dem ersten Auftritt des Protagonisten offenbarten sich gravierende strukturelle Mängel der Produktion: Mogli gab sich redlich Mühe, agierte aber eher farblos und vermochte nicht recht zu verdeutlichen, wohin die Reise gehen sollte. Sein Monolog, in dem er seine nicht recht zu seiner wölfischen Erziehungsumgebung passende menschliche Herkunft thematisiert und bangen Blickes in eine verschwommene Zukunft zu sehen versucht, geriet auf eine für den Zuschauer fast schon unangenehme Weise hölzern. Vom neunjährigen Markus Overblohm, einem Absolventen der dritten Grundschulklasse (und somit schon auf gymnasiale Weihen zusteuernd), sollte darstellerisch eigentlich um einiges mehr zu erwarten sein.

Damit nahm er aber vor allem Baghira den Wind aus den Segeln, dessen Rolle eigentlich auf die Wechselwirkung mit Mogli ausgelegt war. Seine Versuche, das Menschenjunge zu einem reflektierenden und selbstbewussten Mitglied der Dschungelgesellschaft zu formen, scheiterten an der mangelnden emotionalen Interaktion mit dem Hauptcharakter. Der achtjährige Tobias Rühmeler, eigentlich schon ein erfahrener Teilnehmer zahlreicher erfolgreicher Produktionen der Konrad-Adenauer-Grundschule, hätte aber aus seiner Rolle dennoch viel mehr herausholen können. Die Zerrissenheit des Panthers zwischen Fürsorge um seinen Schutzbefohlenen und dem Nicht-aus-der-eigenen-Haut-Können vermochte er nicht einmal ansatzweise herauszustreichen.

Damit kommen wir schon zur größten Pleite des gestrigen Abends: der beinahe schon deprimierenden Überforderung des sechsjährigen Adrian Brecht-Vordermühle in seiner Rolle als Balu. Von der spielerischen Leichtigkeit, dem spritzigen Savoir-vivre des Bären war nichts zu spüren, als sein Darsteller albern über die Bühne hampelte und wie die Axt im Walde, keinen Ton treffend „Ich döse vergnügt in den Wipfeln“ (eigentlich mit das größte Asset dieser an sich wunderbaren Rolle) intonierte, dafür aber vollkommen unverständlicherweise Szenenapplaus bekam. Als Balu am Ende des Stückes im Kampf gegen die Nemesis schlechthin, den Tiger Shir Khan, beinahe sein Leben lässt und halbtot im Schlamm liegt, folgt in der Adaption der literarischen Vorlage für Schulbühnen ein ergreifender Dialog mit Mogli, der durch Adrian Brecht-Vordermühle jedoch der Lächerlichkeit preisgegeben wurde. Die Besetzung dieser doch recht komplexen und vielschichtigen Rolle hätte von der Spielleiterin weit mehr Fingerspitzengefühl erfordert. Sie stattdessen in krasser Verkennung der darstellerischen Möglichkeiten des Rollenträgers einem clownesken Erstklässler anzuvertrauen (ein Kniefall vor dessen einflussreichen Eltern?) ist eine Bankrotterklärung an die so hehre Tradition des Grundschultheaters.

Die übrigen Hauptrollen konnten unter diesen Rahmenbedingungen nicht mehr als verzweifelte Schadensbegrenzung versuchen. Besser gesagt: hätten dies versuchen können, hätten sie auch nur ansatzweise rollendeckend agiert. Die „Achse des Bösen“ (Kaa und Shir Khan) präsentierte sich blass. Die siebenjährige Erna-Sieglinde Breier konzentrierte sich in ihrer Darbietung viel zu sehr auf den „S“-Fehler Kaas, den sie fast bis zur Lächerlichkeit breittrat. Ebenso wenig konnte der neunjährige Fabian Lindhof als Tigerfürst überzeugen, der sich sichtlich Mühe gab, jedoch von der Spielleiterin in ein fast schon grotesk enges Rollenkorsett gezwängt wurde, welches ihm metaphorisch gesprochen komplett die Luft abschnürte. Über das anzügliche Herumgehopse des Affenkönigs wird hier gnädigerweise der Mantel des Schweigens gebreitet.

Einzig auf der Habenseite zu verbuchen war die Elefantenarmee (ein Gastspiel der Spielgruppe des Buxtehuder Theo-Lingen-Gymnasiums), die den Zwiespalt zwischen militärischem Gehorsam und der Unsicherheit des Soldatenlebens durch perfekt gedrillte Marscheinlagen eindrucksvoll zur Geltung brachte.

Alles in allem bot der gestrige Abend ein deprimierendes Schauspiel absolut inadäquater darstellerischer Leistungen. Das Publikum reagierte mit den gesellschaftlichen Konventionen entsprechend artigem Beifall, in den sich jedoch auch die Buhrufe von einigen leicht betrunkenen Vätern mischten, die offensichtlich am Bierstand des Pausenbuffets in goldrichtiger Erfassung der Sachlage allzu intensiv ihrer Verzweiflung über die Darbietungen ihrer Sprösslinge Ausdruck gegeben hatten. Man kann nur hoffen, dass in Hinkunft derartige Totalausfälle durch gezielten Subventionsentzug hintangehalten werden können.

Ernegunde Witt-Krämerseele, Kulturredaktion

 

Zu „Gemütlichkeit am falschen Platz“ (Buxtehuder Bote/Die freie Meinung, Montag, 16. März 2015)

Sehr geehrte Redaktion,

mit nicht unbeträchtlicher Bestürzung habe ich in Ihrer ansonsten hochgeschätzten und qualitätsvollen Zeitung eine Rezension gelesen, die diesen Namen kaum verdient. Ein derart übler Verriss, und dazu von solch mangelhafter fachlicher Kompetenz ist mir bisher noch nicht untergekommen. Vor allem die großartige Darstellung des Balu derart abqualifiziert zu sehen, hat mich zutiefst entsetzt.

Mit keinem Wort ist die Rezensentin auf Balus gefühlvolle, geradezu herzzerreißende Interpretation des Klassikers „Ich döse vergnügt in den Wipfeln“ eingegangen. Und wer auch nur ansatzweise Augen im Kopf hat und fähig ist, sein Hirn zu benutzen, würde sich niemals zu den Begriffen „albern über die Bühne hampeln“ und „Axt im Walde“ hinreißen lassen. Eine so wunderbare, herzallerliebste Deutung des großen, täppischen Bären sucht wohl ihresgleichen. Adrian spielte nicht Balu, er war Balu an diesem wahrlich großartigen Abend. Jedenfalls ist es ihm mühelos gelungen, seine (wenigstens hier muss ich der Rezensentin zustimmen) nichtssagenden Kollegen (allen voran sei hier der absolut unterirdisch agierende Markus Overblohm als Mogli genannt) an die Wand zu spielen. Weiters muss ich mich auch aufs Schärfste gegen die infame Unterstellung der elternseitigen Protektion zur Wehr setzen. Wenn einer eine solche Einflussnahme an diesem Abend nicht nötig hatte, dann wohl der unbestreitbar hinreißende Adrian Brecht-Vordermühle. Auf der anderen Seite würde es mich gewaltig wundern, wenn es bei der Besetzung des (man kann es nicht oft genug betonen) inferioren Mogli mit rechten Dingen zugegangen wäre ...

Zu guter Letzt zeigt auch der Verweis auf die Reaktion des Publikums (angetrunken pöbelnde, abstoßende Herren als kulturelle Speerspitze des guten Geschmacks hinzustellen, ist ja wohl der Gipfel), wes Geistes Kind die Rezensentin ist. Ich kann nur nochmals mit aller Deutlichkeit schreiben, wie befremdet ich das Feuilleton vom 14. März lesen musste, und hoffe, dass man sich die Veröffentlichung derartiger Ergüsse künftig zweimal überlegen wird.

Waltraud Brecht-Vordermühle

 

Zu „Gemütlichkeit am falschen Platz“ (Buxtehuder Bote/Die freie Meinung, Mittwoch, 18. März 2015)

Sehr geehrte Redaktion,

was sich manche Eltern herausnehmen, wenn es um ihren Nachwuchs geht, ist immer wieder bemerkenswert. Ganz abgesehen davon, dass die Anwürfe meiner geschätzten Elternbeiratskollegin Brecht-Vordermühle gegen die von berührender Subtilität getragene Deutung des entwurzelten Menschenjungen durch den vortrefflichen Markus Overblohm (wo die Rezensentin hier ihre Augen hatte, ist mir ein Rätsel) unterstes Niveau sind und jegliches kulturelle Feingefühl zur Gänze vermissen lassen, wird mit aller Gewalt versucht, die desaströse Leistung des Balu schönzureden. Das nimmt seinen Anfang bei der drittklassigen Varieténummer „Ich döse vergnügt in den Wipfeln“, die durch den Darsteller derart malträtiert wird, dass man noch Mitleid mit dem Verfasser bekommt. Wäre es dabei geblieben, man hätte dem kleinen Adrian mit Bauchschmerzen verzeihen können. Wer aber die unbeschreiblich schöne Ochsenfroschszene zu Beginn des zweiten Aktes auf solch grausame Weise verhunzt, muss im Grunde froh sein, die Bühne überhaupt lebend verlassen zu können. Hier zeigt sich auf schmerzliche Weise, dass manche Erziehungsberechtigte zur Verwirklichung ihrer geplatzten Jugendträume ohne Zögern bereit sind, über die Leichen ihrer Sprösslinge zu gehen. Was die geschätzte Kollegin Brecht-Vordermühle getan hat, um für ihren missratenen Nachwuchs diese Rolle herauszuschinden, weiß allein sie und allenfalls der Produzent.

Abschließend sei mir die Bemerkung gestattet (und wenigstens hier möchte ich meiner geschätzten Kollegin Brecht-Vordermühle aus tiefstem Herzen zustimmen), dass einige betrunken randalierende Subjekte wohl kaum geeignet sind, als Argument für einen derart beschämenden Verriss zu dienen. Die Familienverhältnisse dieser Herren würden es ohne Zweifel verdienen, näher beleuchtet zu werden – eventuell kann sich die Rezensentin dann als Autorin einer boulevardesken Sozialstudie eher profilieren als auf dem kulturellen Parkett, für das ihr sichtlich jede Kompetenz fehlt. Ich jedenfalls finde es äußerst bedauerlich, dass diese sonst so hochstehende Zeitung sich als Bühne für solche Tiraden hergibt und hoffe, dass dies ein einmaliger Ausrutscher bleibt.

Regine Overblohm

 

Offener Brief betreffend „Gemütlichkeit am falschen Platz“ (Buxtehuder Bote/Die freie Meinung, Samstag, 21. März 2015)

Hochgeschätzte Damen Overblohm und Brecht-Vordermühle,

ich kann nicht umhin, Ihren Zeilen eine gewisse Voreingenommenheit gegen meine Person zu entnehmen. Mir ist durchaus bewusst, dass dies von der Tatsachenbeschreibung einiger darstellerischer Leistungen in der Schulaufführung letzte Woche herrührt, aber seien Sie unbesorgt – ich stehe zu meinem Wort und habe nicht vor, auf Zuruf zweier Glucken meine Meinung auch nur um ein Jota zu ändern.

Ich wende mich strikt gegen jegliche realsozialistische Gleichmacherei und vertrete die Ansicht, dass hundsmiserable schauspielerische Leistungen nicht allein um der schon wahrlich ausgezehrten Idee der Chancengleichheit für alle willen unter den Tisch gekehrt werden sollten. Wer versagt, dem ist dies schonungslos zu offenbaren – darin sehe ich meine Aufgabe als Kulturjournalistin, ja ich bin es dem anspruchsvollen Publikum geradezu schuldig.

Um es kurz zu machen: Die Darbietung Ihrer Sprösslinge war trostlos. Daran ändern auch die proletoiden Ausfälle Ihrerseits nichts. Und meine Mission sehe ich erst dann als erfüllt, wenn solche Blindgänger wie Markus Overblohm und Adrian Brecht-Vordermühle aus dem Verkehr gezogen sind und nie wieder eine Theaterbühne aus der Nähe sehen, geschweige denn betreten. Wenn ich etwas zu bestimmen hätte, würden Schulaufführungen per se in Zukunft der Vergangenheit angehören. Meine Passion war immer die hohe deutsche Klassik – Schillers Wallenstein in seinem unnachahmlichen Duktus, der in seiner Verzweiflung so menschliche Faust ... Für die großen Häuser hätte ich schreiben können, scharfe Analysen hinschleudern, von Regisseuren und Schauspielern gefürchtet – und gelandet bin ich bei einem miesen Lokalblatt. Mir ist bewusst, dass dieser offene Brief in genau jenem Lokalblatt veröffentlicht wird, ich lasse ihn aber dennoch genau so stehen. Schließen möchte ich mit dem flehentlichen Appell an die Damen Overblohm und Brecht-Vordermühle: Bitte lassen Sie nicht zu, dass Ihre missratenen Söhne noch einmal die Chance haben, einen vielleicht wunderbaren Abend vollends zu zerstören!

Herzlichst
Ernegunde Witt-Krämerseele

 

Zu „Gemütlichkeit am falschen Platz“ (Buxtehuder Bote/Die freie Meinung, Dienstag, 24. März 2015)

Sehr geehrte Redaktion,

die Leserbriefseiten der vergangenen Tage aufmerksam studierend, fühlen wir uns zu einer Darstellung der Dinge aus unserer Sicht gedrängt.

Auf dem Weg zum Lokalderby wurden wir von unseren Gattinnen aufgehalten und mit sanftem Nachdruck aufgefordert, uns für den Theaterabend der Grundschule fertig zu machen (warum dieser Theaterabend ausgerechnet an diesem Tag stattfand und wir mit keinem Wort informiert wurden, weiß allein der Himmel – es gab wahrscheinlich eine Erläuterung unserer Frauen, die wir jedoch mangels für uns erschließbarer Relevanz nicht verinnerlichten, zumal nach unserem Wissen niemand von den uns bekannten Kindern diese Schule besucht). Böses ahnend, machten wir uns auf den Weg.

Wären wir doch zum Derby gegangen. Das Stück war über die Maßen lahm, die Schauspieler farblos bis zum Äußersten. Insbesondere der Bär und der Menschenjunge agierten fürchterlich – wir möchten bei Gott nicht in der Haut der armen Eltern stecken, die diese Misere auszubaden haben. Der einzige Lichtblick an diesem tristen Abend war das Bier am Pausenbuffet, das unsere Stimmung zumindest ein wenig heben konnte. Frisch gestärkt harrten wir voller Hoffnung der zweiten Halbzeit und mussten feststellen, dass sich nichts zum Besseren geändert hatte – eher im Gegenteil, weshalb wir unserem Missfallen von der Balustrade aus auch lautstark Ausdruck verliehen. Begeistert registrierten wir, dass unsere Kundgebung offenbar auf Zustimmung stieß und wir nach kurzer Zeit bereits mit etwa zehn Gleichgesinnten auf der Balustrade standen, lautstark „Völker, hört die Signale“ sangen und uns wechselseitig in den Armen lagen. Als wir auf dem Heimweg mit unseren Frauen zwanglos die miserablen schauspielerischen Leistungen der Hauptdarsteller erörtern wollten, ernteten wir eisiges Schweigen, maßen dem aber im Hinblick auf die zurzeit leicht reizbare Natur unserer Gattinnen wenig Bedeutung bei.

Wenige Tage später bekamen wir völlig unvermittelt die aktuelle Ausgabe des Buxtehuder Boten vor die Nase geknallt und wurden mit den Worten „sieh dir diese Schmiererei an“ auf das Feuilleton hingewiesen. Mit Entsetzen mussten wir feststellen, dass die Darsteller der Hauptfiguren unsere Söhne gewesen sein sollen. Auf unsere Frage hin, warum uns das nicht eher mitgeteilt wurde, wurden wir des Hauses verwiesen und schreiben diese Zeilen nun in einem Doppelzimmer des städtischen Hotels. Jede Kontaktaufnahme zu unseren Frauen blieb bis dato ergebnislos.

Wir möchten nochmals bekräftigen, dass wir völlig ohne unser Wissen in diese Angelegenheit hineingezogen wurden und mit der Rezensentin in ihrer Beurteilung des Abends vollends übereinstimmen. Wir hoffen, eine derartige Zumutung nie wieder erleben zu müssen und möchten des Weiteren unserer Zuversicht Ausdruck verleihen, bald wieder nach Hause zurückkehren zu können, da uns schön langsam die Anzüge ausgehen.

Mit besten Grüßen
Hansjoachim Brecht-Vordermühle
Dietrich Overblohm

 

Diskussion um Schulaufführung eskaliert (Buxtehuder Bote/Chronik, Freitag, 27. März 2015)

Was als harmlose Schulaufführung begann, wurde binnen weniger Tage zu einem gesellschaftlichen Super-GAU: Eine von unserer Redaktion einberufene Schlichtungsversammlung artete aus.

Es hätte so schön werden können: Eine Schulaufführung von Kiplings bekanntem Dschungelbuch in der städtischen Mehrzweckhalle war Ausgangspunkt für einen beispiellosen Eklat, mit dem in dieser Intensität nicht zu rechnen war. Die durchaus harte Rezension der Kulturredakteurin des Buxtehuder Boten führte zu erbitterten Reaktionen seitens der Mütter der beiden Hauptdarsteller, worauf die Chefredaktion zu einem Schlichtungsversuch lud. Mit gemischtem Erfolg: Zwar erschienen die Streitparteien (die Ehepaare Overblohm und Brecht-Vordermühle sowie unsere Kulturredakteurin Witt-Krämerseele), aber schon nach wenigen Minuten geriet die Situation außer Kontrolle und die Damen verließen wutentbrannt die Redaktion.

Nur Stunden später prallten von Frau Overblohm, Frau Brecht-Vordermühle sowie einem der Redaktion nicht namentlich bekannten texanischen Insurgenten (welcher sich später als die nunmehr ehemalige Kulturredakteurin des Buxtehuder Boten herausstellte) angeführte Gruppierungen bei einer spontan entstandenen Kundgebung aufeinander. Die aufgeheizte Stimmung entlud sich in Plünderungen sowie der Zerstörung des mittelalterlichen Buxtehuder Stadtzentrums, ehe Polizei und Bundeswehr die Lage unter Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern unter Kontrolle brachten.

Die weiteren Folgen: Die Spitzenfunktionärinnen des Elternbeirats der Konrad-Adenauer-Grundschule reichten die Scheidung ein, erklärten den Elternbeirat für aufgelöst und riefen zwei rivalisierende Nachfolgeorganisationen ins Leben. Die Satzungen beider Vereinigungen sehen (neben der Forderung nach der Wiedereinführung der Todesstrafe in Bezug auf Frau Witt-Krämerseele) unter anderem die Boykottierung künftiger Schulaufführungen vor, in denen Markus Overblohm (Satzung der Brecht-Vordermühle Christliche Elternvereinigung e.V.) beziehungsweise Adrian Brecht-Vordermühle (Satzung der Overblohm-Föderation der Freien Erziehungsberechtigten e.V.) eine Hauptrolle innehaben.

Der Buxtehuder Bote ist auf der Suche nach einer neuen Spitze für seine Kulturredaktion, nachdem die bisherige Kulturredakteurin unter Hinweis auf gewisse negative Schwingungen ihre Person betreffend um texanisches Asyl ansuchte und dieses sofort bewilligt bekam.

Buxtehude erholt sich derzeit langsam von den Wunden, die ihm durch diesen Kulturstreit geschlagen wurden. Es bleibt zu hoffen, dass die Stadt bald wieder zu ihrer gewohnten Stärke und Eintracht zurückfindet und solche Szenen für immer der Vergangenheit angehören. Nie wieder!

In diesem Zusammenhang noch ein Hinweis: Die nächste Schulaufführung der Konrad-Adenauer-Grundschule findet kommenden Mittwoch statt. Erleben Sie „König Lear“ mit Markus Overblohm und Adrian Brecht-Vordermühle in den Hauptrollen!

Gerhard Schönbeck

www.verdichtet.at | Kategorie: Vorhang auf für den Nachwuchs| Inventarnummer: 20016

Am Ende des Tages

Am Ende des Tages
frage ich mich
hast du heute in den Himmel geschaut
und die Wolken gesehen
warst du heute im Garten
und hast nach deinen Blumen geschaut
hast du den Menschen,
denen du heute begegnet bist,
ein Lächeln geschenkt

und hast du wirklich hingehört,
wenn dir jemand etwas erzählt hat
hast du genickt,
wenn du etwas für richtig empfunden hast
und hast du ehrlich nein gesagt,
wenn du etwas nicht machen wolltest
hast du wohlwollend in den Spiegel geschaut
hast du gelacht
hast du etwas von den Dingen gemacht,
die du liebst zu machen
hast du die Dinge,
die du nicht so gerne magst, auch mit einem Lächeln gemacht
und hast du verziehen
wenn es etwas zu verzeihen gab
hast du die Menschen,
die du liebst, liebevoll behandelt,
gleich was sie gesagt und getan haben
warst du,
auch wenn du zornig warst,
nicht ungerecht zu denen,
die nichts mit deinem Zorn zu tun hatten
und hast du dich,
wenn du dich in alten Geschichten wiedergefunden hast,
wieder losmachen können,
ohne die Narben der alten Verletzungen wieder aufzureißen
und wenn doch,
was nimmst du dir für das nächste Mal mit,
und hast du,
wenn du nicht weiterwusstest,
den Mut gehabt, die Dinge so sein zu lassen
und hast du den Menschen,
die du liebst, gezeigt,
dass du sie liebst und zwar um ihrer selbst willen

und wenn ich nur eine dieser Fragen mit JA beantworten kann,
dann war mein Tag ein guter Tag!

Manuela Johanna Holl

www.verdichtet.at | Kategorie: Vorhang auf für den Nachwuchs| Inventarnummer: 18166

24 Tage

Manche stehen nur herum,
andere lassen sich hängen.
Viele sind eher langweilig,
was ihr Erscheinungsbild anbelangt.
Auf ihrem weißen Gesicht sind einige Striche,
die als Felder erscheinen.

Manche sind in einen dicken Ledermantel gehüllt.
Etliche sind schwer zu ertragen,
ihre Tage sind voll von Terminen.
Einzelne zeigen sich mit Bildern
oder mit lustigen Sprüchen,
das sind die, an denen wir uns erfreuen.

Wir mögen gerne in ihnen blättern
und sie wollen uns an Geburts-, Namens- und andere Festtage erinnern.
Manche haben Stunden, die nie zu enden scheinen.
Und andere sind wieder sehr kurzweilig.
Manchmal sind die Wochenenden, Feiertage und Ferien
das Einzige, was uns an ihnen gefällt.

Sie haben alle eines gemeinsam,
sie begleiten uns das ganze Jahr.
Und dann gibt es da noch einen besonderen,
der hat an Tagen weniger.
Es sind nur 24.

24 erscheint uns eine magische Zahl.
Manchmal sind es Sackerl oder Packerl,
die kleine Überraschungen in sich tragen.
Un- oder sinnige.
Aber das ist wie das meiste im Leben:
An-sichts-sache.

Manchmal ist einfach nur ein kleines Bildchen,
das in einem Fenster erscheint,
und auch hier ist es wieder die Sache des Betrachters
Ob er sich freut,
oder auch nicht.

Manuela Johanna Holl

www.verdichtet.at | Kategorie: Vorhang auf für den Nachwuchs| Inventarnummer: 18159

 

 

Ein leeres Blatt

Ein leeres Blatt.
Was mach ich mit dir?
Womit soll ich dich füllen?
Mit Farbe?
Ja?
Mit Strichen, wild und ungebremst ….

Nein!
Lieber sanft, langsam und bedacht. Ein Strich nach dem anderen. Wohl überlegt.
Eine Skizze. Eine zweite. Viele mehr.
Schön soll es werden.
Wird es gefallen?

Dort ein bisschen heller noch.
Oder doch nicht?
Ja!
Und hier, hier fehlt noch eine Schraffur.

Moment!
Wo sind die Farben geblieben?
Da waren doch Farben in meinem Kopf!
In der Skizze. In der ersten. Auch in der zweiten.
Am Anfang zumindest.
Ich bin mir sicher.
So viele. Schimmernd und leuchtend und … und ...

Und nun? Was jetzt?

Denk nicht so viel nach! Dann kommen sie wieder, die Farben.
Nicht alles kannst du planen.

Ich glaube.
Ich fühle, irgendwie ...
… die erste Skizze war doch die schönste.

Als ich begann.
Als ich sie fühlte, die Farben, die Striche.
Als alles richtig war.
So falsch und unfertig.
So anders, als ich es mir vorgestellt hatte.
Als ich begann das Blatt zu füllen.
So ungezwungen und gedankenlos.
Perfekt.

Warum?

Weiß ich es?
Irgendwann, ja irgendwann.
Habe ich aufgehört?
Ja.
Ich habe aufgehört, es für mich zu machen.
Einen Pinselstrich des Pinselstrichs wegen zu machen.
Einfach weil es glücklich macht.

Von mir unbemerkt, habe ich aufgehört.
Ein Pinsel, der mit der Länge des Strichs die Farbe verliert.
Die Farbe immer dünner wird.
Langsam aber stetig.

In meinem Kopf nur ein Gedanke.
Wird es schön werden?
Das Bild.
Wird es gefallen?
Andere sind größer, besser.
Nur nicht scheitern!
Mach nichts falsch! Einmal begonnen, wird es nicht mehr sein wie zuvor.

...

Ein leeres Blatt.
Was mach ich mit dir?
Womit soll ich dich füllen?
Mit Farbe?
Ja?
Mit Strichen, wild und ungebremst….

Ja!
Jahhh!
Nicht wieder denken. Nur fühlen. Einfach machen.
Und da sind sie, die Farben.
Passen die zwei da oben zusammen?
Nein?

Ich denke doch.
Nur für mich.
Von mir, für mich.
Mir gefällt es.

Aber es gibt Größere, Bessere!
Ich muss lächeln und denke:

Ich kann wachsen.
Kein Vergleichen mehr.

Und neben mir?
Leer und weiß und wartend?
Ein ganzer Stapel davon.
Leere Blätter.

Und ich beginne von Neuem.

Nina Rosina

www.verdichtet.at | Kategorie: Vorhang auf für den Nachwuchs| Inventarnummer: 17099

Blendung

Dein Erscheinen.
Blendet. Verwirrt. Verunsichert.
Deine Anwesenheit.
So mächtig aufwühlend.
Jedes Mal ein neuer Schlag.
Ein neues Funkeln.
Wenn Du da aufgeritten kommst.
Aus der preschenden Welle.
Als Wiedererwachte.
Als Starke.
Als Unbezwingbare.
Als könnte Dich nichts zerstören.

Außer Du selbst.
Wenn Du Dich wieder und wieder
in den nächsten Wellenrausch einwirfst.
Dich versinken lässt.
Untergehst. Stirbst.

Und beim Auftauchen Dir die Tropfen
einfach von den Schultern streichst.
Als wäre es nichts.
Als wäre es so einfach.
Gibst Dich so stark.
Gibst Mut.
Du Hoffnungsträgerin.
Dir Wellenreiterin gebührt Ehrfurcht.

Solange Du
im Aufwind bist.
Doch jede Welle geht vorbei.
So auch jeder Augenblick.
In dem Du Atemzug für Atemzug
Dich zurück ins Leben holst -
und dann mit verklärtem Blicke
bei ruhiger See Dich orientierst.
Blickst in das Flache, in das Stille.
In den Spiegel.
Bist voller Stolz, dass nicht mehr ist
was Dir dort entgegenstiert.
Bist kampfesgeblendet.
Stets aufs Neue auf der Suche
nach dem Größeren – Mächtigeren.
Das ebenbürtig Dir erscheint.
Hat doch die letzte Welle
alte Angst hinweggeschwemmt
und das alte Ego totgemacht

Durch Einsicht erlischt jedoch die Blendung.
Sie ist mächtiger als der größte Stolz.
Ist weiser als die Kampfeslust -
bringt altes Wissen neu hervor.
Erkenntnis wird ans Licht gespült
und die stille See entpuppt sich
wiederum als Spiegel.
Und ewig blickst Du -
der nächsten Welle in die Augen

Blenderin, du bist es
die sich selbst verblendet
die diesen Kreislauf -
Aufstieg, Stille, Untergang
nicht als Kreislauf sieht
sondern Dich als Blenderin
ertrinken lässt
in jedem Wellengang
da Du, oh Blenderin
am Ende selbst erblindest.

Geblendete, Du bist es wahrlich
die wieder auftaucht
nach jedem Sturz
die luftholend sich neu erleben kann
wenn Zweifel und auch Angst
Du im Kokon der Blendung
im Meeresboden drunten lässt!

Nicole Bachhofer

www.verdichtet.at | Kategorie: Vorhang auf für den Nachwuchs| Inventarnummer: 16120

Freibeuter

Ich wachte auf, weil mein Körper nach Nikotin schrie. Es passierte noch nicht lange, dass ich von dem Drang, eine Zigarette zu rauchen, aufwachte. War ich tatsächlich schon so süchtig? Wie traurig. Ich spähte auf den Wecker auf meinem Nachtkästchen und erstarrte kurz, als ich feststellen musste, gar nicht in meinem Bett zu sein. Es dauerte einen Augenblick, bis mir die Ereignisse der gestrigen Nacht wieder in den Sinn kamen.
Ich war in meiner Wohnung, auf meiner schwarzen Couch, die ich von Zuhause mitnehmen durfte, als ich vor ein paar Wochen auszog. Ich wollte mein Single-Dasein ausnutzen, mit jeder Faser meines Körpers, und da ich jetzt endlich eine eigene Wohnung in der Stadt hatte, war das auch möglich – ohne, dass der nächtliche Besuch zum gemeinsamen Frühstück mit meiner Familie bleiben musste.
Alles war, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Eine eigene Wohnung, ein Studiengang, der mir gefällt, keine Verpflichtungen, nach Hause kommen, wann ich möchte, bis spät nachts fernsehen, all diese Dinge waren für mich die Definition von Freiheit, und ich genoss jeden Augenblick.

Weiter konnte ich nicht denken, ich musste eine Zigarette rauchen. Ich wand mich so langsam und leise wie es irgend möglich war unter dem Arm meiner Diskobekanntschaft und schlüpfte in das Männer-T-Shirt. Eine weitere Vorstellung meiner Fantasie, am nächsten Morgen Kaffee und Rühreier im Hemd des Typen zuzubereiten. Leider trug Christian kein Hemd, nur ein schwarzes langes Shirt mit V-Ausschnitt.
Ohne Höschen schlüpfte ich hinaus auf den Balkon und zündete mir eine Zigarette an. Ich bemerkte, dass es noch relativ dämmrig war und spähte durch den Vorhang in die Wohnung, um einen Blick auf die Uhr zu erhaschen. Erst sechs. Wir waren vor drei Stunden nach Hause gewankt und ich rauchte schon wieder? Ich schüttelte den Kopf über meine Sucht und ärgerte mich, genoss aber auch den kalten Rauch, der meine Lungen füllte, bevor ich ihn ausblies.

Meine Wohnung lag im obersten Stock, was mir den Blick auf die Donau ermöglichte und auch sonst den Überblick über die Straße und die anderen Wohnungen. Ich überlegte, wo mein Exfreund gerade war, dessen Wohnung schräg gegenüber meiner eigenen lag. Und insgeheim wünschte ich, Christian würde herauskommen, mit nacktem Oberkörper, den Arm um mich legen, mein Ex würde heraustreten und zu meinem Balkon hinaufsehen und natürlich mich, mit diesem Bild von einem Mann, da stehen sehen.
Woher es rührte, dass ich unbedingt wollte, dass er sah, dass ich ihn nicht brauchte, wusste ich nicht. Aber ich wünschte es mir.
Ich hatte schon wieder so lange nachgedacht, dass ich den Filter mitrauchte, was furchtbar schmeckte, und ich drückte ärgerlich den winzigen Stummel in den lila Blumentopf, der auf dem Rand des Geländers stand. Wenn meine Mutter zu Besuch war, was zum Glück selten der Fall war, weil sie meine „Höhle“ als „Rattenloch“ bezeichnete, meinte sie jedes Mal mit erhobenem Finger, ich sollte diesen Blumentopf von dem wackligen Geländer stellen, irgendwann fiele er noch herunter und einem Radfahrer auf den Kopf.
Aus Protest ließ ich den Blumentopf dort stehen.

Ich überlegte kurz, ob ich Kaffee machen sollte, aber dann fiel mir die Uhrzeit ein und ich beschloss, mir noch die Zähne zu putzen und mich dann wieder neben Christian zu legen.
Als ich wieder neben ihm lag und vorsichtig versuchte, seinen Arm wieder um mich zu legen, weil das ja eigentlich doch ganz schön gewesen war, kam mir mein Glück unglaublich vor. Mein Leben war perfekt und er, dieser wunderschöne, große, starke, 30-jährige Mann, ich hatte ihn verführt, obwohl er mir, als ich sechzehn war, schon zu verstehen gegeben hatte, dass ich uninteressant war.
Aber jetzt war ich zwanzig, ich hatte einen Po und Brüste bekommen, war von dem burschikosen Jungenhaarschnitt abgekommen und warf nun meine langen Locken lässig über die Schulter. Das musste Eindruck gemacht haben. Oder er war nur zu betrunken, um zu kapieren, dass er mit mir mitzog. Ich schob diesen schmerzlichen Gedanken gleich beiseite, denn ich hatte eines gelernt, seit ich von Zuhause weg war: Ich durfte mich nicht selbst immer so herabsetzen. Also beschloss ich, die ganze Geschichte, wie Christian und ich uns kennengelernt hatten, noch einmal in meinem Kopf Revue passieren zu lassen. Dabei sah ich ihm beim Schlafen zu und er wirkte friedlich, war wunderschön und sah jung aus. Schließlich schlief auch ich noch einmal ein.

 

Der Geruch von frischem Kaffee weckte mich und ich blinzelte. Ich sah sie an der Küchenzeile stehen, sie hantierte mit Geschirr, es war so hell, dass ich wie ein Welpe die Augen nur einen kleinen Spalt öffnete. Sie trug mein T-Shirt und das sah heiß aus. Verdammt, wie jung war dieses Mädchen? Ich drehte mich zur Seite, um sie besser beobachten zu können. Sobald sie sich zur Couch wandte, machte ich die Augen zu. Ich brauchte einfach ein paar Minuten, um mir alles wieder ins Gedächtnis zu rufen. Aber das hatte noch kurz Zeit, denn sie streckte sich, um eine Tasse aus dem Regal zu holen, was mir freien Blick auf ihren unbekleideten Hintern gab.
Verdammt bist du gut, dreißig am Arsch, man ist so alt, wie man sich fühlt. Ich musste trotzdem noch herausfinden, wie alt sie wirklich war.
Die Tatsache, dass sie mein Shirt trug, ihre Klamotten hier im Zimmer verstreut lagen und ich meine gar nicht erst fand, sprach Bände. Die Kleine war schon süß, aber ich hatte keine Ahnung mehr, woher ich sie kannte. Ja, aus der Disko von gestern Nacht, aber sie kam mir unglaublich bekannt vor. Ich beobachtete sie noch eine Weile, wie sie den Tisch deckte und dann hinaus auf den Balkon zum Rauchen ging.

Ihre Handtasche lag nur eine Armlänge entfernt und mein Gott, ich wusste nicht wieviel Zeug Frauen in ihrer Handtasche herumtrugen. Nachdem ich den Personalausweis gefunden, das Alter überprüft und mir das Bild genau angesehen hatte, fiel es mir wieder ein. Als sie bei mir gearbeitet hatte, waren ihre Haare sehr kurz gewesen. Damals war sie so jung gewesen, und als ich sie außerhalb des Kindergartens traf, in dem ich arbeitete und sie Praktikantin war, abends in der Disko, in der ich Bar-Chef war, sagte ich ihr, ich würde ihr, wenn sie achtzehn wäre, einen Schnaps ausgeben.
Und mit diesem Spruch hatte sie mich gestern angesprochen. Sie erinnerte mich an mein Versprechen mit einem schiefen Grinsen im Gesicht und meinte, ich müsste ihr mehr Schnäpse ausgeben, für jedes verpasste Jahr einen. Die Nacht zuvor war mir ihr Alter sowas von egal gewesen, aber jetzt war es anders. Dreißig und zwanzig, das war schon ein großer Unterschied. Aber andererseits, wirkte sie auch nicht wie erst 20. Zumindest nicht gestern Nacht. Vielleicht am nächsten Morgen, wenn sie mein T-Shirt trug und ich wieder nüchtern war…

Sie hatte fertig geraucht und ich schloss blitzschnell die Augen. Doch als ich hörte, dass sie anfing zu kochen und mir kurz darauf der Duft von Rühreiern in die Nase stieg, gab ich mich zu erkennen, indem ich die Arme nach oben streckte und gähnte. Sie sah zu mir herüber, flüsterte „Guten Morgen“ und ich lächelte sie an. Sie schien unkompliziert zu sein, und das war es, was mir bisher fehlte. Ungezwungene Nächte, die unkompliziert enden. Wir frühstückten zusammen und danach zog sie mich raus auf den Balkon, sie zündete sich eine Zigarette an und ich legte den Arm um sie. Es war vielleicht gerade mal 10 Uhr und die ersten warmen Sonnenstrahlen des Tages kitzelten mich auf der Brust, mein T-Shirt trug immer noch sie. Wir beobachteten einen jungen Mann, der aus der Wohnung schräg gegenüber kam und zu unserem Balkon hinaufblickte. Ich küsste sie, sie lächelte.

Ich wusste nicht, ob es Regeln gab, dass man nach einer unverbindlichen Nacht nicht mehr zum Frühstück blieb oder küsste. Ich hatte ja nur schwierige Frauen erlebt, die mich gleich heiraten wollten, deswegen war mein Vorsatz eigentlich, nie wieder mit einer nach dem Feiern mitzugehen. Sie hatte es irgendwie geschafft, und die Tatsache, dass wir uns vorher schon kannten und zusammen gearbeitet hatten, machte das Ganze aufregend.
Wir gingen wieder in die Wohnung und ich bekam Panik, wie ich ihr am besten sagen sollte, dass ich abhauen wollte. Doch sie machte den Anfang. Sie zog mein Shirt aus und stand nackt vor mir. Mit den Worten “Ich hab heute noch viel zu tun“ reichte sie mir mein Oberteil und suchte ihre eigenen Sachen zusammen.
Ich war erstaunt und plötzlich suchte ich Gründe, noch zu bleiben. Ich fragte nach noch einer Tasse Kaffee, die sie mir lächelnd gewährte, jedoch mit dem Satz „Danach solltest du aber wirklich los“, eindeutig zu verstehen gab, dass ich gehen sollte.

 

Nach seiner dritten Tasse Kaffee brachte ich ihn endlich zur Tür. Ich brauchte dringend Ruhe und ja, die Nacht war sehr toll, aber es war Morgen, und am Morgen sollten die Männer wieder gehen.
Eine schnelle Umarmung und ein „Also-bis-dann“ ließen mich hoffen.
Ich schloss die Tür und kaum hatte ich sie zugeschlagen, klingelte es. „Ich hab was vergessen, krieg ich deine Nummer?“ Ach verdammt. Ich bat ihn, mir seine zu geben, da ich meine nicht auswendig wusste. Das war gelogen. Ich schloss die Tür und wieder klingelte es gleich darauf. „Ich hab noch was vergessen“, sagte er, gab mir einen Kuss und meinte, er warte auf meinen Anruf.

Lena Vilsmeier

www.verdichtet.at | Kategorie: Vorhang auf für den Nachwuchs| Inventarnummer: 16065

Eine Frage der Konzentration

Normalerweise würden die dopaminhaltigen Zellausläufer den Botenstoff freigeben, wenn sie an der Kontaktstelle zum nächsten Neuron ein Signal ihrer Zelle übertragen sollen. Dann durchquert das Dopamin dort den schmalen synaptischen Spalt zu dem Neuron, wo es an ein passendes Rezeptormolekül andockt, und das Neuron empfängt das Signal. Später schafft ein Transportsystem das Dopamin wieder zurück in den Zellausläufer zur Wiederverwendung. Suchtmittel verstärken oder simulieren, jede auf ihre Weise, die Dopaminwirkung. Bald, besonders bei wiederholtem Gebrauch der Substanz, beginnt sich das Belohnungssystem an den Zustand anzupassen. Das leitet die Sucht ein…

Er zwang sich, munter zu bleiben, einen aufrechten, interessierten Eindruck zu machen, während er der sonoren Stimme des Professors lauschte. Die Jahre in der Politik hatten ihn gelehrt, seine inneren Regungen selbst vor dem aufmerksamsten Betrachter zu verbergen. Sein Blick wanderte von dem aufgeschlagenen Folder in seiner Hand zu seinen gepflegten Fingernägeln. Auch das Kauen darauf hatte er sich abgewöhnt. Während er als junger Student noch vor jeder Rede, ja vor jeder noch so kleinen Prüfung seinen Stress so abgebaut hatte, ließ er nun seinen gesamten Frust beim wöchentlichen Tennisspiel mit dem CEO eines internationalen Großhandelskonzerns raus.

Der Raum war warm und durch die hohen Fenster schien die Vormittagssonne direkt auf die Köpfe der Journalisten, Polizisten und Politiker, die nun schon seit geschlagenen zwei Stunden Vorträge über sich ergehen lassen mussten. Eine Pause war erst nach dem nächsten Vortrag vorgesehen, das reichhaltige Buffet war noch nicht angerührt.
Während er sich die Krawatte richtete, warf er einen verstohlenen Blick nach rechts. Der Nachteil, in der ersten Reihe zu sitzen, war es, die Leute nicht beobachten zu können, sondern selbst beobachtet zu werden.

Zwei Stühle weiter saß das Mariechen, wie er sie im Stillen nannte. Für ihn war sie nicht mehr als eine Randnotiz, eine blondgefärbte Frau Mitte dreißig, die trotz ihres Ehrgeizes und ihres Intellekts wie eine unbeholfene Schülerin wirkte und wegen ihres fehlenden Charismas und ihrer diplomatischen Inkompetenz kaum Freunde außerhalb und innerhalb ihrer Partei hatte. Ihren derzeitigen Status hatte sie Unstimmigkeiten, die zu der Schwächung ihrer Partei geführt hatten, zu verdanken. Nur als Notlösung und um den Schein der Einigkeit zu wahren, war sie schließlich auf diese Position gehoben worden.
Lange würde sie allerdings nicht in den vordersten Reihen mitspielen können, und weil ihr dies durchaus bewusst war, hatte sie mit allen Mitteln versucht, diese letzte große Aktion durchzuboxen.

Wenn Rauschgifte das Belohnungssystem mit Dopamin überschwemmen, steigt die Empfindlichkeit von Nucleus accumbens und ATV gegenüber Glutamat. Die erhöhte Sensitivität auf Glutamat könnte jene neuronalen Bahnen stärken, die Erinnerungen an den Drogenkonsum mit Lustgefühlen verknüpfen.

Dieses Projekt war auf ihrem Mist gewachsen. Es war ihrem Streben und Einsatz zu verdanken, dass genügend finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden konnten, um den Drogenkampf, den sich ihre Partei ja schon seit Jahren auf das Banner geschrieben hatte, nun endlich in breiter Front durchzuführen.
Das dachte sie jedenfalls. Doch ihr Einsatz war nur ein kleiner Teil des Erfolges gewesen.
Eine Zuwendung, ein kooperatives Entgegenwirken seinerseits, hatte ihr diese Möglichkeit überhaupt erst eröffnet. Dafür konnte er nun in anderen Gebieten mit wenig Gegenwind, ja sogar mit vollständiger Windflaute rechnen. Quid pro quo.

Genauso hatte er es vor ein paar Monaten mit den umweltschützenden Idioten, die es immerhin seit zwanzig Jahren in das Parlament schaffen, gehalten. Um ihr Ansehen bei den elf Prozent der Bevölkerung, die sie ihre Wähler nennen, wahren zu können, brauchten sie einen Erfolg, den sie sich allein auf die Kappe schreiben konnten. Den bekamen sie in Sachen Verkehrspolitik. Nun mussten sie vor ihm zu Kreuze kriechen.

… delta-FosB entsteht nach Drogenkonsum in Neuronen des Nucleus accumbens und einigen anderen Hirnregionen und bleibt dort einige Wochen bis Monate aktiv. Dadurch reichert es sich bei wiederholter Drogengabe allmählich an, nimmt also bei chronischem Missbrauch immer mehr zu.

Dieser Tag war einer Reihe von Veranstaltungen gewidmet, um Journalisten und die Öffentlichkeit zu informieren. Gefolgt von polizeiinternen Fortbildungen, dem Ausbau einer Drogenberatungsstelle in der Innenstadt, Vorträgen in Schulen und sogar Kindergärten landesweit und finanzieller Unterstützung der Forschung und der Exekutive. Umfassende Razzien in verrufenen Stadtgebieten würden schnell Titelseiten füllen.
Ja, Mariechen hatte alle Register gezogen, um das Projekt an die Leute zu bringen. Auch seinem Ruf würde es nicht schaden, dass er seine Unterstützung für die Aktion öffentlich bekanntgemacht hatte.

Das Gehirn versucht, der unnatürlichen Überschwemmung mit Dopamin entgegenzuwirken. Dabei hilft das Protein CREB mit, das als ein so genannter Transkriptionsfaktor die Aktivität bestimmter Gene reguliert. Nun stimuliert CREB die Synthese bestimmter Proteine, welche das Belohnungssystem drosseln.

Er hatte sehr lange seine schützende Hand über ein Szenelokal in der Innenstadt gehalten, so lange es ihm möglich war und die Öffentlichkeit nichts davon wusste. Ein alter Schulfreund hatte die Bude bereits in den neunziger Jahren eröffnet und schnell wurde hinter vorgehaltener Hand bekannt, dass man dort alle möglichen Substanzen bekommen würde. Etliche Petitionen gegen das Lokal waren im Laufe der Jahre im Sand verlaufen. Mit der Polizei wurde ein natürlich inoffizielles Abkommen geschlossen: Ihr schaut nicht weg, aber ihr schaut auch nicht zu genau hin. Dies war natürlich auch zu ihrem Vorteil, da sie nun die Drogenszene an einem überschaubaren Ort mehr oder weniger überwachen konnten.

Mit der neuen Offensive gegen Drogen würde sich nun das Lokal zerschlagen und mit ihr die Szene. Das würde im Endeffekt die Arbeit der Polizisten nicht leichter machen, doch die breite Öffentlichkeit hatte hysterisch nach mehr Sicherheit im Nachtleben geschrien, und Mariechen hatte ihre Chance gewittert.

Das System liefert nun nicht mehr von selbst genug Dopamin. Der Körper verlangt nach der Droge, es entsteht Abhängigkeit. CREB wird bei Drogenverzicht schon nach ein paar Tagen wieder inaktiviert. In Zukunft ist der Organismus für den Suchtstoff überempfindlich.

Er für seinen Teil war ein rechtschaffender Bürger und deshalb natürlich auch Befürworter der neuen Regelungen. Er galt als liebender Familienvater, treusorgender Hundeliebhaber, konservativer Kirchgänger und ab und zu auch Biertrinker am Stammtisch im Heimatort. Und wenn er allein war und Frau und Kinder im Bett oder aus dem Haus, nahm er sich sein Cannabis und rauchte. Das half auch gegen das Fingernägelkauen.

Nene Stark

www.verdichtet.at | Kategorie: Vorhang auf für den Nachwuchs| Inventarnummer: 16043

Der Berufsschüler 4: Aufzug

Vorwort:
Dieser Text dient ausschließlich zur Unterhaltung und soll nicht aussagen, dass alle Berufsschüler dieser Welt geistig benachteiligte Geschöpfe sind, die von einer Qualle im Schach besiegt werden, weil sie die „Startaufstellung“ der Figuren für zu defensiv halten. Nein, Spaß beiseite. Ich war selbst Berufsschüler und habe die Dinge, die ich hier geschrieben habe, selbst exakt so erlebt. Dennoch soll dieser Text nicht aussagen, dass ausnahmslos alle Berufsschüler auf diesem Niveau agieren. Ich habe einen meiner besten Freunde in der Berufsschule kennengelernt und auch sonst einige liebe, interessante, intelligente Menschen kennenlernen dürfen, worüber ich sehr froh bin. Also wer sich an bisschen bösartigem Sarkasmus und einem knapp an der Grenze des Zumutbaren Maß an Gehässigkeit erfreuen kann, für den ist dieser Text unterhaltsam und alle anderen, die das nicht wollen oder können, sollten spätestens jetzt aufhören zu lesen.

Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Berufsschule…

An einem Tag, an dem wir nicht in die Berufsschule mussten, sondern zu unserer jeweiligen Dienststelle, kam ein Klassenkollege, weil Sommer und ein sehr heißer Tag war, völlig verschwitzt zu mir in das Büro, in dem ich zu dem Zeitpunkt gearbeitet habe, in den dritten Stock und keuchte: „Bist du deppat. Drei Stöcke Stiegen raufgehen sind mir aber nimma wuascht. Mir ist sooooooo heiß.“

Ein wenig irritiert schaute ich ihn an und sagte: „Aber wir haben doch eh einen Aufzug.“ Und zeigte in die Richtung, wo sich der Aufzug befand. Er zuckte überrascht zusammen, ging in die Richtung, in die ich gezeigt hatte, sah die Aufzugtüren und sagte: „Na, Oida. Gibt’s den im Erdgeschoß auch?“

Obwohl ich zu dem Zeitpunkt schon ein Jahr Lehrzeit hinter mich gebracht hatte, musste ich mich trotzdem umschauen, ob die Leute, die mit mir in diesem Büro saßen, das auch gerade so gehört und verstanden hatten wie ich. Da sich aber alle relativ synchron in einer langsamen Bewegung auf die Stirn griffen, während sie ebenso langsam die Augen schlossen, war ich beruhigt und sagte: „Nein. Der fährt nur vom dritten in den vierten Stock und ab dann muss man wieder zu Fuß gehen.“

Der verschwitze Kollege stöhnte auf: „Na, Oida. Ist ja ua scheiße“, und ging trotzdem zum Aufzug, der die ganze Zeit offen in unserem Stockwerk gestanden war, und kam empört zurück: „Warum sind dann aber für alle Stockwerke Knöpfe im Aufzug?“
Ich blieb seriös: „Das Aufzugmodell gab es damals nur mit dieser Anzahl von Stöcken, aber unserer fährt leider trotzdem nur vom dritten in den vierten.“

Lukas Lachnit
Kurzgeschichten: fiktiv, enorm, abnorm | Fleischlabel ©2013

www.verdichtet.at | Kategorie: Vorhang auf für den Nachwuchs| Inventarnummer: 15071

 

Der Berufsschüler 3: Pfeifkonzert

Vorwort:
Dieser Text dient ausschließlich zur Unterhaltung und soll nicht aussagen, dass alle Berufsschüler dieser Welt geistig benachteiligte Geschöpfe sind, die von einer Qualle im Schach besiegt werden, weil sie die „Startaufstellung“ der Figuren für zu defensiv halten. Nein, Spaß beiseite. Ich war selbst Berufsschüler und habe die Dinge, die ich hier geschrieben habe, selbst exakt so erlebt. Dennoch soll dieser Text nicht aussagen, dass ausnahmslos alle Berufsschüler auf diesem Niveau agieren. Ich habe einen meiner besten Freunde in der Berufsschule kennengelernt und auch sonst einige liebe, interessante, intelligente Menschen kennenlernen dürfen, worüber ich sehr froh bin. Also wer sich an bisschen bösartigem Sarkasmus und einem knapp an der Grenze des Zumutbaren Maß an Gehässigkeit erfreuen kann, für den ist dieser Text unterhaltsam und alle anderen, die das nicht wollen oder können, sollten spätestens jetzt aufhören zu lesen.

Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Berufsschule…

Ich sitze wieder einmal in der Klasse und wieder ist Pause.

Ein Typ dreht sich zu mir und sagt: „Heast Oida. Ich hab eine Frage. Du kennst dich ja voll oag mit Musik aus und so, gö?“
Damals habe ich in einer Band gespielt und ich war zwar nicht sonderlich beliebt, aber in einer Band zu spielen, war in der Klasse irgendwie ein Sympathiepunkt.
Er spricht weiter: „Gestern war ja 50-Cent-Konzert. War saugeil, außer am Schluss, da war’s dann irgendwie ua scheiße und dann sind wir gegangen. Jetzt ist dann aber am nächsten Tag in der Zeitung gestanden, dass ganz am Schluss noch ein Pfeifkonzert war. Ich mein, ich hab das nicht mehr gesehen, aber wie soll das bitte gehen? Ich hab nämlich schon einmal in ein Mikrophon gepfiffen, und da hat man nur ua oag Rauschen gehört und sonst gar nix. Gibt’s da irgendeine Technik, die was man da machen muss?“

Ich versuche so neutral dreinzuschauen wie möglich und einen Gesichtsausdruck aufzusetzen, der aussagt, dass es eine total verständliche und normale Frage für einen musiktechnischen Laien ist, und ich ihm das gerne erkläre: „Ein Pfeifkonzert macht nicht der, der auf der Bühne steht, sondern das Publikum. Wenn das Publikum den, der auf der Bühne steht, nicht leiwand findet, dann pfeifen die, damit der Künstler weiß, dass sie ihn nicht leiwand finden und er was Besseres machen soll.“
Er runzelt die Stirn: „Das heißt die Leute im Publikum kriegen dann Mikrophone oder was?“ Ich setze meinen leiderneinaberleiwanddassduinteressiertnachfragst-Blick auf: „Nein. Schau, wenn du zu einem Rapidmatch gehst, weil du halt Rapidfan bist, und die spielen total scheiße, dann pfeifst du und schreist BUH, damit die Hütteldorfer Heisln wissen, dass sie scheiße spielen, und dir das nicht taugt, und sie das gefälligst ändern sollen.“
Er nickt enthusiastisch: „Ja sicher. Die soll‘n gscheit spiel’n, die Wixa.“

Ich grinse ihn freundlich an: „Genau… und bei einem Konzert ist das das Gleiche… und wenn man das dann macht, wenn man dort ist und andere Leute das auch machen, weil sie auch unzufrieden sind, egal ob bei einem Fußballmatch oder bei einem Konzert, dann sagt man zu sowas Pfeifkonzert.“
Er strahlt und sagt: „Ja, jetzt kenn ich mich ua aus. UA GEIL. Ich find das immer voll oag geil. Du kannst Sachen immer so sagen, dass man sich nachher voll geil auskennt. Danke. Geil, Oida.“

Und in mir steigen Glücksgefühle auf. Da ist jemand, der, sagen wir einmal vorsichtig, nicht in den gleichen Punkten wie ich seine Stärken hat, aber trotzdem akzeptiert, wie ich bin und das, was ich ihm von meinen für ihn erkennbaren Stärken anzubieten habe, zu schätzen weiß und das fand und finde ich, ganz ohne Ironie und Sarkasmus, wirklich super.

Lukas Lachnit
Kurzgeschichten: fiktiv, enorm, abnorm | Fleischlabel ©2013

www.verdichtet.at | Kategorie: Vorhang auf für den Nachwuchs| Inventarnummer: 15070

 

 

Der Berufsschüler 2: Die Muscheln

Vorwort:
Dieser Text dient ausschließlich zur Unterhaltung und soll nicht aussagen, dass alle Berufsschüler dieser Welt geistig benachteiligte Geschöpfe sind, die von einer Qualle im Schach besiegt werden, weil sie die „Startaufstellung“ der Figuren für zu defensiv halten. Nein, Spaß beiseite. Ich war selbst Berufsschüler und habe die Dinge, die ich hier geschrieben habe, selbst exakt so erlebt. Dennoch soll dieser Text nicht aussagen, dass ausnahmslos alle Berufsschüler auf diesem Niveau agieren. Ich habe einen meiner besten Freunde in der Berufsschule kennengelernt und auch sonst einige liebe, interessante, intelligente Menschen kennenlernen dürfen, worüber ich sehr froh bin. Also wer sich an bisschen bösartigem Sarkasmus und einem knapp an der Grenze des Zumutbaren Maß an Gehässigkeit erfreuen kann, für den ist dieser Text unterhaltsam und alle anderen, die das nicht wollen oder können, sollten spätestens jetzt aufhören zu lesen.

Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Berufsschule…

Mein bester Freund Bertl und ich sitzen also in der Klasse der Berufsschule. Wir sind etwa 16 oder 17 Jahre alt und philosophieren in der Pause so vor uns hin, was alles an Strandurlauben toll ist. Die Mädchen in den Bikinis, Schwimmen, kein Stress und das Allerbeste: Man schläft so unglaublich gut, wenn man einen Strandurlaub macht. Nur woran liegt das eigentlich? An der anderen Örtlichkeit und der Tatsache, dass alle Dinge, die einem im Alltag Sorgen bereiten, einfach nicht da sind, oder dem Wissen, dass man jetzt für die nächsten zwei bis drei Wochen, je nachdem wie lang man sich halt Urlaub genommen hat, auf jeden Fall nichts Mühsames, Anstrengendes oder sonst was Stressiges machen muss?

Die Diskussion entwickelt sich bis hin zu der Theorie, dass es auch daran liegen kann, dass die Sonne aus einem anderen Winkel scheint, und zwar von deutlich höher kommt als in Österreich und die Lichtstrahlen so direkt auf die Augenlider strahlen, dass man automatisch alles viel gelassener sieht, weil man durch das Gewicht der schweren Sonnenstrahlen dazu gezwungen ist, die Augen nur halb offen zu haben, und alleine dadurch schon total entspannt ist. Wir haben also großen Spaß daran, den absoluten Schwachsinn zu reden und erfreuen uns an immer höherer Absurdität der Theorien, und wetteifern, wer es schafft, sich einen noch viel kränkeren, abwegigeren Grund auszudenken.

Ein Klassenkollege, der einen Tisch weiter sitzt, steht auf und kommt mit geschlossenen Augen und einem jetztwerdeichdeneneinmalerklärenwieeswirklichist-Gesichtsausdruck auf uns zu und sagt: „Oida, ihr seid‘s Trottln.“
Kurze Stille. Bertl und ich schauen uns an und wissen aus bereits einem Jahr Berufsschulerfahrung, dass es in dem Moment besser ist, einfach nichts zu sagen und so neutral wie möglich dreinzuschauen, aber ich kann mich nicht halten: „Und wieso?“

Er nickt, sich selbst zustimmend, ohne bis jetzt sonst noch ein Kommentar abgegeben zu haben und meint: „Was sollen Sonnenstrahlen sein, Oida? Siehst du irgendwelche Strahlen, die was durch die Luft fliegen? Nein, oder? Laserstrahlen gibt‘s. Bei Star Wars. Da macht es PIUPIU und dann sieht man die Laserstrahlen, die was so durch die Luft fliegen, aber die Sonne schießt ja nicht auf uns, Oida, aber macht ja ua nix. Ich beschäftige mich ja mit sowas, aber muss ja nicht jeder, Oida. Ich weiß aber voll, warum man im Urlaub immer ua geil schlaft.“

Bertl und ich heben beide synchron fragend und gespannt auf das nun folgende Ergebnis die Augenbrauen und lassen ihn weitersprechen: „Das ist, weil das Meer rauscht, Oida. In der Nacht rauscht immer das Meer und deswegen schläft man voll ua geil, Oida.“
Bertl und ich sind überrascht. Das ist doch eigentlich eine total liebe, herzige und nette Theorie und die trifft bestimmt auch zu, bis zu einem gewissen Grad.
Mit diesem Kollegen zu plaudern war immer irgendwie wie das Drehen an einem Glücksrad. Egal, worum es gerade ging. Man wusste nie, was als nächste Antwort kam und das hatte irgendwie so ein bisschen was wie das Beobachten eines Hirsches im Wald. Man schaut einfach zu und ist total fasziniert, weil man nicht weiß, was als nächstes kommt, also fragt Bertl nach: „Und warum rauscht das Meer?“
Er winkt freudig ab: „Ist eh ua logisch, Oida. Das ist wegen den Muscheln, die was im Meer sind.“
Bertls und meine Augen verengen sich zu nachdenklichen Schlitzen und er fährt entrüstet fort: „Heast ist doch ua oag logisch, Oida, denkt’s doch einmal nach. Wenn ich mir eine Muschl, die was im Meer liegt, mitnehme und dann zu Hause gegen mein Ohrwaschl drück, dann rauscht‘s und im Meer liegen ja ua viele Muscheln und deswegen rautscht‘s so laut.“

Ein Jahr früher hätten wir noch geglaubt, der will uns einfach verarschen und versucht, ihn in eine klärende Diskussion zu verwickeln, aber durch die damit gemachten Erfahrungen, nämlich, mit jemandem, der aufgrund seiner geistigen Kompetenzen eine falsche Ansicht hat, und bei dem jedes Argument und jede Theorie, die diese Ansicht verändern bzw. richtigstellen würde, seine geistigen Kompetenzen überschreitet, eine Diskussion zu beginnen, ist sinnlos, weil sie den Betreffenden nur verletzt und beleidigt und sonst keinen positiven Effekt hat. Wir entscheiden uns dann also für ein ruhiges: „Aja, stimmt. Danke.“

Lukas Lachnit
Kurzgeschichten: fiktiv, enorm, abnorm | Fleischlabel ©2013

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